Mrz 15 2019

Santa Cruz #5

Weihnachten

Nach dem Paraguay-Tripp bleibe ich länger im schönen Santa Cruz und genieße die Tage. Ich fühl mich schon fast heimisch. Azuls Familie hat noch eine weitere Couchsurferin aufgenommen. Lida aus der Ukraine. Ihre Familie wohnt im Kriegsgebiet und selbst ist sie Energie-Ingenieurin. Sie scheint etwas verrückt zu sein. Azul bringt sie bei ihrer Familie unter, die allesamt nur Spanisch sprechen. Die Eltern könnten noch Quechua. Lida wiederum kann nur Englisch anbieten mit einem krassen Akzent. Wie sie sich unterhalten bleibt mir ein Rätsel, aber das Verhältnis war die ganze Zeit ziemlich gut.

Es geht auf Weihnachten zu. Ein sehr großer Markt in Santa Cruz wird zum Anlaufpunkt für alle und die meisten kaufen dort noch am 24ten ihre Geschenke. Chinesische Plastik-Produkte soweit das Auge reicht. So ziemlich alles was Kinder toll finden und keiner braucht. Wir kaufen auch ein paar Geschenke. Glücklicherweise werden ausschließlich Kinder beschenkt. Zu Weihnachten gehört auch Panetón. Es ist im Prinzip Stollen jedoch ohne Zucker- oder Butter-Decke. Ziemlich lecker wenn ihr mich fragt.

Die Vorweihnachtszeit ist bei weitem nicht so ausgeprägt, wie ich das in Deutschland kenne. Das Leben ist wie immer, nur manche Geschäfte dekorieren im Dezember und auf dem Plaza 24 de Septiembre wurden Lichter aufgehängt.

Fast schon lustigerweise enthalten die Dekos (Plastik-)Tannenbäume und Schnee-Imitate. Auch die Lieder handeln davon. Zum einen hat kaum jemand hier jemals Schnee berührt, noch wäre die Wahrscheinlichkeit im Hochsommer, der nun mal dann ist, wenn in Europa Winter ist, dass es schneit, nicht sonderlich hoch. Warum sie nicht einen Baum aus ihren Breitengraden wählen, können sie mir auch nicht sagen. Zu Weihnachten gehört hier auch das Knallern, was in Deutschland ja nur für Silvester vorgesehen ist. Raketen kommen aber kaum zum Einsatz. Es wird im Kreise der Familie gefeiert.

Der Höhepunkt ist das ausgiebige Mahl um Mitternacht. Gekocht hat wieder eine enge Bekannte. Es gibt ein breites Buffet inklusive toten Ferkel. Alle haben sich etwas hübscher gekleidet. Nach dem Schlemmen dürfen die Kinder dann die Verpackungen unterm Baum zerstören.

Lida und ich bekommen auch Geschenke, genauso wie so fast alle von den Eltern eine Kleinigkeit erhalten. Wir sitzen noch eine Weile zusammen und ich muss mein neues bolivianisches T-Shirt einmal für alle anziehen. Am nächsten Tag ist Weihnachten dann auch schon vorbei und ich versuche in dem ich einige Eierkuchen mache etwas an die Familie zurückzugeben. Dankenswerterweise führen sie einen kleinen Laden und ich kann direkt alles dafür dort bekommen. Leider sind Süßspeisen keine vollwertigen Mahlzeiten, erklärt mir Azul später, sodass sie es als Nachtisch essen.

Nächster Halt: Paraguay

Wie schon erwähnt, bin ich zwei Mal in Santa Cruz gewesen und entsprechend zwei Mal nach Paraguay gereist. Die Busse sind bekannt als die wohl ältesten Südamerikas und besseres kann ich auch nicht berichten. Sie werden zwar mit Essensversorgung beschrieben, aber die ist auch eher minimal. Die Fahrtzeit nach Asunción wird von den Verkäufer*innen mit 20 oder 22 Stunden angegeben, aber 24 und mehr Stunden sind realistisch. Es fahren nicht sehr viele Leute mit dem Bus, sodass meist einige Plätze frei sind. Zwei Mal die Woche soll ein klimatisierter Bus fahren, was angesichts der Hitze im Chaco die gerne Spitzen über 40 Grad erreicht eine gute Wahl ist. Ich konnte den leider nie wählen. Die Busse fahren am frühen Abend ab und kommen am frühen Morgen an die Grenze. Es gibt nur einen pro Tag. In einem gemeinsamen Grenzposten wird dann die Migration durchgeführt.

