Alle auf Einen

von Rosa

„Kann ich bitte auch mal den Kaffee haben“ tönt es über den Frühstückstisch. Es ist 5 Uhr morgens. Alle stürzen sich auf die kleine Glaskanne mit der schwarzen Flüssigkeit in der Hoffnung der Inhalt macht ihre müden Augen etwas weiter. Es sind die letzten Minuten in Ivochote, einem Dorf in das sich im Jahr vielleicht 20 Touristen verirren. Der Grund für unser zeitiges Aufstehen ist ein anderes Dorf, das jedoch in einem anderen Land zu liegen scheint. Aguas Caliente (Heiße Quellen) ist die letzte Siedlung vor der berühmtesten Sehenswürdigkeit Perus, dem Machu Picchu. Täglich besuchen 2500 Menschen die sagenumwobene Inkastadt. Doch bis dahin ist es für uns noch ein weiter Weg.

Ich halte mich aus dem Kaffeekrieg raus und frühstücke stattdessen eine Reisetablette mit drei Schluck Wasser. In mir tobt ein ganz anderer Krieg. Mein Magen gegen die holprigen, kurvigen Andenstraßen. Die Fahrt von Cusco nach Ivochote war im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen. Diesmal muss ich besser vorbereitet sein. Ich erkämpfe mir gegen die Rentnergruppe den Platz neben dem Fahrer, denn wenn ich die Straße im Blick habe, ist es weniger schlimm. Drei leere Plastiktüten, Coca-Blätter, etwas Wasser und Tablettennachschub. Das muss reichen. Wir verabschieden uns von unseren Gastgebern und es geht los. Unser Fahrer übt zum Glück nicht wie sein Vorgänger für das zweite Standbein „Formel 1 Karriere“ und meine Müdigkeit lässt mich zwei Stunden schlafen. Die Straße schlängelt sich entlang des Urubamba-Flusses vorbei an bunt bemalten Häusern. Die Motive und Sprüche wiederholen sich. Arno erzählt uns, dass die politischen Parteien vor den Wahlen an die Häuser klopfen und fragen, ob sie ihre Wahlsprüche an die Fassaden malen dürfen. Einige Hausbesitzer nehmen das Angebot für umgerechnet 20 Euro an, ungeachtet dessen, ob sie die Partei wählen werden. Viele Peruaner, das hören wir immer wieder, sind so oder so von den Politikern enttäuscht und nehmen auch eine Geldstrafe fürs Nicht-Wählen in Kauf. Circa 15 Prozent der für Investitionen bestimmten Haushaltsmittel gehen aufgrund von Korruption verloren.

Nach sieben Stunden Fahrt erreichen wir Santa Maria, einem der letzten größeren Orte vor Machu Picchu. Mittagspause. Mein Magen hat durchgehalten und die 40 Minuten Fahrt sollen nicht mehr so schlimm werden. Also versuche ich eine Kleinigkeit zu essen. Arroz a la Cubana (Reis nach cubanischer Art) mit einem Spiegelei und Banane. Es ist leckerer als es klingt. Arno zweifelt berechtigterweise an, ob es dieses Gericht überhaupt auf Kuba gibt. Nein gibt es nicht. Während meines zweimonatigen Kubaaufenthalt gab es leider fast nur Reis mit Bohnen.

Aus den angekündigten 40 Minuten Fahrt bis zum Ziel werden 90 Minuten. Dann die ersten Hinweisschilder zu Hydroelectrica und Machu Picchu. In Hydroelectrica endet die Straße und ab hier geht es nach Aguas Caliente nur noch zu Fuß oder mit dem Zug. Da der Zug aber extrem teuer ist, laufen einige Reisende die 12 km lange Strecke zu Fuß. Die meisten unter ihnen ohne Gepäck. Da wir nicht aus Richtung Cusco kommen und dort unserer Rucksäcke im Hostel lassen konnten, drücken jetzt 20 kg auf unseren Schultern. Wir verabschieden uns von Arno auf Bald und von der Touristengruppe mit den Worten ihr werdet uns sowieso einholen, denn ihr Gepäck wird in ein Hotel nach Cusco gefahren.

