Mrz 24 2019

Die Stadt um den Obelisk

Von Karl

Buenos Aires, Argentinien

 

Ein letztes Mal, aber auch eine ungezählte Wiederholung dessen, verabschiede ich mich von Fran, Frans Freund, Elias und Luzi. Die vier hatten uns nach Puerto Falcón gebracht, einer kleinen Grenzstadt bei Asunción und dann sind wir zu Fuß nach Clorinda gelaufen, der argentinischen Stadt auf der anderen Seite des kleinen Flusses.

Es nieselt und lässt die beiden Städte in einem düsteren Bild erscheinen. Verstärkt durch den Eindruck der gelangweilten Grenzbeamt*innen und den überdachten Marktstraßen. Wir versuchen einen Bus nach Buenos Aires zu bekommen, doch der ist schon weg.

Wir werden angesprochen und bekommen Angebote in Sammeltaxen nach Formosa mitzufahren bzw. als klar ist, dass wir mindestens bis nach Resistencia möchten, sogar bis dahin. Da die Angebote aber viel zu günstig sind und auch zufällig erscheinende Gestalten uns versuchen zu überreden, nehmen wir von der Idee schnell Abstand uns im Nirgendwo ausrauben zu lassen. Bei einer Busfirma bekommen wir dann aber noch ein Busticket und sind froh aus dieser unheimlichen Stadt herauszukommen, zumal die Nacht anfing sich auszubreiten.

In Asunción hatte ich meine Brille vergessen, sodass ich nochmal für eine Nacht zu Frans Familie reiste. Es lag zudem auf dem Weg. Selbst Fran war da. Trotz der Kürze unseres Aufenthalts ließ Elias es sich nicht nehmen uns eine kleine Führung im Viertel zu geben. Einer der berühmtesten Fußballer Paraguays, Derlis González, hat ein Haus zwei Blocks weiter. Später verbringen wir aber die meiste Zeit damit bei einem Supermarkt zu warten, dass ein heftiges Gewitter vorbeizieht. Zudem fällt auf, dass unsere Kreditkarten, sowohl die von Azul, als auch meine, erst für die jeweiligen Länder freigeschaltet werden muss.

Ein letztes Mal bereitete Luzi für uns Vori-Vori zu, eine paraguayische Spezialität. Wir witzelten noch, dass sie das eigentliche Highlight von Asunción ist. Schon ziemlich traurig, dass wir die sehr gastfreundliche Familie hinter uns lassen, winke ich ihnen ein letztes Mal, bevor ich um die Ecke verschwinde.

Die lange Reise nach Buenos Aires

Der Bus nach Resistencia entlässt uns gegen Mitternacht und wir suchen die letzten noch offenen Schalter ab und tatsächlich geht es direkt weiter, über Nacht, nach Rosario.

Eine weitere Großstadt auf dem Weg zum Ziel. Wer Geld sparen möchte, dem empfehle ich öfters mal umzusteigen, dann die Ticket-Preise können in der Addition günstiger sein, als der Direktbus. Wir wählen aber notgezwungen unsere Busse. Obschon wir in Rosario nicht mehr weit von Buenos Aires entfernt sind, so gibt es doch nur einen Bus als Option. Sie hüpfen wir also von Bus zu Bus, bis wir auf vierspurigen Autobahnen parallel zu Metro-Zügen auf eine Stadt mit unzähligen Bürohochhäusern zusteuern.

Buenos Aires ist nicht nur die Hauptstadt, sondern auch eine Provinz. Der Kern an sich ist nur die Verwaltungshochburg mit knapp drei Millionen Menschen. In der Provinz leben aber knapp sechzehn Millionen. Der Übergang ist fließend und Vorortzüge, sowie die Metro, genannt Subte, verbinden die umliegenden Gebiete fließend. Bei den Zügen gibt es verschiedene Verbindungen auf der gleichen Strecke, sodass auch Züge gewählt werden können, die einzelne Haltestellen auslassen und deshalb schneller sind. In der Nacht wird der Verkehr eingestellt.

Mit einen der Züge geht es in eines dieser unzähligen Stadtviertel, wo wir in entspannter Umgebung zwei Nächte unterkommen können. Fernando heißt unser stiller Gastgeber. Er ist aber sofort hilfsbereit und schon zehn Minuten nach unserer Ankunft grast er das Internet nach Möglichkeiten ab nach Uruguay zu kommen. Abends kochen wir lecker gemeinsam und trinken mit seinen Freunden Bier. Es ist einer dieser vielen entspannten Abenden. Jedoch merke ich wieder wie mein Gehirn nach einer Weile auf Standby geht, da es auf die Dauer ziemlich anstrengend ist, wenn ich die Sprache nicht gut kann. Fertig von der langen Reise bin ich ziemlich froh dann in ein weiches Bett zu legen.

Buenos Aires

Manche Highlights waren mir als solche vorab nicht bekannt. An einer Straßenecke im Zentrum sitzt Mafalda auf einer Bank und eine lange Schlange hat sich davor gebildet. Ein jede*r möchte ein Photo mit ihr. Mafalda ist eine wohl berühmte Comic-Figur aus Argentinien, vermutlich aus Buenos Aires. Ihre Berühmtheit ging leider bislang an mir vorüber, aber angesichts dessen was ich nun über sie weiß, scheint sie zu den cooleren Comic-Held*innen zu gehören.

Ein weiterer Held begegnet mir dann zwei Blocks weiter. Schon lange misse ich die leckere vegane Küche und als aber ein junger Mann mit Fahrrad und veganen Schnitzel-Sandwichs vor mir auftaucht, ist mein Tag gerettet. So einfach kann ich glücklich werden.

Buenos Aires überragt Argentiniens restliche Regionen um ein Vielfaches und enthält alle entscheidenden Organisationen. So kann Präsident*innen-Palast, Kongress und Senat besichtigt werden, wobei letzterer sich nicht besonders verkleidet.

Der wohl schönere Ort der Stadt ist der Obelisk, der als Kilometer 0, also Zentrum der Stadt bzw. Argentiniens gilt.

Weiterhin gibt es den ehemaligen alten Hafen, der sich zum Geschäftszentrum entwickelt hat und vor allem der Oberschicht vorbehalten ist. Es ähnelt ein wenig der Hamburger Speicherstadt.

Ansonsten bietet die Stadt ruhige Parks und Monumente. Eigentlich alles, was eine lebenswerte Stadt hat. Auch die tapferen Aktivistis sind unterwegs und machen auf die absurden Lebensbedingungen der Tiere im Zoo aufmerksam. Natürlich am Eingang vom Zoo.

Wer günstig und nicht-fleischig essen mag, der empfehle ich die, meist asiatischen, Selbstbedienungs-Restaurants. Hier wird nach Gewicht bezahlt und es kann sich aus einer breiten Auswahl bedient werden.

Neujahr

Azul konnte eine Freundin ausfindig machen die mit ihrer Schwester eine kleine Wohnung weit näher am Zentrum bewohnt. Wir belagern nun den Boden des kleinen Wohnzimmers und versuchen als Dank die Wohngemeinschaft mit Essen zu versorgen. Damariz und Blanquita haben viele Antworten zu unseren Fragen und nehmen uns mit auf ihre Silvester-Fete. Eigentlich ist, besonders in Argentinien Silvester auch eine Familien-Feier, doch wir sind ja bei bolivianischen Emigrantinnen und die feiern im Kreise von Freund*innen. Es gibt lecker Essen und Trinken und dann wandern wir zu Fuß zum alten Hafen.

Bemerkenswert für mich sind die deutlich wenigeren Raketen, jedoch erfreuen sich die Leute den wenigen umso mehr. Zu dieser Zeit, die auch Hauptreisezeit ist, scheint die Stadt fest in brasilianischer Hand, denn von dort kommen die meisten Touris. Die Einheimischen sind bekanntlich bei den Familien zu Hause. Wir sparen uns den Eintritt in die teuren Clubs der Stadt – sie sind tatsächlich ungeheuerlich teuer – und spazieren durch die Stadt, bis wir vor dem Morgengrauen in die Koje fallen.

Am nächsten Tag mache ich eine Lerneinheit in Sprache und Kultur. Diesmal war ich dran einen Polizisten zu fragen wo denn ein günstiges Restaurant in der Nähe sei. Gesagt, getan, ich frage ohne Umschweife direkt danach. Der Polizist ist sichtlich verwirrt. Azul muss eingreifen und erklärt mir, dass ich sehr unfreundlich daherkomme. Das war mir gar nicht so bewusst, aber ja, wer spanisch oder englisch spricht, sollte eine Spur freundlicher sein, als auf deutsch. Ein „Entschuldigung, …“ oder „Wissen sie vielleicht …“ oder „Ich bin grad auf der Suche nach …“ oder „Können sie mir kurz helfen …“ oder dergleichen ist immer angebracht.

Fähre

Buenos Aires ist eine nette Gegend um zu verweilen, doch die Zeit drängt und wir brechen erneut auf. Der günstigste Weg nach Uruguay ist der Bus, doch die sind alle ausgebucht und zudem gibt es Konflikte am Grenzübergang zwischen den beiden Ländern wegen einer Zellulosefabrik. Also buchen wir die günstigste Fähre am Tag. Was aber immer noch saftig teuer ist.

