Okt 26 2018

Zu Fuß zum Pool und zurück

Von Karl

 

Es ist 3 Uhr früh, als wir vor unserem Hostel mit all unseren Sachen stehen. Wir warten in der noch kalten Nacht. Dann kommt ein Mann die Straße runter, nennt unsere Namen und nimmt uns mit. Immer wieder zwei Ecken und einmal telephonieren. Warten. Noch eine Ecke weiter und wieder telephonieren. Warten. Dann kommt der Bus und wir steigen schnell ein.

Tal der Condore

Zusammen mit einem guten Dutzend anderer Reisenden brechen wir auf zu unserer Wanderung ins Colca-Tal. Eines der tiefsten Täler der Erde. Genau genommen der zweittiefste Canyon der Erde. Über 3.200 m ist das Colca-Tal tief.

Noch morgens erreicht der Bus die Hauptstadt des Tals: Chivay. Dort gibt es kurz Frühstück und wir fahren weiter ins Tal hinein. Am Cruz del Condor machen wir Stopp und können einen fulminanten Ausblick wagen. Kilometer geht es steil nach unten, während wir auf Felsen sitzen. Gegenüber steigen die Berge auf bis sie weiße Kappen bekommen. Die Dimensionen sind unvorstellbar.

In den Lüften vor uns gleiten mühelos Condore. Braune oder Schwarz-Weiße. Sie zählen zu den größten Vögeln und beherrschen das Tal. Mal segeln sie über uns, mal segeln sie weit unter uns.

Abstieg

Nur kurz dürfen wir den Ausblick genießen, bevor es weiter geht an den Startpunkt unserer Wanderung bei Cabanaconde. Wir werden noch schnell aufgeteilt in die 3-Tages-Tour, 2-Tages-Tour und die Tages-Tour. Unser Guide, Fernando, kommt gerade von einer Tour und macht mit uns die Zweitägige. Nach nur wenigen Metern sind wir wieder am Rande der Schlucht und beginnen den Abstieg. Fernando ist nicht nur unser Guide, sondern auch das Lexikon zur Umgebung. So ist der Hang, den wir absteigen sehr trocken, während auf der anderen Seite auch Landwirtschaft möglich ist. Über grauen Schotter und Geröll geht es unter der sengenden Sonne Meter für Meter bergab. Eine Seite ist der Abgrund und auf der anderen geht es steil bergan. Kommt eine Kehre, wechseln die Seiten. Wir erfahren, dass im Talgrund 40 Grad Celsius herrschen. Wir haben zwar mit viel Wasser die Tour gestartet, aber der Pegel in der Flasche fällt kontinuierlich.

Gute drei Stunden sandig-rutschiger Abstieg später, erreichen wir den kontaminierten Fluss im Talgrund. Nach kurzer Pause geht es über eine Hängebrücke auf die andere Seite. Durch Gärten und vorbei an alten Frauen die Kekse, Obst und Wasser verkaufen. Wir kommen an unsere Pausenstation und bekommen mageres Mittag. Etwas enttäuscht versuchen wir unsere geschundenen Körper im Schatten zur Ruhe zu bringen, doch ein fettes Huhn lässt mich einfach nicht in Ruhe. Was auch immer ich den Huhn angetan hatte, es verfolgte mich über die Wiese bis wir den Ort wieder verließen. Gerne hätte ich die steilen Hänge aus ruhender Position unter dem schattigen Avocado-Baum genossen. Nun. Selten, dass ich einem Lebewesen ein Ende als Broiler gewünscht habe.

Bis zur unserem Ziel sind es aber nochmal drei Stunden. Wir beginnen die Wanderung entlang des Tals und schon bald folgen steile Auf- und Abstiege. Fernando entschuldigt sich immer wieder im voraus: Es sei halt ein Canyon. An einem Zwischenstopp bei einigen Kakteen erklärt er uns, dass diese auch industriell angebaut werden. Weil sich darauf ein kleiner Käfer parasitär entwickelt, der zerdrückt eine dunkelrote Farbe hat. Diese wird als Farbstoff und in der Kosmetik-Industrie verwendet.

Unsere Füße entwickeln zeitgleich Blasen und Muskelkater. Besonders Bergabstiege treffen nicht auf unsere Gegenliebe. Erste Blasen haben sich gebildet, die verarztet wurden. Eine halbe Stunde vor dem Ziel müssen wir unsere Wasservorräte auffüllen. Nochmal 5 Liter und etwas Obst. Zum Glück hat ein alter Mann ein kleinen Holzverschlag aufgebaut – im Nirgendwo. Als wir den letzten Anstieg geschafft haben, eröffnet sich ein erster Blick auf unser Tagesziel: Oasis de Sangalle.

