Apr 12 2018

Noch siebeneinhalb Tage …

50,03002 nördliche Breite

2,55123 westliche Länge

30. März 2018

… bis Saint-Martin bzw. Sint Maarten, der kleinen Insel in der östlichen Karibik. Die Insel ist zwei-geteilt. Seit der Kolonisation gibt es eine französische Nordhälfte und eine niederländische Südhälfte. Wir steuern zu auf Philipsburg, dem Hauptort auf der Südhälfte. Aber noch sind es um die 3.500 Seemeilen. So langsam stellt sich ein Trott für mich ein, der in nicht allzu große Langeweile mündet, da ich mir wohlweislich viel zu lesen, schauen, schreiben, hören und lernen mitgenommen habe. Trotzdem ist es gut, ab und zu das kleine Zimmer zu verlassen. Doch draußen windet und regnet es stark. Sodass ich entweder auf Geländer und Treppen hoch klettere um nicht nasse Füße zu bekommen, oder meine Brille festhalten muss. Da halte ich es dann auch nicht lange aus.

Dem Renten-Quartett zu Folge, fahren wir grad in der Nähe ihres Zuhauses vorbei. Tatsächlich habe ich sogar Empfang über das Handy-Netz von Jersey bekommen. Dies gehört nur leider nicht zur EU, anders als Saint-Martin. Wäre schade um‘s gute Geld, sodass ich jetzt nicht in‘s Roaming investiere. Kein Handy, Kein Wifi, seitdem wir heute nacht zwischen 3 und 4 Uhr Rotterdam verlassen haben.

Zu dem ständigen allgegenwärtigem Vibrieren und Rumoren des Hauptmotors, sowie hin und wieder dem Geruch von verbrannten Schweröl, dem Treibstoff, gesellte sich nun das wellenbedingte Rollen und Schaukeln. Der Captain hat heute auch eine kleine Durchsage gemacht, dass heute Nacht die Uhren von Mitternacht auf 23 Uhr zurückgestellt werden. Vermutlich erreichen wir eine neue Zeitzone. Das wird wohl noch ein paar Mal passieren und mir jedesmal eine Stunde mehr geschenkt. Trotzdem wäre ich lieber schon morgen als übermorgen da …


Apr 12 2018

Gute Frage? Keine Frage!

50,46327° nördliche Breite

0,66121° östliche Länge

28. März 2018

Plötzlich brummt das Schiff. Der Stahlboden unter meinen Füßen vibriert und eine dunkle Rauchwolke verdunkelt kurz die Sonne. Es ist soweit. Der Hauptmotor erfasst die St Laurent. Die Kräne sind schon hochgeklappt oder weitergefahren. Die eigenen Kräne wurden längs des Schiffs gedreht. Ein Kleinwagen fuhr vor und der Lotse stieg an Bord. Die Gangway wurde hochgefahren und eingeklappt. Aus einem zweiten Hafenauto steigt ein Arbeiter und zieht die riesige nun locker hängende Schlaufe des Seils über den Poller. Es klatscht laut, als das schwere Seil ins Hafenbecken fällt. Große elektrische Winden ziehen die Seile an Bord. Je ein Seemann kontrolliert das Aufrollen und ein weiterer koordiniert die Aktion am Heck.

Langsam driftet der Stahlkoloss weg vom Kai. Das Wasser am Heck schäumt auf und immer schneller werdend fahren wir entlang des langen Kais vorbei an größeren und kleineren Containerschiffen. Eines kann weit über 18.000 Container auf einmal transportieren. Wir dagegen nur maximal 2.000. Vom 7ten Stock aus, der Brücke, erscheint auch dieser Gigant wie ein Lego-Boot, das die Container-Bausteine von einem farbenfrohen Kind erhalten hat. Besonders dann, als der Kai, dann der Hafen, dann sogar Le Havre immer kleiner werden. Auch das Wetter wird besser. Der Regen über der Normandie bleibt an Land und die ersten wärmenden Sonnenstrahlen mischen sich unter die kalte Briese.

