Mrz 28 2019

Keine Blume

Von Karl

Montevideo

 

Montevideo nimmt uns erst im Zentrum und dann bei einer Freundin Azuls am Rande der Stadt auf. Es ist eine schöne Großstadt mit Graffiti und einer sehr langen Küste. Von einem einfachen Fußweg, über einen breiten Boulevard bis hin zu schönen Sandstränden wechselt sich alles immer wieder ab.

Jeden Abend ist ein goldener Sonnenuntergang zu sehen. Ich genieße die Zeit in Montevideo und wir versacken etwas bei Azuls Freundin. Sie scheinen nicht ganz arm zu sein, denn der Vater ist Oberst der Armee. Eine eher konservative Familie.

An Montevideos Küstenstraße findet sich auch ein Holocaust-Gedenkort, da viele Menschen, insbesondere Jüdinnen und Juden mit Beginn der faschistischen Diktatur in Deutschland hierher kamen. Auch ein später Ausgebürgerter stattete Montevideo ein Besuch ab: Albert Einstein.

In Tradition der schwarzen Emigrant*innen organisieren deren Vereine einen riesigen Umzug in den Straßen Montevideos. Als wir an die entsprechende Straße im Zentrum kommen, ist der Umzug schon im vollen Gange. Die einzelnen Gruppen tragen eigene Wimpel voran, allerdings in riesiger Dimension. Übertroffen wird das ganze noch von den folgenden unzähligen Fahnen-schwenker*innen. Solch große Flaggen habe ich nur selten gesehen und stelle es mir unheimlich anstrengend vor solch riesige Flaggen zum flattern zu bringen, ohne gleich alle Menschen am Straßenrand eine überzuwischen.

Fast scheint es als wenn sie zu der getrommelten Musik noch tanzen würden. Dies machen dann doch eher die Tänzer*innen, die sich auch in das farbige Muster ihrer Gruppe einfügen. Abschließend kommen dann noch die Musiker*innen, die eine schnelle und rhythmische Musik auf die Straße fegen, sodass das Blut in den Adern tanzt. Es ist gute Laune in ihrer Reinform und viele erfreuen sich dem Spektakel Bier trinkend am Straßenrand.

Teil der Tradition ist es auch, dass Spielsachen an Kinder verteilt werden, die vorher gespendet wurden. Aus langsam rollenden Kleinbussen heraus versuchen die Organisator*innen der Traube an Kindern gerecht zu werden und zu überblicken, wer vielleicht schon Geschenke bekommen hat. Angesichts dessen, dass die Busse voll sind, wohl erst recht ein anstrengendes Unterfangen. Wir sitzen in der Sonne und wippen im Takt der Musik und dem Bier in der Hand. So muss das Leben sein.

Es gibt zudem eine gedehnte Fußgänger*innen-Zone, die beim Präsident*innen-Palast beginnt und dann in einen Steg mündet, auf dem unzählige Fischer*innen ihre Angeln ins Hafenbecken lassen. Das Teatro Solis bietet in einem Nebengebäude übrigens in regelmäßigen Abständen kostenlose Vorstellungen an, deren Plätze am Abend schnell vergeben sind.

Auch Montevideo gilt an vielen Ecken als sicher, trotzdem ist es wohl besser die meisten Stadtteilte nachts zu meiden. Eine typische Erfahrung musste ich wieder machen, als es nur darum ging den Bus zum Busbahnhof zu finden, der auch nur fünf Minuten entfernt ist. Trotzdem war ein jede*r die wir fragten anderer Meinung wo und welche Busse dafür abfahren. Von „hier fährt da gar nix ab“ bis „ihr könnt jeden Bus nehmen“ war alles dabei. Wie das sein kann, bleibt mir ein Rätsel.

Wie ich schon im letzten Post beschrieben habe, hatte bis 2015 Uruguay einen besonderen Präsidenten. Aufgrund einer Doku und auch in Wikipedia ist es zu lesen, wusste ich das Pepe von Beruf Blumenzüchter ist und diese dann auch an der Straße verkauft. So generierte ich die Idee eine Blume von ihm zu kaufen, um ihn vielleicht zu sehen und meine Anerkennung auszusprechen.

