Apr 12 2018

Solltest du mal …

34,0431° nördliche Breite

36,40965° westliche Länge

03. April 2018

… auf die Idee kommen, auf ein Frachtschiff zu steigen, sodann hier ein paar womöglich nützliche Informationen bzw. zu Einstimmung darauf …

* Nimm‘ dir Beschäftigung mit! Filme, Dokus, Serien, Bücher, was du schon immer mal lernen wolltest, Karten, Sportsachen, Nähwerkzeug, Freund*in, unentdeckte Kamerafunktionen, Arbeit, Briefe, Reparaturbedürftiges und das nötige Material, komplizierte Fragen über die du sinnieren musst, Computerspiele, dein Laptop, Smartphone, … wenn du nicht grad viel Geld für Wifi oder Satelliten-Telephonate ausgeben magst. Natürlich kannst du auch mal übers Schiff schlendern, auf die Brücke gehen, verträumt die Wellen und den Horizont beobachten, in die Muckibude gehen oder mal fragen ob du eine Führung im Maschinenraum bekommst, aber bei gern mal zwei Wochen Reisedauer, ist das nicht viel.

* Die Leute an Deck sind nicht zum Vergnügen da. Sie arbeiten und wenn nicht, dann wollen sie ihre Freizeit genießen. Stellt euch vor, ihr arbeitet viel und dann kommt eine*r um die Ecke und fragt was ihr da macht, wie das hier alles so funktioniert und ist offensichtlich gelangweilt. Vielleicht ist es mal angenehm, aber meistens bremst es, ist zusätzliche Belastung und Chef hat gesagt, dass die gut zu behandeln sind.

* Auf See geht meist alles. Im Hafen ist Stress, sowie beim Ein- und Auslaufen. Alle müssen arbeiten. Die Container müssen los- oder festgemacht werden. Viel Bürokratie. Die Crew wechselt. Neue Lebensmittel kommen an Bord. Es wird getankt und vieles mehr, was wir als Laien gar nicht wissen. An- und Ablegen, bzw. die Fahrt durch die Steuer- und Backbord-Tonnen in bzw. aus den Hafen, ist immer noch Handarbeit auf der Brücke, inklusive eines Lotsen von dem jeweiligen Hafen, der mittels Lotsenboot schon vor dem Hafen zu- bzw. aussteigt. Aber auf offener See, ist ein Besuch der Brücke oder des Vorschiffs kein Problem. Einfach auf der Brücke fragen.

* Schlafen auf der Baustelle. Das muss mensch können. Eine Passagierin hat sogar nach Ohrenschützern aus dem Maschinenraum gefragt. Es wackelt, schwankt, vibriert, brummt, piept, stinkt … nichts für Menschen mit leichten Schlaf.

* Satt aber nichts besonderes. Die Mahlzeiten sind groß und viel, immer warm, oft mit Vorspeise, aber nichts teures. Wer besondere Essgewohnheiten hat, kann Schwierigkeiten haben. Der Hauptgang wird gebracht. Dem Servierer habe ich erklärt, dass er bei mir die Tiere weglassen kann. Das macht die Kombüse nun seit Tagen sehr liebevoll. Du kannst dir aber vorstellen, dass – wie in einer Kantine – es schwierig ist, wenn jede*r seine speziellen Essgewohnheiten umsetzen will. Ich denke aber, vegetarisch lässt sich noch gut umsetzen, vegan wird hart. Du isst in der Offiziersmesse und da hat dann jede*r sein Platz und die Passagiere essen nach der Crew. Dadurch ist das Essen nicht immer heiß, aber mensch kann so lange sitzen wie er*sie mag. Die Essenszeiten sind festgelegt. Aus irgendeinen Grund bekommen wir nun jeden Abend eine Flasche Wein mit auf den Tisch.

