Ablegestelle vom weißen Floß

Von Karl

 

Obschon es ja nur ein Katzensprung bis nach Castro ist, so bin ich vielleicht genau deswegen etwas langsam unterwegs und dann kommt der Bus nur mit viel Verspätung. Diesmal habe ich ein Bett gebucht, dass fast breiter als der Raum ist, in dem ich übernachte. Egal, ich schlaf ja nur hier.

links: Palafito, hinten: weitere Insel

Castro

Die Inselhauptstadt ist von ihrem einfachen und bescheidenen Leben geprägt. Es gibt einen netten Hauptplatz und das Leben spielt innerhalb von wenigen Blocks drum herum statt. Es ist alles einmal da. Hauptattraktion sind die Häuser die seeseitig an den Uferstraßen stehen. Sie sind auf Stelzen erbaut und sind von der Straße an und für sich nicht als solche zu erkennen. Sie nennen sich hier Palafitos. Nur vom Wasser aus gut zu erkennen.

In Castro ist vieles sehr ruhig und Hektik scheint etwas für Nicht-Insulaner*innen zu sein. Ich nutze den restlichen Tag um meine nächsten Tage zu organisieren, denn ich hab den großen Sprung nach Argentinien geplant.

diese Pflanze, photographiert im Nationalpark Chiloé, wird auf der ganzen Insel verkauft

Cucao – Muelle de las Almas (Mole der Seelen)

Von Castro aus fahren ständig Busse nach Cucao, an die Westküste. Hier ist einer der wichtigsten Eingänge in das Naturschutzgebiet Chiloé. Es gibt aber noch weitere Schutzgebiete auf der Insel. Das größte umfasst den ganzen Süden. Da ich aber gar nicht vor hatte in den Nationalpark zu gehen, beginne ich meine Wanderung entlang der Straße. Die Landschaft breitet sich ruhig und grün aus. Manchmal schauen mich auch Schafe oder Kühe an. Flüsse oder Fjorde durchbrechen die Landschaft und fordern Brücken.

Die Straße macht einen Schlenker und ich komm an das Meer. Hinter einem Wall aus runden schwarzen Steinen brodelt der Ozean gegen die Küste. Auf einigen Kilometern vor und hinter mir. Erst weit hinten kommt ein zig Meter hoher Fels und damit die Steilküste. Angespült werden auch die Braunalgen die an der Straße in der Stadt verkauft werden.

Vor der Steilküste biegt die Straße ins Hinterland und folgt nun der Küste in einigem Abstand, aber erst muss die Schotterstraße sich auf die nötige Höhe winden. So schön die Umgebung auch sein mag, ich hab offensichtlich die Entfernung unterschätzt. Schon das erste Fahrzeug, nachdem ich mich umgedreht habe, hält an und nimmt mich mit. Es ist ein Sammel-Taxi-Bus, wie ich dann merke, weil er schlägt direkt 1500 Pesos vor. Ungefähr 2 Euro.

Wenig später halten wir schon an einer Verkaufsstelle. Offensichtlich ist mein Ziel auch in einem Schutzgebiet, weil wir für 1500 weitere Pesos Eintrittstickets kaufen müssen. Was soll‘s. Der Ort, der noch letztes Jahr als Geheimtipp galt, wurde offensichtlich touristisch erschlossen. Nun kostet alles seinen Preis. Nagut. Ich werde nun wie gewünscht zwei Kilometer vor dem Ziel raus gelassen.

Der Weg ist nun schlammig, eher ein schmaler Pfad und windet sich hoch und runter. Ständig wechselt die Natur. Mal laufe ich über die niedrige Wiese eines Bauernhofes, dann wieder zwischen dichten Bäumen durch. Ein Arbeiter mit einer Motorsäge schneidet Äste zu, die dann in den Schlamm gelegt werden. Dadurch werden die Wege wieder begehbarer. Er kontrolliert auch die Tickets.