Das war auch die Hauptmotivation Montevideo zu bereisen, denn andere Reisenden beschrieben die Stadt immer als grau und langweilig und rieten dazu, gleich weiter nach Punta del Este zu reisen. In Montevideo sprach ich mit unseren Gastgebenden darüber und sie verstanden, dass ich Cannabis kaufen möchte. In Uruguay wird das Cannabis auch als „Pepes Blumen“ bezeichnet. Das wäre auch gegangen, denn es bedarf wohl nur einer Registrierung in der Apotheke, dann ist der Erwerb möglich.

Da mir aber an dieser Art Pflanzen nichts gelegen war, mussten wir unseren eigenen Recherchen anstellen. Viele vermuteten auch, dass wir ihn nicht treffen werden, da er immer noch Senator ist und vor allem „wichtige“ Leute trifft. Wir ließen uns nicht entmutigen.

El Pepe

5 Uhr morgens brachte uns der Wecker auf die Beine. Es ist auch unser letzter Tag, sodass wir schon mal die Rucksäcke mitnehmen, die wir dann im Busbahnhof sicher abgeben. Dabei wird mein Rucksack gewogen. Zum ersten Mal erfahre ich was ich seit Monaten mit mir rumschleppe und vermutlich war alles mal schwerer: 22,5 Kilogramm. Nicht grad wenig.

Wir fragen nochmal wegen den Bussen und auch hier wird uns nicht viel Erfolg vorhergesagt. Wir nehmen den ersten Bus. Schon verfahren wir uns und hangeln uns weiter von Bus zu Bus. Zwischenzeitlich sind wir in ärmlicheren und gefährlichen Stadtvierteln Montevideos. Immer weiter und mittlerweile bereiten wir unser Mittag zu. Nach knapp vier Stunden verlässt der vierte Bus die urbane Landschaft und nun folgen viele kleine Bauernhöfe mit vergleichsweise kleinen Feldern. An einer Blech-Haltestelle finden wir den Schotterweg, den wir suchen und der zu Pepes Anwesen führen soll.

Uns kommt ein brasilianisches Pärchen entgegen, was uns bestätigt dass wir nicht falsch sein können. Linker Hand befindet sich eine weitere Chacra. So heißen die kleinen Bauernhöfe. Rechter Hand ein Feld, das noch nicht ausgetrieben hat.

Dann kommen wir an ein größeres Backsteingebäude, dass wohl die Schule sein soll, die Pepe unter anderem spendete. Direkt davor ein Betonklotz mit der Aufschrift „Stop“. Nun kommt uns ein einzelner Polizist entgegen. Ohne groß zu warten was unser Anliegen ist, erklärt er, dass Pepe beschäftigt ist, ohnehin viele Leute kommen würden und wir Verständnis haben sollen, dass er seine Ruhe möchte. Wir haben nun auch nicht mehr erwartet und unterhalten uns mit dem redseligen Polizisten.

Er ist eine Art Filter, so erklärt er weiter, um festzustellen wer weiter fahren darf und wer nicht. Er belebt einen Schiffcontainer der entsprechend eingerichtet wurde. Nichts besonderes also. Er berichtet, dass täglich im Schnitt 50 Leute kommen würden und die allermeisten mit eigenem Auto. Darunter auch Verrückte, so ist ein Mann bekannter geworden, der um Adoption gebettelt hatte.

Wir unterhalten uns weiter und ich beobachte wie auf dem Weg ein roter Trecker herangerollt kommt. Ein alter Mann fährt, während links und rechts je ein schwarz gekleideter junger Mann sitzt. Ich denke mir nichts dabei, bis der eine Mann anfängt mich heranzuwinken.

Erst denke ich: ich kann nicht gemeint sein. Ich schaue hinter mich, und nochmal zu den Mann und tatsächlich nur ich kann gemeint sein. Ich mache Azul und den Polizisten darauf aufmerksam. Der Polizist dreht sich um und dann wieder zu uns. Er grinst breit und sagt: „Ihr habt Glück“. Der alte Mann vom Trecker huscht geduckt in den weißen Container. Es ist el Pepe.