* Plan‘ nicht zu fest die An- und Abreise. Mein Schiff wäre fast schon in der Nacht zum Vortag gekommen. Du musst zusteigen, wenn der Hafenagent das sagt. Drei Tage vor dem geplanten Abfahrtstag musst du den*die Hafenagent*in anrufen, dessen Nummer du von der Reiseagentur bekommst. Der sagt dann, Tag und Uhrzeit. Das kann, muss aber nicht, der vorher bekannte Termin sein. Unter Webseiten wie MarineTraffic könnt ihr die geplante Ankunftszeit eures Schiffes schon vorher sehen. Das heißt unter Umständen, dass ihr schon ein paar Tage vorher in die Nähe des Hafens reisen müsst, falls die Anreise sehr weit ist. Ebenso mit der Ankunft. Mein Schiff hatte schon vor meinem Zustieg Verspätung aufgebaut und zwei Häfen ausgelassen. Einen hat es nach dem Ablegen noch zusätzlich angesteuert. Das bedeutet, dass ihr dann auch ein paar Tage später ankommt. Für den Weg zum oder vom Schiff musst du meistens noch eine spezielle Taxi-Agentur in Anspruch nehmen.

* Helm auf und Raus. Das Schiff besteht ganz vereinfacht aus dem Hochhaus und den Containern. Vier Fünftel oder mehr sind Container, über oder unter Deck gestapelt, bis an die Reling. Am Heck ist „im Keller“ der Schiffsdiesel und darüber ein acht-geschossiges Hochhaus. Dort lebt die ca. 20-köpfige Crew. Am Hochhaus sind seitlich Treppen und Plattformen. Dort kannst du jederzeit hingehen. Aufs Deck an sich, am besten nur wenn das Schiff auf See ist. Dafür musst du aber den Watch-Officer auf der Brücke bescheid sagen und den Helm aufsetzen. Pass auf, draußen ist alles nass, windig, kalt und salzig. Die Geländer sind oft von einer salzig-klebrigen Schicht überzogen. Grad am Bug kann bei Seegang auch mal Meerwasser übers Deck wehen, und bei starken Wind, auch bis in den sechsten Stock. An Deck kann ich den Helm empfehlen. Für den Keller musst du fragen.

* Der frühe Vogel. Wenn es für dich ans buchen geht, so ist frühzeitige Planung oft sehr hilfreich. An Bord sind hier nur zwei Paar- und ein Einzel-Zimmer verfügbar. Bestimmte Routen sind beliebt, auf anderen kannst du auch kurzfristiger Glück haben. Trotzdem ist das ganze Papier-Procedere im Vorfeld sehr aufwändig, sodass du sicherlich nicht übernächste Woche fahren kannst. Es ist zudem teuer. Mindestens das doppelte zum Flug auf der Strecke musst du rechnen.

* Stunde um Stunde. Fast jede Nacht stellen wir die Uhren um. Wir fahren seit Tagen südwestwärts und überfahren regelmäßig Zeitzonengrenzen. Meist kommt vor dem Abendbrot eine Durchsage und dann wird Mitternacht die Uhr verstellt. Das kann manchmal gewöhnungsbedürftig sein. Als wenn jeden Tag auf Sommerzeit umgestellt werden würde.

* harte Währung. Die einzig internationale Währung ist der US-Dollar. Zu seltenen Momenten öffnet der Kapitän den Shop und dort kann Alkoholika, Süßes und Knabberkram gekauft werden. Er lies sich aber erweichen und akzeptierte diesmal auch den Euro, nur kann er nicht wechseln.

* Selbstsäubern. Für die Sauberkeit ist jede*r selbst verantwortlich. Der Müll wird mal abgeholt, aber Bettwäsche muss einfach selbst gewaschen werden. Es gibt eine Waschmaschine mit integrierten Trockner auf dem Gang. Auch für die eigene Wäsche. Für die Selbstreinigung muss nicht extra auf den Gang. Duschen bei Seegang sollte mensch einfach mal gemacht haben. Das Hochhaus-Innere ist sehr sauber.

* Türen schließen. Türen können nicht auf halb acht bleiben. Im blödesten Fall kommt eine Welle und schmeißt dir die Tür an den Kopf. Unbedingt drauf achten.

