Mrz 26 2019

Altstadt an der Flussmündung

Von Karl

Colonia del Sacramento, Uruguay

 

Als wir in Uruguay von der Fähre gehen ist es schon dunkel. Nichtsdestotrotz wirkt Colonia del Sacramento ruhig und friedlich. Wir fragen in der Tanke nach dem nötigen Bus um zu unserer Unterkunft am Rande der Stadt zu kommen. Der Busfahrer hilft uns dann noch an der richtigen Stelle auszusteigen. Beim Aussteigen bemerke ich, dass eine Gruppe Jugendlicher an der Haltestelle wartet und wir machen uns schleunigst auf den Weg. Gute fünfhundert Meter soll es die große Ausfallstraße weiter gehen. Nach einer kleinen Brücke hören die Häuser erstmal auf und die Straße ist unbeleuchtet.
Ein Blick zurück verrät uns aber, dass sich die Gruppe Jugendlicher, die nicht besonders wohlhabend ausschaut uns gefolgt ist. Wir gehen ein Stück zurück und nun verteilen sie sich auf beide Seiten der Straße. Offensichtlich hängen wir in einer Sackgasse. Ich bin für solche Gefahren nicht gemacht, Azul dagegen wirkt schon fast routiniert. Wir hoffen, dass die Jugendlichen nicht näher kommen und tatsächlich warten sie auch. Wir versuchen Autos zu stoppen, aber keines hält an. Es ist eine bedrohliche Situation.
Mindestens eine halbe Stunde beäugen wir uns gegenseitig, während Azul und ich Lösungen diskutieren.
Dann kommt uns die rettende Idee. In manchen Ländern habe ich SIM-Karten gekauft und unter anderem habe ich noch die argentinische in meinem Handy. Claro, der Netzanbieter den ich gewählt hatte, wirbt dafür, dass für das Telephonieren kein Roaming anfällt, wenn ich die Karte in Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay oder Brasilien benutze. Kaum, dass wir anfangen die Nummer unseres Gastgebers heimlich in mein Handy zu tippen, geben die Jugendlichen auf und ziehen ab.
Unser Gastgeber, Leo, springt offensichtlich sofort ins Auto und in wenigen Minuten sind wir am Ziel. Nochmal Glück gehabt.

Uruguay und Colonia

Uruguay gilt als das wohl wohlhabendste und stabilste aller Länder in Südamerika. Damit ist es auch relativ teuer. Tatsächlich macht es auf mich einen relativ friedliebenden Eindruck. Trotz des gefährlichen Begrüßungsempfanges. Unser Gastgeber versichert uns, dass es kaum Jugendbanden gibt. Die wollten sich höchstens mal ausprobieren, aber normalerweise ist es ungefährlich. Er erzählt mir auch, dass er nach Uruguay gekommen ist, weil hier das Leben ruhiger und sicherer ist. Raubüberfälle und dergleichen machten das Leben in Argentinien ungemütlich und deshalb zog es ihn als Musiker nach Colonia. Er hat ein kleines Haus deren hinterer Bereich an uns vermietet wird, inklusive grandiosen Frühstück in der Sonne.

Von hier aus können wir in einer halben Stunde zum Strand laufen, der sich zwar ausnimmt wie ein traumhafter Meeresstrand, aber in Wirklichkeit nur am Rio de la Plata (Silberfluss) liegt. Dies bezeichnet den riesigen unüberschaubaren Mündungstrichter der Flüsse Paraná und Uruguay.

Der offizielle Name des Landes kommt übrigens von diesem großen Fluss: Republik östlich des Uruguay. Eine, wie ich finde, witzige Idee. Warum nicht: Bundesrepublik östlich des Rhein.

Colonias Altstadt ist vergleichsweise hübsch und gut restauriert. Viele alte weiße Gebäude und mittelalterliches Gemäuer. In harmonischer Kombination direkt am Wasser. Es scheint auch „Geheimtipp“ im LonelyPlanet zu sein, denn es gibt viele Rucksacktouris und die Preise sind überdurchschnittlich. Hinzu kommt, dass es nah an Argentinien und Buenos Aires ist und leicht erreichbar. Auch wir schlendern genießend eine Runde durch das historische Viertel. Findige Aktivistis haben kluge Sprüche auf A4-Zettel gedruckt und an vielen Ecken aufgehängt. Es scheinen Feminist*innen unterwegs zu sein. Auf dem ersten stand „Es ist nicht die Länge meines Rockes sondern die Kürze deiner Ideen“.

Im Geschäft nebenan kann auch Souvenir von Uruguays berühmtester Persönlichkeit gekauft werden. Mit Konterfei und klugen Spruch. José Mujica war Präsident des Landes und ging als „ärmster Präsident der Welt“ in die Geschichte ein. Im Spanischen ist „Pepe“ der Spitzname für alle die José heißen, weswegen er auch oft nur El Pepe genannt wird. Pepe machte eine Legislatur von 2010 bis 2015 und nahm nur 10% vom Präsidentengehalt. Den Rest steckte er in ein Wohnungsbauprogramm oder NGOs. Er legalisierte auch Cannabis, womit Uruguay das erste Land der Welt wurde. In vielerlei Hinsicht eine spannende Persönlichkeit und vergleichsweise vorbildlich für einen Politiker. So blieb er in seiner Chacra, einem kleinen Bauernhof, wohnen, statt in den Präsidentenpalast zu ziehen.
Uruguay ist kulturell stark verwandt mit dem Osten Argentiniens. So streiten sich wohl beide darum, wer nun die Wiege des Tangos gewesen ist. So berühmt wie der Tango in der Welt ist, so selten habe ich jemanden Tango tanzen sehen. Nur für eine paar Touris in der Innenstadt von Buenos Aires, aber ansonsten scheint dass gar nicht so verbreitet zu sein, aber vielleicht war ich einfach nicht in den richtigen Ecken. Eine andere Gemeinsamkeit sind die Membrillos. Eine gelee-artige Masse, hergestellt aus Quittenmus. Es ist zuckersüß und die paar Mal die ich beobachten konnte wie es gegessen wurde, wurde es pur gelöffelt. Mein erster Impuls wäre es als Marmelade aufs Brot zu schmieren. Auch das Asado, das Grillerchen, eint beide Regionen.

Zu meiner tiefsten Überraschung, neben dem das eingemachte Marmelade verkauft wird, wird Marmelade verkauft die aus Aubergine oder Zwiebel hergestellt wird. Kein Witz. Ja, jetzt wo ich das schreibe, merke ich, dass ich es mal hätte kaufen sollen und probieren.

Wir waren nur kurz in Colonia. Da wir ja schon auf dem Weg nach Montevideo wohnten, konnten wir direkt an der Ausfallstraße noch in einen Bus steigen ohne erst in die Innenstadt zu torkeln.


Mrz 24 2019

Die Stadt um den Obelisk

Von Karl

Buenos Aires, Argentinien

 

Ein letztes Mal, aber auch eine ungezählte Wiederholung dessen, verabschiede ich mich von Fran, Frans Freund, Elias und Luzi. Die vier hatten uns nach Puerto Falcón gebracht, einer kleinen Grenzstadt bei Asunción und dann sind wir zu Fuß nach Clorinda gelaufen, der argentinischen Stadt auf der anderen Seite des kleinen Flusses.

Es nieselt und lässt die beiden Städte in einem düsteren Bild erscheinen. Verstärkt durch den Eindruck der gelangweilten Grenzbeamt*innen und den überdachten Marktstraßen. Wir versuchen einen Bus nach Buenos Aires zu bekommen, doch der ist schon weg.

Wir werden angesprochen und bekommen Angebote in Sammeltaxen nach Formosa mitzufahren bzw. als klar ist, dass wir mindestens bis nach Resistencia möchten, sogar bis dahin. Da die Angebote aber viel zu günstig sind und auch zufällig erscheinende Gestalten uns versuchen zu überreden, nehmen wir von der Idee schnell Abstand uns im Nirgendwo ausrauben zu lassen. Bei einer Busfirma bekommen wir dann aber noch ein Busticket und sind froh aus dieser unheimlichen Stadt herauszukommen, zumal die Nacht anfing sich auszubreiten.

In Asunción hatte ich meine Brille vergessen, sodass ich nochmal für eine Nacht zu Frans Familie reiste. Es lag zudem auf dem Weg. Selbst Fran war da. Trotz der Kürze unseres Aufenthalts ließ Elias es sich nicht nehmen uns eine kleine Führung im Viertel zu geben. Einer der berühmtesten Fußballer Paraguays, Derlis González, hat ein Haus zwei Blocks weiter. Später verbringen wir aber die meiste Zeit damit bei einem Supermarkt zu warten, dass ein heftiges Gewitter vorbeizieht. Zudem fällt auf, dass unsere Kreditkarten, sowohl die von Azul, als auch meine, erst für die jeweiligen Länder freigeschaltet werden muss.

Ein letztes Mal bereitete Luzi für uns Vori-Vori zu, eine paraguayische Spezialität. Wir witzelten noch, dass sie das eigentliche Highlight von Asunción ist. Schon ziemlich traurig, dass wir die sehr gastfreundliche Familie hinter uns lassen, winke ich ihnen ein letztes Mal, bevor ich um die Ecke verschwinde.

Die lange Reise nach Buenos Aires

Der Bus nach Resistencia entlässt uns gegen Mitternacht und wir suchen die letzten noch offenen Schalter ab und tatsächlich geht es direkt weiter, über Nacht, nach Rosario.

Eine weitere Großstadt auf dem Weg zum Ziel. Wer Geld sparen möchte, dem empfehle ich öfters mal umzusteigen, dann die Ticket-Preise können in der Addition günstiger sein, als der Direktbus. Wir wählen aber notgezwungen unsere Busse. Obschon wir in Rosario nicht mehr weit von Buenos Aires entfernt sind, so gibt es doch nur einen Bus als Option. Sie hüpfen wir also von Bus zu Bus, bis wir auf vierspurigen Autobahnen parallel zu Metro-Zügen auf eine Stadt mit unzähligen Bürohochhäusern zusteuern.

Buenos Aires ist nicht nur die Hauptstadt, sondern auch eine Provinz. Der Kern an sich ist nur die Verwaltungshochburg mit knapp drei Millionen Menschen. In der Provinz leben aber knapp sechzehn Millionen. Der Übergang ist fließend und Vorortzüge, sowie die Metro, genannt Subte, verbinden die umliegenden Gebiete fließend. Bei den Zügen gibt es verschiedene Verbindungen auf der gleichen Strecke, sodass auch Züge gewählt werden können, die einzelne Haltestellen auslassen und deshalb schneller sind. In der Nacht wird der Verkehr eingestellt.

Mit einen der Züge geht es in eines dieser unzähligen Stadtviertel, wo wir in entspannter Umgebung zwei Nächte unterkommen können. Fernando heißt unser stiller Gastgeber. Er ist aber sofort hilfsbereit und schon zehn Minuten nach unserer Ankunft grast er das Internet nach Möglichkeiten ab nach Uruguay zu kommen. Abends kochen wir lecker gemeinsam und trinken mit seinen Freunden Bier. Es ist einer dieser vielen entspannten Abenden. Jedoch merke ich wieder wie mein Gehirn nach einer Weile auf Standby geht, da es auf die Dauer ziemlich anstrengend ist, wenn ich die Sprache nicht gut kann. Fertig von der langen Reise bin ich ziemlich froh dann in ein weiches Bett zu legen.