In der Innenseite der Flusskurve breitet sich eine breite Grünfläche mit Palmen und Pools aus. Ein Pool entwickelt für uns schnell eine Anziehungskraft und spendet neue Motivation. Noch vor der Brücke auf die grüne Insel inzwischen der felsigen Landschaft, erscheint uns ein großer Wasserfall auf der gegenüberliegenden Seite. Mitten aus der Felswand scheint er zu entspringen und ab da und abwärts ist plötzlich alles grün. Doch dann ruft der Pool erneut. Ein letztes Mal über eine Brücke und letzte Meter nach oben, einmal quer durch das teils überwucherte Gebiet, bis wir in einer Bungalow-Siedlung ankommen. Strom ist hier Mangelware.

Unser Guide teilt uns auf die Zimmer auf. Kaum haben wir unsere Sachen in dem Bambus-Verschlag außerhalb der Reichweite von Kleintieren und Skorpionen geparkt, springe ich auch schon in den Pool. Das recht frische Wasser kühlt die geschundenen Beine und gleicht einer Wohltat. Ich könnte stundenlang darin ausspannen, wenn es nicht auf die Dauer zu kalt wäre. Zudem wirft sich der Schatten frühzeitig über uns und ich suche nach der Dusche die warmen Klamotten auf.

Gefühlte Ewigkeiten warte ich mit knurrenden Magen auf das Abendbrot und bleibe enttäuscht von der mageren Mahlzeit. Wir sind geschafft und suchen direkt den Weg in die Horizontale. Nicht ohne den krassen Sternenhimmel zu sehen. Fernab großstädtischer Lichter erscheinen Millionen kleiner Sterne und die Milchstraße ist ohne Probleme zu erkennen. Ich muss stehen bleiben und dieses seltene Bild tief in mir einprägen. Oft habe ich das Bild nicht gesehen. Mal bei einer Segelfahrt auf der Ostsee oder bei der Überfahrt mit dem Frachtschiff nach Südamerika oder auf dem Boot im Amazonas-Regenwald. Nein, so ein Himmel ist selten.

Aufstieg

Schon 4:30 Uhr treffen wir die Gruppe und Fernando, damit wir den Rückweg nach Cabanaconde machen. Diesmal eine andere Route, doch der Höhenunterschied bleibt gleich. Wir steigen direkt von 1.900m auf 3.300m. 1.400 Höhenmeter in wenigen Stunden. Im Zickzack den Weg über Schotter und Fels. Wir haben unsere Stirnlampen an und folgen jeweils unseren Vordermenschen. Andere Gruppen sind am Hang wie Lichterketten, die im Wind wackeln, zu erkennen. Langsam schieben wir uns Kurve um Kurve nach oben. Plötzlich sollen wir alle an die Innenseite gehen und warten. Eine Gruppe Esel rauscht an uns vorbei. Inklusive Esel-führer. Auf der gesamten Strecke nach oben transportieren Esel die nötigen Sachen für die Menschen im Tal oder Touris, die aufgegeben haben. Lediglich der Müll wird von Hand geleert und auf dem Rücken getragen. Der ältere Mann hat nur Sandalen an, zwei riesige Säcke Müll auf dem Rücken und überholt mich mühelos. Ich rede mir ein, dass ich kaum 1.400 Höhenmeter in Deutschland trainieren hätte können. Er schon.

Die Berge am Horizont werden zu erst in orangefarbenes Morgenlicht getaucht. Bis mich die wärmende Sonne erreicht, vergehen allerdings noch schweißtreibende Stunden. Das Orange wandelt sich langsam in kräftige Farben und diese fließen langsam ins Tal. Wie frische Farbe die nach und nach auf die Berggipfel aufgetragen wurde und dann über die Kanten ins Tal läuft.

Fernando hat uns mittlerweile drei Bäume gezeigt, bei denen wir uns wiedertreffen sollen. Sie sehen klein aus und ich glaube, dass sie ein erstes Zwischenziel mit Pause sind. Mittlerweile haben Pippi und ich die Strategie entwickelt, möglichst vorne zu laufen und Pausen zu vermeiden, damit wir an der eigentlichen Pausenstation eine umso größere Pause haben. Wir haben allerdings nicht mit DIESEN Bäumen gerechnet. Lange Zeit nehmen wir Stein für Stein während unsere Herzen pumpen und der Schweiß von der kühlen Luft schnell getrocknet wird. Als nach vielen unendlichen Minuten tatsächlich DIE Bäume wieder auftauchen, sind sie immer noch verdammt weit oben. Wir machen nun doch Trinkpausen und lassen unglaublich sportliche Menschen an uns vorbeiziehen. Immer wieder auch Esel. Manche Touris auf den schaukelnden Rücken am Rande des Abgrundes haben weiße Gesichter die im Kontrast das Esel-Fells schwarz erscheinen lassen.

