Mai 28 2018

die Gewerkschaft der Herzen

21. Mai 2018

Cusco

von Karl

 

Es muss ja auch mal ein Ende haben. Unser Pech. Dass wir eigentlich in 1,5 Tagen die Strecke Porto Velho bis Cusco schaffen wollten, ist schon jetzt illusorisch, aber vielleicht kommt jetzt die verdiente Wende. Wir sind gerade aus dem Bus vor dem brasilianischen Grenzposten herausgepurzelt, schon werden uns Plätze im einzigen Mini-Bus nach Puerto Maldonado zu besten Preisen angeboten. Sofort schlagen wir zu, hieven unser Gepäck mit aufs Dach und gehen mit unseren Reisepässen zum Polizei-Büro. Der Grenzbeamte erklärt uns, dass wir bei der Einreise nur 15 Tage Aufenthalt in Brasilien angegeben haben, heute wäre schon der Tag 24 und für jeden Tag drüber wird eine Steuer fällig. Er ist aber so kulant und verlängert das im System. Ich hielte diese Angabe für bloße Statistik, aber offensichtlich hat sie Folgen. Gibt es doch nette Polizist*innen? Als uns der Bus bei dem peruanischen Büro rauswirft geben wir auch gleich 60 Tage an. Bestimmt viel zu viel, aber sicher ist sicher. Grenzbeamt*innen sind vielleicht nicht immer gut drauf.

Peru gibt uns etwas Sicherheit wieder, weil wir nun unser gebüffeltes Spanisch auch etwas anwenden können. Wir können uns selbst verständigen, das gibt uns mehr Freiheit und Selbstbestimmung. Der Mini-Bus düst so schnell er kann durch den schon gewohnten Regenwald. Nach Sonnenuntergang erreichen wir Puerto Maldonado und nehmen ein dreirädriges Moped-Taxi zum Busbahnhof von dem die Busse nach Cusco abfahren. Für uns ist es ungewohnt überraschend, dass ein Dutzend verschiedener Anbieter nahezu zeitgleich abends zum selben Zielort abfährt. Das muss diese Marktwirtschaft sein, wo alle umeinander konkurrieren und niemand verdient. Etwas gerädert von den letzten Tagen nehmen wir ein „Bett“, statt des üblichen Sitzplatzes. Das heißt dann aber nur, dass der Sitz etwas komfortabler ist. Die Lehne lässt sich weit zurückklappen. Der Reisebus fährt über Nacht. Da es an einer Klimaanlage fehlt, wird es auch zusehend kälter im Bus, während wir uns merklich Serpentinen hochschlängeln. Erste Kopfschmerzen machen sich breit.

In Cusco fallen wir aus dem Bus, greifen das Gepäck und fangen an uns zu orientieren. Ohne Ansage, ziemlich abrupt, waren wir einfach da. Ich verlasse den Busbahnhof, das Terminal Terrestre, und merke wie beim leichten Anstieg mein Herz anfängt ungewöhnlich schnell und stark zu pochen.

Ein Taxi bringt uns dann zum Couchsurfer, der bei unserer Ankunft auch aus dem Fenster winkt, aber dann nicht die Tür öffnet. Etwas verärgert warten wir noch eine viertel Stunde, aber jedes Klingeln und Klopfen hilft nicht. Wir sind verblüfft und rätseln warum er nun die Tür nicht öffnet und uns hier sitzen lässt. Wir ziehen um die Ecke und der Zufall bietet uns direkt ein Hostel an. Nennen wir es Glück im Unglück.

Endlich ankommen. Es ist das schöne Gefühl, endlich einen Anker zu haben. Endlich können wir wieder unseren Kram aus dem Rucksack in allen Ecken verteilen. Der neue Gastgeber lässt mit sich reden und wir bekommen sogar noch Frühstück. Der Weg in den vierten Stock bringt mein Herz erneut auf Höchsttouren, wo ich doch sonst kein Problem mit Treppen habe. Bei meinem ersten Coca-Tee kann ich den Blick über Cusco schweifen lassen. Wir haben in unserem Glück sogar noch einen fulminanten Ausblick auf Cusco erhalten.