* Gemeinschaft. Von der Crew bekomme ich gar nix mit. Keine Ahnung was die in ihrer Freizeit machen. Für die Passagiere gibt es einen Gemeinschaftsraum mit Tee, Kaffee, Fernseher zum DVD abspielen, ein Schrank mit Büchern, DVDs und Spiele sowie eine Couch mit Tisch und zwei Stühle. Kein großer Raum, aber für eine Partie Schach ausreichend.

Fazit: Es ist machbar. Das wirkliche Probleme für viele Menschen ist eher die Zeit. Bei 21 Tagen Jahresurlaub möchte mensch verständlicherweise nicht 16 auf einem Container-Schiff verbringen. Aber ansonsten ist es nur eine Frage der Vorbereitung. und hey, es ist schon manchmal beeindruckend schön, hochoben auf einem schwankenden Schiff zu sitzen und weit und breit nur das Meer … Hach …


Apr 12 2018

Wenn Riesen atmen

48,08633° nördliche Breite

13,80216° westliche Länge

31. März 2018

Der Koloss, der Schiffsrumpf, hebt und senkt sich. Mal ganz flach, mal voller Energie. Als wenn ich auf der Brust eines Riesen stünde. Der stählerne Bug, an dessen Spitze ich stehe, gleitet durch den Atlantik. Es ist ein Kampf mit dem Atlantik. Die Welle rollt, völlig unbeeindruckt und im dunkelsten Blau, schräg auf den Bug zu. Viel kleiner als das Schiff in seiner Höhe, aber mächtiger. Schwerfällig atmet der Riese die Welle ein; der Rumpf hebt sich. Als er im nächsten Wellental wieder ausatmet, kann die kommende Welle nichts mehr ausrichten und zerschellt in Wasserstaub, bis über die Reling, wird zu kleinen Salzkristallen auf meiner Jacke, auf meiner Haut, auf meiner Brille. Mein Hände sind kalt vom nassen Wasser und steifen Wind. Doch die Faszination klammert mich an die fette graue Bugreling.

Doch plötzlich, ganz unerwartet, springt einer, dann noch ein weiterer, Delphin aus dem Wasser. Nur ganz kurz. Nicht wie im zeitverzögerten Film um ihn in seiner vollen Pracht bestaunen zu können; Nein, blitzschnell! Ich habe Schwierigkeiten sie wiederzufinden. Erneut rauscht ein Gruppe schräg frontal auf das Schiff zu. In Sekundenbruchteilen wenden sie und schwimmen nun um der roten Nase des Schiffes; eine Art U-Boot-förmige runde rote Spitze knapp unter der Wasserkante. Ihre grauen Rücken schimmern durch die Wasseroberfläche und ich schätze eher zwölf statt fünf Tiere. Sodann springt auch einer, aber nach wenigen Minuten, sind sie auch wieder verschwunden. So schnell, wie sie kamen, waren sie dann auch wieder weg. Einfach so.

Ich schau mich weiter um; den weißen Helm fest auf den Kopf gepresst. Bei sonnigen Wetter holte ich mir die Erlaubnis über Deck zu streunern. Unter den oberen Containern durch, und dann mal zwischen den Container-Reihen. Es ist zumindest mal was anderes und es gibt andere Perspektiven. Doch ohne eine Erklärung bleibt vieles einfach rätselhaft. Eines der größten Gefahren für die Arbeit auf See scheinen reißende Seile beim Festmachen oder Losmachen zu sein. Es wird mit vielen Illustrationen deutlich vor den Bereichen gewarnt, in denen gerissene, losschnellende Seile einen erfassen können.