Buenos Aires

Manche Highlights waren mir als solche vorab nicht bekannt. An einer Straßenecke im Zentrum sitzt Mafalda auf einer Bank und eine lange Schlange hat sich davor gebildet. Ein jede*r möchte ein Photo mit ihr. Mafalda ist eine wohl berühmte Comic-Figur aus Argentinien, vermutlich aus Buenos Aires. Ihre Berühmtheit ging leider bislang an mir vorüber, aber angesichts dessen was ich nun über sie weiß, scheint sie zu den cooleren Comic-Held*innen zu gehören.

Ein weiterer Held begegnet mir dann zwei Blocks weiter. Schon lange misse ich die leckere vegane Küche und als aber ein junger Mann mit Fahrrad und veganen Schnitzel-Sandwichs vor mir auftaucht, ist mein Tag gerettet. So einfach kann ich glücklich werden.

Buenos Aires überragt Argentiniens restliche Regionen um ein Vielfaches und enthält alle entscheidenden Organisationen. So kann Präsident*innen-Palast, Kongress und Senat besichtigt werden, wobei letzterer sich nicht besonders verkleidet.

Der wohl schönere Ort der Stadt ist der Obelisk, der als Kilometer 0, also Zentrum der Stadt bzw. Argentiniens gilt.

Weiterhin gibt es den ehemaligen alten Hafen, der sich zum Geschäftszentrum entwickelt hat und vor allem der Oberschicht vorbehalten ist. Es ähnelt ein wenig der Hamburger Speicherstadt.

Ansonsten bietet die Stadt ruhige Parks und Monumente. Eigentlich alles, was eine lebenswerte Stadt hat. Auch die tapferen Aktivistis sind unterwegs und machen auf die absurden Lebensbedingungen der Tiere im Zoo aufmerksam. Natürlich am Eingang vom Zoo.

Wer günstig und nicht-fleischig essen mag, der empfehle ich die, meist asiatischen, Selbstbedienungs-Restaurants. Hier wird nach Gewicht bezahlt und es kann sich aus einer breiten Auswahl bedient werden.

Neujahr

Azul konnte eine Freundin ausfindig machen die mit ihrer Schwester eine kleine Wohnung weit näher am Zentrum bewohnt. Wir belagern nun den Boden des kleinen Wohnzimmers und versuchen als Dank die Wohngemeinschaft mit Essen zu versorgen. Damariz und Blanquita haben viele Antworten zu unseren Fragen und nehmen uns mit auf ihre Silvester-Fete. Eigentlich ist, besonders in Argentinien Silvester auch eine Familien-Feier, doch wir sind ja bei bolivianischen Emigrantinnen und die feiern im Kreise von Freund*innen. Es gibt lecker Essen und Trinken und dann wandern wir zu Fuß zum alten Hafen.

Bemerkenswert für mich sind die deutlich wenigeren Raketen, jedoch erfreuen sich die Leute den wenigen umso mehr. Zu dieser Zeit, die auch Hauptreisezeit ist, scheint die Stadt fest in brasilianischer Hand, denn von dort kommen die meisten Touris. Die Einheimischen sind bekanntlich bei den Familien zu Hause. Wir sparen uns den Eintritt in die teuren Clubs der Stadt – sie sind tatsächlich ungeheuerlich teuer – und spazieren durch die Stadt, bis wir vor dem Morgengrauen in die Koje fallen.

Am nächsten Tag mache ich eine Lerneinheit in Sprache und Kultur. Diesmal war ich dran einen Polizisten zu fragen wo denn ein günstiges Restaurant in der Nähe sei. Gesagt, getan, ich frage ohne Umschweife direkt danach. Der Polizist ist sichtlich verwirrt. Azul muss eingreifen und erklärt mir, dass ich sehr unfreundlich daherkomme. Das war mir gar nicht so bewusst, aber ja, wer spanisch oder englisch spricht, sollte eine Spur freundlicher sein, als auf deutsch. Ein „Entschuldigung, …“ oder „Wissen sie vielleicht …“ oder „Ich bin grad auf der Suche nach …“ oder „Können sie mir kurz helfen …“ oder dergleichen ist immer angebracht.

Fähre

Buenos Aires ist eine nette Gegend um zu verweilen, doch die Zeit drängt und wir brechen erneut auf. Der günstigste Weg nach Uruguay ist der Bus, doch die sind alle ausgebucht und zudem gibt es Konflikte am Grenzübergang zwischen den beiden Ländern wegen einer Zellulosefabrik. Also buchen wir die günstigste Fähre am Tag. Was aber immer noch saftig teuer ist.

Das Fährterminal nimmt sich wie ein Flughafen aus und ich bekomme den Eindruck die gehobene Klasse gebucht zu haben, nur dass es auch Massenabfertigung ist. Die Fähre ist ausgestattet mit zig Reihen von Bussitzen. Zu meiner Enttäuschung führt leider kein Weg raus aufs Deck. Die Sonne ist gerade untergegangen als wir an der Skyline von Buenos Aires vorbeigleiten. Ein letzter Blick zurück bevor die Stadt im diesigen Dunkel verschwindet.


Mrz 18 2019

Fran, Chaco und Erdnuss

Von Karl

Filadelfia

 

Auf dem Weg nach Filadelfia

Gerade habe ich die Grenzkontrolle samt Sonnenaufgang hinter mir gelassen. Der Bus ruckelt nun ins Innere Paraguays vor. Die Grenzkontrolle war außergewöhnlich skeptisch. Jede*r einzelne musste mit ihren*seinen gesamten Gepäck sich einer intensiven Kontrolle unterziehen. In Reihen mussten wir uns aufstellen mit dem Gepäck vor uns.

Die Landschaft ist stark vom Chaco geprägt. Der Chaco ist eine trockene Naturlandschaft die am ehesten einer Savanne ähnelt. Mein erster Eindruck in Paraguays Natur ist die Vielfalt an Schmetterlingen. Sie schwirren am Straßenrand in großen Gruppen umher.

Die unerbittliche Sonne sorgt in dieser Region für die höchsten Temperaturen des Kontinentes und nun ist ja auch noch zu allen Überdruss Sommer. Was aber auch bedeutet, dass es Regenzeit ist und deshalb alles grün spriest. Später werden mir Bilder gezeigt, dass die Landschaft im Winter auch gelb sein kann.

Paraguays einzige Straße quer durch den eigenen Westen zur bolivianischen Grenze wurde irgendwann mal in den 60ern gebaut. Entsprechend ist die Ruta 9 oder Trans-Chaco genannt teils auch eher Sandpiste mit Asphaltinseln, um die der Bus dann bedächtig zirkelt. Der Bus entwickelt sich langsam zum Treibhaus. Hinzu kommt, dass der Bus immer mal hält, weil irgendwas mit dem Bus nicht stimmt und nun auch noch der Motor raucht, der bei diesem Modell noch neben dem Fahrer ist. Sie suchen offensichtlich eine Möglichkeit etwas zu reparieren.

Wir gelangen an einen weiteren Kontrollposten der Polizei und müssen erneut alle aussteigen und unser Gepäck aufreihen. Hinter dem Gepäck stehen wir und warten, dass die Pässe erneut kontrolliert werden. Erst kommt der Drogenhund, der aber nichts findet. Als dann jede*r durchwühlt wurde, warten wir dass der Bus zurückkehrt von der Werkstatt. Hier im nirgendwo lebt ja so gut wie niemand und die nächsten Siedlungen sind ziemlich weit entfernt. Hier sind mehrere Stunden Abstand die Normalität. Nach unzähliger Zeit kommt das altersmüde Monster doch wieder angerollt und es geht weiter. Der Bus wird unzählige weitere Male von der Polizei angehalten und kontrolliert. Nie haben sie was gefunden und wenn ich Drogen-Schmuggler wäre, ich würde nicht den Bus nutzen. Hintergrund ist wohl, dass Paraguay der größte Cannabis-Produzent Südamerikas ist. 90 % kommen von hier. In manchen Ecken lebt die Bevölkerung überwiegend vom Anbau und ist das ärmste und schwächste Glied in der Kette. Reich damit werden andere.

Ich spreche nochmal den Fahrer an, dass ich ja in Filadelfia aussteigen möchte. Anders als noch in Santa Cruz mir versichert wurde, wollen sie doch nicht nach Fildadelfia hineinfahren. Das wäre zu weit abseits der Straße. Kaum verwunderlich aber ärgerlich. An einem Abzweig lässt mich der Bus dann raus. Mitten in der Hitze des Tages. Selten habe ich so stark den Hitzedruck der Sonne gespürt.

Ein paar Jugendliche am Straßenrand meinen dass von hier nichts in die Stadt fährt. Gut, hier an der Kreuzung ist ja auch nicht viel. Ein paar kleine Häuser und Läden. Nun also der Daumen, mein alter Freund und Feind. Etwas über 10 km, vielleicht 15 km, muss ich überwinden. Zu spät bin ich eh schon.

Ich bekomme tatsächlich das ein oder andere Angebot, aber nach Filadelfia rein fährt niemand. Ein Pärchen meint dann, dass es mich zu einer besseren Stelle bringen könne. Der Haupteinfallsstraße nach Filadelfia. Das ist schon mal ziemlich nett.

Schnell wird klar, dass der Mann deutsch spricht und wir kommen ins Gespräch, wenn auch wegen der Kürze der Strecke, auch nicht lange. Er meint, viele sprechen hier deutsch, es gibt viele Mennonit*innen. Einige habe ich schon in Santa Cruz, auf der Straße und im Bus gesehen. Manche tragen noch Klamotten wie vor hundert Jahren, andere nehmen sich ganz modern aus. Mein Fahrer ist doch eher moderner. Seine Frau Venezolanerin.

An der Hauptstraße lässt er mich dann wieder raus und wir wuchten meinen Rucksack von der Ladefläche des Geländewagens. Tatsächlich ist die Straße etwas größer ausgebaut. Keine halbe Stunde später sitze ich in einem ähnlichem Fahrzeug. Mit so viele Gastfreundlichkeit hätte ich ja nicht gerechnet. Es fährt Hans, oder so ähnlich, ein alter weißer Mann, der mir auf fast perfekten Deutsch ungefragt alles mögliche über Filadelfia und die Mennonit*innen erzählt. Er sei der einzige registrierte Fremdenführer und hätte schon dem NDR hier alles gezeigt, als die mal zu Besuch waren. Grund ist, dass die Mennoniten untereinander Plautdietsch sprechen, ein ziemlich schwer zu verstehender Dialekt, der am ehesten mit dem Niederdeutschen verwandt ist. Ich hab mal ein Textbeispiel für euch photographiert. Stammt aus einem kleinen Magazin, welches sie rausgeben.

Filadelfia

Die geographisch Fitten unter euch werden vielleicht etwas stutzig sein über den Namen dieser Stadt. Gewöhnlich kennen wir die Schreibweise „Philadelphia“ und die wohl bekannteste Namensträgerin ist eine Millionenstadt an der Ostküste der USA. Damit aber die spanischsprechende Bevölkerung Paraguays die Stadt „richtig“ ausspricht, wurde der Name eingespanischt.

Filadelfia liegt so ziemlich im Zentrum von Paraguays Westen. Paraguay ist in verschiedener Hinsicht in einen West- und einen Ostteil geteilt dessen Grenze der Rio Paraguay ist, der wohl auch der Namensgeber ist. Die beiden Teile sind in etwa gleich groß, doch lediglich 10% leben in der Westhälfte. So ziemlich alles liegt im Osten. Nur ein paar Mennonit*innen und Indigene besiedeln den Westen, der gemeinhin einfach als Chaco bezeichnet wird. Es soll sogar noch unkontaktierte indigene Gemeinschaften geben.