Das Fährterminal nimmt sich wie ein Flughafen aus und ich bekomme den Eindruck die gehobene Klasse gebucht zu haben, nur dass es auch Massenabfertigung ist. Die Fähre ist ausgestattet mit zig Reihen von Bussitzen. Zu meiner Enttäuschung führt leider kein Weg raus aufs Deck. Die Sonne ist gerade untergegangen als wir an der Skyline von Buenos Aires vorbeigleiten. Ein letzter Blick zurück bevor die Stadt im diesigen Dunkel verschwindet.


Mrz 18 2019

Fran, Chaco und Erdnuss

Von Karl

Filadelfia

 

Auf dem Weg nach Filadelfia

Gerade habe ich die Grenzkontrolle samt Sonnenaufgang hinter mir gelassen. Der Bus ruckelt nun ins Innere Paraguays vor. Die Grenzkontrolle war außergewöhnlich skeptisch. Jede*r einzelne musste mit ihren*seinen gesamten Gepäck sich einer intensiven Kontrolle unterziehen. In Reihen mussten wir uns aufstellen mit dem Gepäck vor uns.

Die Landschaft ist stark vom Chaco geprägt. Der Chaco ist eine trockene Naturlandschaft die am ehesten einer Savanne ähnelt. Mein erster Eindruck in Paraguays Natur ist die Vielfalt an Schmetterlingen. Sie schwirren am Straßenrand in großen Gruppen umher.

Die unerbittliche Sonne sorgt in dieser Region für die höchsten Temperaturen des Kontinentes und nun ist ja auch noch zu allen Überdruss Sommer. Was aber auch bedeutet, dass es Regenzeit ist und deshalb alles grün spriest. Später werden mir Bilder gezeigt, dass die Landschaft im Winter auch gelb sein kann.

Paraguays einzige Straße quer durch den eigenen Westen zur bolivianischen Grenze wurde irgendwann mal in den 60ern gebaut. Entsprechend ist die Ruta 9 oder Trans-Chaco genannt teils auch eher Sandpiste mit Asphaltinseln, um die der Bus dann bedächtig zirkelt. Der Bus entwickelt sich langsam zum Treibhaus. Hinzu kommt, dass der Bus immer mal hält, weil irgendwas mit dem Bus nicht stimmt und nun auch noch der Motor raucht, der bei diesem Modell noch neben dem Fahrer ist. Sie suchen offensichtlich eine Möglichkeit etwas zu reparieren.

Wir gelangen an einen weiteren Kontrollposten der Polizei und müssen erneut alle aussteigen und unser Gepäck aufreihen. Hinter dem Gepäck stehen wir und warten, dass die Pässe erneut kontrolliert werden. Erst kommt der Drogenhund, der aber nichts findet. Als dann jede*r durchwühlt wurde, warten wir dass der Bus zurückkehrt von der Werkstatt. Hier im nirgendwo lebt ja so gut wie niemand und die nächsten Siedlungen sind ziemlich weit entfernt. Hier sind mehrere Stunden Abstand die Normalität. Nach unzähliger Zeit kommt das altersmüde Monster doch wieder angerollt und es geht weiter. Der Bus wird unzählige weitere Male von der Polizei angehalten und kontrolliert. Nie haben sie was gefunden und wenn ich Drogen-Schmuggler wäre, ich würde nicht den Bus nutzen. Hintergrund ist wohl, dass Paraguay der größte Cannabis-Produzent Südamerikas ist. 90 % kommen von hier. In manchen Ecken lebt die Bevölkerung überwiegend vom Anbau und ist das ärmste und schwächste Glied in der Kette. Reich damit werden andere.

Ich spreche nochmal den Fahrer an, dass ich ja in Filadelfia aussteigen möchte. Anders als noch in Santa Cruz mir versichert wurde, wollen sie doch nicht nach Fildadelfia hineinfahren. Das wäre zu weit abseits der Straße. Kaum verwunderlich aber ärgerlich. An einem Abzweig lässt mich der Bus dann raus. Mitten in der Hitze des Tages. Selten habe ich so stark den Hitzedruck der Sonne gespürt.

Ein paar Jugendliche am Straßenrand meinen dass von hier nichts in die Stadt fährt. Gut, hier an der Kreuzung ist ja auch nicht viel. Ein paar kleine Häuser und Läden. Nun also der Daumen, mein alter Freund und Feind. Etwas über 10 km, vielleicht 15 km, muss ich überwinden. Zu spät bin ich eh schon.

Ich bekomme tatsächlich das ein oder andere Angebot, aber nach Filadelfia rein fährt niemand. Ein Pärchen meint dann, dass es mich zu einer besseren Stelle bringen könne. Der Haupteinfallsstraße nach Filadelfia. Das ist schon mal ziemlich nett.