Später, beim Abendbrot, fragt mich das Renten-Quartett, ob es Liegestühle am Bug gibt. Weil ich es nicht gleich verstehe, reißen plötzlich drei von Ihnen ihre Hände nach oben und ihren Kopf in den Nacken, um einen Liegenden zu demonstrieren. Mir war der Gedanke fremd, wenn mir regelmäßig kaltes Salzwasser über den Körper gegossen wird, ein Sonnenbad zu nehmen. Zumindest mussten wir herzlich lachen. Als sie wieder anfingen sich zu unterhalten, d.h. auf französisch, schweiften meine Gedanken wieder aus dem Fenster, zum Meer und dem schwankenden Schiff. Die Reling fest im Griff, das Wasser im Gesicht und ein Schiffsbug im Spiel der Wellen unter den Füßen – da kommt eine alte Kindheitserinnerung hoch: Eine unvergessliche Fahrt von Bornholm nach Świnoujście (Swinemünde).


Apr 12 2018

Noch siebeneinhalb Tage …

50,03002 nördliche Breite

2,55123 westliche Länge

30. März 2018

… bis Saint-Martin bzw. Sint Maarten, der kleinen Insel in der östlichen Karibik. Die Insel ist zwei-geteilt. Seit der Kolonisation gibt es eine französische Nordhälfte und eine niederländische Südhälfte. Wir steuern zu auf Philipsburg, dem Hauptort auf der Südhälfte. Aber noch sind es um die 3.500 Seemeilen. So langsam stellt sich ein Trott für mich ein, der in nicht allzu große Langeweile mündet, da ich mir wohlweislich viel zu lesen, schauen, schreiben, hören und lernen mitgenommen habe. Trotzdem ist es gut, ab und zu das kleine Zimmer zu verlassen. Doch draußen windet und regnet es stark. Sodass ich entweder auf Geländer und Treppen hoch klettere um nicht nasse Füße zu bekommen, oder meine Brille festhalten muss. Da halte ich es dann auch nicht lange aus.

Dem Renten-Quartett zu Folge, fahren wir grad in der Nähe ihres Zuhauses vorbei. Tatsächlich habe ich sogar Empfang über das Handy-Netz von Jersey bekommen. Dies gehört nur leider nicht zur EU, anders als Saint-Martin. Wäre schade um‘s gute Geld, sodass ich jetzt nicht in‘s Roaming investiere. Kein Handy, Kein Wifi, seitdem wir heute nacht zwischen 3 und 4 Uhr Rotterdam verlassen haben.

Zu dem ständigen allgegenwärtigem Vibrieren und Rumoren des Hauptmotors, sowie hin und wieder dem Geruch von verbrannten Schweröl, dem Treibstoff, gesellte sich nun das wellenbedingte Rollen und Schaukeln. Der Captain hat heute auch eine kleine Durchsage gemacht, dass heute Nacht die Uhren von Mitternacht auf 23 Uhr zurückgestellt werden. Vermutlich erreichen wir eine neue Zeitzone. Das wird wohl noch ein paar Mal passieren und mir jedesmal eine Stunde mehr geschenkt. Trotzdem wäre ich lieber schon morgen als übermorgen da …


Apr 12 2018

Gute Frage? Keine Frage!

50,46327° nördliche Breite

0,66121° östliche Länge

28. März 2018

Plötzlich brummt das Schiff. Der Stahlboden unter meinen Füßen vibriert und eine dunkle Rauchwolke verdunkelt kurz die Sonne. Es ist soweit. Der Hauptmotor erfasst die St Laurent. Die Kräne sind schon hochgeklappt oder weitergefahren. Die eigenen Kräne wurden längs des Schiffs gedreht. Ein Kleinwagen fuhr vor und der Lotse stieg an Bord. Die Gangway wurde hochgefahren und eingeklappt. Aus einem zweiten Hafenauto steigt ein Arbeiter und zieht die riesige nun locker hängende Schlaufe des Seils über den Poller. Es klatscht laut, als das schwere Seil ins Hafenbecken fällt. Große elektrische Winden ziehen die Seile an Bord. Je ein Seemann kontrolliert das Aufrollen und ein weiterer koordiniert die Aktion am Heck.

Langsam driftet der Stahlkoloss weg vom Kai. Das Wasser am Heck schäumt auf und immer schneller werdend fahren wir entlang des langen Kais vorbei an größeren und kleineren Containerschiffen. Eines kann weit über 18.000 Container auf einmal transportieren. Wir dagegen nur maximal 2.000. Vom 7ten Stock aus, der Brücke, erscheint auch dieser Gigant wie ein Lego-Boot, das die Container-Bausteine von einem farbenfrohen Kind erhalten hat. Besonders dann, als der Kai, dann der Hafen, dann sogar Le Havre immer kleiner werden. Auch das Wetter wird besser. Der Regen über der Normandie bleibt an Land und die ersten wärmenden Sonnenstrahlen mischen sich unter die kalte Briese.

Nächster Hafen: Rotterdam. Eigentlich hätte es nach Philipsburg gehen sollen, doch im vorangegangenen Hafen, in Algeciras, gab es Probleme, sodass London und Rotterdam vor Le Havre nicht geschafft wurden. Jetzt geht es also, in entgegengesetzte Richtung, erstmal nach Rotterdam. 10 Stunden Fahrt, weil wir mit 20 Knoten fahren und das bei 200 Seemeilen Entfernung. Das Laden dort wird auch nochmal 10 Stunden brauchen, ehe es auf den offenen Ozean geht. Von einer Reise, die schon einige Jahre zurück liegt, weiß ich, dass der Rotterdamer Hafen sehr weit draußen liegt, also schon fast in der Nordsee und damit weit weg von der Stadt Rotterdam. Das erschwert nicht nur mir, sondern auch den Seeleuten generell den Besuch der Stadt. Zumal Liegezeiten auch mehr Arbeit an Bord bedeutet. Vieles davon habe ich heute beim Abendbrot erfahren, denn im Gegensatz zu mir, hat sich das Renten-Quartett schon getraut, mal auf die Brücke zu gehen. Sogleich nach dem Abendbrot bin ich dann auch aufgestiegen, erst ganz schüchtern, aber als ich ein bekanntes Gesicht sah, dann mit Mut. Ob ich mal schauen darf? Wie fahrt ihr eigentlich? Wie bist du Seemann geworden? Schaut ihr euch tatsächlich noch Seekarten an? Welche Sprachen sprecht ihr an Bord? Nix. Nagut, wenig. Das sind nur wenige der Fragen die ich gestellt habe und noch weniger von denen die ich hätte stellen wollen. Doch der eine Seemann hat sich nicht mit mir unterhalten und der andere hatte kaum Interesse und sprach eher schlechtes Englisch. Die sind nicht zu meiner Unterhaltung da, das habe ich gemerkt. Mein Interesse ist groß an dem Schiff und der Seefahrt, doch einen Menschen, den ich fragen kann: Fehlanzeige. Wir hatten Probleme uns zu verständigen, sodass ich relativ schnell auch wieder gegangen bin. Trotzdem: Ja, die Route wird auch anhand von klassischen Seekarten bestimmt. Es arbeiteten zu dem Zeitpunkt zwei Leute auf der Brücke. Der Stumme schaute die ganze Zeit durchs Fernrohr. Der Gleichgültige stand an den Karten. Das Schiff an sich, fährt per Autopilot und berechnet seine Route auch anhand anderer Schiffe so, dass es nicht zur Kollision kommt. Nur im Hafen und beim Ein- und Ausfahren aus dessen, wird das Steuer, was eher einem modernem Autolenkrad ähnelt, in die Hand genommen. Ein Messgerät zeigt den Abstand zwischen Boot und Meeresboden an. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass er auch mich was gefragt hat. Hast du schon die Sicherheitseinweisung bekommen? Nein. Hmm. Warum fährst du mit dem Frachtschiff? Doch auch hier verstand er meine Antwort nicht. Schade.

