Mrz 14 2019

Santa Cruz #4

Samaipata

Kurz vor Weihnachten unternehmen wir noch eine kurze Reise ins zwei Stunden entfernte Samaipata. Ein kleiner Ort auf dem Übergang vom Flachland zum Hochgebirge. Die Straße gen Westen laufend fängt diese irgendwann an sich zu schlängeln und wir durchfahren grüne Täler mit tiefen Flüssen. Der Ort ist von vielen Reisenden frequentiert und ein wenig Hippie-Flair bekommen. Plötzlich gibt es veganes Essen, Spanier*innen mit Dreadlocks die Armbänder verkaufen und Bücher von indischen Sektenführer. Ein Block vom Marktplatz entfernt durchstreifen wir eine Straße mit allerlei Gemüse- und Obstständen. Wir decken uns für die kommenden Tage ein.

Azul macht zwei Motorräder klar, die uns auf halbe Strecke zur touristischen Attraktion bringen sollen. Außerhalb gelegen befindet sich die Attraktion Samaipatas und der Weg dahin führt über eine einsame kleine Straße durch die Berge.

Wir gehen noch wenige Meter und finden einen Hang an dem wir ein Platz für das Zelt finden. Zwischen wilden Bäumen und Pflanzen falte ich die Sandwichs und genieße einen Ausblick auf das Tal vor mir. Grün ragen links und rechts die Hügel auf und gerade aus sinkt das Tal ab bis eine Kurve mir den Blick nimmt. An mancher Stelle hat sich der Mensch häuslich gemacht und auch unser Platz sieht aus, als wenn hier ein Feld vorbereitet wird oder versucht wurde.
Ein Berg aus Decken macht es bequem zu schlafen. Der kommende Morgen ist von mystischen Nebel begleitet. Die Pflanzen glänzen mit frischen Tau und folglich müssen wir das Zelt ziemlich nass zusammenfalten. Ich genieße den weiten Blick, der immer wieder vom Nebel frei gegeben wird. Ruhe liegt hier. Viel frische Energie in der Luft. Ich genieße.

Zurück auf der Straße, versuchen wir es mit dem Daumen und tatsächlich hält schon bald ein Pärchen an und nimmt uns mit zur Fuerte de Samaipata. Dies ist eine Weltkulturerbe-Stätte mit Ruinen aus der Inka-Zeit. Da es vermutlich ein Ort für Zeremonien gewesen war, ist es wohl der einzige überhaupt bei dem Inka-Zeremonien sich finden lassen. Die Konquistadoren haben ja nicht viel übrig gelassen.
Wir kommen in Begleitung schweren Regens auf die 40 Hektar große Anlage. Da sich alles auf einen Gipfel befindet müsste der Ausblick schön sein, doch für uns ist nur eine weiße Wand zu sehen. Der wichtigste Teil ist ein Sandstein-Felsen der auf 40 mal 200 Metern behauen wurde. Zahllose Linien, Symbole und Tierdarstellungen sind zu sehen. Zwei Linien verlaufen in exakter Ost-West-Richtung. An anderer Stellen gab es weitere archäologische Funde die bis 1.500 vor unserer Zeit reichen.
In meinen Schuhe transportiere ich reichlich Wasser und bin irgendwie froh wieder am überdachten Ausgangspunkt anzukommen. Während wir genüsslich bolivianische Erdnusssuppe schlürfen kommen wir mit den Tischnachbarn ins Gespräch. Solltet ihr mal nach Bolivien kommen so empfehle ich euch wirklich mal „Sopa de Maní“ (Erdnusssuppe) zu probieren. Das ist ziemlich lecker und gibt es wohl an vielen Ecken. Ich falte noch ein Paar Sandwichs und wir teilen fröhlich mit den beiden aus Santa Cruz. Als wir erfahren, dass sie genau dorthin zurück fahren werden, fragen wir nach einer Mitfahrgelegenheit und schwubbdiwupp sparen wir uns die aufwändige Rückfahrt.