Es fahren vier verschiedene Firmen, die angeblich aber alle dem selben Eigentümer gehören. Angeblich nehmen alle immer den gleichen Preis. Ich kann aber berichten, dass unterschiedliche Leute unterschiedliche Preise bezahlt haben. Die Firmen haben sich die Wochentage aufgeteilt.

Azul hatte sich entschieden mich für die weitere Reise zu begleiten. Hintergrund ist, dass sie eigentlich die Zeit in Europa verbringen wollte, dies ging aber nicht, weil sie kein Visum erhielt. Es gibt einen offiziellen Prozess, der bei der Botschaft des Ersteinreiselandes des Schengen-Raumes im Herkunftsland beginnt. Doch es werden unendlich viele Dokumente verlangt, dass der Eindruck entsteht, dass versucht wird, die Einreise bewusst zu verhindern. Bis hin zu Schulabschluss-Zeugnissen und Haus-Besitz-Nachweis. Etwas was wohl viele nicht haben. Azul meinte, dass vielleicht 5 % der Antragsteller*innen das Visum für ihre Reise erhalten. Meist auch nur wenn schon eine frühere genehmigte Reise vorlag. Sie hat aus der Not eine Tugend gemacht und kurz nach Weihnachten haben wir uns auf den Weg gemacht. Nicht ohne eine erste Lektion über unsere Unterschiedlichkeit.

Beim ersten Mal bin ich noch allein nach Paraguay gereist und der Bus fuhr ziemlich pünktlich ab. Mir ist bekannt, dass es nicht üblich ist pünktlich zu sein und oft tut dies ja der Sache kein Abbruch. Leider bin ich gewohnt und damit aufgewachsen, Tickets zwei Monate vorher zu buchen um dann eine halbe Stunde bevor um 17:31 von Gleis 4b die Regionalbahn nach Kleinkauderwelsch abfährt zu warten. Nun, was soll ich sagen, zehn Minuten vor der offiziellen Abfahrtszeit verlassen wir erst das Haus und ich hab schon ziemlich Druck gemacht. Azul meint aber, dass ich ziemlich Stress mache. Stimmt bestimmt auch. Stimmt auch schon seit einer Stunde. Bis zum Busbahnhof ist es eine gute halbe Stunde. Gut, unterm Strich fuhr der Bus zwei Stunden später ab. Sodass sie Recht behalten sollte und ich mir noch leckere Cuñapes kaufen konnte. Sind Brotkugeln mit intensiven Käsegeschmack und unter anderem Namen eher aus Brasilien berühmt (Pão de Queijo).

Damit endet dann auch nach vielen Tagen der schöne Aufenthalt in Santa Cruz, aber mit Azul habe ich mir Stück Santa Cruz für die nächsten Wochen eingepackt.

Die nächsten Berichte werden aber erstmal meinen Trip nach Paraguay behandeln


Mrz 12 2019

Santa Cruz #2

Der Markt (Mercado Florida)

Vielleicht hätten wir das mit dem Frühstück vorher machen sollen. Also vor der Blutspende und dann wäre sie wohl nicht umgekippt. Ein für Bolivien typischer kleiner Markt ist zum Glück auch nicht weit entfernt. Von der Reparatur über Mahlzeiten bis Obst wird alles angeboten. Das Highlight ist aber die Frühstücksecke. Je nach Wunsch wird ein bergähnlicher Fruchtsalat in einer Schüssel mit Joghurt, Müsli, Honig und Chia-Samen serviert. Für mich wird der Markt zum Muss und die eine Mitarbeiterin kennt mich dann schon und serviert „wie immer“.

Nicht nur hier zeigt sich, dass Santa Cruz einen gesunden und vegetarischen Lebensstil ermöglicht. Eine Kette, genannt „Sii-pi“, bietet an vielen Ecken Menüs an. Aber auch darüber hinaus gibt es vegetarische oder gar vegane Menüs, Vollkorn-Empanadas und Fruchtsäfte. Ein weiteres Muss wird ein frischer Orangensaft. Händlerinnen parken ihre kleinen grünen Wagen an den Straßenecken und bieten halbe Liter-Becher an, die sie dann frisch pressen, wenn bestellt wird. Natürlich gibt es Japa. In vielen Ländern ist es üblich, dass bei Straßengetränken ein kleiner Nachschlag kostenlos hinzugeben wird. Das heißt konkret: Wenn ich dabei bin den Becher zu leeren, halte ich den nochmal hin und bekomme einen weiteren großen Schluck eingeschenkt.