Filadelfia ist Zentrum der größten mennonitischen Siedlung, welche sich in Kooperativen zusammen schlossen und so ihre Arbeit organisieren. Die Kooperative um die sich Filadelfia entwickelt, nennt sich Fernheim.

Auf den Weg in die Stadt fällt auf, dass es unzählige Monumente gibt, die alle zehn Jahre aufgestellt worden sind, um an die Erstbesiedlung zu erinnern. Paraguay und Bolivien stritten sich damals um den Chaco, vielleicht auch, weil eine Ölfirma Erdöl dort vermutete. Paraguay bot günstig Siedlungsland und die Mennonit*innen, die ursprünglich aus Deutschland nach Russland siedelten, verließen grad Russland aus Angst vor Stalin. So versuchte Paraguay das Land für sich zu vereinnahmen. Kurz darauf kam es zum Chaco-Krieg den Paraguay für sich entscheiden konnte. Später hat Paraguay dann doch kein Öl vorfinden können.

Die Stadt ist im Schachbrett angeordnet mit teilenden Strukturen. Die nördliche Hälfte wird von großen mennonitischen Villen belegt. Der Südwesten von vier verschiedenen indigenen Gruppen, die alle in Comunidades zusammenleben und zum Teil extrem ärmliche Behausungen haben. Die vier Gruppen heißen Enhlet, Avoreo, Nivaclé und Guaraní. Im Südosten der Stadt leben die Paraguayos in einfachen Häusern.

Altenheim

Hans hatte mich ein Block von der zentralen Kreuzung entfernt rausgelassen und so konnte ich zu Fuß mein Ziel erreichen. Die Apotheke im Zentrum. Gut, die Stadt ist nicht allzu groß, sodass Stradtrand und Zentrum keine 5 Minuten bei Auto auseinander liegen. Ich versuche es erstmal mit Warten und entdecke unzählige Plakate und Schilder, die in Deutsch gehalten sind. Äußerst kurios. Die Apotheke macht grad aber Siesta. Eigentlich sollte ich mich mit der Mitbewohnerin von Fran, meinem Gastgeber treffen, aber das war vor drei Stunden. Aus vielerlei Gründen bin ich ziemlich spät dran.

Hinter der Apotheke frage ich im Krankenhaus nach ihr. Sie habe mal in der Apotheke gearbeitet, nun wäre sie aber im Altenheim beschäftigt. Ich habe übrigens noch nie in Südamerika ein Altenheim gesehen. Etwas verwundert, laufe ich einen Block weiter und tatsächlich, da steht Altenheim, sogar in Deutsch, dran.

Es ist schwer dort jemand zu finden, bis ich dann Pfleger*innen im Aufenthaltsraum antreffe. Yenni habe grad keine Schicht. Eine Pflegerin versucht ihre Telephonnummer herauszufinden. Währenddessen betrachte ich verwundert das Dutzend altersschwache*r Rollstuhlfahrer*innen an. Mit spanischen Akzent spricht eine Pflegerin einen alten Mann sehr laut auf deutsch an. Erst versteht er nicht, dann sagt er nur „ja, ja“. Ganz wie in Deutschland, denke ich. Die anderen sind allesamt dem Fernseher zugedreht, wo eine ziemlich klischeegeladene Doku über die Bergwelt Perus läuft. Auch auf deutsch. Total ungewohnt, dass alles verständlich ist, nur die einheimische Bevölkerung bevorzugt mit mir spanisch zu sprechen.

Schlussendlich kann ich dann ein Treffen mit Yenni an der Hauptkreuzung organisieren und auf dem Rücksitz des Rollers geht‘s an den Ortsrand. Mitten auf der grünen Wiese des Nachbarn wurde aus roten Backsteinen ein Häuschen für zwei Personen gebaut. Fran und Yenni sind Mitbewohner*innen und teilen das meiste. Oft sitzen sie gemütlich auf der überdachten Terrasse. Besonders Yenni ist eine Freundin des gemütlichen Lebens. Wir trinken Bier, Rauchen, genießen die Natur. Es ist nun mal auch ein einmaliger Ausblick, denn kaum ein Ort liegt so abgelegen.

Später treffe ich Fran, ein weltoffener und immer freundlicher Mensch. Er zeigt ein sehr hohes Vertrauen und gibt mir den Schlüssel zu seinem Cross-Motorrad. Nach einer kurzen Fahrt gemeinsam.

Sie machen mich auch gleich mit zwei paraguayische Spezialitäten vertraut, die sich ziemlich ähneln. Sie bestehen größtenteils aus Mais, sind herzhaft und sehen aus wie gelber Rührkuchen. Das lustige ist, dass das eine den Namen „Sopa“, zu deutsch „Suppe“, trägt. Paraguay, so meinen sie, ist das einzige Land, dass eine feste, also nicht-flüssige, Suppe auf dem Speiseplan hat. Hauptbestandteil soll Maismehl sein. „Chipawasu“ dagegen wird aus ganzen Mais, Zwiebeln und Käse gemacht. Übrigens auch lecker.

Was besonders für die Region ist, dass es kein Wasserverteilsystem gibt und es auch im Allgemeinen kaum Regenwasser gibt. Deswegen wird jeder Quadratmeter Dachfläche genutzt um Wasser in einer Zisterne zu sammeln. Ab und zu schaltet er die Pumpe an, damit das Wasser in ein Dachbehälter fließt, womit dann geduscht und alles mögliche ganz gewöhnlich gemacht werden kann. In der Trockenzeit wird es wohl manchmal kritisch. Das entsalzte Grundwasser, welches die Mennonit*innen anbieten soll sehr teuer sein.

Erdnuss

Mit Bier und guter Unterhaltung verbringen wir den Abend auf der Terrasse. Mir wird nun erst richtig bewusst wie laut die Natur in meiner Umgebung hier ist. Ein massives Zirpen kommt aus den dichten Gras- und Baumlandschaften in der Nähe und machen auch noch in der Nacht ein extremes Konzert. Wären wir so dem Naturkonzert lauschen, geht der Mond auf. Es ist tatsächlich eines der schönsten Momente, denn der Mond scheint erst ein Feuer am Horizont zu sein, dass mitten in der dunkelsten Nacht ausgebrochen ist und reiht sich dann zwischen die Millionen Sterne ein, die schon den Himmel besprenkeln. Irgendwann muss ich aber auch von den vielen fliegenden Blutsaugern flüchten.

Fran ist Chef der Apotheke und vielleicht auch deswegen gut vernetzt. Er sprach von einer Erdnussfabrik und sofort wurde ich hellhörig. Am nächsten Tag schwinge ich mich wieder aufs Motorrad und fahre dorthin. Eine Mennonitin ist Chefin der Laborabteilung und nimmt mich in Empfang. Sie zeigt mir die verschiedenen Teile der Untersuchungsabteilungen, die zum einen die eigenen Produkte auf Unbedenklichkeit prüfen, als auch mit neuen Ideen experimentieren. Hinzu kommt, dass eine kleine Menge Erdnüsse gesalzen und geröstet in der Umgebung verkauft wird.

Leider ist gerade nicht die Saison, aber sie zeigt mir die Lagerhallen und Abfertigungsanlagen trotzdem. Teils sind sie so groß wie Hochhäuser und es unvorstellbar, dass sie auch schon an ihre Grenzen kamen. Es gab aber auch schon Dürren, wo kaum Erdnüsse zu verkaufen waren.

Die Bäuerinnen und Bauern sind auch Teil der Kooperative Fernheim. Lediglich in großen verpackten Säcken, teils nur noch mit dem Gabelstapler zu bewegen, lagern noch Erdnüsse auf dem Gelände. Lange Zeit waren Erdnussschalen ein Problem gewesen, meinte sie, denn es ist Müll der in großen Mengen anfällt und weggeschafft werden muss. Mittlerweile können sie ihn aber als Tierfutter verkaufen. Ohne Schale können mehr Erdnüsse pro Container verkauft werden. Die Haut von der Erdnuss wird je nach Kunde oder Kundin entfernt. Werden die Erdnüsse später mit Schokolade glasiert, so bleibt die Haut dran, weil die Schokolade daran besser haftet.

Der Absatz von Erdnüssen aus Paraguay ist dabei ziemlich beschwerlich, weil der Ankauf der Produkte meist erst im Hafen in Europa stattfindet. D.h. der Transport bis dahin muss im Preis enthalten sein. Die Erdnüsse aus Filadelfia müssen erst nach Asunción, dann weiter via Fluss oder Straße nach Buenos Aires und dann über’n Atlantik. Die argentinischen Produzent*innen haben jedoch viel größere Produktionsanlagen und haben deutlich geringere Transportkosten. Dies bedeutet für die die paraguayischen Erdnüsse, dass sie den Standortnachteil zusätzlich kompensieren müssen.

Zurück in ihrem Büro erklärt sie mir noch an einer Tafel die Kooperative Fernheim. Zu dieser gehört im Prinzip alles in Filadelfia. Der Supermarkt, das Altenheim, die Apotheke von Fran, das Hotel, das Krankenhaus, die Straßen, das Stromkraftwerk, Grundwasserentsalzungsanlage, und so weiter und so fort. Dabei wird in Wirtschaftsbetriebe und Soziales unterschieden. Was die einen erwirtschaften können die anderen als Wohltätigkeit ausgeben. Sie bietet mir an eine Stadtführung zu geben und wir verabreden uns für später.

Hygiene

Mit Fran besuche ich das Heimatmuseum. Ja, was eine gute deutsche Stadt halt immer braucht, ist eine deutschtümelndes Heimatmuseum. Allerlei Gegenstände aus den Anfängen in Filadelfia beziehungsweise der Flucht aus Russland, die wohl oft über einen deutschen Hafen ging. Empfehlen kann ich da eher das Naturkundemuseum, dass eine fulminante Sammlung der hiesigen Tier- und Pflanzenwelt hat. So gibt es Gürteltiere, Nabelschweine, Hirsche, Tapire, Guanakos, Jaguare, Pumas, Ozelots, Füchse, Wild- und Waldhunde und Wölfe. Aber auch die kleineren Vertreter sind ziemlich groß. Käfer und Mücken von der Größe einer Maus können durch die Luft schwirren.

Der wohl beeindruckenste Baum ist der Florettseidenbaum. Er hat die Form eines übergroßen Tropfens. Unten sehr bauchig und läuft dann auf 10 bis 15 Meter nach oben zusammen.

Da grad Regenzeit ist saugt sich der Baum weiter voll und ist entsprechend dick. In der Trockenzeit soll er nicht mal grün sein, aber zu meiner Zeit ist er es. Auf seinen dicken Bauch hat er Stacheln angebracht. Im Naturkundemuseum bekomme ich ein Stück Stamm in die Hand gedrückt. Im Vergleich zu den harten Hölzern der anderen Bäume, die extrem schwer sind, ist dieser sehr leicht. Ungewöhnlich leicht. An dem Holzscheit sind die Kammern gut zu erkennen in dem er Wasser sammeln kann.

Zu guter Letzt wird mir noch die Missionsarbeit gezeigt, was bis heute durchgeführt wird. Ich dachte, dass wäre irgendwann mal im Mittelalter gewesen, aber tatsächlich versuchen die Mennonit*innen heute noch die Indigenen vom Christentum zu überzeugen und dann zu taufen. Gut ist wer sich bekehren lässt. Noch sind sie dabei für die letzte indigene Sprache die Bibel zu übersetzen. Etwas ungläubig brechen wir an der Stelle ab und Fran und ich verschwinden.