Azul und ich hatten im Vorfeld natürlich darüber gesprochen, was wir gegebenenfalls machen, aber doch hat niemand dran geglaubt und entsprechend lapidar war unsere Vorbereitung. Noch ungläubig gehen wir die letzten fünfzig Meter und hinein in den Container. Es sieht aus wie ein typischer Baustellencontainer. Alles mögliche fliegt herum, etwas dreckig, Spinde in der Ecke, mehrere Schreibtische und alte Plastikstühle.

Pepe hat sich schon in einem der grünen Stühle breit gemacht und sein netter Begleiter stellt uns auch noch Stühle hin, dann stellen sie sich vor den Eingang. Nun, da sitzt er nun vor uns. Kleine Äugchen luken aus einem verschmitzten Gesicht, was von ernsten Zeiten geprägt ist. Die altersweisen Haare hängen wirr auf dem Kopf. Das helle Hemd ist schmutzig von der Feldarbeit und der Wohlstand hat den Bauch geformt. Nichts deutet darauf hin, dass wir einem Ex-Präsidenten gegenüber sitzen. Alles deutet darauf hin, dass ein gewöhnlicher Bauer der Region vor uns sitzt.  Ich verfluche mein schlechtes Spanisch und noch viel mehr, dass ich Pepes Genuschel kaum verstehe. Azul wird zur Dolmetscherin, ist aber auch selbst schwer angetan.

Ich frage ihn zum Fairen Handel und möchte seine Meinung dazu wissen. Er meint nur, dass es eine Möglichkeit ist und macht die Ungerechtigkeit am Import von Kakao aus Afrika nach Europa deutlich. Azul fragt nach Bolivien. Bolivien steht an einem Scheideweg und 2019 stehen Wahlen an. Evo Morales hat viel für das Land geleistet, ist aber verfassungsrechtlich schon eine Amtszeit länger im Amt als vorgesehen. Er macht Anstrengungen die Demokratie auszuhebeln. Widerstand formt sich in Bolivien. Pepe fragt sie nach ihrem Alter und verweist indirekt auf die Zeiten und die Errungenschaften Morales in den Jahren zuvor. Zur jetzigen Situation mag er nichts sagen, er sei doch nur ein alter Mann. Er strahlt Bescheidenheit aus.

Pepe lässt sich Zeit und dreht sich eine Zigarette nach der anderen. Ohne Filter versteht sich und mit bloßem Papier. In der halben Stunde, hat er bestimmt fünf Zigaretten verraucht. Er spricht davon, dass viele Politiker*innen das hohe Einkommen nutzen um dann wie die Reichen zu leben und somit Politik nicht mehr für die Armen machen. Ihn ist es aber wichtig unter den Armen zu bleiben um für sie Politik machen zu können. Er ist immer noch Senator und seine Frau ist Vize-Präsidentin.

Viele der Dokus scheinen ihm nicht so zu gefallen. Nun kam sogar ein Spielfilm, der seine 12 Jahre im Gefängnis thematisiert. Als unter der Militärdiktatur linke Aktivistis verfolgt wurden, saß auch er ein, denn er war Mitglied einer kommunistischen Guerillabewegung, den Tupamaros. Doch es sei auch einiges wahr in den Filmen.

Wir unterhalten uns weiter über Ungerechtigkeit. Er macht aber immer wieder klar, dass er doch nur ein einfacher Bauer ist. Ich frag ihn nach den Blumen. Gerade sei nicht die Saison für Blumen; und die Leute würden zunehmend aus China importierte Plastik-Blumen auf die Gräber legen. Die Tomaten sehen aber grad prächtig aus, fügt Pepe noch hinzu. Zu guter Letzt machen wir noch ein gemeinsames Photo und bedanken uns. Er haut uns großväterlich auf den Kopf und meint, als er uns sah, wollte er uns kennen lernen. oder anders gesagt: Pepe entschied uns willkommen zu heißen.
Mit stolzgeschwellter Brust machen wir uns auf dem Weg zurück. Der eine Kollege Pepes rauscht dann noch mit dem berühmten blauen VW Käfer an uns vorbei und grüßt uns freundlich. Ich grinse immer noch.