Sie sind außerordentlich freundlich und wir halten noch an weiteren schönen Orten, wie beispielsweise einen hübschen Wasserfall. Wir teilen was wir haben, bis wir dann doch etwas einschlafen. Zwischenzeitlich wird es dunkel und es ist die Nacht hereingebrochen als wir wieder in Santa Cruz aussteigen. Sie lehnen es ab, dass wir Ihnen etwas Spritgeld geben. Wir schenken eine Flasche Rotwein die wir nicht getrunken hatten. Noch beeindruckt von der überragenden Nettigkeit der beiden brechen wir zu einen Freund Azuls auf.
Daniel ist Franzose oder Russe beziehungsweise beides. Spricht noch einige weitere Sprachen und hat schon in einem guten Dutzend Ländern gelebt. Er macht sich ziemlich ruhig, leise und schüchtern aus, ist aber ziemlich groß. Als Flugcaptain bereist er eh die ganze Welt. Mittlerweile hat er nach wenigen Jahren auch wieder Santa Cruz verlassen und lebt nun in Ecuador. Ein Leben was für manchen romantisch klingen mag doch Freundschaften und Beziehungen werden dadurch nicht befördert. Er lebte in einen der vielen Hochhäusern denen ich auf meiner Reise begegnet bin. Hier wohnen wohlhabende Leute hinter Stacheldraht mit Wache, Klimaanlage und Tiefgarage. So ziemlich alles, was sich viele Menschen sich nicht leisten können. Bevor wir uns auf den Heimweg machen, tauchen wir noch in das kleine Schwimmbecken.

Freund*in und Helfer*in

Als ich die Tage des späten Abends an einer Kreuzung darauf warte, dass mein Micro kommt, der mich zum Ziel führen könnte, bemerke ich zwei Männer auf mich zukommen, die dann unweit stehen bleiben. Einer stellt sich auf die Straße und hält nahezu jeden Bus an, der angerauscht kommt. Ganz wie ein normaler Passagier. Der jüngere geht dann wahlweise kurz in den Bus oder von außen die Fensterscheiben entlang. Entdeckt er z.B. ein Handy greift er blitzartig danach und verlässt das Fahrzeug schnell. Danach läuft er dann seelenruhig weiter, als wenn nichts passiert wäre. So arbeiten die beiden Diebe eine Weile und laufen dann die Straßen hinab und führen ihre Arbeit dabei fort. Ich stehe wie angewurzelt und will unter keinen Umständen auffallen um nicht selbst ausgeraubt zu werden. Auch im Auto nebenan haben vier Leute gewartet und geschaut bis die beiden weg sind.
Später erzähle ich Azul davon und dass ich überlegte die Polizei zu rufen. Doch sie lachte nur milde. Eine Erfahrung die sich mit vielen Berichten in Südamerika deckt. Die Polizei ist meist kein*e Freund*in oder Helfer*in. Meist hilft sie nur den Reichen, denn sie nutzt ihre Macht um an Geld zu kommen. Ganz nach dem Motto: Wenn ich dir helfen soll, musst du mir auch helfen. Die Leute glauben nicht an den Staat, die Polizei oder das Recht. Sie sind es gewohnt sich selbst zu helfen. In der Situation ruft deshalb auch keiner die Polizei. In manchen Straßen stehen Schilder die vor „Palomillos“ warnen. Das ist ein lokales Wort für die kleinen Räuber*innen.