Die Bekannte Azuls, die Fruchtsalate verkauft, war zu Beginn meines Aufenthalts hochschwanger. Später dann bemerken wir, dass sie es nicht mehr ist und fragen nach. Tatsächlich hat sie bis zu den Tag der Geburt Leute für Fruchtsalate angeworben und ist dann am übernächsten Tag wieder zur Arbeit gekommen. Das Kind liegt im Kinderwagen hinter der Theke und wird während der Arbeit gestillt. Ich bin überrascht von der Realität. Ein Leben ohne Wohlfahrtsstaat.

An einem anderen Tag werde ich mit den Grampas vertraut. Das bezeichnet die Autokrallen mit denen die Polizei parkende Fahrzeuge festsetzt. Während wir frühstücken beginnen Marktleute „Grampa“ zu rufen und einige wenige springen auf. Sie wollen ihre Fahrzeuge noch schnell in Sicherheit bringen. Die Verkäufer*innen stellen sich dabei bewusst auf die Seite der Kund*innen. Geben diesen Hinweis weiter und beginnen Diskussionen mit den Polizist*innen um sie davon abzuhalten. Azul kommentiert das Geschehen mit „die Polizei hat Hunger“. Wenn sie anfangen Strafen in größeren Umfang zu kassieren oder gar zu erfinden, dann wohl auch weil sie selbst Geld brauchen. Es wäre wohl ein typischer Kommentar in der Bevölkerung. In Santa Cruz‘ Zentrum gilt Parkverbot auf der linken Seite und die meisten Straßen sind Einbahnstraßen. In diesen Tagen, kurz vor Weihnachten wurden aber auch rechtsseitig Autos mit Krallen versehen. Oft erreichen die Autobesitzer*innen den oder die Polizist*in und bitten das Problem vor Ort zu lösen. Der Polizist oder die Polizistin weißt dann meist auf das Strafmaß hin und das lange Procedere um die Kralle wieder zu entfernen. Wenn aber ungefähr der halbe Preis an den oder die Polizist*in direkt in Bar bezahlt wird, dann wird die Kralle auch wieder entfernt. Das Geld braucht der oder die Polizist*in um sein*ihr schlechtes Gehalt aufzubessern.

Die Tage in Santa Cruz vergehen für mich sehr schnell. Azul zeigt mir viele Seiten ihres Leben und ich sauge viele Erfahrungen wissbegierig in mich auf. Sie studiert Sprachen in den letzten Zügen und Englisch zu Lehren ist Teil der Ausbildung. Sie nimmt mich mit zu einer Unterrichtsstunde in der Universität. Das Wissenslevel der handvoll Schüler*innen ist sehr unterschiedlich und deshalb auch schwierig zu unterrichten.

Später fahren wir zum dritten Anillo, weil es dort einen sehr großen Straßenmarkt gibt, der nur gebrauchte Sachen verkauft und deswegen ziemlich günstig ist. Viele Händler*innen haben Verkaufsstände gebastelt und haben ein bestimmtes Sortiment erwählt, wie z.B. Schuhe. Oft sind die Auslagen Wühltische und die Händler*innen antworten automatengleich den Preis der Ware. Zum Beispiel „1 für 5″ oder „3 für 12“. Fast immer gibt es Mengenrabatt. Mindestens einmal sollte auch der Preis verhandelt werden, denn der oder die Händler*in geht dann nochmal 10 oder 20 % runter.

Die Musikerin

Azul erzählt mir von ihrer Arbeit. Sie ist Musikerin und spielt in einer Gruppe namens „Penumbra“, was wohl so viel wie „Dämmerung“ heißt. Hier könnt ihr’s euch anhören. Sie spielen traditionelle bolivianische Party-Musik und treten in verschiedenen Feiern auf, vor allem im Departamento ( Bundesland) Santa Cruz. Wir fahren gemeinsam zu einer offiziellen Feier die anlässlich des „Tages der Musiker*innen“ abgehalten wird. Irgendwo hinter dem 8ten Anillo, wo es schon ziemlich ländlich aussieht.