Schnell wird klar, dass der Mann deutsch spricht und wir kommen ins Gespräch, wenn auch wegen der Kürze der Strecke, auch nicht lange. Er meint, viele sprechen hier deutsch, es gibt viele Mennonit*innen. Einige habe ich schon in Santa Cruz, auf der Straße und im Bus gesehen. Manche tragen noch Klamotten wie vor hundert Jahren, andere nehmen sich ganz modern aus. Mein Fahrer ist doch eher moderner. Seine Frau Venezolanerin.

An der Hauptstraße lässt er mich dann wieder raus und wir wuchten meinen Rucksack von der Ladefläche des Geländewagens. Tatsächlich ist die Straße etwas größer ausgebaut. Keine halbe Stunde später sitze ich in einem ähnlichem Fahrzeug. Mit so viele Gastfreundlichkeit hätte ich ja nicht gerechnet. Es fährt Hans, oder so ähnlich, ein alter weißer Mann, der mir auf fast perfekten Deutsch ungefragt alles mögliche über Filadelfia und die Mennonit*innen erzählt. Er sei der einzige registrierte Fremdenführer und hätte schon dem NDR hier alles gezeigt, als die mal zu Besuch waren. Grund ist, dass die Mennoniten untereinander Plautdietsch sprechen, ein ziemlich schwer zu verstehender Dialekt, der am ehesten mit dem Niederdeutschen verwandt ist. Ich hab mal ein Textbeispiel für euch photographiert. Stammt aus einem kleinen Magazin, welches sie rausgeben.

Filadelfia

Die geographisch Fitten unter euch werden vielleicht etwas stutzig sein über den Namen dieser Stadt. Gewöhnlich kennen wir die Schreibweise „Philadelphia“ und die wohl bekannteste Namensträgerin ist eine Millionenstadt an der Ostküste der USA. Damit aber die spanischsprechende Bevölkerung Paraguays die Stadt „richtig“ ausspricht, wurde der Name eingespanischt.

Filadelfia liegt so ziemlich im Zentrum von Paraguays Westen. Paraguay ist in verschiedener Hinsicht in einen West- und einen Ostteil geteilt dessen Grenze der Rio Paraguay ist, der wohl auch der Namensgeber ist. Die beiden Teile sind in etwa gleich groß, doch lediglich 10% leben in der Westhälfte. So ziemlich alles liegt im Osten. Nur ein paar Mennonit*innen und Indigene besiedeln den Westen, der gemeinhin einfach als Chaco bezeichnet wird. Es soll sogar noch unkontaktierte indigene Gemeinschaften geben.

Filadelfia ist Zentrum der größten mennonitischen Siedlung, welche sich in Kooperativen zusammen schlossen und so ihre Arbeit organisieren. Die Kooperative um die sich Filadelfia entwickelt, nennt sich Fernheim.

Auf den Weg in die Stadt fällt auf, dass es unzählige Monumente gibt, die alle zehn Jahre aufgestellt worden sind, um an die Erstbesiedlung zu erinnern. Paraguay und Bolivien stritten sich damals um den Chaco, vielleicht auch, weil eine Ölfirma Erdöl dort vermutete. Paraguay bot günstig Siedlungsland und die Mennonit*innen, die ursprünglich aus Deutschland nach Russland siedelten, verließen grad Russland aus Angst vor Stalin. So versuchte Paraguay das Land für sich zu vereinnahmen. Kurz darauf kam es zum Chaco-Krieg den Paraguay für sich entscheiden konnte. Später hat Paraguay dann doch kein Öl vorfinden können.

Die Stadt ist im Schachbrett angeordnet mit teilenden Strukturen. Die nördliche Hälfte wird von großen mennonitischen Villen belegt. Der Südwesten von vier verschiedenen indigenen Gruppen, die alle in Comunidades zusammenleben und zum Teil extrem ärmliche Behausungen haben. Die vier Gruppen heißen Enhlet, Avoreo, Nivaclé und Guaraní. Im Südosten der Stadt leben die Paraguayos in einfachen Häusern.

Altenheim

Hans hatte mich ein Block von der zentralen Kreuzung entfernt rausgelassen und so konnte ich zu Fuß mein Ziel erreichen. Die Apotheke im Zentrum. Gut, die Stadt ist nicht allzu groß, sodass Stradtrand und Zentrum keine 5 Minuten bei Auto auseinander liegen. Ich versuche es erstmal mit Warten und entdecke unzählige Plakate und Schilder, die in Deutsch gehalten sind. Äußerst kurios. Die Apotheke macht grad aber Siesta. Eigentlich sollte ich mich mit der Mitbewohnerin von Fran, meinem Gastgeber treffen, aber das war vor drei Stunden. Aus vielerlei Gründen bin ich ziemlich spät dran.

Hinter der Apotheke frage ich im Krankenhaus nach ihr. Sie habe mal in der Apotheke gearbeitet, nun wäre sie aber im Altenheim beschäftigt. Ich habe übrigens noch nie in Südamerika ein Altenheim gesehen. Etwas verwundert, laufe ich einen Block weiter und tatsächlich, da steht Altenheim, sogar in Deutsch, dran.

Es ist schwer dort jemand zu finden, bis ich dann Pfleger*innen im Aufenthaltsraum antreffe. Yenni habe grad keine Schicht. Eine Pflegerin versucht ihre Telephonnummer herauszufinden. Währenddessen betrachte ich verwundert das Dutzend altersschwache*r Rollstuhlfahrer*innen an. Mit spanischen Akzent spricht eine Pflegerin einen alten Mann sehr laut auf deutsch an. Erst versteht er nicht, dann sagt er nur „ja, ja“. Ganz wie in Deutschland, denke ich. Die anderen sind allesamt dem Fernseher zugedreht, wo eine ziemlich klischeegeladene Doku über die Bergwelt Perus läuft. Auch auf deutsch. Total ungewohnt, dass alles verständlich ist, nur die einheimische Bevölkerung bevorzugt mit mir spanisch zu sprechen.

Schlussendlich kann ich dann ein Treffen mit Yenni an der Hauptkreuzung organisieren und auf dem Rücksitz des Rollers geht‘s an den Ortsrand. Mitten auf der grünen Wiese des Nachbarn wurde aus roten Backsteinen ein Häuschen für zwei Personen gebaut. Fran und Yenni sind Mitbewohner*innen und teilen das meiste. Oft sitzen sie gemütlich auf der überdachten Terrasse. Besonders Yenni ist eine Freundin des gemütlichen Lebens. Wir trinken Bier, Rauchen, genießen die Natur. Es ist nun mal auch ein einmaliger Ausblick, denn kaum ein Ort liegt so abgelegen.

Später treffe ich Fran, ein weltoffener und immer freundlicher Mensch. Er zeigt ein sehr hohes Vertrauen und gibt mir den Schlüssel zu seinem Cross-Motorrad. Nach einer kurzen Fahrt gemeinsam.

Sie machen mich auch gleich mit zwei paraguayische Spezialitäten vertraut, die sich ziemlich ähneln. Sie bestehen größtenteils aus Mais, sind herzhaft und sehen aus wie gelber Rührkuchen. Das lustige ist, dass das eine den Namen „Sopa“, zu deutsch „Suppe“, trägt. Paraguay, so meinen sie, ist das einzige Land, dass eine feste, also nicht-flüssige, Suppe auf dem Speiseplan hat. Hauptbestandteil soll Maismehl sein. „Chipawasu“ dagegen wird aus ganzen Mais, Zwiebeln und Käse gemacht. Übrigens auch lecker.

Was besonders für die Region ist, dass es kein Wasserverteilsystem gibt und es auch im Allgemeinen kaum Regenwasser gibt. Deswegen wird jeder Quadratmeter Dachfläche genutzt um Wasser in einer Zisterne zu sammeln. Ab und zu schaltet er die Pumpe an, damit das Wasser in ein Dachbehälter fließt, womit dann geduscht und alles mögliche ganz gewöhnlich gemacht werden kann. In der Trockenzeit wird es wohl manchmal kritisch. Das entsalzte Grundwasser, welches die Mennonit*innen anbieten soll sehr teuer sein.

Erdnuss

Mit Bier und guter Unterhaltung verbringen wir den Abend auf der Terrasse. Mir wird nun erst richtig bewusst wie laut die Natur in meiner Umgebung hier ist. Ein massives Zirpen kommt aus den dichten Gras- und Baumlandschaften in der Nähe und machen auch noch in der Nacht ein extremes Konzert. Wären wir so dem Naturkonzert lauschen, geht der Mond auf. Es ist tatsächlich eines der schönsten Momente, denn der Mond scheint erst ein Feuer am Horizont zu sein, dass mitten in der dunkelsten Nacht ausgebrochen ist und reiht sich dann zwischen die Millionen Sterne ein, die schon den Himmel besprenkeln. Irgendwann muss ich aber auch von den vielen fliegenden Blutsaugern flüchten.