Die gute Frau aus der Erdnussfabrik erwartet mich schon pünktlich vorm Supermarkt, der – so wie er ist – auch gut und gerne in Deutschland hätte stehen können und viele Produkte von dort enthält. Sie erklärt mir, dass die Mitarbeitenden und Mitglieder der Kooperative in allen eigenen Geschäften mittels einer Nummer einkaufen, sodass das Geld direkt von ihren Konto abgezogen wird. Jedes Mal als ich einkaufen war, bekam ich auch einen A5-Zettel mit Rechnungsübersicht.

Wir fahren einmal durch alle Viertel und sie erklärt lose vor sich hin. Dabei sind ihre Erzählungen über die verschiedenen Ethnien angereichert durch ihre rassistische Weltsicht. Sie erklärt mir, welche Gruppen für welche Arbeiten in ihren Fabriken, Feldern oder zu Hause geeignet wären. Das die einen nicht sauber machen könnten und die anderen gut sind um Felder zu vermessen. Als wir dann zu allen Überdruss noch in eine sehr enge Comunidad fahren, die nur aus ein paar Bretterverschlägen besteht möchte ich in dem Sitz versinken. Eigentlich spielten gerade ein paar Kinder Fußball, aber sie wendet mitten auf deren kleinen Platz. Sie dreht mit ihren übergroßen SUV mitten in der Siedlung und erklärt mir, dass „die noch nicht hygienisch“ genug seien.

Unterm Strich möchte auch sie keine Rassistin sein, aber es gab mir schwer zu denken. Sie meinte, dass es auch schon erste Indigene in den Kooperativen gäbe, aber die müssten halt den Aufnahmeprozess bestehen und das heißt im wesentlichen wohl so zu sein wie die Mennonit*innen. Sie hörte nicht auf mir weitere „ethnologische“ Erklärungen zu liefern. Eigentlich stellt sie die Mennonit*innen als die großen Heilsbringer dar. So hätten sie der einen Gruppe einen betonierten Mehrsport-Platz überdacht und mit großen Zisternen zur Wassergewinnung ausgestattet. Doch die Zisternen werden nicht genutzt. Sie seien halt nicht klug genug schon an morgen zu denken, sondern täten alle nur ans heute denken und wären dann überrascht wenn am nächsten Tag nicht genug da ist. An morgen täten halt nur die Mennonit*innen denken.

Schon in der Fabrik sprach sie davon, dass auch Frauen und Indigene beschäftigt werden, aber deren Arbeitsplätze sind schlussendlich wohl nicht gleichzusetzen. Während die einen wie Lebensmittel-Ingenieure in klimatisierten Räumen in aller Seelenruhe Proben nehmen, stehen die anderen an den lauten Maschinen in einem kleinen Raum und kontrollieren die durchlaufenden Erdnüsse.

Schlussendlich seien ihrer Meinung nach wohl viele Indigene auch nach Filadelfia gekommen weil sie sich Arbeit erhoffen. Das sah sie auch als ihre Aufgabe in Zukunft mehr Arbeit zu schaffen. Filadelfia sei im Wachstum begriffen. Leider wäre es dadurch nicht mehr so sicher wie vor ein paar Jahren. Da habe niemand den Autoschlüssel abgezogen oder die Haustür verschlossen. Auch die Stadtverwaltung gäbe es erst sein wenigen Jahren. Vorher war die Stadt komplett von der Kooperative verwaltet. Einige Sachen wollen sie nicht zurück geben, weil sie glauben, das besser machen zu können. Zum Beispiel den Straßenbau.

Wer an dem Kraftwerk vorbei kommt und weiß, dass auf der anderen Seite das paraguayische Kraftwerk steht, wird unweigerlich überlegen ob nicht der NDR nochmal mit Extra3 vorbeikommen sollte. Es gibt im Prinzip alles nochmal in mennonitischer Hand. Bis hin zu einer eigenen Post. Nachdem ich nun weiß, was der paraguayische Staat alles nicht perfekt macht und warum die anderen Gruppen nicht so gut sind, wie die deutschen Mennonit*innen, zeigt sie mir noch die großen Anwesen auf der Nordhälfte. Hier wohnen viel weniger Menschen in viel größeren Häusern. Es sind die Besitzenden und sogar Paraguay-weit dominieren die Mennonit*innen einige Wirtschaftszweige, insbesondere in der Landwirtschaft.

Guaraní

Zurück bei Fran bin ich auch irgendwie froh, nicht bei Mennonit*innen zu wohnen. Sie können mir auch bestätigen, dass viele Mennonit*innen klare rassistische und überlegene Weltbilder haben. Natürlich nicht alle. Fernheim ist vergleichsweise modern. Es gibt andere Kooperativen und die deutlich verschlossener sind und noch gefühlt im Mittelalter leben. Fran meint, dass die Indigenen in vielerlei Hinsicht respektiert und unterstützt werden. In keinem anderen Land Südamerika wurde das mit Anerkennung einer indigenen Sprache als Amtssprache so ernst genommen wie in Paraguay. Nun lernen alle in der Schule auch Guaraní und eine deutliche Mehrheit spricht diese Sprache. Guaraní bezeichnet sowohl eine indigene Gruppe, als auch ihre Sprache, sowie die paraguayische Währung und noch einiges mehr.

Besonders ärmere bevorzugen Guaraní und unterm Strich sprechen die meisten einen Spanisch-Guaraní-Mix. Je gehobener desto mehr Spanisch. Für euch ein paar Wörter in Guaraní:

mba‘eichapa = Hallo! Wie geht‘s?

Porá ha nde? = Gut, und dir?

Jaha = Auf geht’s!

Ja‘u = Lass uns was essen/trinken

„Danke“ lässt sich nur schwer übersetzen, weil es je nach Kontext verschiedene Wörter gibt. Deshalb hat sich da das spanische „Gracias“ durchgesetzt. Tatsächlich konnte ich zuhören wie sich Fran mit seiner Mitbewohnerin in Guaraní unterhielt, obwohl sie beide keine Guaraní-Indigene sind. Hier ein Hörbeispiel, extra für euch aufgenommen.

In den Argentinien-Texten habe ich euch von der Mate-Tradition berichtet. In Paraguay gibt es diese Tradition auch, allerdings mit kalten Wasser, meist sogar mit Eiswürfeln. Diese Variante nennt sich dann Tereré. Ich finde diese auch deutlich leckerer, weil es viel besser zu den heißen Wetter passt. An einem Tag habe ich mehrfach das Thermometer beobachtet und es verharrte bei durchgehend 39 Grad. Da ist es eine Wohltat mit Fran während der Spätschicht in der Apotheke Tereré zu trinken. Die Thermosbehälter sind in Paraguay größer. In manchen Läden können riesige Bottiche gekauft werden, so groß wie ein kleiner Kühlschrank. Das Tereré-Trinken ist auch ein sozialer Aspekt, da gemeinsam getrunken wird und nur dann allein, wenn mensch wirklich ganz allein ist. Eine Person gilt dabei als Ausschencker*in, d.h. zu der geht das Gefäß immer wieder zurück und sie füllt auf.

Auf den Weg zum Bus lies mich Fran sein Auto fahren, denn er genoss es einen Chauffeur zu haben. Da die Wege, bis auf die Hauptstraßen im Zentrum, nur aus Sand bestehen, verwandelten diese sich nach einem heftigen Regenschauer in Schlammpisten. Aber nicht nur das. Nach dem Regenschauer, wenn die Sonne die Wiesen trocknet schwillt das Naturkonzert, das Zirpen, so stark an, dass ich tatsächlich ins innere des Hauses flüchtete. Es ist schwer zu glauben, wenn mensch es nicht erlebt hat. Hier ein Hörbeispiel, für euch aufgenommen.

Nun, auf dem Weg zur Haltestelle, bin ich etwas von der Mitte abgekommen und da es sehr rutschig und zu den Seiten abfällig ist, rutschte sein Auto direkt in den Seitengraben, der sich zu einen Wasserkanal entwickelt hatte. Ich sah vor meinem inneren Auge schon, dass das Auto hinüber ist, doch Fran blieb ziemlich gelassen. Er rief einen Freund an, aber schon der zweite Geländewagen hatte ein Seil dabei und band dies um das Hinterrad. Dann zog er das Auto in der spektakulären Aktion den Graben entlang, während der Geländewagen selbst ausrutschte und zur anderen Seite strebte. An der nächsten Kreuzung hievte er aber Frans Auto aus dem Graben. Der lies es einfach an und wir fuhren weiter. Was für mich ein halber Schock war, scheint für ihn so oder so ähnlich öfters mal vorzukommen.

Ich hab die Tage bei Fran wirklich genießen können. Er hat ein sehr großes Herz und half mir in jeder Hinsicht. Eine echt außergewöhnliche Gastfreundschaft. Umso falscher fühlte es sich wieder an, in den Bus nach Asunción zu steigen. Er hat mir sogar ein zu Hause in meinem nächsten Ort organisiert.


Dez 17 2018

Deine Augen verbunden, deine Hände gefesselt, du wirst gefoltert und niemand weiß wo du bist …

Córdoba, Argentinien

Von Karl

 

Córdoba ist Argentiniens zweitgrößte Stadt und bekannt für ihre Kultur und Universitäten. Auf dem ersten Blick fallen auch die vielen weißen und gut erhaltenen Gebäude auf. Architekt*innen haben sich bestimmt große Mühe gegeben und deshalb wurde die Front einiger Gebäude auch nochmal im Boden nachgezeichnet, wie eine Art Schatten. Vielleicht damit die Leute die den Boden absuchen, auch die historischen Gebäude finden.

Die Universitäten Córdobas sind landesweit bekannt und verleihen der Stadt den Beinamen „La Docta“, also „die Doktorin“. Viele Gelehrte wohnen und leben hier. Nicht nur einmal habe ich gehört, dass Menschen zum studieren nach Argentinien gehen, weil es dort kostenlos sei. Selbst die Verpflegung in der Kantine alias Mensa ist selbst für arme Argentinier*innen noch sehr günstig. Hunderttausende Studierende bevölkern die Millionen-Metropole.

Als lokale Spezialität werden handgemachte Alfajor angepriesen. Die Leser*innen hier sind aber klüger, denn es gibt sie in ganz Chile und Argentinien. In verschiedenen Varianten. Ganz einfach mit Dulce de Leche zwischen zwei Kekshälften, oder teilweise mit mehreren Schichten und Schokoglasur. Mal abgepackt im Supermarkt, dann wieder in feinen Boxen zum Verschenken oder in speziellen Feinkostläden, die die wohl im Hinterzimmer per Hand machen.

Synagoge Córdoba

Als ich in Córdoba ankomme ist es noch frühs und in dem Hostel kann ich mir noch was vom feinen Frühstück nehmen. Was ich allerdings zum ersten Mal in Argentinien gesehen habe ist Kaffee in Tee-Beuteln. Eigentlich gar nicht so doof.

Nicht ganz so überragend wie in Mendoza, aber auch wunderschön sind die Parks der Stadt. Weitläufig, grün, Teiche, Inseln, Liebespaare, hohe Bäume mit viel Schatten, … Auch gäbe es ein hervorragendes Freibad, wenn es nur Wasser hätte. Eine alte Brücke überspannt das lange Becken.

Auf einem Platz im Zentrum steht eine übergroße gelbe Ente. Daneben werden kleine Badeenten verkauft. Dahinter steht eine soziale Initiative die Essen und Kleidung sammelt und verteilt.

Die soziale Ader kommt auch am Mittwoch zum Tragen. Da sind alle Museen und Gedenkstätten kostenlos. Mal eine Gelegenheit sich moderne Kunst anzutun. Leider muss ich kurz mit dem Kopf schütteln, da die vergangene Fußballweltmeisterschaft schon mit Farbe auf Leinwand gebracht worden ist. Ein großer Raum voll mit Spielern die gegen Bälle treten und darunter die Spielergebnisse.

An manchen Stellen in der Stadt, aber auch schon auf den letzten Stationen meiner Reise bin ich der Forderung begegnet: „Respekt, Freiheit und Wahrheit für Santiago Maldonado“. Wie ich nun herausgefunden habe, handelte es sich um einen Aktivisten aus der Provinz Buenos Aires (nicht der Hauptstadt), der sich dem Kampf der Mapuche verschrieben hatte. Genauso wie in Chile, gibt es, vor allem in Patagonien, noch Gebiete die von ihnen bewohnt werden und die sie gegen die Vertreibung verteidigen. Sie fordern weiterhin die Rückgabe ihrer Gebiete und die Autonomie auf diesen. Doch mit der konservativen Regierung unter Mauricio Macri ist keine Verhandlung in Sicht. Santiago Maldonado beteiligte sich an Protesten in Cushamen (Provinz Chubut), währenddessen Straßenblockaden errichtet wurden. Nach der Auflösung dieser war er tagelang vermisst und dann als Wasserleiche geborgen worden. Es ist unklar warum er gestorben ist. Die Protestbewegung wirft der Polizei den Mord vor.

Mich interessiert noch mehr von der aktuellen Politik und nehme die Gedenkstätte „La Perla“ in meinen Tagesplan. Es stellt sich schnell heraus, dass sie außerhalb der Stadt liegt und ich muss den entsprechenden Bus finden. Im neu errichteten Terminal 2 findet sich auch der entsprechende Bus. Er muss nämlich nach Villa Carlos Paz fahren, einen Nachbarort Córdobas, aber in Malagueño, einem Vorort, halten. Als der Bus dann aber nicht abfährt für Malagueño, zeige ich dem Busfahrer nochmal mein Ticket mit dem Zielort „La Perla“. Er fängt an zu schimpfen und lässt mich auf der Autobahn raus. Ich war einer von drei Fahrgästen und hatte ihm ja beim Einstieg mein Ticket gezeigt. Da es mir immer noch vergönnt ist, das „r“ nicht so auszusprechen, wie es die Einheimischen können, versteht mich leider niemand wenn ich „La Perla“ sage. Mehrmals habe ich z.B. beim Ticketkauf „La Perla“ gesagt, aber es wurde nicht verstanden. Erst als ich es als Gedenkstätte erläutert habe die bei Malagueño liegt, meinten sie „La Perla?“. Da denke ich auch: Was zum Teufel habe ich zehn Mal zu dir gesagt?

Tatsächlich liegt Malagueño südlich der Autobahn und La Perla nördlich, sodass ich jetzt nur noch einen Kilometer zu laufen habe. Eigentlich ist das ganze Gebiet Sperrgebiet, aber hier gibt es einen Weg zur Gedenkstätte. Als erstes passiere ich einen heruntergekommenen Checkpoint und kann mir schon vorstellen, wie hier die Militärfahrzeuge in den 70er Jahren an die Schranke ranfuhren, die sich dann öffnete und salutierend den Laster hinterherschauten.

Zur gleichen Zeit kommt ein älterer Mann in das Gelände und wir erscheinen quasi zeitgleich bei der Rezeption. Die ganze restliche Zeit sehe ich keine weitere Person. Das Areal ist eine ehemalige kleine Kaserne mit Tor, Wachtürmen und verschiedenen Hallen. Ich unterhalte mich mit der jungen Frau, die für uns zuständig zu sein scheint. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 sind über 30.000 Menschen verschwunden. Meist Linke oder Menschen denen es unterstellt wurde. Sie wurden tagelang gefoltert und ermordet. Ohne dass es Aufzeichnungen gibt. Deswegen wird die Methode „verschwinden lassen“ genannt. Es war brutaler Staatsterror, der noch aufgearbeitet wird. Die Familien wissen oft bis heute nicht, was mit ihren Angehörigen passiert ist. Ob sie vielleicht ins Exil gegangen sind, Glück hatten und überlebten oder einfach per Flugzeug über dem Atlantik rausgeworfen worden. Das faschistische Regime hat seine Methoden unter anderem von der „Schule der Amerikas“ in Panama, den französischen Doktrin, die entwickelt wurden um die Aufständigen in Algerien niederzuschlagen, und den Erfahrungen der eingewanderten deutschen Nazis im Rahmen des Holocaust.

Ich beginne meinen Rundgang und beginne zu begreifen. Für viele ist die Suche nach ihren Angehörigen schwerlich. Kunstwerke in der ehemaligen Fahrzeughalle zeugen von ihren Willen und Hoffnungen auf Frieden. In anderen Räumen, die als Auswahl oder Folterkammern genutzt wurden, hängen Steckbriefe der Täter. Viele sind unbestraft davon gekommen. Die heutigen Rechten und Sympathisant*innen der Militärdiktatur versuchen immer wieder die Ereignisse zu relativieren. Irgendwie kommt mir das bekannt vor.

die Täter, viele unbestraft

Gezeigt wird auch der Kampf der „Mütter vom Platz des Mais“. Der Platz des Mais oder Mai-Platz ist der zentrale Platz in Buenos Aires und noch während der Diktatur begannen sie für Aufklärung zu demonstrieren. Sie trugen alle weiße Kopftücher und dieses wurde zum Symbol. Noch heute gibt es in allen Städten weiße Kopftuch-Graffiti auf den Gehwegen. Noch heute wird demonstriert. Da auch einige schwangere Frauen verschwunden sind, gibt es nun auch die Bewegung der „Großmütter vom Platz des Mais“, die wissen wollen wo ihre Enkel*innen abgeblieben sind. Die Militärs sollen die Neugeborenen an regimetreue Familien abgegeben haben. So mancher Mensch in Argentinien, der vielleicht 50 Jahre alt ist, ist womöglich kein Kind seiner Eltern. Bei Vermutungen können kostenlos Tests gemacht werden.

In La Perla ist auch der Raum zu besichtigen in denen die Gefangenen eingesperrt waren. Wie in alten Kasernen-Zeiten waren Doppel-Stock-Metall-Betten in unzähligen Reihen aufgestellt. Die Demütigung ging bis zum Stuhlgang und Duschen. Mit grausamer Freude wurden die Gefangenen gefoltert und entwürdigt. Berühmtestes deutsches Opfer ist Elisabeth Käsemann, die nach mehreren Tagen Folter getötet wurde. Unter anderem wegen ihr gab es dann auch Gerichtsverfahren in Deutschland, aber Argentinien hat die Täter nicht ausgeliefert.

Das Museum stellt die Ereignisse auch mit dem „Plan Condor“ der USA in Verbindung. Dabei handelt es sich um direkte Unterstützung und Intervention der USA in Lateinamerika von anti-kommunistischen Regierungen, Parteien, Milizen, Bewegungen, etc. Sie behaupteten, wenn ein Land sich dem Ostblock anschließen würde, dann fallen alle anderen Länder wie im Domino (Domino-Theorie). Deswegen wurde mit aller Macht versucht dies in allen Ländern Amerikas zu verhindern. Somit war die USA auch Freund des argentinischen faschistischen Militärregimes.

Besonders einprägend im Museum war ein Buch mit Zeichnungen eines ehemaligen Häftlings. Es sind Menschen zu sehen die mit verbundenen Augen auf dem Boden liegen. Wächter die mit Schlagstöcken unterwegs sind. Brutale Foltermethoden. Foltermethoden Made in Europe.

Ich bin schwer beeindruckt und noch in Gedanken versunken, als ich die Autobahn zu Fuß überquere um in Malagueño einen Bus zurück nach Córdoba zu finden.

Dort angekommen sehe ich in einer Nebenstraße des Hauptplatzes, dass hunderte Bilder aufgehängt worden sind. Bilder von Angehörigen, die vermisst werden. Quer über den Weg, von einer zu anderen Seite. Es hat Argentinien noch lange nicht losgelassen. Ein bisschen ist Argentinien Gefangene der eigenen Geschichte. Immer noch halten einige die Augen geschlossen, sind unfähig etwas zu unternehmen, viele tragen das tiefe Leid in sich und wissen nicht wo sie suchen sollen.


Dez 13 2018

Wie es in der Pampa ist …

Von Karl

 

Es ist schon spät Abend als ich in Santa Rosa aus dem Bus klettere. Es scheint einer von den berühmten Langstrecken-Bussen gewesen zu sein, die das ewig lange Land von Nord nach Süd durchfahren. Es soll Verbindungen mit über 50 Stunden Fahrtdauer geben. Die Stunden im Bus gaben mir die Möglichkeit das platte Land zu bestaunen. Nach den Monaten in den Anden ist es umso interessanter, dass es hier keine Hügel gibt und nur Landwirtschaft, Sträucher-Meere und der Horizont. Irgendwie erinnert Patagonien ans Meer. Der Blick geht endlos, der Wind ist streng und kühl.

Lucas holt mich ab, so freundlich ist er. Auch wenn er den Tag mit einen ernsten Gesicht durchlebt, lässt er sich schnell zu einem Lachen motivieren. Er ist wohl ein Grübler, der sich sicher sein möchte in dem was macht. Darin finde ich mich wieder und zusammen mit seinem aufgeschlossenen Freund kommen wir schnell ins Gespräch. Ein Sofa wird mein zu Hause und der Vorbenutzer ist noch da. Erst Mitternacht bringen wir ihn zum Bus nach Buenos Aires, oder einfach BA genannt.

Gründungs-Hacienda von Santa Rosa

Lucas klärt mich auf, was es in Santa Rosa zu sehen gibt und das ist tatsächlich überschaubar und wenig spektakulär. Er fragt nach meiner Motivation hierher zu kommen. und da trifft er ins schwarze. Santa Rosa ist die Hauptstadt der Provinz Pampa und ich wollte schon immer mal in der Pampa sein. Der Redewendung „Ich bin in der Pampa“ folgend, wollte ich rausfinden, wie es dort ist. Übrigens gibt es die Redewendung auch in Argentinien. Santa Rosa ist auch eine der kleinsten Provinzhauptstädte des Landes und viele weitere Städte gibt es nicht in der Provinz. Es gibt noch sogenannte Mennoniten-Siedlungen im Nirgendwo (also in der Pampa). Das sind Bauernhof-Ansammlungen, die in sich geschlossen sind und deren Bewohner*innen eine Art Deutsch sprechen. Sie sind eine christliche Gruppe mit sehr mittelalterlichen Methoden. So wird so gut wie keine Technik eingesetzt, sodass mit Pferdekarren gearbeitet wird. Die Frauen dürfen die Gehöfte nicht verlassen. Besorgen sich die Jugendlichen ein Handy werden sie vom Hof geschmissen. Geheiratet wird innerhalb der Sippe. Sie sind wohl irgendwann mal aus Deutschland ausgewandert.

Im Ausgehenden 19. Jahrhundert fuhr das junge Argentinien die Wüstenkampagne. Dabei ging es um die Besiedlung Pampas und Patagoniens, weg von der Primatstadt Buenos Aires. Die Regionen waren größtenteils von Indigenen bewohnt, die gewaltsam vertrieben worden. Besonders General Roca tat sich als Kriegsminister hervor und gilt als Anführer des Genozids an der einheimischen Bevölkerung. Dem zu Grunde lag eine zutiefst rassistische Ideologie von der Höherwertigkeit der europastämmigen Bevölkerung. Erst später kam starke Kritik auf, dessen Wortführer der Menschenrechtsaktivist Osvaldo Bayer sein soll. Er dokumentierte die Geschehnisse Anfang des 20. Jahrhunderts, da die gewaltsame Unterdrückung und Verfolgung weiterging. Heute gibt es kaum noch Indigene in Argentinien.

