Von Superhelden, dem Teufel und Schlümpfen

von Rosa

Der Kranke

Was will man auf jeden Fall nicht, wenn man auf Reisen ist? Richtig, krank werden. Doch, da sich das Leben des öfteren den Spaß macht Pläne durcheinander zu bringen, passieren eben auch solche Unannehmlichkeiten. Als ich meinen ehemaligen Mitbewohner Ronny in Quito treffe, sieht er müde aus. Das ist auch kein Wunder nach über 18 Stunden Flug. Am nächsten Tag fühlt er sich noch schlechter. Kopf- und Gliederschmerzen, erhöhte Temperatur und Bettschwere. Hinzu kommt, Ronny hat sich vor einer Woche fünf Zeckenstiche in Bayern eingefangen. Da sitzt die Angst vor einer Borreliose im Nacken. Also doch lieber auf Nummer sicher und zum Arzt.

Unter der Neonröhre tropft ein Medikament aus dem Schlauch, das wir beide noch nie gehört haben. Wikipedia hilft und verrät, dass es in den meisten Industrieländern nicht mehr verwendet wird, aber wohl unbedenklich sei. Die behandelnde Ärztin hat einen mit Superhelden bedruckten Kittel an. Von allen Krankenhäusern in Quito wurde uns das Metropolitano empfohlen. Als einziges mit englischsprachigen Ärzten. Englischsprachige Ärzte heißt aber nicht automatisch englischsprachiges Personal. Der Krankenhausvertrag ist für mein Spanisch etwas zu viel. Also alles Übersetzen oder Augen zu und durch. Ronny schließt die Augen. Er ist müde. Es wird Blut abgenommen, Fragebögen ausgefüllt, nach Symptomen mehr schlecht als recht gefragt und dann sind erst mal alle weg. Das erste Urlaubsfoto wird nicht der Blick über Quito in der Abendsonne, sondern der Kranke am Tropf und im Nachthemd im Neonröhrenschein. Nach einer Stunde ist die Ärztin wieder da und die Bluttests auch: Alles im grünen Bereich. Die Superhelden-Ärztin verschreibt Paracetamol und Ausruhen. Ganz wichtig: nicht auf den Chimborazo oder Cotopaxi wandern. Beide sind über 5000 m hoch. Das war wohl der Witz des Tages. Mir brummt der Kopf vom Fachspanisch und Organisieren. Schnell besorge ich noch die Tabletten in der Apotheke. Dort werden auch Cola und Chips angeboten. Clever denke ich, gleich ein Angebot für die Nachfrage schaffen. So funktioniert Wirtschaft.

Nach einigen Recherchen im Hostel stellen wir fest, dass Borreliose sicher erst nach vier- bis sechs Wochen im Blut nachgewiesen werden kann. Ronny wird fast die Hälfte seines Urlaubs brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen. Am Ende war es aber wahrscheinlich nur ein starker grippaler Infekt. Aber wenigstens ein Urlaubsmotiv, dass nicht jeder bei Facebook postet.

Eine lange (Ab)Fahrt

Um der Höhe etwas zu entkommen, die Ronny zu schaffen macht, fahren wir drei Stunden südlich nach Baños. Der Name der Stadt „Bad“ ist Programm. Hier gibt es ganz unterschiedliche Thermalquellen und Wasserfälle. Da Ronny noch nicht richtig fit ist, schwinge ich mich alleine aufs Fahrrad, um die Wasserfälle rund um Baños zu erkunden. Der Fahrradverleiher erklärt mir, dass ich entweder nur bis zum größten Wasserfall „Pailon del Diablo“ (Teufelsschlucht) fahren kann oder bis ins 60 Kilometer entfernte Puyo. Bei der Zahl 60 stocke ich kurz, aber es würde wohl alles nur bergab gehen. Wie sich später herausstellt, war die Aussage nur zu 60 Prozent richtig.