Mit kurzem Dank geh ich wieder an die frische Luft. Der Himmel blau, die Sonne tief, schon orange am Horizont. Die ununterbrochene Weite gibt den Blick auf Regenwolken frei, die anderswo übers Wasser ziehen. Ich frag mich, wie es das Renten-Quartett geschafft hat, der Brücke so viele Informationen zu entlocken. Deren Englisch gleicht eher dem des Gleichgültigen oder dem des Stummen. Mittags wollte ich dann mal wissen, warum sie ihre Reise mit dem Schiff machen. Wenn ich es richtig verstanden haben, ist es wohl ein entspanntes Gemisch aus „wir-haben-halt-Zeit“ und „hier-sind-nicht-so-viele-Touris“ und „von-dem-anderen-Paar-der-Sohn-ist-Irgendwer-auf-einem-anderen-Schiff“. Zumindest sind sie immer freundlich und der eine Opa ist um keinen Scherz verlegen. Auch der Seemann, der uns bewirtet, grinst immer. Gestern habe ich ihm gesagt, dass er bei mir die Tiere einfach weglassen kann. Aber Fisch? Nein. Und Hühnchen? Auch nicht. Er scheint es nicht zu verstehen, aber er macht es einfach, denn wir grinsen uns immer noch an, wenn wir uns sehen. Irgendwie mag ich Leute lieber, die wenigstens einfach immer grinsen, auch wenn sie nix zu sagen haben, als Leute von deren Gesicht mensch ebenso wenig erfährt. Das reine Männer-Team bleibt soziologisches Beobachtungsfeld! Gute Fahrt und bis morgen!


Apr 12 2018

Aufgeladen

Le Havre

27. März 2018

Krachend, Stahl auf Stahl, verhakt sich der Greifarm in dem Container. An jeder Ecke hat er einen kurzen runden Stil in den Öffnungen versenkt, die jetzt, beim zurückziehen arretieren. Schnell bewegen sich der LKW-Anhänger-große Koloss mit seinem Greifer an den acht Stahlseilen und vier Umlenkrollen nach oben. In schwindelerregende Höhe eines vielleicht achtgeschossigen Hochhauses, um dann auf dem Kai wieder abzusetzen. Vorher entfernen Arbeiter*innen Verbindungselemente auf einer halbhohen Plattform. Während der Greifer erneut, aber nun ohne Container, gen Himmel schnellt, düst ein achträdriges Gestell heran. Wie überdimensionierte hochkantige Ameisen wuseln diese Gefährten durch die langen Containerreihen. Sie holen und bringen Container. So fahren sie nun auch über den Container, der gerade abgestellt wurde, greifen diesen in sich auf und fahren wieder hinfort. In eine schier endlos erscheinenden Wüste an bunten Containerstapeln. Im diesig kalt-nassen Wetter scheinen Container bis zum Horizont zu stehen. Längs der Hafenkante fahren die übergroßen Ladekräne. Sie überbieten das größte Schiff und haben mächtige lange weiße Arme die über das Schiff reichen. An denen schnellt die Kabine mit der*m Kranfahrer*in vor und zurück, die am anderen Ende der acht Stahlseile hängt. Gleich drei der riesigen Ladekräne entladen die CMA CGM Saint Laurent parallel. Immer wieder fährt ein Ruck durch das Schiff.