Cusco schmiegt sich zwischen Bergen in einem weitläufigen Tal und ist im Zentrum durch rote Kolonial-Dächer geprägt. Der übliche Morgennebel über Cusco zieht gerade langsam von dannen. Die Berge um Cusco haben nur wenige Bäume. Nicht verwunderlich auf ca. 3.500 m über Meeresspiegel, da beginnt in den Anden die Baumgrenze. Ja, Cusco ist eine der höchsten Städte und deshalb auch die ganzen körperlichen Beschwerden. Die Höhenkrankheit hat uns erwischt. Kopfschmerzen, etwas Übelkeit, allgemeine Benommenheit. Vor allem aber schlapp. Eigentlich fühle ich mich den ganzen Tag wie frisch aufgestanden, nach einer hart durchzechten Nacht. Der berühmte Kater danach. Nur, dass er nicht weggeht. Mensch kann sich nur bedingt dran gewöhnen. Oft werden die Coca-Blätter empfohlen. Die sollen etwas helfen. Zum Kauen oder als Tee aufgebrüht. Schmeckt übrigens wie Kräuter-Tee nur in leckerer. Die Höhe bringt auch ungewohnte Kälte mit sich, so gehen hier die Temperaturen bis kurz vor dem Gefrierpunkt runter und erreichen selten 20 Grad.

Wir versuchen uns eine peruanische SIM-Karte zu organisieren, aber das gestaltet sich als Schnipsel-Jagd. Die ersten Läden verkaufen keine SIM-Karten, obwohl Handy-Netz-Werbung draußen dran ist. Dann versuchen wir es in den Handy-Läden, aber die verweisen auf einen größeren. Den endlich gefunden, stellen wir fest, dass die SIM-Karten dieses Anbieters nicht mit unseren Handys funktionieren. Also geht das Spiel auf ein neues los, aber tatsächlich funktioniert es dann irgendwann.

Wir kommen immer wieder an Touri-Sachen vorbei wie alte Kirchen und Inka-Ruinen. Die ganze Stadt ist ein einziges Tourismus-Zentrum. Alles ist darauf ausgerichtet. Ein Hostel reiht sich manchen Orts ans andere. Die Sehenswürdigkeiten haben stolze Preise, sodass wir nix von innen sehen und eigentlich dreht sich auch alles um Machu Picchu, den Inka-Ruinen einige Kilometer von hier. Machu Picchu gehört zu den Top Ten Sehenswürdigkeiten in Südamerika und entsprechend viele Touris sind hier unterwegs. Uns interessiert das erstmal nicht, denn für uns ist die Fahrt zur Fair-Trade-Kakao-Plantage angedacht. Dafür bereiten wir uns vor.

Wir müssen dafür in Quillabamba umsteigen, und suchen das Busterminal nach Quillabamba. Tatsächlich finden wir das mit Hilfe sehr netter Bahnmitarbeiter. So wie wir das Terminal betreten, prasseln die Rufe auf uns ein. Die zig Anbieter möchten uns alle ihren Bus verkaufen. Sie verstehen auch nicht, dass wir gar nicht zum Machu Picchu möchten. Es gibt nämlich eine günstigere Route zu Machu Picchu über Santa Maria, was auf halber Strecke nach Quillabamba liegt. Montag wollen wir zurückkehren zum Busterminal.

Die nun übrige Zeit nutzen wir für einen Aufstieg zum Christo Blanco. Eine kleine Jesus-Statue, ähnlich der berühmten in Rio de Janeiro, thront am Rande der Stadt. Es ist auch die einzige Sehenswürdigkeit ohne teuer Eintritt zahlen zu müssen. Tausende Stufen führen uns zu ihm.

Wir müssen einige Pausen machen, weil unsere Herzen rebellieren. Es tut schon richtig weh. Das Herz pocht mit einer Gewalt gegen die Rippen, dass ich das Gefühl habe, es würde ohne Brustkorb herausspringen. Wenn unsere Herzen eine Gewerkschaft gründen würden, sie hätten schon längst gestreikt. Es kostet uns einiges an Zeit die Stufen zum Jesus zu erklimmen, aber wer sagt schon, dass der Weg zu Gott einfach ist. Scheint mir aber auch kein guter Gott zu sein, wenn er uns so quält. Dieser Gott kam mit den Konquistadoren nach Cusco. Vormals war Cusco Hauptstadt des Inka-Reiches, aber die Spanier*innen haben erstmal alle versklavt, alle Reichtümer geplündert und die Stadt zerstört. Danach wurde ihre Kolonie auf den Überresten errichtet und nun sind die europäischen Touris überall.

Zu Jesus‘ Fuße genießen wir den Überblick, horchen den Touri-Guides der Gruppenreisenden und schauen uns vom Aufstieg fertige Touris an. So vergeht etwas Zeit in der Sonne.

Selbst der spätere Abstieg macht uns noch zu schaffen und wir steuern nach kleinen Umwegen unsere Unterkunft an. Geplagt von der Sonne und den rebellierenden Herzen, versuchen wir uns etwas zu beruhigen, sodass wir morgen fit sind wenn es nach Quillabamba geht.

PS.: Die Stadt-Flagge von Cusco ist wunderschön (-;