Fran ist Chef der Apotheke und vielleicht auch deswegen gut vernetzt. Er sprach von einer Erdnussfabrik und sofort wurde ich hellhörig. Am nächsten Tag schwinge ich mich wieder aufs Motorrad und fahre dorthin. Eine Mennonitin ist Chefin der Laborabteilung und nimmt mich in Empfang. Sie zeigt mir die verschiedenen Teile der Untersuchungsabteilungen, die zum einen die eigenen Produkte auf Unbedenklichkeit prüfen, als auch mit neuen Ideen experimentieren. Hinzu kommt, dass eine kleine Menge Erdnüsse gesalzen und geröstet in der Umgebung verkauft wird.

Leider ist gerade nicht die Saison, aber sie zeigt mir die Lagerhallen und Abfertigungsanlagen trotzdem. Teils sind sie so groß wie Hochhäuser und es unvorstellbar, dass sie auch schon an ihre Grenzen kamen. Es gab aber auch schon Dürren, wo kaum Erdnüsse zu verkaufen waren.

Die Bäuerinnen und Bauern sind auch Teil der Kooperative Fernheim. Lediglich in großen verpackten Säcken, teils nur noch mit dem Gabelstapler zu bewegen, lagern noch Erdnüsse auf dem Gelände. Lange Zeit waren Erdnussschalen ein Problem gewesen, meinte sie, denn es ist Müll der in großen Mengen anfällt und weggeschafft werden muss. Mittlerweile können sie ihn aber als Tierfutter verkaufen. Ohne Schale können mehr Erdnüsse pro Container verkauft werden. Die Haut von der Erdnuss wird je nach Kunde oder Kundin entfernt. Werden die Erdnüsse später mit Schokolade glasiert, so bleibt die Haut dran, weil die Schokolade daran besser haftet.

Der Absatz von Erdnüssen aus Paraguay ist dabei ziemlich beschwerlich, weil der Ankauf der Produkte meist erst im Hafen in Europa stattfindet. D.h. der Transport bis dahin muss im Preis enthalten sein. Die Erdnüsse aus Filadelfia müssen erst nach Asunción, dann weiter via Fluss oder Straße nach Buenos Aires und dann über’n Atlantik. Die argentinischen Produzent*innen haben jedoch viel größere Produktionsanlagen und haben deutlich geringere Transportkosten. Dies bedeutet für die die paraguayischen Erdnüsse, dass sie den Standortnachteil zusätzlich kompensieren müssen.

Zurück in ihrem Büro erklärt sie mir noch an einer Tafel die Kooperative Fernheim. Zu dieser gehört im Prinzip alles in Filadelfia. Der Supermarkt, das Altenheim, die Apotheke von Fran, das Hotel, das Krankenhaus, die Straßen, das Stromkraftwerk, Grundwasserentsalzungsanlage, und so weiter und so fort. Dabei wird in Wirtschaftsbetriebe und Soziales unterschieden. Was die einen erwirtschaften können die anderen als Wohltätigkeit ausgeben. Sie bietet mir an eine Stadtführung zu geben und wir verabreden uns für später.

Hygiene

Mit Fran besuche ich das Heimatmuseum. Ja, was eine gute deutsche Stadt halt immer braucht, ist eine deutschtümelndes Heimatmuseum. Allerlei Gegenstände aus den Anfängen in Filadelfia beziehungsweise der Flucht aus Russland, die wohl oft über einen deutschen Hafen ging. Empfehlen kann ich da eher das Naturkundemuseum, dass eine fulminante Sammlung der hiesigen Tier- und Pflanzenwelt hat. So gibt es Gürteltiere, Nabelschweine, Hirsche, Tapire, Guanakos, Jaguare, Pumas, Ozelots, Füchse, Wild- und Waldhunde und Wölfe. Aber auch die kleineren Vertreter sind ziemlich groß. Käfer und Mücken von der Größe einer Maus können durch die Luft schwirren.

Der wohl beeindruckenste Baum ist der Florettseidenbaum. Er hat die Form eines übergroßen Tropfens. Unten sehr bauchig und läuft dann auf 10 bis 15 Meter nach oben zusammen.

Da grad Regenzeit ist saugt sich der Baum weiter voll und ist entsprechend dick. In der Trockenzeit soll er nicht mal grün sein, aber zu meiner Zeit ist er es. Auf seinen dicken Bauch hat er Stacheln angebracht. Im Naturkundemuseum bekomme ich ein Stück Stamm in die Hand gedrückt. Im Vergleich zu den harten Hölzern der anderen Bäume, die extrem schwer sind, ist dieser sehr leicht. Ungewöhnlich leicht. An dem Holzscheit sind die Kammern gut zu erkennen in dem er Wasser sammeln kann.