Viele der Touris, die fast ausschließlich aus Westeuropa kommen, haben entsprechende Trekking-Kleidung und -Ausrüstung angelegt. Pippi mit Jeans und meinem alten Schulrucksack. Ich mit Leggins und Jutebeutel. Ja, wir passen nicht ganz ins Bild der gut vorbereiteten Extrembergsteiger*innen. Trotzdem wissen wir einen guten Teil unserer Gruppe hinter uns und beißen uns weiter den Berg hinauf. Nur, wo sind die scheiß Bäume?

Als sie dann doch wieder auftauchen, dämmert es mir endlich, dass die Bäume nicht klein und krüppelig sind, sondern groß und stolz. Ein Mann, der uns entgegen kommt, grüßt uns freundlich und verrät, dass es nur noch eine Stunde bergauf sei. Ich denke, dass die Distanz bis zum Gipfel gemeint ist, stelle aber fest, dass sie bis zu den Bäumen ist. Ja, tatsächlich sind wir noch an den riesigen drei Nadelbäumen angekommen. Ich habe kaum mit dem Pausieren begonnen, motiviert Fernando uns zum weiterwandern. Ich stelle mich innerlich auf weitere Stunden harten Anstiegs ein.

Doch nach zehn Meter klettern wir umständlich durch das Gipfelkreuz und erreichen einen Platz, voll mit Ankömmlingen. Geschafft! Wir Finisher ruhen uns kurz aus, bevor wir Siegesposen vor der Kamera machen. Meine Peace-Fahne kommt dabei zum Einsatz und motiviert Weitere sich damit zu photographieren. Ein Mann möchte sogar ein Photo mit mir, weil ich diese Idee mit der Flagge habe und er Frieden wichtig findet.

Die letzte halbe Stunde ist ohne Berge und wir erreichen Cabanaconde und somit auch unser Frühstück. Bevor ich aber in die letzte Straße einbiege, muss ich meine Augen reiben. Ein Mann läuft mit meinem Rucksack von links nach rechts und bringt ihn auch zum Frühstück. Die großen Rucksäcke haben wir am Vortag abgeben können und uns wurde versprochen dass wir sie hier wiederbekommen. Dass sie allerdings von jemandem durch das Dorf getragen werden, war uns nicht klar. Schon irgendwie komisch, den eigenen Rucksack an einem vorbeiwandern zu sehen.

Das Frühstück reihte sich in die Reihe der mageren Portionen ein, aber zumindest gab‘s Kaffee und Coca-Tee.

Nächster Stopp

Von nun an müssen wir nicht mehr laufen, sondern werden gefahren. Der Bus bringt uns zu einem Verkaufsstopp, wo auch je zwei Alpakas und Lamas warten. Highlight für uns soll aber ein Bad in einer heißen Quelle sein. Trotz der hohen Luft-Temperaturen tummeln sich einige Touris in den extra angelegten Becken, die mit bis zu 38 Grad sehr heiß sind. Der nahe Fluss ist ziemlich steinig, dafür aber erfrischend kalt. Das Quellwasser, dass auch teils einfach so in den Fluss fließt ist tatsächlich kochend heiß.

Unzählige Versuche uns das Mittagessen zu verkaufen haben wir während der Tour widerstanden und verabschieden uns kurz vorher bei Fernando, der sich rührend um uns gekümmert hat. Wir fahren nicht zurück nach Arequipa. Unser nächster Stopp soll Puno sein. Wir wurden von dem Touren-Anbieter in einen Touri-Bus gesetzt, wo eigentlich niemand so richtig motiviert ist. Der Guide im Bus zeigt uns zwar verschiedene reizvolle Landschaften, die aber hinter den Bildern der letzten Tage zurück bleiben.

Zum ersten Mal sehe ich aus der Ferne einen aktiven Vulkan, weil wir auf die Rauchsäule am Horizont aufmerksam gemacht werden. Schon komisch, dass die graue Wolke auf der Spitze aus dem Berg kommt. Der letzte Halt ist an einer riesigen Laguna auf über 4.400m. Auch hier packt die Alpaka-Produkte-Händlerin schon ihre Sachen ein und wir nehmen die letzte Hürde über Juliaca nach Puno.

PS.: Karte von der Gegend: