Verschlafen

von Rosa

Berge, blauer Himmel, mein Kopf nickt nach links und ich bin wieder weg. Wald, ein paar Wolken, mein Kopf nickt nach rechts und ich bin wieder weg. Von den ersten Stunden in Kolumbien bekomme ich nicht viel mit. Die Nachtfahrt zur Grenze, das Warten bei der Passkontrolle und die zwei Naux (Reisetabletten) lassen mich die gesamte Strecke nach Popayán schlafen. Selbst im Busbahnhof fällt mein Kopf auf den Rucksack und so bekomme ich nicht mit, dass Karl in der Zwischenzeit schon kolumbianische Pesos besorgt, unsere Couchsurferin kontaktiert und Mittagessen gefunden hat. Für 1 Euro erhalten wir 3.300 kolumbianische Pesos und so haben wir kurzerhand ziemlich viel Geld in der Hand. Neben meinem improvisierten Schlafplatz rutschen zwei Mädchen in auffälligen Kleidern und kunstvoll frisierten Haaren über den Boden. Viele Mädchen werden hier sehr heraus geputzt, sodass sie wie kleine Disneyprinzessinnen aussehen. Die Nägel der Kleinen knallbunt, Ohrringe und Lackschuhe. Bei dem Spielverhalten der beiden wären allerdings eher Jogginghose und Turnschuhe angebracht.

Kurz bevor ich wieder einschlafe, kommt Annie unsere Couchsurferin um die Ecke. Annie ist klein, hat braune Augen, dunkle Haare und ein ansteckendes Lächeln. Wir sind ihre ersten Couchsurfer. Sie ist etwas aufgeregt. Wir fahren eine lange Straße hinunter in den Stadtteil El Bosque. In einer Seitenstraße steht ein unfertiges Haus auf einer Wiese. Annie wohnt hier mit ihrem Vater. Popayán wurde schon 1537 gegründet und viele bedeutende Politiker Kolumbiens kamen aus der Stadt. Heute ist Popayán eine Studentenstadt und auch Annie ist hier um Chemie an der Universität von Cauca (eine Provinz) zu studieren. Das Studieren an staatlichen Universitäten ist in Kolumbien kostenfrei bis zum Master. Deswegen will Annie ihren Master in Spanien oder Argentinien machen, um ein bisschen Geld zu sparen. Politischer Protest gehört an staatlichen Universitäten zur Kultur erzählt uns Annie. So fiel im letzten Semester für drei Monate die Uni aus, weil die Studierenden streikten. Mein Körper scheint sich auch im Streik zu befinden und schnell schlafe ich nach dem Abendbrot ein.

Am nächsten Morgen bin ich dann mehr oder weniger wach. Wir fahren in die Innenstadt um an einer Free Walking Tour (Stadtführung auf Spendenbasis) teilzunehmen. Was uns als erstes auffällt, sind die weißen Kolonialhäuser, weswegen Popayán auch weiße Stadt genannt wird. Die Menschen bestrichen ihre Häuser mit Kalk, um sich vor einem Schädling zu schützen, der sich in die Haut bohrt. Unsere drei Tourguides zeigen uns Bilder von dicken, aufgeblähten schwarzen Füßen. Es sieht schmerzvoll aus. Aber man sagte den Menschen, die mit diesen Schädlingen lebten, besondere Weisheit nach. Einige Häuserecken wurden vom weiß ausgespart, damit sich die Menschen dort die Füße kratzen konnten, ohne das weiß zu beschmutzen. Einmal im Jahr werden heute noch alle Wände der Innenstadt neu geweißt, um die Stadt im besten Glanz zur berühmten Semana Santa (Osterwoche) zu präsentieren.

Popayán wurde von vielen Erdbeben heimgesucht. 1983 starben über 50 Menschen, weil sie in einer Kirche Schutz suchten und das Kuppeldach einfiel. Allen Erdbeben standgehalten hat eine Brücke, die von einem italienischen und deutschen Mönch konstruiert wurde. Beide Architekten mussten ein Mittagessen unter der Brücke einnehmen, um der Bevölkerung zu beweisen, dass die Brücke stabil ist. Wie würden die Mathematiker sagen: Was zu beweisen war. Auf dem Berg „Tres Cruzes“ (Drei Kreuze) gibt es eine Erfrischung bestehend aus gepresstem Zuckerrohr und ein bisschen Orange. Es ist sehr sehr süß. Generell ist vieles sehr süß in Kolumbien. Sogar das Brot ist in den meisten Fällen mit Zucker versetzt. Wir müssen uns erst noch daran gewöhnen. Als uns dann noch caña de azúcar (Zuckerrohr) angeboten wird, lehnen wir freundlich ab, währenddessen alle anderen fröhlich darauf rumknabbern.

Nach der Stadttour erkunden wir auf eigene Faust die Innenstadt von Popayán. An diesem Sonntag scheint auch die Stadt verschlafen. Die Geschäfte sind geschlossen, die Fensterläden zugeklappt und ein Haus gleicht dem anderen. Alles wirkt sehr gemütlich und gemächlich, was uns bei der Hitze auch sehr entgegenkommt. Wir besuchen das Museum des ehemaligen Präsidenten Guillermo Leon Valencia. Doch außer vielen Porträts von ihm und denen seiner Eltern, Tanten, Großtanten und weiteren wichtigen Familienmitgliedern gibt es nicht viel zu sehen. Dann machen wir uns lieber auf den Weg zum Morro de Tulcán. Einem Hügel von dem aus sich uns ein Rundblick über die Stadt bietet. Dieser Hügel wurde von einem Volk der prekolonialen Zeit als Erdpyramide errichtet. Die Bestimmung ist unklar. Heute ist sie Ausflugsziel für Familien. Rechts neben mir spielt ein Junge mit einem bunten Windrädchen. Bei der Familie vor uns hat jeder seine eigene Chipstüte, die gemütlich aufgegessen wird. Schaue ich nach links kommt ein Lama und ein Junge auf mich zu. Der Junge versucht vergeblich uns und die anderen zu einem Foto mit dem flauschigen Tier zu begeistern.

Auf dem Weg zurück in die Stadt kommen wir am Mora Castilla vorbei. In diesem Restaurant werden kolumbianische Spezialitäten serviert. Wir probieren Salpichón. Ein Getränk aus gestoßenem Eis und Früchten. Wie eine Eisbowle nur ohne Alkohol. Das rote Getränk ist sehr lecker und erfrischend. Dazu gibt es Empanadas (Teigtaschen) gefüllt mit Kartoffeln und Erdnusscreme. Annie bringen wir noch Kekse als Gastgeschenk mit, die uns an Weihnachtsplätzchen erinnern. Zum Abendbrot kochen wir Pasta und Annie Arepas. Das sind kleine runde Fladen, die aus Maisteig gebacken werden und je nach Belieben mit Käse oder Hühnchen belegt werden. Ich belasse es bei einem Probierstück. Annie zeigt uns auf Youtube typisch kolumbianische Musik und Orte, die wir unbedingt besuchen sollen. Als wir am Ende auf unsere Liste schauen, stehen dort so viele Orte, dass wir die nächsten 6 Monate auch ohne Probleme nur in Kolumbien verbringen könnten. Annie reist am nächsten Tag zu ihrer Familie und wir fangen mit unserer Liste in Cali an. Auf der Fahrt dorthin bekomme ich kein Auge zu – Ausgeschlafen.


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