Der Weg führt direkt an den Bahngleisen entlang und wenn ein Zug kommt, müssen alle zur Seite gehen und stehen bleiben. An engen Stellen ist das gar nicht so ungefährlich. Die ersten Meter im Schatten laufen sich leicht. Dann geht der Weg einen steilen Berg hoch. Ich habe Mühe nicht nach hinten zu fallen und bin am Ende des Weges außer Puste. Nach den ersten 3,5 km setzen die ersten stärkeren Schmerzen ein. Mitleidige Gesichter schauen uns entgegen, die nur mit einem leichten Wanderrucksack unterwegs sind. Andere Wanderer überholen uns, nur nicht die Touristengruppe. Das Gehen auf dem Gleisschotter ist anstrengend, mehrmals knicke ich um. Immer wieder wechsle ich die Seite, um einen ebenen Untergrund zu finden. Noch 4 km bis zum Ziel. Jedes mal denke ich bis zur nächsten Ecke und dann mache ich eine Pause. Aber jedes mal laufe ich weiter, weil es nach dem Absetzen des Rucksacks bestimmt noch schwerer geht. Wir laufen jetzt zwischen den hohen Bergen, der Blick ist beeindruckend und einschüchternd zu gleich und doch haften meine Augen eher auf dem holprigen Boden. Irgendwann können wir die Gleise verlassen und laufen auf einen riesigen Schriftzug auf dem Machu Picchu steht zu. Hier befindet sich also der Eingang zur berühmtesten Sehenswürdigkeit Perus.

Wir müssen noch ein Stückchen weiter nach Aguas Caliente. Noch nicht einmal richtig im Dorf angekommen, begrüßt uns schon ein Mann, der für seine Unterkunft wirbt. Das trifft sich gut, wir haben noch keine. Wir gehen weit den Berg hinauf. Aguas Caliente ist komplett auf den Tourismus abgestimmt. Teure Designerhotels, unzählige Restaurants, Musiker, die Guantanamera spielen und Geldautomaten an jeder Ecke. Auch die Essensvielfalt haben wir so in Peru noch nicht vorgefunden. Éclairs aus Frankreich, Schokolade aus Deutschland und Chips aus den USA. Natürlich zu teuren Preisen. Selbst das Wasser ist hier doppelt so teuer. Wir fühlen uns eher wie in einem Touristenort am Mittelmeer. Nur mit Bergen und viel kälter. Schnell besorgen wir noch die Tickets für Machu Picchu bei der offiziellen Kulturbehörde. Mein internationaler Studierendenausweis wird nicht akzeptiert und ich muss die knapp 50 Euro ohne Vergünstigung bezahlen. Die Buchung übers Internet funktionierte bei der Bezahlung nicht. Es scheint als würde es den Touristen so schwer wie möglich gemacht das Erlebnis auf eigene Faust zu organisieren. Stattdessen sollen die ansässigen Agenturen in Anspruch genommen werden. Der Bus zur Spitze des Machu Picchu kostet dann nochmal 10 Euro. Auch hier gibt es nur Vergünstigungen für Personen aus Lateinamerika. Unsere Unterkunft hingegen haben wir für umgerechnet 5 Euro bekommen. Dementsprechend sieht sie auch aus und es riecht nach Schimmel. Aber unsere Nacht wird sowieso kurz. Denn die ersten Busse Richtung Machu Picchu fahren schon 5:30 Uhr und ab 4:00 Uhr morgens sollen die ersten Touristen Schlange stehen.

Also warten auch wir kurz vor 4:00 Uhr eingepackt in warmer Kleidung vor der Bushaltestelle. So kalt wie erwartet ist es dann gar nicht. Schmunzelnd beobachte ich die länger werdende Warteschlange und die enttäuschten Gesichter, die sich weiter hinten einreihen müssen. Ich bin ein bisschen aufgeregt tatsächlich gleich Machu Picchu zu sehen. Der Bus kämpft sich die 12 km bis zum Gipfel hinauf. Die Umrisse der umliegenden Berge werden immer klarer. Die großen Riesen thronen im Nebelkleid über dem Tal. 6:00 Uhr warten wir fast ganz vorn in der Reihe darauf, dass sich das Tor zur Ruinenstadt endlich öffnet. Dann ist es soweit. Wir haben den Tipp bekommen, gleich hoch zum Wächterturm zu laufen. Dort soll der Blick am schönsten sein. Schnellen Schrittes machen wir uns auf den Weg. Auch wenn der alte Gipfel (Machu Picchu) nur auf 2430 Meter liegt, pocht unser Herz ganz schön. Nach 10 Minuten haben wir es geschafft. Das Postkartenmotiv wird Realität. Es ist tatsächlich noch besser als erwartet. Meine Lippen formen sich zu einem Lachen und ich bin überwältigt von dem Blick, der sich mir bietet. Die grüne Terrassenstadt zwischen den riesigen zum Teil schneebedeckten Gipfeln hätte man besser nicht malen können.