Schon auf den ersten Metern fängt es an stark zu regnen. Das Wasser und der Dreck spritzen mir ins Gesicht und als ich beim ersten Wasserfall ankomme, sehe ich aus wie gerade aus dem Moor gestiegen. Der Ausblick auf die Wasserfälle und Schluchten ist beeindruckend. Aus den grünen Baumteppichen sprudeln größere oder kleinere Wasserquellen und stürzen in die Tiefe. Zu einigen Wasserfällen kann man entweder mit einer Gondel fahren oder sich an einem Seil hinüberschwingen. Ich entscheide mich erst mal bis zur Teufelsschlucht zu fahren. Der Weg ist schlecht ausgeschildert. Da könnte Mephisto wirklich mehr Werbung für sich machen. Wie sollen die verirrten Seelen ohne blinkenden Leuchtpfeil und High-End-Marketing zu ihm finden. Vielleicht dreht sich die Welt selbst für den Satan zu schnell. Ich bekomme gerade noch rechtzeitig die Abfahrt für mein teuflisches Date. Mein schlammiges Outfit ist etwas gewagt, aber vielleicht steht er ja auf Erdmenschen. Über eine Steintreppe geht es nach unten. Nach ein paar Metern sehe ich einen gewaltigen Wasserstrom, der in die Tiefe stürzt.

Selbst in einiger Entfernung, denkt man es regnet, obwohl das Wasser eigentlich vom Aufprall von unten nach oben gespritzt wird. Es wirkt tatsächlich als würde der Teufel hier persönlich wohnen. Durch eine Höhle, die wirklich nur für Zwerge ausgelegt ist, krieche ich bis hinter den Wasserfall. Die Lautstärke durch den Wasseraufprall ist ohrenbetäubend. Den Teufel habe ich allerdings auch nach mehrfachen Suchen nirgends gefunden. Was für ein Gentleman. Versetzt mich einfach.

Bis zur Teufelsschlucht stimmte die Aussage, dass es nur bergab ging. Aber bis Puyo liegen noch 36 Kilometer vor mir. Das Wetter ist unbeständig. Regen, Sonne und wieder Schauer. Die Abfahrten werden immer wieder durch kleine Dörfer, Tunnel und zu meiner besonderen Freude von Steigungen unterbrochen. Ich schleiche wie eine Schnecke im ersten Gang den Berg hoch. Andere Fahrradfahrer treffe ich nicht. Immer wieder hupen Autos und winken mir zu. Kinder drehen ihre Köpfe aus dem Fenster, um die Verrückte noch einmal zu sehen, die sich hier abschuftet. Irgendwann holt mich dann doch ein Radfahrer ein, der wohl gerade von der Tour de France kommt. Ich darf ein Stückchen in seinem Windschatten mitfahren. 30 Minuten sagt er noch bis Puyo. Ich erkenne schon an seiner Tonlage, dass er wohl mir zu Liebe nicht ganz die Wahrheit sagt. Wenigstens hat der Regen und der Schweiß meine Schlammkruste vom Gesicht und der Kleidung gewaschen.

An einem Aussichtspunkt kommt mir eine Rast sehr gelegen. Das Stück Zitronenkuchen schmeckt trotz seiner Trockenheit in diesem Moment wie die beste Sonntagstorte von Oma. Noch 12 km. Diesmal stimmt es tatsächlich und der Weg ist bis auf ein paar Ausnahmen fast eben. Nach vier Stunden erreiche ich Puyo in Wasser gebadet ob vom Regen oder der Hitze ist schon lange egal. Mein Fahrrad kann im Innenraum des Buses verfrachtet werden und ich bin erstaunt und ernüchtert wie schnell ich wieder in Baños bin. Ein Motor ist eben doch etwas anderes als (meine) Muskelkraft.

