Wassersprünge und Flügelschläge

von Rosa

Man sieht sich immer zweimal im Leben. Bei manchen Personen freut man sich da mehr, bei anderen weniger. Bei Puerto Lopéz ist der Fall klar. Ich freue mich riesig die Perle am Pazifik wiederzusehen. Die verschlagene Bucht, die Fischerboote und die Palmen. Mein Flecken Paradies. Alles sieht noch genauso aus wie vor zwei Monaten. Naja fast, es sind nochmal weniger Touristen auf den Straßen zu sehen. Perfekt. Es ist schon dunkel als uns das kleine Motortaxi vom Busbahnhof zum Hostel bringt. Diese Nacht verbringen wir in einer Art Baumhaus. Liebevoll wurde das Hostel auf kleinen Holzstegen errichtet. Bevor ich einschlafe, höre ich das Meeresrauschen. Vertraut und immer wieder schön.

Wie ein Kind am Weihnachtsmorgen, wache ich am nächsten Tag auf. Wir werden heute mit großer Wahrscheinlichkeit Wale sehen. Auch, wenn ich etwas Angst vor der Bootsfahrt habe, freue ich mich wie ein Honigkuchenpferd. Am Pier treffen wir unsere Supermarktbekanntschaften Vincent und Moritz wieder. Im Moment lernen wir Menschen meistens dadurch kennen, dass Ronny fragt, ob sie denn Doppelkopf spielen können. Dabei fragt er direkt drauf los, egal ob die Hotelbesitzerin oder der weiße-Socken-Sandalen-Tourist (was für mich eher ein Erkennungsmerkmal wäre). Er tut dies mit einer Freude und Begeisterung, dass die meisten Befragten fast beschämt sind, wenn sie das Spiel nicht kennen. Zu meiner Verwunderung kennen es aber tatsächlich fast 30 Prozent der Angesprochenen. Allerdings niemand, der nicht ein paar Jahre in Deutschland gelebt hat. Das spricht wieder für meine Sandalen-Theorie. Unser Ziel ist es mindestens einmal im Urlaub Doppelkopf zu spielen. Allerdings brauchen wir noch zwei Mitspieler und an der Zahl zwei scheitert es meistens. Ich nehme es vorweg: Wir werden es nicht schaffen. Obwohl, eine Lösung haben wir dann doch noch gefunden. Was tut Mensch im 21. Jahrhundert, wenn er etwas im Leben nicht bekommt? Richtig, er besorgt es sich im Internet. Also eine Doppelkopf-App muss her. Unsere beiden Online-Mitspieler haben eher einen mürrischen Blick drauf und sind weniger verlässliche Mitspieler wie manche erst nach vier Bier. Das Bier schmeckt zum Smartphone-Spiel dann leider auch nicht so gut. Einen Vorteil gibt es trotzdem. Man muss keine Angst haben, dass die Mitspieler einem in die Karten schauen.

Zurück zu den Walen. Die wollen erst mal nicht auftauchen. Dafür kommt mit jedem weiteren Wellengang die Übelkeit. Das Gefühl der Übelkeit und Schlechtseins entsteht durch eine Dissonanz zwischen Gesehenem und Erlebtem. Also mir wird schlecht, da ich sehe, dass ich mich bewege. Ich mich allerdings nicht wirklich bewege, sondern in diesem Fall mich das Boot bewegt. Ein Trick ist zu schlafen. Schwierig, denn mir spritzt permanent kaltes Wasser ins Gesicht. Der zweite Trick, in Gedanken die Bewegungen mitzugehen. So stelle ich mir vor wie ich mit den Wellen auf und ab wiege bis ich plötzlich ein lautes „Wooow“ höre. Na super, denke ich, im Wellentrance den ersten Wal verpasst. Ganz genau genommen, kommen jedes Jahr zwischen Juli und September Buckelwale so nah an die Küste, um ihren Nachwuchs zu gebären. Das Wasser ist hier wärmer. Allerdings gibt es nicht genug Futter für das gesamte Jahr. Doch jetzt sind sie erstmal da.

Einmal, zweimal, dreimal springt ein Wal gerade nach oben und lässt sich wieder fallen. Es sieht zugeben immer etwas schwerfällig aus. Die männlichen Tiere versuchen die Weibchen entweder durch ihre Sprünge zu beeindrucken oder dadurch, dass sie möglichst lange tauchen können. Bis auf 20 Meter kann das Boot heranfahren. So ist es für beide Seiten ungefährlich. Neben den Männchen springen auch immer wieder Jungtiere aus dem Wasser. Nur zum Spaß sagt unser Guide. Vincent und Moritz hängen an ihren Smartphone und Spiegelreflexkameras um den perfekten Moment einzufangen. Ich genieße das Spektakel lieber ganz analog.