Zu guter Letzt wird mir noch die Missionsarbeit gezeigt, was bis heute durchgeführt wird. Ich dachte, dass wäre irgendwann mal im Mittelalter gewesen, aber tatsächlich versuchen die Mennonit*innen heute noch die Indigenen vom Christentum zu überzeugen und dann zu taufen. Gut ist wer sich bekehren lässt. Noch sind sie dabei für die letzte indigene Sprache die Bibel zu übersetzen. Etwas ungläubig brechen wir an der Stelle ab und Fran und ich verschwinden.

Die gute Frau aus der Erdnussfabrik erwartet mich schon pünktlich vorm Supermarkt, der – so wie er ist – auch gut und gerne in Deutschland hätte stehen können und viele Produkte von dort enthält. Sie erklärt mir, dass die Mitarbeitenden und Mitglieder der Kooperative in allen eigenen Geschäften mittels einer Nummer einkaufen, sodass das Geld direkt von ihren Konto abgezogen wird. Jedes Mal als ich einkaufen war, bekam ich auch einen A5-Zettel mit Rechnungsübersicht.

Wir fahren einmal durch alle Viertel und sie erklärt lose vor sich hin. Dabei sind ihre Erzählungen über die verschiedenen Ethnien angereichert durch ihre rassistische Weltsicht. Sie erklärt mir, welche Gruppen für welche Arbeiten in ihren Fabriken, Feldern oder zu Hause geeignet wären. Das die einen nicht sauber machen könnten und die anderen gut sind um Felder zu vermessen. Als wir dann zu allen Überdruss noch in eine sehr enge Comunidad fahren, die nur aus ein paar Bretterverschlägen besteht möchte ich in dem Sitz versinken. Eigentlich spielten gerade ein paar Kinder Fußball, aber sie wendet mitten auf deren kleinen Platz. Sie dreht mit ihren übergroßen SUV mitten in der Siedlung und erklärt mir, dass „die noch nicht hygienisch“ genug seien.

Unterm Strich möchte auch sie keine Rassistin sein, aber es gab mir schwer zu denken. Sie meinte, dass es auch schon erste Indigene in den Kooperativen gäbe, aber die müssten halt den Aufnahmeprozess bestehen und das heißt im wesentlichen wohl so zu sein wie die Mennonit*innen. Sie hörte nicht auf mir weitere „ethnologische“ Erklärungen zu liefern. Eigentlich stellt sie die Mennonit*innen als die großen Heilsbringer dar. So hätten sie der einen Gruppe einen betonierten Mehrsport-Platz überdacht und mit großen Zisternen zur Wassergewinnung ausgestattet. Doch die Zisternen werden nicht genutzt. Sie seien halt nicht klug genug schon an morgen zu denken, sondern täten alle nur ans heute denken und wären dann überrascht wenn am nächsten Tag nicht genug da ist. An morgen täten halt nur die Mennonit*innen denken.

Schon in der Fabrik sprach sie davon, dass auch Frauen und Indigene beschäftigt werden, aber deren Arbeitsplätze sind schlussendlich wohl nicht gleichzusetzen. Während die einen wie Lebensmittel-Ingenieure in klimatisierten Räumen in aller Seelenruhe Proben nehmen, stehen die anderen an den lauten Maschinen in einem kleinen Raum und kontrollieren die durchlaufenden Erdnüsse.

Schlussendlich seien ihrer Meinung nach wohl viele Indigene auch nach Filadelfia gekommen weil sie sich Arbeit erhoffen. Das sah sie auch als ihre Aufgabe in Zukunft mehr Arbeit zu schaffen. Filadelfia sei im Wachstum begriffen. Leider wäre es dadurch nicht mehr so sicher wie vor ein paar Jahren. Da habe niemand den Autoschlüssel abgezogen oder die Haustür verschlossen. Auch die Stadtverwaltung gäbe es erst sein wenigen Jahren. Vorher war die Stadt komplett von der Kooperative verwaltet. Einige Sachen wollen sie nicht zurück geben, weil sie glauben, das besser machen zu können. Zum Beispiel den Straßenbau.

Wer an dem Kraftwerk vorbei kommt und weiß, dass auf der anderen Seite das paraguayische Kraftwerk steht, wird unweigerlich überlegen ob nicht der NDR nochmal mit Extra3 vorbeikommen sollte. Es gibt im Prinzip alles nochmal in mennonitischer Hand. Bis hin zu einer eigenen Post. Nachdem ich nun weiß, was der paraguayische Staat alles nicht perfekt macht und warum die anderen Gruppen nicht so gut sind, wie die deutschen Mennonit*innen, zeigt sie mir noch die großen Anwesen auf der Nordhälfte. Hier wohnen viel weniger Menschen in viel größeren Häusern. Es sind die Besitzenden und sogar Paraguay-weit dominieren die Mennonit*innen einige Wirtschaftszweige, insbesondere in der Landwirtschaft.