Einmal bis zur Sonne und zurück

Trotz meines Muskelkaters mache ich mich am nächsten Tag auf zu einer Wanderung. Bis zum Baumhaus „Casa de Arbol“ soll es gehen. Acht Kilometer klingt machbar. Allerdings alles bergauf und ich meine das steile bergauf. Bis zur einer Maria-Statue kommen mir noch ein paar Wanderer entgegen. Irgendwann ist der Weg nur noch ein Trampelpfad und die Menschen verschwunden. Die Sonne brennt. Nach vier Kilometern brennen auch meine Beine und ich betäube meinen Schmerz mit spanischem Raggaeton. Das treibt an. Nach einer weiteren Serpentine erschrecke ich fast. Tatsächlich zwei andere Wanderer und wie sollte es anders sein, sie sprechen deutsch. Solche Wanderungen machen nur die dummen Europäer lacht mich der Schweizer an. Sie haben Wanderstöcke dabei und ich bin kurz neidisch. Ob ich alleine unterwegs wäre, fragt mich der Begleiter des Schweizers, der scheinbar aus der Region kommt. Ja, antworte ich. Oh, ich solle aufpassen. Vor zwei Jahren wäre hier ein Amerikaner verschwunden und ich solle mir einen Stock suchen. Oben auf dem Plateau wären bissige Hunde. Ich mache mir über die Hunde wesentlich mehr Gedanken, als über das Verschwinden des Amerikaners. Wer macht sich schon die Mühe hier hoch zu krabbeln und hat dann noch die Energie jemanden tot zu schlagen oder gar wieder runter zu schleppen. Ich frage wie weit es noch ist und wie eigentlich immer, ist die Antwort nicht mehr weit. Endlich oben angekommen bellt nur ein Hund von Weitem. Vorbei an Papaya-Plantagen und dem Trampelpfad weiter folgend, komme ich irgendwann verschwitzt und durstig an einer weiteren Hauptattraktion von Baños an. An dem Baumhaus hängt eine riesengroße Schaukel, die über einem Abgrund schwingt. Das verspricht Spaß. Es ist Sonntag und so stehen an der Attraktion eine Hand voll Menschen an. Ich steige in die Schaukel, bekomme einen Gurt umgeschnallt. Ein kräftiger Schubs und ich fliege Richtung Wolken. Ein tolles Gefühl. Mit jedem Anschubs komme ich dem Himmel ein Stück näher. Am Ende verpasse ich die Sonne nur knapp.

Auf dem Weg zurück ins Tal nach Baños führt mich meine Karte einmal quer Feld ein. Unbedarft wandere ich den Weg entlang, als mich um die Ecke plötzlich ein grauer Stier anschaut. Einige Sekunden später realisiere ich, dass ich einen roten Rucksack auf der Brust trage. Ich bin in diesem Moment froh, dass er an einem Seil angebunden ist. Trotzdem versperrt mir das schöne Tier den Weg und links und rechts ist ein Zaun. Wir müssen uns also arrangieren. Ich binde mir den Rucksack auf den Rücken und bitte den Stier zum Tanz. Wir schauen uns in die Augen. Ich bewege mich langsam. Vorsichtig, immer mit den Augen auf die zwei Hörner fixiert. Dann stolpere über einen Ast und das Tier sieht es als Zeichen loszurennen. In diesem Moment bin ich zum Glück schon weit genug entfernt um engeren Kontakt zu vermeiden. Ich verabschiede mich unvermittelt und laufe zur Sicherheit noch ein paar Meter weiter. Vom kleinen Intermezzo erholt, eröffnet sich mir ein wunderschöne Blick. Die Sonne geht zwischen den Bergen unter und wirft einen goldenen Schein auf die Berghänge und die kleinen Häuser von Baños.

Heiße Quellen

Entspannung im warmen Wasser. Genau das richtige für meine müden Beine. In Baños gibt es verschiedene Thermalquellen. Die berühmtesten sind die Piscinas de la Virgen, die Quellen der Jungfrau. An diesem Abend ist viel los. Alle Badegäste müssen Badekappen tragen und so erinnert die Menschenansammlung ein bisschen an die Schlumpfenparade. Auch ich schmeiße mich in Schale und halte meine Fußzeh in den ersten Pool. Autsch. Es ist heiß. So richtig Kochwasserheiß. Ich schaffe es bis zu den Knien, denn ich will noch nicht gar werden. Man muss den Schrumpelprozess ja nicht noch vorantreiben. Der nächste Pool ist dafür eher Schockfrostung und ich schwimme schnell hin und her, um mich irgendwie aufzuwärmen. Hier ist es zwar ein paar Sekunden länger auszuhalten, aber die Entspannungsphase setzt auch nicht ein. In einem anderen Schwimmbecken sehe ich von weiten nur die vielen bunten Schlumpfenmützen. Das Becken ist so überfüllt, dass alle wie Frösche im Wasser hocken und darauf warten, dass am Rand ein Platz frei wird, den sie ergattern können. Das Wasser ist zwar auch heiß, aber dennoch auszuhalten. Bei so einer kuscheligen Atmosphäre kommt man automatisch ins Gespräch und so hört sich das Becken nach kurzer Zeit wie ein Froschkonzert an. Ich springe abwechselnd zwischen kaltem und warmen Wasser hin und her und hoffe auf stärkere Abwehrkräfte. Es ist vielleicht nicht wirklich entspannend, aber dennoch ein Spektakel sich in die heißen Quellen von Baños zu stürzen oder zu quetschen.


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