Diese Feiern finden mehr oder weniger im Freien statt beziehungsweise in sehr großen Hallen. Große runde Tische werden aufgestellt und mit lauter Plastikstühlen drumherum. Alles wird mit Tüchern fein dekoriert. Es gibt Bier und Essen für umsonst. Wer als Gruppe oder Familie zusammengehört nimmt sich einen Tisch. Bier wird immer geteilt und aus Bechern getrunken. Wie die Becher so auch das Essen wird mit Wegwerf-Plastik organisiert. Aufwaschen wird vermieden. Es gibt ein Gericht, meistens Reis mit Fleisch und Salat. Manchmal noch scharfe Soße, dem Aji.

Die Musik ist für mich immer noch ungewohnt und nur peripher mit der berühmten lateinamerikanischen Pop-Musik zu vergleichen. Zu Beginn klang irgendwie alles gleich. Neben Azuls Keyboards, sie spielt drei auf einmal, gibt es Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang. Fast alle Positionen sind von ihren Brüdern besetzt. Der Vater singt. Ein Bekannter ist Einheizer und versucht die Leute zum Feiern zu motivieren. Drei Jugendliche sind als Show-Tänzer angestellt und tanzen vor der Gruppe. Penumbra steht dabei auf einer Bühne umrahmt von riesigen Lautsprechern. Für mich ist das zu laut eingestellt und die Boxen übersteuern bei fast jeden Schlag. Die Tische vibrieren und Unterhaltung ist nur schwerlich möglich. Zudem kann ich spanisch noch schlechter verstehen, wenn die Umgebung sehr laut ist.

Getanzt wird meist paarweise, aber nicht zwingend mit Berührung. Ganz anders als die oft zum Kuscheln genutzten Tänze Brasiliens oder Kolumbiens. Gleichzeitig kann auch weiter getrunken werden und je betrunkener die Menschen im Laufe des Abends werden, desto öfter muss ich mit jemanden anstoßen. Dabei merke ich, dass ich doch eigentlich schon genug getrunken habe, stoße aber weiter an um nicht unfreundlich zu wirken. Ich bin wohl auch der einzige weiße beziehungsweise Ausländer hier und falle entsprechend auf. Irgendwie werde ich wohl aus Freundlichkeit ziemlich betrunken. Betrunken wie schon lange nicht mehr.

Tage drauf fahren wir erneut aus dem Zentrum, nun bewährt mit vielen Geschenken, die die Walt-Disney– und Plastik-verarbeitende Industrie Made in China günstig anbietet. Die Tochter von Azuls Bruder feiert den Abschluss des ersten Schuljahres. Was allerdings eher noch Kindergarten war. Der Abschluss des ersten Jahres und dann wieder des letzten Schuljahres wird ausgiebig gefeiert. Auch heißen die Klassen des ersten Jahres „Kinder“. Tatsächlich so wie es hier geschrieben steht und nicht ins spanische übersetzt. So kommt es mir doch ein wenig merkwürdig vor, dass ständig dieses eine, für mich deutsche, Wort ständig aufkommt.

Bolivien kennt ein lineares Schulsystem, dass sich in mehrere Abschnitte aufteilt. Entscheidend in den einzelnen Jahren sind die Prüfungen am Ende. Wie in den meisten Ländern der Südhalbkugel ist die wichtigste Ferienzeit in den Monaten um den Jahreswechsel, weil dann Sommer ist. Das macht sich auch in den Buspreisen bemerkbar, da nun mehr Leute Reisen unternehmen können.

Die Feierlichkeiten für die „Gradation“ der kleinen Neffin sind auf den Sportplatz, der wie bei den meisten Schulen hier, direkt hinter den Gebäuden sind, oder gar von den Gebäuden umringt wird. Reihen von Plastikstühlen wurden aufgestellt und jede Familie hat drei Plätze. Deshalb stehen viele. Ein Gang zur Bühne bleibt frei und enthält einen Bogen, der irgendwie an eine Hochzeit erinnert. Die kleinen werden samt Eltern aufgerufen und durchschreiten feierlich unter Applaus und Photoapparaten den Bogen.

Die Kinder sammeln sich nach und nach auf der Bühne. Vorab wurden noch verschiedene Hymnen gesungen, wobei alle aufstanden. Die Boliviens und die vom Departamento Santa Cruz waren dabei. Anschließend ging es auf der Ladefläche zum Haus der Eltern der Graduierten und wir aßen und tranken noch ausgiebig.