Guaraní

Zurück bei Fran bin ich auch irgendwie froh, nicht bei Mennonit*innen zu wohnen. Sie können mir auch bestätigen, dass viele Mennonit*innen klare rassistische und überlegene Weltbilder haben. Natürlich nicht alle. Fernheim ist vergleichsweise modern. Es gibt andere Kooperativen und die deutlich verschlossener sind und noch gefühlt im Mittelalter leben. Fran meint, dass die Indigenen in vielerlei Hinsicht respektiert und unterstützt werden. In keinem anderen Land Südamerika wurde das mit Anerkennung einer indigenen Sprache als Amtssprache so ernst genommen wie in Paraguay. Nun lernen alle in der Schule auch Guaraní und eine deutliche Mehrheit spricht diese Sprache. Guaraní bezeichnet sowohl eine indigene Gruppe, als auch ihre Sprache, sowie die paraguayische Währung und noch einiges mehr.

Besonders ärmere bevorzugen Guaraní und unterm Strich sprechen die meisten einen Spanisch-Guaraní-Mix. Je gehobener desto mehr Spanisch. Für euch ein paar Wörter in Guaraní:

mba‘eichapa = Hallo! Wie geht‘s?

Porá ha nde? = Gut, und dir?

Jaha = Auf geht’s!

Ja‘u = Lass uns was essen/trinken

„Danke“ lässt sich nur schwer übersetzen, weil es je nach Kontext verschiedene Wörter gibt. Deshalb hat sich da das spanische „Gracias“ durchgesetzt. Tatsächlich konnte ich zuhören wie sich Fran mit seiner Mitbewohnerin in Guaraní unterhielt, obwohl sie beide keine Guaraní-Indigene sind. Hier ein Hörbeispiel, extra für euch aufgenommen.

In den Argentinien-Texten habe ich euch von der Mate-Tradition berichtet. In Paraguay gibt es diese Tradition auch, allerdings mit kalten Wasser, meist sogar mit Eiswürfeln. Diese Variante nennt sich dann Tereré. Ich finde diese auch deutlich leckerer, weil es viel besser zu den heißen Wetter passt. An einem Tag habe ich mehrfach das Thermometer beobachtet und es verharrte bei durchgehend 39 Grad. Da ist es eine Wohltat mit Fran während der Spätschicht in der Apotheke Tereré zu trinken. Die Thermosbehälter sind in Paraguay größer. In manchen Läden können riesige Bottiche gekauft werden, so groß wie ein kleiner Kühlschrank. Das Tereré-Trinken ist auch ein sozialer Aspekt, da gemeinsam getrunken wird und nur dann allein, wenn mensch wirklich ganz allein ist. Eine Person gilt dabei als Ausschencker*in, d.h. zu der geht das Gefäß immer wieder zurück und sie füllt auf.

Auf den Weg zum Bus lies mich Fran sein Auto fahren, denn er genoss es einen Chauffeur zu haben. Da die Wege, bis auf die Hauptstraßen im Zentrum, nur aus Sand bestehen, verwandelten diese sich nach einem heftigen Regenschauer in Schlammpisten. Aber nicht nur das. Nach dem Regenschauer, wenn die Sonne die Wiesen trocknet schwillt das Naturkonzert, das Zirpen, so stark an, dass ich tatsächlich ins innere des Hauses flüchtete. Es ist schwer zu glauben, wenn mensch es nicht erlebt hat. Hier ein Hörbeispiel, für euch aufgenommen.

Nun, auf dem Weg zur Haltestelle, bin ich etwas von der Mitte abgekommen und da es sehr rutschig und zu den Seiten abfällig ist, rutschte sein Auto direkt in den Seitengraben, der sich zu einen Wasserkanal entwickelt hatte. Ich sah vor meinem inneren Auge schon, dass das Auto hinüber ist, doch Fran blieb ziemlich gelassen. Er rief einen Freund an, aber schon der zweite Geländewagen hatte ein Seil dabei und band dies um das Hinterrad. Dann zog er das Auto in der spektakulären Aktion den Graben entlang, während der Geländewagen selbst ausrutschte und zur anderen Seite strebte. An der nächsten Kreuzung hievte er aber Frans Auto aus dem Graben. Der lies es einfach an und wir fuhren weiter. Was für mich ein halber Schock war, scheint für ihn so oder so ähnlich öfters mal vorzukommen.

Ich hab die Tage bei Fran wirklich genießen können. Er hat ein sehr großes Herz und half mir in jeder Hinsicht. Eine echt außergewöhnliche Gastfreundschaft. Umso falscher fühlte es sich wieder an, in den Bus nach Asunción zu steigen. Er hat mir sogar ein zu Hause in meinem nächsten Ort organisiert.