Mrz 26 2019

Altstadt an der Flussmündung

Von Karl

Colonia del Sacramento, Uruguay

 

Als wir in Uruguay von der Fähre gehen ist es schon dunkel. Nichtsdestotrotz wirkt Colonia del Sacramento ruhig und friedlich. Wir fragen in der Tanke nach dem nötigen Bus um zu unserer Unterkunft am Rande der Stadt zu kommen. Der Busfahrer hilft uns dann noch an der richtigen Stelle auszusteigen. Beim Aussteigen bemerke ich, dass eine Gruppe Jugendlicher an der Haltestelle wartet und wir machen uns schleunigst auf den Weg. Gute fünfhundert Meter soll es die große Ausfallstraße weiter gehen. Nach einer kleinen Brücke hören die Häuser erstmal auf und die Straße ist unbeleuchtet.
Ein Blick zurück verrät uns aber, dass sich die Gruppe Jugendlicher, die nicht besonders wohlhabend ausschaut uns gefolgt ist. Wir gehen ein Stück zurück und nun verteilen sie sich auf beide Seiten der Straße. Offensichtlich hängen wir in einer Sackgasse. Ich bin für solche Gefahren nicht gemacht, Azul dagegen wirkt schon fast routiniert. Wir hoffen, dass die Jugendlichen nicht näher kommen und tatsächlich warten sie auch. Wir versuchen Autos zu stoppen, aber keines hält an. Es ist eine bedrohliche Situation.
Mindestens eine halbe Stunde beäugen wir uns gegenseitig, während Azul und ich Lösungen diskutieren.
Dann kommt uns die rettende Idee. In manchen Ländern habe ich SIM-Karten gekauft und unter anderem habe ich noch die argentinische in meinem Handy. Claro, der Netzanbieter den ich gewählt hatte, wirbt dafür, dass für das Telephonieren kein Roaming anfällt, wenn ich die Karte in Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay oder Brasilien benutze. Kaum, dass wir anfangen die Nummer unseres Gastgebers heimlich in mein Handy zu tippen, geben die Jugendlichen auf und ziehen ab.
Unser Gastgeber, Leo, springt offensichtlich sofort ins Auto und in wenigen Minuten sind wir am Ziel. Nochmal Glück gehabt.

Uruguay und Colonia

Uruguay gilt als das wohl wohlhabendste und stabilste aller Länder in Südamerika. Damit ist es auch relativ teuer. Tatsächlich macht es auf mich einen relativ friedliebenden Eindruck. Trotz des gefährlichen Begrüßungsempfanges. Unser Gastgeber versichert uns, dass es kaum Jugendbanden gibt. Die wollten sich höchstens mal ausprobieren, aber normalerweise ist es ungefährlich. Er erzählt mir auch, dass er nach Uruguay gekommen ist, weil hier das Leben ruhiger und sicherer ist. Raubüberfälle und dergleichen machten das Leben in Argentinien ungemütlich und deshalb zog es ihn als Musiker nach Colonia. Er hat ein kleines Haus deren hinterer Bereich an uns vermietet wird, inklusive grandiosen Frühstück in der Sonne.

Von hier aus können wir in einer halben Stunde zum Strand laufen, der sich zwar ausnimmt wie ein traumhafter Meeresstrand, aber in Wirklichkeit nur am Rio de la Plata (Silberfluss) liegt. Dies bezeichnet den riesigen unüberschaubaren Mündungstrichter der Flüsse Paraná und Uruguay.

Der offizielle Name des Landes kommt übrigens von diesem großen Fluss: Republik östlich des Uruguay. Eine, wie ich finde, witzige Idee. Warum nicht: Bundesrepublik östlich des Rhein.

Colonias Altstadt ist vergleichsweise hübsch und gut restauriert. Viele alte weiße Gebäude und mittelalterliches Gemäuer. In harmonischer Kombination direkt am Wasser. Es scheint auch „Geheimtipp“ im LonelyPlanet zu sein, denn es gibt viele Rucksacktouris und die Preise sind überdurchschnittlich. Hinzu kommt, dass es nah an Argentinien und Buenos Aires ist und leicht erreichbar. Auch wir schlendern genießend eine Runde durch das historische Viertel. Findige Aktivistis haben kluge Sprüche auf A4-Zettel gedruckt und an vielen Ecken aufgehängt. Es scheinen Feminist*innen unterwegs zu sein. Auf dem ersten stand „Es ist nicht die Länge meines Rockes sondern die Kürze deiner Ideen“.

Im Geschäft nebenan kann auch Souvenir von Uruguays berühmtester Persönlichkeit gekauft werden. Mit Konterfei und klugen Spruch. José Mujica war Präsident des Landes und ging als „ärmster Präsident der Welt“ in die Geschichte ein. Im Spanischen ist „Pepe“ der Spitzname für alle die José heißen, weswegen er auch oft nur El Pepe genannt wird. Pepe machte eine Legislatur von 2010 bis 2015 und nahm nur 10% vom Präsidentengehalt. Den Rest steckte er in ein Wohnungsbauprogramm oder NGOs. Er legalisierte auch Cannabis, womit Uruguay das erste Land der Welt wurde. In vielerlei Hinsicht eine spannende Persönlichkeit und vergleichsweise vorbildlich für einen Politiker. So blieb er in seiner Chacra, einem kleinen Bauernhof, wohnen, statt in den Präsidentenpalast zu ziehen.
Uruguay ist kulturell stark verwandt mit dem Osten Argentiniens. So streiten sich wohl beide darum, wer nun die Wiege des Tangos gewesen ist. So berühmt wie der Tango in der Welt ist, so selten habe ich jemanden Tango tanzen sehen. Nur für eine paar Touris in der Innenstadt von Buenos Aires, aber ansonsten scheint dass gar nicht so verbreitet zu sein, aber vielleicht war ich einfach nicht in den richtigen Ecken. Eine andere Gemeinsamkeit sind die Membrillos. Eine gelee-artige Masse, hergestellt aus Quittenmus. Es ist zuckersüß und die paar Mal die ich beobachten konnte wie es gegessen wurde, wurde es pur gelöffelt. Mein erster Impuls wäre es als Marmelade aufs Brot zu schmieren. Auch das Asado, das Grillerchen, eint beide Regionen.

Zu meiner tiefsten Überraschung, neben dem das eingemachte Marmelade verkauft wird, wird Marmelade verkauft die aus Aubergine oder Zwiebel hergestellt wird. Kein Witz. Ja, jetzt wo ich das schreibe, merke ich, dass ich es mal hätte kaufen sollen und probieren.

Wir waren nur kurz in Colonia. Da wir ja schon auf dem Weg nach Montevideo wohnten, konnten wir direkt an der Ausfallstraße noch in einen Bus steigen ohne erst in die Innenstadt zu torkeln.


Mrz 24 2019

Die Stadt um den Obelisk

Von Karl

Buenos Aires, Argentinien

 

Ein letztes Mal, aber auch eine ungezählte Wiederholung dessen, verabschiede ich mich von Fran, Frans Freund, Elias und Luzi. Die vier hatten uns nach Puerto Falcón gebracht, einer kleinen Grenzstadt bei Asunción und dann sind wir zu Fuß nach Clorinda gelaufen, der argentinischen Stadt auf der anderen Seite des kleinen Flusses.

Es nieselt und lässt die beiden Städte in einem düsteren Bild erscheinen. Verstärkt durch den Eindruck der gelangweilten Grenzbeamt*innen und den überdachten Marktstraßen. Wir versuchen einen Bus nach Buenos Aires zu bekommen, doch der ist schon weg.

Wir werden angesprochen und bekommen Angebote in Sammeltaxen nach Formosa mitzufahren bzw. als klar ist, dass wir mindestens bis nach Resistencia möchten, sogar bis dahin. Da die Angebote aber viel zu günstig sind und auch zufällig erscheinende Gestalten uns versuchen zu überreden, nehmen wir von der Idee schnell Abstand uns im Nirgendwo ausrauben zu lassen. Bei einer Busfirma bekommen wir dann aber noch ein Busticket und sind froh aus dieser unheimlichen Stadt herauszukommen, zumal die Nacht anfing sich auszubreiten.