Das ganze Regal voll mit Yerba Mate

Die Innenstadt von Santa Rosa ist wenig spektakulär. Es gibt einen größeren gestalteten Platz, daneben die typischen im Kolonialstil gehaltenen Verwaltungsgebäude und eine moderne Kirche. Wir unternehmen auch einen kleinen Ausflug um den stadtnahen See, der allerdings nicht zum Schwimmen geeignet ist, da er die ganze Zeit einfach in der Sonne steht. Er wurde angelegt, weil bei Regen eh das ganze Wasser dort hin fließt und stehen bleibt. Bei einer flachen Ebene breitet sich das natürlich aus und so ist der künstliche See ziemlich groß.

Dahinter befindet sich eine Hacienda, eine Landgut von dem aus die Länderein bestellt werden und die höherklassigen im 19. Jahrhundert gelebt haben. Es wurde sauber und äußerst ordentlich rekonstruiert und mit allen informativen Schnickschnack ausgestattet. Nun ist meine Neugier schwer klein zu kriegen, aber soweit reicht sie dann doch nicht, dass ich mich für jedes Detail der Stadtgeschichte Santa Rosas interessiere. Doch das bekomme ich fünfzehn Minuten ungefragt frei Haus. Der Angestellte ist offensichtlich froh, dass sich mal ein Tourist hierher verirrt und versucht sich in Englisch. Lucas muss aber ab und zu einspringen, beim übersetzen. Ich gönne dem jungen Mann den Erfolg und höre zu und stelle Fragen. Viel behalte ich aber danach nicht.

Lucas vor seinem Handyladen

Tags drauf komme ich mit auf Lucas‘ Arbeit. Ein Handyladen in der Innenstadt ist sein Domizil. Frühs macht ihn wie gewohnt die Mutter auf und Nachmittags ist Siesta. Sodass er um fünf erneut öffnet. Aber Öffnungszeiten sind eh was fürs Papier und so erlebe ich die Tage bei Lucas, dass er das nicht so genau nimmt und auch wenn sich jemand beschwert, dann soll er oder sie halt später kommen, wenn er da ist.

während der Arbeit (-;

Er hat wohl durch seinen Laden gute Kontakte in der Stadt, was ich bei einem abendlichen Bierbarbesuch mitbekomme. Im Hinterzimmer ist befindet sich die Welt eines Bastlers. Alle möglichen Handyteile und Werkzeuge stehen herum. Sein Freund, Er und ich nutzen die Freiläufe und trinken Bier in seiner Werkzeugsstube. Ja das Leben nimmt er leicht und ich bring die leere Flasche zurück um eine neue zu holen. Tatsächlich gibt es eine Art Pfand-System in Argentinien. Wenn ich eine leere Flasche abgebe, bekomme ich eine volle günstiger. So vergeht dann auch meine letzter Nachmittag in der Pampa, im Hinterzimmer des besten Handyladens der Pampa.

Jenga ist typisches Bar-Spiel

Am späten Abend hau ich dann wieder ab. Über Nacht geht‘s weiter, wie so oft (-;


Dez 3 2018

Eine Reise in sechs Akten

Von Karl

 

So manche*r wird staunen und neunmalklug behaupten: Ein Theaterstück hat doch nur 3, 4 oder 5 Akte. Tjaaa, dann lest das folgende Stück. Vorhang auf:

Akt 1: Castro → Quellón

Kurz nach meiner Rückkehr in Castro bekomme ich eine Rückmeldung für meine nächste Unterkunft. Es soll nach Esquel in Argentinien gehen. Das ist nicht so weit, denke ich.

Ich war tags zuvor bei der Fährgesellschaft Naviera Austral und habe meine Überfahrt von der Insel Chiloé zurück auf das Festland geplant. So habe ich erfahren, dass meine angestrebte Überfahrt von Quellón nach Chaitén nur an zwei Tagen in der Woche möglich ist. Einmal legt das Schiff am Donnerstag um 3 Uhr in der Nacht ab und das andere mal am Sonntag um 18:30 Uhr. Beides ist doof, weil kein Bus von Castro in der Nacht nach Quellón fährt und wenn ich 18:30 abfahre, dann bin ich Mitternacht in Chaitén. In dem Dorf fährt zu der Zeit dann sicherlich kein Bus. Die Überfahrt dauert vier bis fünf Stunden.

Von Castro aus gibt es zur Zeit keine Fähre. Ich war schon in Puerto Montt in dem Büro von Naviera Austral und habe zudem den Eindruck bekommen, dass sich die Pläne hier wohl regelmäßig ändern. Das bestätigen auch die Hosts und schimpfen auf die sich ständig ändernden Pläne. Es werden auch längere Fähr-Strecken angeboten, die bis in den äußersten Süden Chiles reichen. In Castro bin ich gefühlt der erste der überhaupt ein Ticket gekauft hat. Vielleicht stellt mir die Fährgesellschaft auch einfach ein Ruderboot hin und sagt, mache selbst. Die Einheimischen nehmen den Bus über Puerto Montt, der dann in Hornopirén auf die Fähre fährt. Die Strecke soll landschaftlich sehr reizvoll sein. Manche nehmen auch kleine Flugzeuge, die aber oft wegen dem Wetter ausfallen oder starke Verspätung haben.

Ich habe mich für die nächste Fähre entschieden, die überhaupt abfährt und das ist schon diese Nacht um 3 Uhr. Der letzte Bus fährt um 21 Uhr ab, sodass ich diesen dann auch nehme. Die Dunkelheit bricht über Castro ein, als sich der Reisebus auf der Straße nach Quellón herauswindet. Gut eineinhalb Stunden ist dieser unterwegs und direkt beim Busterminal ist auch schon der Anleger. Spärlich ist die Stadt erleuchtet und der kalte Seewind dringt in die Klamotten. Ein völlig Betrunkener torkelt an mir vorbei und vervollständigt, ohne es zu wollen, das Bild einer heruntergekommen Hafenstadt. Sicherlich gibt es um die Ecke die düstere Kneipe wo bärtige alte Männer literweise Bier trinken und so laut und tief lachen, dass die Holztische beben.

Es steht eine Fähre bereit und es ist mächtig Betrieb. LKWs rollen hin und her und einige stehen mit Sack und Pack am Anleger. Als diese dann auf den Kai gelassen werden, frag ich nach, aber diese Fähre ist noch nicht meine. Mir wird ein Aufenthaltsraum in einiger Entfernung empfohlen.

Tatsächlich, Naviera Austral hat ein eigenes großes Büro mit großem Aufenthaltsraum, der mit einem Ofen gut geheizt ist und es läuft mal wieder eine ins Spanische übersetzte Schnulzen-Serie, Made in Türkei. Ich hab zwar noch nie darüber geschrieben, aber tatsächlich habe ich schon wartend viele Folgen dieser türkischen Serie gesehen. Es ist die typische Abendberieselung die ihr auch aus dem deutschen Fernsehprogramm kennt. Beziehungsdramen halt.

Das Warten ist ansonsten wenig spektakulär und ich schlaf auch ein wenig.

Akt 2: Quellón → Chaitén

Eine gute Stunde vor Abfahrt kommt Unruhe unter die Wartenden und wir machen uns nach und nach auf den Weg zum Anleger. Gut hundert Meter einsamer Beton, dann geht die Rampe nach unten und der Ausleger der Fähre beginnt. Das kalte nasse Seewetter erfüllt meine Lunge mit Glück. Ja, Seefahrtsromantik kommt wieder auf. Nicht alle mögen‘s verstehen, aber jedes Mal wenn ich ein Boot betrete, ja, dann werd‘ ich zum Dichter.

Es wartet eine Fähre, die der von der frühen Nacht gleicht. Zum Glück kein Ruderboot. Die RoRo-Fähre ist ziemlich klein im Vergleich zu denen die in Calais, Dover, Travemünde oder Warnemünde abfahren, aber doch um einiges größer als die Auto-Fähren auf den Priwall oder die zwischen Kleinzschachwitz und Pillnitz. Zwei Dutzend Fährzeuge können über die Heckluke auf das einzige Deck mit drei Spuren fahren und nach dem Anlegen über die Bugluke geradewegs abfahren.

Über Außentreppen geht es in das Passagierdeck, was aus hunderten Busstühlen und einer Cafeteria besteht. Eigentlich haben sich fast alle immer drei Sitze nebeneinander geschnappt und hingelegt. Dem Beispiel folgend und der Tatsache geschuldet, dass in der Dunkelheit nix zu sehen ist, leg ich mich auch hin, mach mir den Wecker an, damit ich ja die Einfahrt und den Sonnenaufgang nicht verpasse.

Wie beschreib‘ ich den Sonnenaufgang nur richtig … Sagen wir mal so: Es war ein Qualitäts-Sonnenaufgang der von der Stiftung Warentest die Note Sehr Gut (1,0) bekommt. Ohne Witz, es ist unvorstellbar. Aus dem spiegelglatten Meer ragen die Anden gen Himmel, die bis in winterliche Höhen vorstoßen. Die Sonne geht hinter diesen auf und wirft orange Strahlen durch die Spalten und schafft harte Rahmen um die Gipfelkette. und nun noch alles in 3D, weil manche Berge weiter vorne stehen im Vergleich zu anderen. Der Himmel ist klar und die seltenen Wolken spielen mit den Bergen. Manche Wolke ergänzt den Berg und lässt ihn wachsen und andere spiegeln das orange auf ihren weiß-grauen Bauch. Das noch nachtschwarze Wasser hat eine goldene Schicht bekommen, die auf ihr schimmert, als wenn der goldene Morgen an der Oberfläche kondensiert wäre und nun wie Öl darauf schwimmt. Hach, einfach schön …

Nicht lange nach dem Sonnenaufgang fährt die Fähre wieder in den Schatten der Berge und erreicht den Anleger von Chaitén. Dieser liegt keinen Kilometer vom Ortseingang entfernt. Das Festmachen scheint nicht so einfach zu sein, weil es keinen klassischen Kai gibt und die Poller sind irgendwo in den Felsen verankert. Nun sehe ich auch, dass wirklich nur eine handvoll Fahrzeuge an Bord sind. Es sind ausschließlich Reisende, d.h. Bullis, Geländewagen oder Reisebusse. Die gut Fünfzig Passagiere verteilen sich darin oder wandern an Land.

Anlegemanöver in Chaitén

Dort wartet ein Bus, doch irgendwie scheint es mir nicht gerechtfertigt für einen knappen Kilometer Geld auszugeben. All die Rucksackreisenden nehmen aber den Bus und kommen nur kurz vor mir im Ort an. Wo sie aber verbleiben, ist mir ein großes Rätsel. Sie tauchen nicht wieder auf. Noch später frag ich mich, was sie eigentlich vor hatten und wie sie das bewerkstelligt haben.

Akt 3: Chaitén → Villa Santa Lucía

An dem Busbahnhof oder besser gesagt Reisebüro-Häuschen angekommen warten schon schon ein älteres Pärchen und ein junger Rentner. Das Paar will auch nach Argentinien und der alte Mann in den nahen Nationalpark. Der Mini-Busbahnhof wird nebenan gerade gebaut.

Wir warten, denn das Häuschen ist noch geschlossen. Der Mann fragt die Arbeiter nebenan und offensichtlich macht der Betreiber auf, wie er lustig ist. Öffnungszeiten sind ja eh relativ. Doch mein Mit-Wartender findet zwei weitere Einheimische die durch Anruf den Verantwortlichen wecken und nach eine guten halben Stunde kommt ein Mann mit grauen und wuscheligen Haaren und breiten Grinsen angeradelt.

Wir werden freundlich eingeladen und all unsere Fragen beantwortet. Ich habe Glück. Zwei Mal die Woche fährt ein Bus nach Futaleufú, der nächste und letzte Ort vor der Grenze, und heute ist so ein Tag. Um 12 Uhr von der Tankstelle geht es los. Angesichts der Entfernung ist mir das aber zu spät. Ich muss ja noch viel weiter, von Futaleufú aus. Ich hab mit mehr Verkehr gerechnet. Schlimmer aber: Von Futaleufú fährt heute vermutlich kein Bus mehr nach Esquel. Er ist sich nicht hundert Prozent sicher, aber er meint, heute nicht. Ich hab keine Wahl. Ich muss bis zum Abend ankommen.

Nun also die Notfalllösung, aber auch irgendwie das, was ich schon länger mal ausprobieren wollte: Con Dedo? Mit Daumen?

Ja, meint er, das geht bestimmt. Einfach am Ortsausgang, beim Friedhof, da ist ein super Ort zum Trampen. Chaitén ist ja ziemlich klein und ich treff‘ den jungen Rentner wieder. Ein, zwei, drei, maximal vier Fahrzeuge würde ich warten. Das ist ganz normal hier. Viele würden Trampen.

Das motiviert. Natürlich ist es nicht mein erster Tag hier, um zu wissen, dass ich nicht nur vier Autos warten werde. Naja.

Chaitén ist übrigens deswegen so klein, weil erst 2008 der gleichnamige Vulkan ausbrach und große Teile des Dorfes zerstörte. Der Vulkan wurde vorher als erloschen eingestuft und brach völlig überraschend aus. Die Einwohner*innen wollten aber ihr Dorf nicht aufgeben und mittlerweile wohnen wieder mehrere tausend Menschen dort.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, … naja ich hab aufgehört zu zählen. Autos kommen und gehen. Nur anhalten tut keines. Beruhigend, dass ja irgendwann der Bus kommt. Viele Fahrer*innen machen irgendwelche Handzeichen, die ich so deute, dass sie nicht Chaitén verlassen, sondern vorher abfahren. Es gibt zwar nur noch eine Ausfahrt, aber es scheinen sehr viele zu sein, die dahin müssen. Vermutlich. Es vergeht auch die erste Stunde, ohne dass etwas passiert. An meiner Stelle kann es ja nicht liegen, denn die ist perfekt. Ich bin gut von weiten zu sehen und anhalten können die Autos auch problemlos hier.

Hier warte ich mit dem Daumen, Ortsausgang Chaitén

Die Sonne bruzzelt und ich versuche die Langeweile mit Musik oder Essen totzuschlagen. Das Trampen wird zur Lethargie. Ich versuch freundlich drein zu schauen, aber das Daumen hochhalten passiert rein mechanisch. Als dann doch ein schwarzer Geländewagen neben mir hält, wach ich auf. Tatsache! Er kann mich ein Stück mitnehmen. Wie schön ist das!

Wir steigen direkt ein und können uns über einiges unterhalten. Besonders das Leben in dieser Einöde interessiert mich. Hier leben auf zig Kilometern nur noch ganz wenig Menschen. Die Infrastruktur ist minimal. Er selbst wohnt in einer Häuseransammlung (Dorf wäre übertrieben), die nur über ein Boot von einem Dorf auf der anderen Seite der Flussmündung erreichbar ist. Seine Kinder lehrt er zu Hause. Einmal, weil es ein längerer Schulweg wäre, aber auch weil er kaum was auf das chilenische Bildungssystem hält. Zu schlecht seien die Lehrer*innen und er könne das besser. Seine Kinder würden bei den Prüfungen gut abschneiden, besonders in Meeresbiologie. Gut, sein Job ist Meereskonservation, d.h. er belegt was alles in den nahen Gewässern lebt und wie es sich verändert. Auch er benennt das Problem der industriellen Lachs-Zucht mit den roten Algen. Er zeigt mir ein Buch mit großen Farbphotos von krassen Unterwassertieren und -pflanzen.

Irgendwann stoppt er dann und packt eine Drohne aus. Vor wenigen Monaten ist an dieser Stelle ein Teil eines nahen Berges abgerutscht. Eine Bodenverflüssigung. Eine Gerölllawine, von unvorstellbaren Ausmaß, ging des Nachts den Berg ab und folgte den Flussbett. Hektarweise wurde Wald links und rechts einfach umgeholzt und die Straße begraben. Stahlbeton und uralte Bäume sind wie Zahnstocher gebrochen.

Vom Berg hinten rechts fehlt die Hälfte und alles zwischen den Bäumen links, rechts und am Hang war vormals Wald

Noch Kilometer weiter unten hat die Gerölllawine Wald begraben und auch die Ortschaft Villa Santa Lucía zur Hälfte. Da sie mitten in der Nacht kam, waren alle zu Hause und haben geschlafen. Viele sind in ihren Häusern gestorben. Die Holzhäuser sind einfach weggespült worden und als wir in den Ort kommen, sind noch völlig deformierte Häuser gut zu erkennen. Auch wenn die Straße schon erneuert ist und schweres Gerät am Aufräumen ist, wird es wohl noch dauern bis alles wieder beim alten ist.

Villa Santa Lucía, links die Häuser stehen noch, rechts wurde alles begraben, in der Mitte ist ein stark deformiertes, der Weg wurde mittlerweile wieder angelegt

Villa Santa Lucía ist auch der Ort mit dem Abzweig. Ich muss zur Grenze, aber meine Mitfahrgelegenheit weiter nach Süden. Wir verabschieden uns und ich suche den neuen gewalzten Weg nach Futaleufú. Am Ortsausgang schmeiß ich meinen Rucksack hin und das Warten beginnt auf‘s Neue.

Akt 4: Villa Santa Lucía → Futaleufú

Motiviert von dem Erfolg ein Drittel schon getrampt zu sein und der Sicherheit, dass irgendwann der Bus kommt, warte ich auf weitere Fahrzeuge die mich gegebenenfalls zum Ziel bringen. Anders als meiner erster Wartestelle ist hier auch deutlich weniger los. Es kommen so gut wie keine Autos, auch wenn es die einzige Straße nach Futaleufú ist. Doch vielleicht nimmt mich dann erst recht jemand mit.

Die Umgebung hilft aber über die Einsamkeit. Hohe schneebedeckte Gipfel, weite grüne Wälder und ein kleiner Bach umgeben mich. Doch kommt mal ein Fahrzeug angerauscht, so bleibt nur der Staub in der Luft stehen. Gleichzeitig brennt die Sonne auf mich runter. Es ist mittlerweile Mittag geworden. Mein Fahrer von eben war optimistischer mit meinem Plan. Vielleicht fährt ein Bus und wenn nicht, dann ist es nicht weit zur Grenze und dahinter fährt bestimmt etwas.

Nach einer halben Stunde fange ich an eine Statistik zu führen. An die schon gekommenen Fahrzeuge kann ich mich noch gut erinnern und Steine gibt es hier ja genug. Auf der Absperrung zur alten Straße, die vom Geröll zerstört wurde, lege ich die Steine ab.

Doch es vergehen die Stunden und das einzige was mich ab und zu besucht, ist eine neue Staubwolke, aufgeworfen von Fahrzeugen. Als nach zwei Stunden zehn Steine nach links und fünf Steine nach rechts liegen, kommt der Bus aus Chaitén. Nur gut, dass ich diese Notfalllösung habe. Das Zehn-zu-Fünf-Ergebnis ist aber auch ein wissenschaftlicher Beleg für Murphys Gesetz. Kurz gesagt, das dümmste Ergebnis tritt meist ein. Da zehn Fahrzeuge in die falsche Richtung gefahren sind, also diese in die ich nicht möchte, aber nur fünf in die meinige, sehe das Gesetzt für belegt an.

Ich finde noch einen Platz in dem Bus und offensichtlich hat der Busfahrer hier nicht mit mir gerechnet. Mir egal. In dem wohlig-warmen Treibhaus fallen mir direkt die Augen zu.

Über eine Stunde ruckelt der ältere Bus durch die Berge und lässt uns dann in Futaleufú raus. Einem kleinen Touri-Ort. Wieder ein Ort der für sich wunderschön ist. Flache ruhige Häuser in einer atemberaubenden Landschaft. Völlig unberührt. Traumhaft. Mittlerweile habe ich aber schon 50% meine Motivation eingebüßt und will einfach nur weiter.

Futaleufú

Akt 5: Futaleufú → KM 15

Der Busfahrer weiß nix zu weiteren Bussen, aber sein Kumpel meint, einen zu kennen. An dem von ihm angegebenen Ort finde ich die besagte Firma nicht, geschweige denn überhaupt irgend eine Art Transportmöglichkeit. Dafür aber die Touri-Info. Sichtlich erfreut über meinen Erscheinen erklärt mir die junge Frau auf feinsten Englisch was sie weiß: Morgen früh.

Ja, es gibt Busse, zwei Mal die Woche (das scheint hier der Takt zu sein mit dem die Leute leben). Aber halt erst morgen früh. Ich habe aber kein Internet und auch keine andere Möglichkeit meiner Couchsurferin Bescheid zu geben und entscheide mich das Glück weiter herauszufordern. Ich muss heute noch in Esquel bei ihr ankommen. Das habe ich vor über 24 Stunden ihr so mitgeteilt.

Also wieder: Auf zur Ausfallstraße Richtung Grenze. Die Karte sagt 10,6 Kilometer bis zum argentinischen Grenzposten. Ich ruf mir den netten Fahrer in Erinnerung und entscheide mich mit dem Laufen zu beginnen. Gleichzeitig strecke ich aber auch jeden den Daumen hin, der in meiner Richtung an mir vorbei fährt.

Gleichzeitig ändert sich die Landschaft regelmäßig. Andere Gebirgszüge kommen und gehen. Mal komme ich nah an einen schnellen und breiteren Fluss. Dann wieder eine Wiese mit Tieren. Autos kommen und gehen. Sie machen immer irgendwelche Zeichen. Vermutlich, dass sie nicht zur Grenze fahren. Was sie offensichtlich nicht wissen: Ich wäre auch einverstanden, wenn sie mich nur einen Kilometer fahren. Einfach nur etwas. Aber keine*r erbarmt sich.

irgendwo zwischen Futaleufú und Grenze, in Richtung Grenze photographiert

Von Kilometer zu Kilometer wird der Rucksack schwerer. Ich bin schon so verschwitzt, dass ich mich selbst riechen kann. und das kommt nicht mal eben. Immer schwerer und immer mehr Zweifel. Es ist zum Verzweifeln, aber es hält wirklich niemand. Ich verfluche all die Menschen die mir in den letzten Tagen erzählt haben, wie einfach doch trampen ist. All die Menschen die es ach so einfach und toll finden. Ich kann mich hier mit niemanden austauschen, der mich liebevoll weiter bringt. Ich kann mir die Natur anschauen und mit dem viel zu schweren Rucksack mich unterhalten. Doch der antwortet nicht. Ich fang‘ an jede*n zu belegen, die oder der mich einfach stehen lässt.