Langsam füllt sich die Anlage mit Menschen, die unbedingt noch ein Foto ohne die anderen störenden Touristen ergattern möchten. Man setzt sich in Szene, die Selfiesticks werden ausgepackt und selbst die Lamas posieren als würden sie dafür bezahlt werden. Alles für das perfekte Bild.

Täglich dürfen maximal 2500 Personen das Gelände betreten. Die Unesco fordert allerdings eine maximale Besucherzahl von 800 Personen, um das Kulturerbe und die umliegende Landschaft nicht zu gefährden. Wir warten auf die ersten Sonnenstrahlen und hören einem Guide zu, der über die Geschichte Machu Picchus erzählt.

Als offizielles Wiederentdeckungsdatum wird das Jahr 1911 genannt, als der Leiter einer Yale-Expedition Hiram Bingham durch Zufall die Stadt fand. Er war eigentlich auf der Suche nach einer anderen Inkastadt. Ein 11-Jähriger Junge führte ihn allerdings zu Machu Picchu. Dort lebten zu dieser Zeit drei Familien, die ihre Söhne vor dem Krieg versteckten.

Wir bewegen uns von unserem Beobachtungsposten in Richtung Stadtkern. Die Inkas galten als eine der besten Baumeister ihrer Zeit und die alten Mauern lassen keinen Zweifel daran. Jeder Stein passt auf den anderen. Zu ihrer Blütezeit sollen 1000 Menschen in der Stadt gelebt haben. Über die Bedeutung von Machu Picchu gibt es zahlreiche Theorien. Am verbreitetsten ist die Annahme einer religiösen Zufluchtsstätte der Inkas. Nach einem Rundgang durch die Anlage ist unser Machu Picchu Erlebnis vorbei.

Einen Weg zurück gibt es nicht. Zwar kann man mit seinem Ticket über den offiziellen Eingang wieder zum Wächterturm zurück, muss aber dann erneut den Weg durch die Anlage und die Touristenschlangen gehen. So machen wir uns schon um 9 Uhr auf den Rückweg zum Fuß des Berges, den schon die Inkas gegangen sind. Selten habe ich am frühen morgen schon so viel gesehen. Auch wenn die Anreise beschwerlich ist und ein Besuch das Reisebudget stark schrumpfen lässt, lohnt sich Machu Picchu mehr als aus dem Grund ein schönes Foto zu haben.

Für uns geht zurück nach Cusco. Nach langem Überlegen haben wir uns entschieden die 70 Euro pro Person zu investieren und mit dem Zug von Aguas Caliente nach Ollantaytambo zu fahren. Es ist die nahezu preisgünstigste Option. Die Züge von und nach Aguas Caliente sind überteuert, aber die einzige Möglichkeit diesen Ort zu erreichen. Dafür fühlt man sich wie 1. Klasse im Orient Express. Alter Charme in modernem Gewand. Am Bahnhof treffen wir zwei alte Bekannte unserer Reisegruppe wieder. Eine Frau hatte sich das Knie während der Wanderung verletzt und musste sogar noch mit dem Polizeiauto nach Aguas Caliente gebracht werden. Deswegen hatten sie uns auf der Gleiswanderung nicht eingeholt. Die wacklige Zugstrecke führt uns zwischen Bergen entlang. Aber selbst dieser Ausblick hält unsere Augen nicht mehr offen. Die Hälfte des Zuges verschläft das Andenpanorama. Ein teurer Mittagsschlaf. Nach 90 Minuten ist die Fahrt vorbei. Von Ollantaytambo geht es mit einem Kleinbus zurück nach Cusco. Wir machen uns gleich auf den Weg zum Busbahnhof und haben Glück. Nach langem Suchen finden wir einen Nachtbus der nach Ayacucho fährt und noch zwei Plätze frei hat. Im Bus sitzen nur Einheimische, kein Englisch mehr, keine Selfies mehr. Spätestens jetzt befinden wir uns wieder abseits der ausgetretenen Touristenpfade. Nur mein Magen fühlt sich noch nicht ganz wohl in den hohen Bergen und so gibt es zum Abendbrot wieder Reisetabletten und Kamillentee, bevor uns unser Reise erneut die Anden hoch und runter führt.


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