Nächster Hafen: Rotterdam. Eigentlich hätte es nach Philipsburg gehen sollen, doch im vorangegangenen Hafen, in Algeciras, gab es Probleme, sodass London und Rotterdam vor Le Havre nicht geschafft wurden. Jetzt geht es also, in entgegengesetzte Richtung, erstmal nach Rotterdam. 10 Stunden Fahrt, weil wir mit 20 Knoten fahren und das bei 200 Seemeilen Entfernung. Das Laden dort wird auch nochmal 10 Stunden brauchen, ehe es auf den offenen Ozean geht. Von einer Reise, die schon einige Jahre zurück liegt, weiß ich, dass der Rotterdamer Hafen sehr weit draußen liegt, also schon fast in der Nordsee und damit weit weg von der Stadt Rotterdam. Das erschwert nicht nur mir, sondern auch den Seeleuten generell den Besuch der Stadt. Zumal Liegezeiten auch mehr Arbeit an Bord bedeutet. Vieles davon habe ich heute beim Abendbrot erfahren, denn im Gegensatz zu mir, hat sich das Renten-Quartett schon getraut, mal auf die Brücke zu gehen. Sogleich nach dem Abendbrot bin ich dann auch aufgestiegen, erst ganz schüchtern, aber als ich ein bekanntes Gesicht sah, dann mit Mut. Ob ich mal schauen darf? Wie fahrt ihr eigentlich? Wie bist du Seemann geworden? Schaut ihr euch tatsächlich noch Seekarten an? Welche Sprachen sprecht ihr an Bord? Nix. Nagut, wenig. Das sind nur wenige der Fragen die ich gestellt habe und noch weniger von denen die ich hätte stellen wollen. Doch der eine Seemann hat sich nicht mit mir unterhalten und der andere hatte kaum Interesse und sprach eher schlechtes Englisch. Die sind nicht zu meiner Unterhaltung da, das habe ich gemerkt. Mein Interesse ist groß an dem Schiff und der Seefahrt, doch einen Menschen, den ich fragen kann: Fehlanzeige. Wir hatten Probleme uns zu verständigen, sodass ich relativ schnell auch wieder gegangen bin. Trotzdem: Ja, die Route wird auch anhand von klassischen Seekarten bestimmt. Es arbeiteten zu dem Zeitpunkt zwei Leute auf der Brücke. Der Stumme schaute die ganze Zeit durchs Fernrohr. Der Gleichgültige stand an den Karten. Das Schiff an sich, fährt per Autopilot und berechnet seine Route auch anhand anderer Schiffe so, dass es nicht zur Kollision kommt. Nur im Hafen und beim Ein- und Ausfahren aus dessen, wird das Steuer, was eher einem modernem Autolenkrad ähnelt, in die Hand genommen. Ein Messgerät zeigt den Abstand zwischen Boot und Meeresboden an. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass er auch mich was gefragt hat. Hast du schon die Sicherheitseinweisung bekommen? Nein. Hmm. Warum fährst du mit dem Frachtschiff? Doch auch hier verstand er meine Antwort nicht. Schade.

Mit kurzem Dank geh ich wieder an die frische Luft. Der Himmel blau, die Sonne tief, schon orange am Horizont. Die ununterbrochene Weite gibt den Blick auf Regenwolken frei, die anderswo übers Wasser ziehen. Ich frag mich, wie es das Renten-Quartett geschafft hat, der Brücke so viele Informationen zu entlocken. Deren Englisch gleicht eher dem des Gleichgültigen oder dem des Stummen. Mittags wollte ich dann mal wissen, warum sie ihre Reise mit dem Schiff machen. Wenn ich es richtig verstanden haben, ist es wohl ein entspanntes Gemisch aus „wir-haben-halt-Zeit“ und „hier-sind-nicht-so-viele-Touris“ und „von-dem-anderen-Paar-der-Sohn-ist-Irgendwer-auf-einem-anderen-Schiff“. Zumindest sind sie immer freundlich und der eine Opa ist um keinen Scherz verlegen. Auch der Seemann, der uns bewirtet, grinst immer. Gestern habe ich ihm gesagt, dass er bei mir die Tiere einfach weglassen kann. Aber Fisch? Nein. Und Hühnchen? Auch nicht. Er scheint es nicht zu verstehen, aber er macht es einfach, denn wir grinsen uns immer noch an, wenn wir uns sehen. Irgendwie mag ich Leute lieber, die wenigstens einfach immer grinsen, auch wenn sie nix zu sagen haben, als Leute von deren Gesicht mensch ebenso wenig erfährt. Das reine Männer-Team bleibt soziologisches Beobachtungsfeld! Gute Fahrt und bis morgen!