Auf dieses hat mich ein netter Taxifahrer gebracht. Keine normale Taxiagentur, sondern eher ein Seemann/frau-Service-Agentur. Im kalten Regen der Normandie wartend hat er mich mit seinem silbernen Renault-Bus eingesammelt und durch das Hafengewirr bis zur Hafen-Sicherheitsschleuse gebracht. Leider hat der zuständige Hafenagent die nötige Crew-Liste denen noch nicht zugesandt, sodass wir zusammen vor dem Schleusengebäude warten. Im Sekundentakt fahren Privatfahrzeuge, Dienstfahrzeuge und LKWs mit Containern durch die verschiedenen Schleusen. Die meisten mit einer Chipkarte, sodass die Schranke teilweise es nicht mal mehr vermag zu schließen. Irgendwann, nach etlichen Diskussionen und Telephonaten kam dann das Okay. Wieder zurück in den Bus, ab durch die Schleuse und rein ins Herz des Hafens. Nochmal durch eine besonders hohe automatische Schleuse und schon fahren wir auf der Kaimauer unter den riesigen Kränen durch. Vorbei an anderen Containerschiffen bis zur St Laurent. Ich nehme meinen großen Rucksack, verabschiede mich und warte kurz. Aber schon bekomme ich den Hinweis über die außenbords hängende Treppe aufzusteigen. Zuvor noch über unterarm-dicke Seile steigen und ab geht‘s an Bord. Nun sprechen alle russische miteinander, war aber für mich kein Unterschied macht. Französisch konnte ich auch nicht. Immer mal wieder wendet sich jemand an mich und sagt oder fragt mich was auf englisch. Ob ich russisch kann? Ich soll folgen. Ein netter junger Arbeiter in leucht-gelber Winterjacke und weißen Helm bringt mich im Turm des Schiffs nach oben, aber bricht ab und wird zurückgerufen. Sie dachten ich sei der neue Ingenieur, weil sie gleichzeitig auch die Crew teils austauschen. Bin ich aber nicht. Also zurück in das Aufenthaltszimmer mit den Arbeitsrechnern. Ein älterer Typ, mit weniger Haaren, im Bürostuhl, ohne Wetterkleidung und geöffneten E-Mail-Programm nennt meinen Namen und fragt, ob ich das bin. Ich bestätige und nun geht‘s erneut los. Vier oder fünf Stockwerke steigen wir den engen Treppenschacht nach oben. Er zeigt mir das neue Zuhause. 15 Tage habe ich mir das hier ausgesucht. Kein Internet und kein Telephon. Ich fange an mein Kram auszubreiten, in gewohnter Art und Weise, beschlagnahme ich das ganze Zimmer. Es gibt ein schmales Doppelbett, eine 2-Personen-Couch, Stühle, ein Kühlschrank, Schreibtisch mit Tischlampe, Schrank, sowie eine Nasszelle mit Klo und Dusche. Alles da, um es hier auszuhalten. Schon klopft es und ein anderer junger Russe kommt in T-Shirt, kurzer Hose und Badelatschen herein. Wir besprechen Formalitäten und ich gebe ihm meine Dokumente. Die verbleiben beim Schiff, bis ich wieder aussteige.

Etwas angefixt vom, schon fast Bullaugen-förmigen Fenster, schraube ich die Klemmen auf und öffne das Fenster. Draußen regnet es fast schon waagerecht, aber trotzdem bin ich fasziniert von dem Blick auf die Container. Meine nächsten Stunden verbringe ich damit die Ladearbeiten zu beobachten und freue mich, als der erste Ladekran vorgefahren kommt. Ich mache Photos, ganz entzückt, dies mal vor Ort erleben zu können. Aber schon muss ich runter auf Deck B, in die Offiziers-Messe, zum Mittag.

Vom Taxifahrer wusste ich, dass er noch vier weitere zum Schiff bringt, sodass ich am Mittagstisch nicht ganz überrascht auf die vier anderen stoße. Es sind zwei französische Pärchen im Rentenalter die eine Reise nach Französisch-Guyana machen. Eineinhalb Personen können sogar englisch, sodass ich zumindest das eine Pärchen etwas kennenlerne. Sie wollen acht oder neun Tage das französische Überseegebiet bereisen, um dann aber zurückzufliegen. Mit Spaß nehmen sie es, dass sie ja länger mit dem Schiff unterwegs sind, als im Ziel-Land. Besonders einer von Ihnen scheint eine Art Witzbold zu sein. So weiß ich jetzt nicht nur, dass das Ablegen sich verzögern wird, weil noch Ladung fehlt, sondern dass es auch der Champagner ist, der noch geliefert werden muss. Für morgen früh um 6Uhr ist das ablegen geplant, sodass es zumindest ein Tag später wird.

Während wir vor uns hin essen, geht wieder ein Ruck durch das Schiff. Wir drücken fast die Nasen an den Fenster breit, weil nun direkt vor unseren Augen angefangen wurde, die Container zu entladen. Wir sind fasziniert von dem, was für die leucht-gelben Menschen draußen, und die Schlafanzug-Typen drinnen, völliger Alltag ist. Gespannt schauen wir zu, wie der Greifer sich verlangsamt und auf den Container krachend einrastet.