In Asunción hatte ich meine Brille vergessen, sodass ich nochmal für eine Nacht zu Frans Familie reiste. Es lag zudem auf dem Weg. Selbst Fran war da. Trotz der Kürze unseres Aufenthalts ließ Elias es sich nicht nehmen uns eine kleine Führung im Viertel zu geben. Einer der berühmtesten Fußballer Paraguays, Derlis González, hat ein Haus zwei Blocks weiter. Später verbringen wir aber die meiste Zeit damit bei einem Supermarkt zu warten, dass ein heftiges Gewitter vorbeizieht. Zudem fällt auf, dass unsere Kreditkarten, sowohl die von Azul, als auch meine, erst für die jeweiligen Länder freigeschaltet werden muss.

Ein letztes Mal bereitete Luzi für uns Vori-Vori zu, eine paraguayische Spezialität. Wir witzelten noch, dass sie das eigentliche Highlight von Asunción ist. Schon ziemlich traurig, dass wir die sehr gastfreundliche Familie hinter uns lassen, winke ich ihnen ein letztes Mal, bevor ich um die Ecke verschwinde.

Die lange Reise nach Buenos Aires

Der Bus nach Resistencia entlässt uns gegen Mitternacht und wir suchen die letzten noch offenen Schalter ab und tatsächlich geht es direkt weiter, über Nacht, nach Rosario.

Eine weitere Großstadt auf dem Weg zum Ziel. Wer Geld sparen möchte, dem empfehle ich öfters mal umzusteigen, dann die Ticket-Preise können in der Addition günstiger sein, als der Direktbus. Wir wählen aber notgezwungen unsere Busse. Obschon wir in Rosario nicht mehr weit von Buenos Aires entfernt sind, so gibt es doch nur einen Bus als Option. Sie hüpfen wir also von Bus zu Bus, bis wir auf vierspurigen Autobahnen parallel zu Metro-Zügen auf eine Stadt mit unzähligen Bürohochhäusern zusteuern.

Buenos Aires ist nicht nur die Hauptstadt, sondern auch eine Provinz. Der Kern an sich ist nur die Verwaltungshochburg mit knapp drei Millionen Menschen. In der Provinz leben aber knapp sechzehn Millionen. Der Übergang ist fließend und Vorortzüge, sowie die Metro, genannt Subte, verbinden die umliegenden Gebiete fließend. Bei den Zügen gibt es verschiedene Verbindungen auf der gleichen Strecke, sodass auch Züge gewählt werden können, die einzelne Haltestellen auslassen und deshalb schneller sind. In der Nacht wird der Verkehr eingestellt.

Mit einen der Züge geht es in eines dieser unzähligen Stadtviertel, wo wir in entspannter Umgebung zwei Nächte unterkommen können. Fernando heißt unser stiller Gastgeber. Er ist aber sofort hilfsbereit und schon zehn Minuten nach unserer Ankunft grast er das Internet nach Möglichkeiten ab nach Uruguay zu kommen. Abends kochen wir lecker gemeinsam und trinken mit seinen Freunden Bier. Es ist einer dieser vielen entspannten Abenden. Jedoch merke ich wieder wie mein Gehirn nach einer Weile auf Standby geht, da es auf die Dauer ziemlich anstrengend ist, wenn ich die Sprache nicht gut kann. Fertig von der langen Reise bin ich ziemlich froh dann in ein weiches Bett zu legen.

Buenos Aires

Manche Highlights waren mir als solche vorab nicht bekannt. An einer Straßenecke im Zentrum sitzt Mafalda auf einer Bank und eine lange Schlange hat sich davor gebildet. Ein jede*r möchte ein Photo mit ihr. Mafalda ist eine wohl berühmte Comic-Figur aus Argentinien, vermutlich aus Buenos Aires. Ihre Berühmtheit ging leider bislang an mir vorüber, aber angesichts dessen was ich nun über sie weiß, scheint sie zu den cooleren Comic-Held*innen zu gehören.

Ein weiterer Held begegnet mir dann zwei Blocks weiter. Schon lange misse ich die leckere vegane Küche und als aber ein junger Mann mit Fahrrad und veganen Schnitzel-Sandwichs vor mir auftaucht, ist mein Tag gerettet. So einfach kann ich glücklich werden.