Die Walbeobachtung ist nicht der einzige Höhepunkt des Boottrips. Wir fahren noch zur „Isla de la Plata“. Ihren Namen hat sie von ihren Bergen, die im Sonnenlicht silber scheinen. Ein anderer Name der Insel ist Klein-Galapagos oder Galapagos für Arme. Na wenn das nichts für uns ist. Auf der Insel brüten verschiedenste Vogelarten. Am präsentesten sind die Blaufußtöpel. Mit ihren hellblauen Füßen sind sie leicht zu erkennen. Blaufußtöpel legen zwei Eier im Jahr und sowohl Männchen als auch Weibchen brüten die Eier aus, während sich der andere auf Futtersuche begibt. Nur ein Neugeborenes wird aufgrund der Futterknappheit überleben. Die Insel wirkt unberührt, obwohl in den Hauptzeiten ihr mehr als 100 Touristen einen Besuch abstatten. Ein raues Paradies mitten im Nirgendwo. Aber auch in das Nirgendwo können Menschen vordringen und die Blaufußtöpel sind teilweise von den Touristen irritiert. Selbst wenn die Guides größten Wert darauf legen den Tieren nicht zu Nahe zu kommen und in verständlicher Weise auch schon Kindern erklären, dass der flauschige Jungvogel kein Kuscheltier ist.

Nach dem Inselrundgang gibt es Mittagessen auf dem Boot und wir können uns eine Schnorchelausrüstung ausleihen. Ich schlucke ein paar mal Salzwasser und tauche durch kleine Fischschwärme. Unter mir sehe ich immer wieder bunte Fische vorbei schwimmen. Da gibt es nachtblaue mit neongrüner Schwanzflosse, feuerrote mit weißen Spitzen und schwarze mit weißen Punkten. Die Vielfalt ist beeindruckend. Wie aus dem Nichts ziehen zwei Riesenschildkröten vorbei. Sie sind beide mindestens einen halben Meter lang und schwimmen langsam und elegant an einem Korallenfelsen vorbei. Ich könnte Stunden an diesem Ort verweilen. Doch das Boot will weiter und 40 Kilometer schwimmen ist mir dann doch etwas zu weit. Die Bootsfahrt zurück ist kalt. Nach einer Stunde bin ich froh wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Moritz und Vincent laden uns noch nach Montanita zum Party machen ein. Doch mir ist auch schon ohne übermäßigen Alkoholkonsum zum Übergeben. Am Abend tritt das auch ein und ich verbringe die nächsten drei Tage im Bett. Ob nun ein Sonnenstich, schlechtes Essen oder ein Infekt dafür verantwortlich waren, weiß ich bis zum Schluss nicht.

Von einer Reisenden haben wir von einer Schildkröten-Auffangstation gehört. Dafür laufen wir 20 Minuten am Strand bis fast ans Ende von Puerto Lopéz. Da wo es an der Steilküste nicht mehr weiter geht. Dort steht eine Art große Halle mit mit zwei Meter breiten Becken. In diesen Becken befinden sich verletzte Riesenschildkröten. Einigen sieht man ihr Leiden an, anderen nicht. George erklärt uns, warum die Tiere hier sind. Die meisten haben entweder Plastik gefressen, das sie nicht verdauen können und das operativ entfernt werden muss oder sie haben eine Kopfverletzung durch die Propeller der Motorboote bekommen. Die Wunden an den Köpfen sind tief. Die Patienten werden in der Station ernährt und gesundheitlich versorgt. Ein Pilotprojekt der ecuadorianischen Regierung. Freiwilligenarbeit kann man hier auch ableisten. Im Schnitt werden die Tiere nach sechs Wochen wieder ausgesiedelt. Aus einem Becken läuft Wasser über den Rand. Die Schildkröte darin paddelt wild um sich. Sie sieht den Beckenrand nicht, erklärt George, und legt einen Stein an den Rand. Sofort hört das Paddeln auf. George und sein Team arbeiten mit Gegebenheiten, welche die Schildkröten aus ihrem natürlichen Umfeld kennen. Die Umstellung plötzlich in einer anderen Umgebung zu sein ist groß genug. Ob das Projekt nach Jahresende weiter finanziert wird ist noch unklar. Wir drücken fleißig die Flossen.

Wieder einmal verlasse Puerto Lopez ein bisschen wehmütig. Aber wie heißt es so schön: Aller guten Dinge sind drei. Also vielleicht auf Bald, mein kleines Paradies am Meer!


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