Manchmal verläuft der Weg entlang des Kamms der Hügelstrecke und die Bäume treten zurück, und schon werden weite Blicke frei. Große Buchten links und rechts, die nun viel gemächlicher wirken, als die gierigen Wellen, als ich noch davor stand. Allein diese Blicke über die weite chilotische Küste war die Reise wert.

Wieder einmal gelange ich auf den höchsten Punkt eines kleinen Hügels und beginne die Meter ins Tal, als sich mir eine Herde Rinder offenbart. Ziemlich teilnahmslos liegen sie rum mit zwei jungen Kälbern. Schon eine chilenische Familie ist schwer interessiert, sodass sie das eine Junge aufscheuchen. Ich hab ja generell etwas Respekt vor diesen mir unbekannten Tieren und passiere einfach ruhig.

Sie sind die letzte Hürde. Vom nächsten Hügel aus breitet sich der wahrlichst magischste Ort Chiloés aus. Sanft und grün fällt der Weg vor mir ab, aber dann läuft auf einen Steg, der seine Höhe beibehält für einige Meter, während der Boden weiter abfällt. Der Holzsteg ist eine Art Sprungschanze in der unberührten Umgebung. Unterhalb vom Steg bricht auch die Wiese ab und es folgt die Steilküste. Links und Rechts ragen halbe Berge auf, direkt davor Felsinseln. Stolze Vögel mit weiten Schwingen segeln über und vor mir. Auf dem Dach der großen Felsinsel hat sich eine Kolonie Vögel niedergelassen, die Nester gebaut haben, die kleinen Vulkanschloten ähneln, während sie diese oben auf den Ausgang sitzend verschließen. Vermutlich brüten sie. Aufgrund der Entfernung kann ich auch nicht ausschließen, dass es vielleicht Pinguine sind.

Am Fuße des Felses schlafen in der Sonne auch wieder ihre Freunde, die Seelöwen, diesmal aber gleich zwei Dutzend.

Von der Sprungschanze beziehungsweise Mole aus kommen die toten Seelen ins Jenseits. Es ist nicht nur für mich ein magisch-schöner Ort, sondern auch für die Mapuche ein heiliger. Die Geister der Toten müssen an die Küste wandern und steigen dann zum Flößer in sein weißes Gefährt, der ihn, insofern die Seele gut vorbereitet ist und bezahlen kann, dann bis zum Horizont und Himmel bringt.

Muelle de las Almas (Mole der Seelen)

Auf Chiloé gibt es noch eine Vielzahl von Sagen. So lebt ein Mann in den Baumstämmen, es gibt Hexen die sich in Vögel verwandeln, ein ältere Frau die mal hübsch war, eine Furie, eine Eule die in der dunkelsten Nacht am Fenster klopft, ein Drachen mit Hühnerkopf, ein Kalb das alle tötet die sich zwischen ihr und dem Meer stellen, ein klassischer Vampir, ein Kind das von Hexen adoptiert wurde und nun sein Fuß auf den eigenen Kopf legen kann … und ganz wichtig, Caleuche, eine Art fliegender Holländer.

Natürlich stellt sich nun die Frage, jetzt wo ich weiß wo die Toten ins Jenseits umsteigen, ob ich also ein Nahtoderfahrung gemacht habe? Ich glaub‘s zwar nicht, aber wenn, dann klingt‘s nicht so schlimm.

Auf dem Weg zurück nach Castro muss ich noch eine Stunde beim Nationalpark warten. Dort gibt es Wege an den Strand, die kostenlos sind. Mensch kann hier auf Holzwegen und durch den Wald schlendern und die raue Natur auf sich wirken lassen. Schöne Blüten treiben aus und der Wind füllt die Lungen ganz wohlig mit frischen Sauerstoff. Wieder ein Ort der zum Gedichte schreiben einladen könnte, doch dann ruft der Bus, schnell zurück nach Castro. Die nächste Reise wartet (-; (garantiert ohne weißem Floß)


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