Kilometer um Kilometer schleppe ich mich weiter und so langsam tun mir die Füße weh. Das bin ich nun nicht gewohnt. Es ist nicht zu vergleichen mit der Wanderung nach Aguas Caliente, dem Machu Picchu Dorf. Es ist auch eine andere Herausforderung als die tagelange Urwald-Tour von Georgetown über Lethem nach Boa Vista. Warum mach ich diese Reise eigentlich. Immer mehr Zweifel kommen auf. In meinem schönen zu Hause in Deutschland könnte ich die Füße hochlegen. Doch hier mache ich diese aberwitzige Wanderung im Nirgendwo. Immer weniger Fahrzeuge passieren mich, dafür gibt es immer mal wieder Anstiege, die es nicht einfacher machen. Pause will ich nicht mehr machen, weil ich Angst habe, dann ganz die Motivation zu verlieren. Also weiter. Und weiter.

Als ich die Hälfte geschafft ist, kommt die aberwitzige Motivation, doch bald an der Grenze zu sein. und ja, nach Stunden der Qual erreiche ich die Grenze. Endlich mal den Rucksack absetzen. Ein sauberes Klo. Frisches Trinkwasser. Ein Wunder ist geschehen. Der Grenzbeamte mustert mich neugierig, sagt aber nicht viel. Ziemlich entspannt akzeptiert er meine Ausreise und weiter geht‘s. Ich treffe andere Reisende, die zweieinhalb Stunden in die Gegenrichtung getrampt haben, aber fündig geworden sind. Herzlichen Glückwunsch.

Ich wandere weiter und bald endet die geteerte Straße. Schotterweg beginnt. Das hat noch gefehlt. Darauf lässt es sich noch blöder laufen. Das erste Zeichen was mir Argentinien schickt, ist ein Schild mit den Umrissen der Falkland-Inseln beziehungsweisen Islas Malvinas wie sie hier heißen. Darüber der Spruch „Für immer argentinisch“. Die haben Humor denke ich. Dunkel entsinne ich mich, dass sie den Krieg um die Inseln gegen Großbritannien verloren haben und dass die Bevölkerung in einer Abstimmung für den Verbleib beim Vereinigten Königreich gestimmt hat. Doch das belastet mich nicht.

Nächstes Schild: Blau-wei-blau, Willkommen in Argentinien. Das Handy bestätigt es auch nochmal. Wenigstens das habe ich geschafft. Es folgt eine Schranke und nebenan ein Holzhaus. Drei Grenzbeamt*innen erwarten mich. Etwas umständlich, aber dann doch erfolgreich schaffe ich die Einreise. Wir unterhalten uns noch nett, auch wenn es mir schwer fällt sie gut zu verstehen. Ich versuche meine Situation klar zu machen und will wissen ob es Busse gibt.

Sie gucken mich an als wenn ich nach Ufos gefragt hätte. Nee, heute nicht. Morgen früh kommt der Bus aus Futaleufú. Mhh, danke, nee, ich muss heute ankommen. Ob sie mir helfen können ein Taxi zu rufen. Nee, geht nicht, hier gibt es kein Signal. Aber ob ich die Toten Hosen kennen. Die spielen Mitte November in Buenos Aires. Ja, gute Musik, sag ich, und verlasse niedergeschlagen ihre Holzhütte.

Was nun? Ich laufe einfach. Jetzt habe ich kein Ziel mehr. Esquel ist 24h zu Fuß von hier entfernt. Es muss motorisiert weiter gehen. Der eine Grenzbeamte meinte, in der nächsten Ortschaft, Los Cipreses genannt, elf Kilometer entfernt, könnte ich es versuchen. Aber er wüsste sonst nix. Ich laufe einfach, weil es mir an anderen Möglichkeiten fehlt. Einfach immer weiter. 18 Uhr ist lange durch und ich sehe schon die Sonne hinter den Bergketten verschwinden. Auf dem Schiff war ich noch fit, aber die letzten Stunden haben mich fertig gemacht.

Was, wenn ich hier jetzt campen muss. Mitten im Nirgendwo. Gut, es sieht sehr schön aus, ein breiter Fluss, vielfältige Bäume und die sich ändernde und wunderschöne Kulisse aus weißen Gipfeln. Ich bekomme es mit der Angst, denn einfach nur den Schlafsack am Straßenrand ausrollen, das ist kein schöner Gedanke. Es wird sicherlich kalt und wer weiß welche Tiere hier leben. Es ist ja schließlich so gut wie im Nationalpark. Dieser beginnt gleich am anderen Ufer des Flusses.

ersten Meter in Argentinien

Die Anzahl der Autos, die mich passieren, ist gefühlt im Minus-Bereich. Aber es kommen welche. Das erste kommt – und geht. Ich denke, dass, wenn die Grenzbeamtin und die beiden Beamten Feierabend machen, um 20 Uhr, die ja noch vorbei kommen und vielleicht habe ich einen freundlichen Eindruck hinterlassen. Zweites Auto, kommt – und geht.

Ich hab schon wieder einen Kilometer geschafft. Ich rede kurz laut mit mir. Ist das schon das Zeichen verrückt zu sein? Ich vermisse gerade umso mehr, dass ich keine*n Reisepartner*in habe. Keine Stimme der Vernunft, niemand um mich auszukotzen, niemand für etwas Galgenhumor. Ich verlege den Jutebeutel zum hundertsten Mal von einer auf die andere Schulter.

Drittes Auto. Mit ungeminderter Geschwindigkeit fährt es zur Fahrbahnmitte und hinterlässt eine neue Staubwolke. Was hab ich auch erwartet. Dass sie anhalten? Mich würde ja jeder verdammte Kilometer helfen, aber vielleicht denken sie in ihren klimatisierten und mit Radiomusik unterlegten Fahrzeug, dass sie nicht dahin fahren wo ich hin will. Doch! Will ich.

Ich versuche mir aktiv positive Gedanken zu machen, doch ich bin am Boden der Reisemotivation und ich schwöre, nie wieder Trampen und nie wieder einfach irgendwo hin fahren, wo ich nicht weiß wie es weiter geht. Der eine der mich heute mitgenommen hatte, hat ehrliche Bewunderung für meinen Plan ausgesprochen. Doch die kann ich hier nicht einlösen.

Ich höre ein viertes Auto von hinten kommen. Mittlerweile spielt mein Kopf verrückt und manchmal kommt kein Auto, obwohl ich glaube eines zu hören. Die entgegen kommenden nehme ich schon nicht mehr wahr. Es sind auch mehr, als in meine Richtung. Siehe Murphys Gesetz.

Doch diesmal kommt tatsächlich eines von hinten. Nummer 4 zähle ich schon, doch dann hält es, ca. hundert Meter hinter mir, und gibt Lichthupe. Ich bleib verdutzt stehen.

Akt 6: KM 15 → Esquel

Was da los? Circa Fünfzehn Kilometer (KM 15) bin ich gelaufen und jetzt das? Ich bin der einzige weit und breit, also muss ich gemeint sein. Egal, los, bevor sie es sich anders überlegen. Ein freundlicher Mann steigt schon lange bevor ich beim Auto bin aus und öffnet das Gitter zur Ladefläche von seinem Geländewagen. Mir fällt es schwer spanisch zu sprechen, aber ich sage, dass sie meine Held*innen sind. Doch das interessiert sie kaum. Auf dem Beifahrersitz sitzt noch eine Frau, vermutlich sind sie ein Paar. Ich wage kaum zu fragen wo sie denn hinfahren, denn mir schwant, dass es einen weiteren Akt geben wird. Doch ihre Antwort ist eine zweite Rettung. Esquel. Direkt zum Ziel. Das Glück kam sehr spät, aber es kam.

Ich stelle auf freundlich und gesprächig um. Doch ich bin auch erschöpft und kann kaum noch. Sie leben auf beiden Seiten der Grenze. Einer kommt aus Esquel und eine aus Futaleufú. Deswegen haben sie zwei Häuser. Er zeigt mir eine Gebirgskette, die wie ein hingelegtes Gesicht aussieht und hält extra an, damit ich ein Photo machen kann. Ja, schön ist es, gebe ich zurück. Ich will schlafen, denke ich.

Wir kommen in dem kleinen Ort an, von dem der Grenzbeamte sprach. Sie halten an um gesammelte Pilze abzuholen. Die Frau gibt mir eine Visitenkarte, denn sie sammelt Pilze und verarbeitet sie zu Essen. Ein Hobby von ihr. Würde sonst keiner machen. In Europa auch nicht, oder? Ich gebe zurück, dass es tatsächlich einige Menschen machen, da wo ich herkomme.

Dass ich heute noch über das Pilze Sammeln sprechen muss, hätte ich nie vorhersagen können, aber ja, so ist es nun. Doch damit endet unsere Konversation.

gesammelte Pilze aus Los Cipreses

Erst als wir kurz vor Esquel sind, fragen sie mich, wo ich denn hin muss. Ich sage, dass ich am Ortseingang eine Freundin habe, die mich unterbringt. Welche Adresse das ist. Sie kennen sie nicht, aber gemeinsam finden wir das Haus, was ich suche. Ich versuche nochmal klar zu machen, dass sie meine Retter*innen sind und ich hundertmal dankbar bin.

Die Rettung kam, auch wenn sie spät kam. Ich werde mein Glück trotzdem nicht nochmal herausfordern.

Als ich die Wiese vor dem großen Holzhaus überquere und dann klingele und meinen Rucksack abstelle, sehe ich dass sie noch gewartet haben, ob ich mir sicher bin, dass ich hierher muss. Manche Menschen, so denke ich, wissen gar nicht, wie gut sie sind.

Ich atme durch und bin schon jetzt glücklich. Obschon niemand aufmacht. Ich klingel immer wieder, aber nix passiert. Das Holztor daneben ist nur angelehnt und ich überlege in den Garten zu gehen. Noch warte ich, aber als ich es dann doch versuche, kommen kläffende Köter angerannt und nun weiß die ganze Nachbarschaft, dass ich hier warte.

Dieser Lärm hat aber auch meine dritte Retterin gerufen: Mailén. Hochgewachsen, kurze Haare, kluges Grinsen und immer zuvorkommend, steht sie hinter den Hunden. Ein erleichtertes Dankes-Grinsen bricht nun auch aus mir raus und sie begleitet mich ins Haus. Ob ich Essen möchte. Ich hatte aus Vorsicht vor den Grenzkontrolle alles aufgegessen und habe tatsächlich Hunger. Die kleine bescheidenen Mahlzeit die ich mir aus dem bisschen Baguette bastele, ist für mich die eines Königs.

das rettende Haus für die nächsten Tage

Wir unterhalten uns eine Weile und es stellt sich heraus, dass sie selbst oft Couchsurfing genutzt hat um Unterkünfte zu bekommen. Eine Seltenheit, denn meist machen die Leute entweder das eine oder das andere, also bieten eine Couch oder erfragen eine Couch. Sie kennt meine Seite aber ziemlich gut und zeigt sich sehr verständlich, als ich ihr Angebot, auf die Geburtstagsfeier einer ihrer Freundinnen zu gehen, ausschlage. Ich bin fertig, erzähle meine Story, beziehe mein Zimmer für die nächsten Tage. Ja, ihr lest richtig, ich hab ein eigenes geräumiges Zimmer. Mit komfortablen Bett und frischer Bettwäsche. Davor noch eine warme Dusche.

und da ist es wieder. Das Gefühl, dass eine warme Dusche und ein eigenes weiches Bett der alles erfüllende Traum sein kann. So wie Puerto Montt. Kaum habe ich mich und die Glieder ausgestreckt, holt sich der Körper die Erholung die er verdient … Vorhang zu.