Buenos Aires überragt Argentiniens restliche Regionen um ein Vielfaches und enthält alle entscheidenden Organisationen. So kann Präsident*innen-Palast, Kongress und Senat besichtigt werden, wobei letzterer sich nicht besonders verkleidet.

Der wohl schönere Ort der Stadt ist der Obelisk, der als Kilometer 0, also Zentrum der Stadt bzw. Argentiniens gilt.

Weiterhin gibt es den ehemaligen alten Hafen, der sich zum Geschäftszentrum entwickelt hat und vor allem der Oberschicht vorbehalten ist. Es ähnelt ein wenig der Hamburger Speicherstadt.

Ansonsten bietet die Stadt ruhige Parks und Monumente. Eigentlich alles, was eine lebenswerte Stadt hat. Auch die tapferen Aktivistis sind unterwegs und machen auf die absurden Lebensbedingungen der Tiere im Zoo aufmerksam. Natürlich am Eingang vom Zoo.

Wer günstig und nicht-fleischig essen mag, der empfehle ich die, meist asiatischen, Selbstbedienungs-Restaurants. Hier wird nach Gewicht bezahlt und es kann sich aus einer breiten Auswahl bedient werden.

Neujahr

Azul konnte eine Freundin ausfindig machen die mit ihrer Schwester eine kleine Wohnung weit näher am Zentrum bewohnt. Wir belagern nun den Boden des kleinen Wohnzimmers und versuchen als Dank die Wohngemeinschaft mit Essen zu versorgen. Damariz und Blanquita haben viele Antworten zu unseren Fragen und nehmen uns mit auf ihre Silvester-Fete. Eigentlich ist, besonders in Argentinien Silvester auch eine Familien-Feier, doch wir sind ja bei bolivianischen Emigrantinnen und die feiern im Kreise von Freund*innen. Es gibt lecker Essen und Trinken und dann wandern wir zu Fuß zum alten Hafen.

Bemerkenswert für mich sind die deutlich wenigeren Raketen, jedoch erfreuen sich die Leute den wenigen umso mehr. Zu dieser Zeit, die auch Hauptreisezeit ist, scheint die Stadt fest in brasilianischer Hand, denn von dort kommen die meisten Touris. Die Einheimischen sind bekanntlich bei den Familien zu Hause. Wir sparen uns den Eintritt in die teuren Clubs der Stadt – sie sind tatsächlich ungeheuerlich teuer – und spazieren durch die Stadt, bis wir vor dem Morgengrauen in die Koje fallen.

Am nächsten Tag mache ich eine Lerneinheit in Sprache und Kultur. Diesmal war ich dran einen Polizisten zu fragen wo denn ein günstiges Restaurant in der Nähe sei. Gesagt, getan, ich frage ohne Umschweife direkt danach. Der Polizist ist sichtlich verwirrt. Azul muss eingreifen und erklärt mir, dass ich sehr unfreundlich daherkomme. Das war mir gar nicht so bewusst, aber ja, wer spanisch oder englisch spricht, sollte eine Spur freundlicher sein, als auf deutsch. Ein „Entschuldigung, …“ oder „Wissen sie vielleicht …“ oder „Ich bin grad auf der Suche nach …“ oder „Können sie mir kurz helfen …“ oder dergleichen ist immer angebracht.

Fähre

Buenos Aires ist eine nette Gegend um zu verweilen, doch die Zeit drängt und wir brechen erneut auf. Der günstigste Weg nach Uruguay ist der Bus, doch die sind alle ausgebucht und zudem gibt es Konflikte am Grenzübergang zwischen den beiden Ländern wegen einer Zellulosefabrik. Also buchen wir die günstigste Fähre am Tag. Was aber immer noch saftig teuer ist.

Das Fährterminal nimmt sich wie ein Flughafen aus und ich bekomme den Eindruck die gehobene Klasse gebucht zu haben, nur dass es auch Massenabfertigung ist. Die Fähre ist ausgestattet mit zig Reihen von Bussitzen. Zu meiner Enttäuschung führt leider kein Weg raus aufs Deck. Die Sonne ist gerade untergegangen als wir an der Skyline von Buenos Aires vorbeigleiten. Ein letzter Blick zurück bevor die Stadt im diesigen Dunkel verschwindet.