Ein Beispiel: Azul lief, so erzählte sie mir, erst kürzlich am Abend durch die Straße. Es war schon dunkel und eigentlich sollte dann auch niemand mehr sein Handy zücken. Der Dieb erschien urplötzlich, riss ihr das Handy aus der Hand und rannte in eine Menschenmasse. So verschwand er. Azul lief ihm nach, aber verlor ihn umgehend. Dann machte ging sie zum nächsten Polizeirevier, aber die meinten nur, dass sie keine Leute hätten um den Fall zu verfolgen. Sie weinte und pochte auf Hilfe.
Irgendwann meinten die Beamt*innen, dass sie das Handy orten könnten, aber das koste Geld. Nun beginnt das Verhandeln ohne das Gesicht zu verlieren. Deshalb gab sie erstmal ein Teil ihres Geldes und behauptete das sei alles. Da sich in der ersten Runde die Polizist*innen damit nicht zufrieden gaben, kann dann nochmal gesucht werden und – sieh einer an – noch weiteres Geld hinzugelegt werden. Der Bruder kam dann noch hinzu und so konnten sie dann einiges an Geld aufbringen.
Erst führte dann die Polizei den vermutlichen Räuber vor, der aber das Handy nicht mehr hatte, sondern nur ein Mittelsmann ist. Später bringen sie dann einen weiteren Mann, der allerdings allerlei Wertgegenstände mit sich führt und unter anderem auch das Handy von Azul. Schlussendlich ist nicht klar wie sehr die Polizei mit den Räubern zusammenarbeitet, aber sie ist unterm Strich Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.


Mrz 11 2019

Herzlich Willkommen bei Azul (Santa Cruz #1)

Von Karl, Natal, 10. Februar 2019

Santa Cruz de la Sierra

Der folgende Beitrag ist ziemlich ziemlich lang geworden. Deshalb habe ich mich entschieden ihn zu teilen und täglich zwei Kapitel zu posten. Es sind insgesamt 10 Kapitel.

Santa Cruz #1

Herzlich Willkommen …

… in Santa Cruz de la Sierra, der offiziell größten Stadt Boliviens. Gut, das zusammengewachsene Gebiet von La Paz und El Alto ist wohl etwas größer. Santa Cruz ist jedoch wirtschaftlich bedeutend und vergleichsweise wohlhabend. Sie liegt im bolivianischen Osten und nicht mehr in den Anden. Umgeben von Ackerland und klimatisch auf dem Übergang zwischen Regenwald und Chaco, einer Art Savanne. Santa Cruz beherbergt den wichtigsten internationalen Flughafen Boliviens und die zweitgrößten Erdgasvorkommen Südamerikas. Fast 1,5 Millionen Menschen beherbergt die Großstadt die sich von Innen nach Außen ringförmig ausbreitet. Die großen Ringstraßen heißen Anillos und sind neben den Ausfallstraßen die Herzschlagadern der Stadt. Sie dienen den Cruzeños, den Einheimischen Santa Cruzes, auch zur Orientierung. Hinter dem vierten Ring franst die Stadt langsam aus und die enge Bebauung und Asphaltierung nimmt ab. Insgesamt gibt es wohl aber – je nachdem wen mensch fragt – sieben bis über zehn Anillos..

Das Herz der Stadt bildet der Plaza 24 de Septiembre. Ein schöner übergrünter Platz der besonders nach Sonnenuntergang zum verweilen einlädt. An dessen Rand stehen mehr oder weniger wichtige Gebäude. Vom Kirchturm aus hat mensch einen lohnenden Ausblick.

Einen halben Block entfernt und ziemlich versteckt gibt es einen Souvenir-Händler-Hinterhof zwischen wunderbaren Bäumen.

Hinter der Kirche befindet sich ein weiterer Platz den einige Jugendliche nutzen um gemeinsam zu Rappen. In Gruppen stehen sie beisammen und geben zum besten, was sie können. Eine engagierte Frau, die das organisiert hat, springt zudem zwischen Ihnen herum.

Das Rückrat der Stadt bilden die vielen tausend Micros. Im Prinzip Klein-Busse mit Platz für ein Dutzend Menschen. Auf festen Linien flitzen sie durch die Straßen. Dabei ist sowohl Richtung, als auch Nummer und Farbe der Nummer oder des Schildes entscheidend. Bezahlt wird beim Einsteigen an die Fahrerin oder den Fahrer. 2 Bolivianos kostet einmal einsteigen, das sind circa 50 Eurocent. Wer weiter entferntere Ziele ansteuert muss die Abfahrtsorte der Trufis aufsuchen. Es sind im Prinzip die selben Fahrzeuge, aber deutlich höheren Distanzen. Colectivos dagegen meinen dann schon Reisebusse die Großstädte verbinden und auch über Grenzen hinweg fahren.

