Mrz 11 2019

Herzlich Willkommen bei Azul (Santa Cruz #1)

Von Karl, Natal, 10. Februar 2019

Santa Cruz de la Sierra

Der folgende Beitrag ist ziemlich ziemlich lang geworden. Deshalb habe ich mich entschieden ihn zu teilen und täglich zwei Kapitel zu posten. Es sind insgesamt 10 Kapitel.

Santa Cruz #1

Herzlich Willkommen …

… in Santa Cruz de la Sierra, der offiziell größten Stadt Boliviens. Gut, das zusammengewachsene Gebiet von La Paz und El Alto ist wohl etwas größer. Santa Cruz ist jedoch wirtschaftlich bedeutend und vergleichsweise wohlhabend. Sie liegt im bolivianischen Osten und nicht mehr in den Anden. Umgeben von Ackerland und klimatisch auf dem Übergang zwischen Regenwald und Chaco, einer Art Savanne. Santa Cruz beherbergt den wichtigsten internationalen Flughafen Boliviens und die zweitgrößten Erdgasvorkommen Südamerikas. Fast 1,5 Millionen Menschen beherbergt die Großstadt die sich von Innen nach Außen ringförmig ausbreitet. Die großen Ringstraßen heißen Anillos und sind neben den Ausfallstraßen die Herzschlagadern der Stadt. Sie dienen den Cruzeños, den Einheimischen Santa Cruzes, auch zur Orientierung. Hinter dem vierten Ring franst die Stadt langsam aus und die enge Bebauung und Asphaltierung nimmt ab. Insgesamt gibt es wohl aber – je nachdem wen mensch fragt – sieben bis über zehn Anillos..

Das Herz der Stadt bildet der Plaza 24 de Septiembre. Ein schöner übergrünter Platz der besonders nach Sonnenuntergang zum verweilen einlädt. An dessen Rand stehen mehr oder weniger wichtige Gebäude. Vom Kirchturm aus hat mensch einen lohnenden Ausblick.

Einen halben Block entfernt und ziemlich versteckt gibt es einen Souvenir-Händler-Hinterhof zwischen wunderbaren Bäumen.

Hinter der Kirche befindet sich ein weiterer Platz den einige Jugendliche nutzen um gemeinsam zu Rappen. In Gruppen stehen sie beisammen und geben zum besten, was sie können. Eine engagierte Frau, die das organisiert hat, springt zudem zwischen Ihnen herum.

Das Rückrat der Stadt bilden die vielen tausend Micros. Im Prinzip Klein-Busse mit Platz für ein Dutzend Menschen. Auf festen Linien flitzen sie durch die Straßen. Dabei ist sowohl Richtung, als auch Nummer und Farbe der Nummer oder des Schildes entscheidend. Bezahlt wird beim Einsteigen an die Fahrerin oder den Fahrer. 2 Bolivianos kostet einmal einsteigen, das sind circa 50 Eurocent. Wer weiter entferntere Ziele ansteuert muss die Abfahrtsorte der Trufis aufsuchen. Es sind im Prinzip die selben Fahrzeuge, aber deutlich höheren Distanzen. Colectivos dagegen meinen dann schon Reisebusse die Großstädte verbinden und auch über Grenzen hinweg fahren.

Azul

Mit einem eben dieser Colectivos bin ich noch sehr früh am morgen in Santa Cruz angekommen. Am relativ neuen Bus- und Zugbahnhof fahren viele Micros vorbei, sodass ich ruckzuck im Zentrum bin. Drei Blocks vom Plaza 24 de Septiembre entfernt logge ich mich wie abgemacht ins Wifi ein und setze eine Nachricht ab. 10 Minuten später werde ich begrüßt und kann eintreten. Azul heißt meine neue Gastgeberin. Sie ist relativ klein, hat schwarze Haare, die sie teils lila gefärbt hat. Das lächelnde Gesicht ist voller Neugier und Ungeduld. Sie bewohnt ein bescheidenes Zimmer ohne Küche und kleinem Bad. Sie ist ein tolles Beispiel, dass es nicht viel braucht um ein*e Gastgeber*in zu sein.

Wir kommen schnell ins Gespräch und sie erzählt mir, dass sie sogleich zur Blutspende gehen mag. Sofort möchte ich auch spenden und wir wagen den Versuch. Ein flaches Gebäude, ähnlich eines kleinen Krankenhauses, empfängt uns nebst vielen weiteren Spender*innen. Ich werde registriert und auch zugelassen. Anders als von Deutschland gewohnt spende ich nicht für irgendwen, sondern für eine bestimmte Person. Eine entfernte Bekannte in Oruro braucht wegen Krebs eine bestimmte Anzahl Spenden und deren Familie versucht nun viele Menschen zum Spenden zu motivieren. Ich werde befragt, gewogen, vermessen und Blutproben genommen. Auf einer Glasplatte wird mein Blut in Augenschein genommen und im letzten Schritt geht es dann zum Spenden. Für Azul ist es das erste Mal und tatsächlich wird ihr ziemlich schwindlig, aber wir überleben heil. Ein gutes Gefühl macht sich breit.

Endlich erhalte ich auch Gelegenheit jemanden nach der „21F-Bewegung“ beziehungsweise „Bolivia dijo no“ (zu deutsch: Bolivien sagte Nein; wahlweise auch mit Namen der jeweiligen Stadt) zu befragen. Auf dem Plaza 24 de Septiembre haben sich auch einige Hungerstreikende versammelt. Bald sind Wahlen in Bolivien und Santa Cruz ist traditionell im Widerspruch zu La Paz. Es wird das Ende der Demokratie beschworen. Tatsächlich versucht Evo Morales erneut Präsident zu werden und er spaltet das Land. Er kann leider nicht von der Macht lassen. Die armen Menschen unterstützen ihn aber, weil er in der Vergangenheit viel für sie geleistet hat. Keine einfache Situation. Deshalb ist die 21F-Kampagne auch eher eine der Wohlhabenderen. Ihre Verankerung in der Gesellschaft ist relativ gering, doch sie sind auf vielen Plätzen der größeren Städte lautstark vertreten. Leider ist das Kaufen von Protestierenden wohl nicht unüblich, meinte Azul. Es gibt viele arme Menschen, die für etwas Geld in den Straßen für Aufruhr sorgen. Ob überzeugte oder bezahlte auch für die Zerstörung der Glasfront einer Bank im Zentrum zuständig waren, ist mir nicht bekannt.

Proteste sind nicht selten und so verwundert es nicht, dass wir Tage drauf einem vergleichsweise großen Protestmarsch von Krankenhaus-Mitarbeitenden sehen. Sie machen einen relativ entschlossenen Eindruck und zum Repertoire gehört auch Pyrotechnik. Scheint eher normal als besonders zu sein. Polizei die sich darum kümmert, habe ich keine gesehen.