Azul

Mit einem eben dieser Colectivos bin ich noch sehr früh am morgen in Santa Cruz angekommen. Am relativ neuen Bus- und Zugbahnhof fahren viele Micros vorbei, sodass ich ruckzuck im Zentrum bin. Drei Blocks vom Plaza 24 de Septiembre entfernt logge ich mich wie abgemacht ins Wifi ein und setze eine Nachricht ab. 10 Minuten später werde ich begrüßt und kann eintreten. Azul heißt meine neue Gastgeberin. Sie ist relativ klein, hat schwarze Haare, die sie teils lila gefärbt hat. Das lächelnde Gesicht ist voller Neugier und Ungeduld. Sie bewohnt ein bescheidenes Zimmer ohne Küche und kleinem Bad. Sie ist ein tolles Beispiel, dass es nicht viel braucht um ein*e Gastgeber*in zu sein.

Wir kommen schnell ins Gespräch und sie erzählt mir, dass sie sogleich zur Blutspende gehen mag. Sofort möchte ich auch spenden und wir wagen den Versuch. Ein flaches Gebäude, ähnlich eines kleinen Krankenhauses, empfängt uns nebst vielen weiteren Spender*innen. Ich werde registriert und auch zugelassen. Anders als von Deutschland gewohnt spende ich nicht für irgendwen, sondern für eine bestimmte Person. Eine entfernte Bekannte in Oruro braucht wegen Krebs eine bestimmte Anzahl Spenden und deren Familie versucht nun viele Menschen zum Spenden zu motivieren. Ich werde befragt, gewogen, vermessen und Blutproben genommen. Auf einer Glasplatte wird mein Blut in Augenschein genommen und im letzten Schritt geht es dann zum Spenden. Für Azul ist es das erste Mal und tatsächlich wird ihr ziemlich schwindlig, aber wir überleben heil. Ein gutes Gefühl macht sich breit.

Endlich erhalte ich auch Gelegenheit jemanden nach der „21F-Bewegung“ beziehungsweise „Bolivia dijo no“ (zu deutsch: Bolivien sagte Nein; wahlweise auch mit Namen der jeweiligen Stadt) zu befragen. Auf dem Plaza 24 de Septiembre haben sich auch einige Hungerstreikende versammelt. Bald sind Wahlen in Bolivien und Santa Cruz ist traditionell im Widerspruch zu La Paz. Es wird das Ende der Demokratie beschworen. Tatsächlich versucht Evo Morales erneut Präsident zu werden und er spaltet das Land. Er kann leider nicht von der Macht lassen. Die armen Menschen unterstützen ihn aber, weil er in der Vergangenheit viel für sie geleistet hat. Keine einfache Situation. Deshalb ist die 21F-Kampagne auch eher eine der Wohlhabenderen. Ihre Verankerung in der Gesellschaft ist relativ gering, doch sie sind auf vielen Plätzen der größeren Städte lautstark vertreten. Leider ist das Kaufen von Protestierenden wohl nicht unüblich, meinte Azul. Es gibt viele arme Menschen, die für etwas Geld in den Straßen für Aufruhr sorgen. Ob überzeugte oder bezahlte auch für die Zerstörung der Glasfront einer Bank im Zentrum zuständig waren, ist mir nicht bekannt.

Proteste sind nicht selten und so verwundert es nicht, dass wir Tage drauf einem vergleichsweise großen Protestmarsch von Krankenhaus-Mitarbeitenden sehen. Sie machen einen relativ entschlossenen Eindruck und zum Repertoire gehört auch Pyrotechnik. Scheint eher normal als besonders zu sein. Polizei die sich darum kümmert, habe ich keine gesehen.