Apr 7 2019

Salvador, Yemayá und Tapioca

Von Karl

Salvador, Bahia, Brasilien

 

nach Salvador

Unser Start von Arraial do Cabo (Bundesstaat Rio de Janeiro) gestaltete sich nicht ganz leicht. Es gibt nur Verbindungen nach Rio de Janeiro, sodass wir erstmal mit dem Stadtbus nach Cabo Frio fuhren, was gleich der nächste Ort ist. Leider gab‘s hier auch keine Wunschverbindungen, sodass wir erstmal zum unaussprechlichen Campos dos Goytacazes aufbrachen. Gegen Mitternacht begannen wir dort dann mit dem letzten Schalterbediensteten eine theoretische Odyssee durch die letzten Verbindungen und Preise. Schlussendlich entschieden wir uns für Eunápolis im Bundesstaat Bahia, wo es auch hingehen soll.

Gegen Mittag waren dann auch dort, doch leider gab es nur Verbindungen über Nacht in die ehemalige Hauptstadt Salvador. Wir begann also die Stadt zu erkunden, aber jede*r ist hier der Meinung, dass die Stadt nicht sehenswert ist. Gut, es gibt nun auch nicht so viel zu erkunden, aber lecker Acai essen ist trotzdem drin.

Ein kleiner Platz neben der modernen Kirche lädt zum Verweilen ein. Das schönste aber in Eunápolis war wieder die Motorradfahrt zurück zum Busbahnhof. ach, die Motorrad-Taxis, ich werd‘s vermissen …

Salvador

Salvador war mal wichtiger und das als es Brasiliens Hauptstadt war. Heute eher aus kultureller Sicht berühmt. Sie gestaltet sich wie viele brasilianische Großstädte sehr durchmischt. Große Schnellstraßen durchkreuzen arme Favelas und reiche Hochhaussiedlungen. In letzteren Haben wir bei einer Professorin, genannt Ilma, ein Zuhause bekommen. Vom 9ten Stock aus bietet der Balkon schon einen kleinen Ausblick auf die Gegend. Der Sicherheitsdienst nahm es ganz genau und der Pool ist geheizt. Kinderparadies und Muckibude haben wir nicht genutzt. Mag es mal angenehm zu sein, in so einer Umgebung abzusteigen, sind wir, Azul und ich, doch einig, dass ein mit Mauer, Stacheldraht und Elektrozaun umgebenes Zuhause uns nicht gefällt.

Salvador war im 18. Jahrhundert mal Hauptstadt Brasiliens. Viele Sklav*innen unter anderem aus dem heutigen Angola wurden hierher gebracht und haben die Region nachhaltig geprägt. Immer wieder kam es zu Aufständen und Streiks, die gegen die Sklaverei und Kolonialherren in Portugal sich richteten und schlussendlich auch erfolgreich waren. Ausdruck dieser Zeit ist auch der Kampf- bzw. Tanzsport Capoeira, der seine Heimat besonders auch in der Bahia hat, wie die Region genannt wird.

Yemayá

Mit den Sklav*innen kamen auch deren Religionen nach Brasilien und Teile haben sich bis heute gehalten. Teils wurden die Religionen von der katholischen Kirche okkupiert. Eine der Religionen ist die der Yoruba aus Nigeria und Benin, die über die Zeit zur eigenständigen afrobrasilianischen Religion Candomblé wurde. Teil dieser Religion ist die Heilige Yemayá, die symbolisch für das Meer steht. Ihr zu Ehren wird jedes Jahr im Januar in verschiedenen Städten Brasiliens ein Fest abgehalten. Ilma machte uns darauf aufmerksam, dass am nächsten Tag, nach unserer Ankunft, dieses Fest im Stadtteil Rio Vermelho (zu deutsch: Roter Fluss) stattfinden wird, und, dass Salvador außerordentlich feierlaunig ist und jede Gelegenheit gerne genutzt wird.

So war dann auch unser Eindruck. Schon Kilometer vor dem angepeilten Ort der Feierlichkeiten, sehen wir tausende Begeisterte, die zu den Stränden pilgern und ihren Weg durch die unzähligen Verkäufer*innen schlängeln. Neben den üblichen Essen und Trinken, besonders Bierdosen, gibt es auch frittierten Käse. Der erst frisch über einen kleinen Eimer mit Holzkohle gegrillt wird, nachdem wir bestellt haben.

Wir erreichen dann auch, nachdem wir durch die Massen an Trinkenden uns durchgeschlängelt haben, einen Strandbereich. Teil der Tradition ist es Blumen ins Wasser zu werfen. Unzählige Tulpen schwammen schon im Wasser und der Strand ist gesäumt durch welke und nasse Blumen. Oft wird Frauen ein paar Blumen geschenkt, die sie dann ins Wasser werfen. Je nach Einkommen, auch ein Blumenstrauß oder sogar mit einer kleinen Bootsfahrt.

Rio Vermelho hat viele kleine Strände und wir hangeln uns von Strand zu Strand weiter bis wir zu einem größeren kommen, der auch massiv überlaufen ist. Unzählige Bötchen schaukeln im Wasser oder warten am Strand auf Kundschaft oder um das Spektakel zu beobachten. Genauso wie Fernsehsender, die eine eigene große Plattform aufgebaut haben. Tatsächlich gibt es hier auch Zelte für rituelle Segnungen und teils steigen Priester in religiösen Trachten mit großen Blumengestecken auf die schaukelnden Boote. Unter dem gespannten Interesse der Umstehenden die das auf jeden Fall sehen und photographieren müssen.

Oberhalb des Strandes steppt auch der Bär. Essen und Trinken soweit das Auge reicht. Tausende die feierlaunig die Straßen bevölkern. Die eigentlich breite Uferstraße folgend kommen dann auch Bars mit DJs und Boxen um die Straße mit tanzbarer Musik zu bespielen. Den Rhythmen folgend bewegen sich die hunderten Menschen, wenn sie nicht von umziehenden Gruppen, Bierträger*innen oder der brutalen Polizei geschubst werden. Die Polizei tritt in kleinen Gruppen auf und es ist sehr ratsam nicht denen im Weg zu stehen, weil, wie ich beobachten musste, sie schnell mal den Schlagstock zücken und kräftig zulangen.

Wir versuchen die entsprechenden Korridore frei zu halten und genießen die MPB. MPB meint soviel wie brasilianische Popmusik. In Brasilien hat sich eine eigene Popmusik entwickelt die auch immer wieder weltweit bekannte Titel hervorbrachte. Natürlich läuft auch etwas Elektro, Rock und Reggae. Salvador ist, ähnlich wie Rio de Janeiro, ein Ort, der besonders LGBTIQ-freundlich ist. Wir tanzen entlang des Regenbogens bis uns die Füße schmerzen. Teil der Tradition dieses Festes scheint auch der Verkauf von Armbändchen zu sein, die es auch in Regenbogenfarben gibt. MPB ist einfach zu finden, falls ihr mal reinhören wollt.

Pelourinho

Salvadors touristisches Zentrum ist Pelourinho. Es ist die hübsch restauriert Altstadt. Sie liegt in der Oberstadt. Die Unterstadt liegt auf Meeresspiegelniveau und wurde über die Jahrzehnte weitestgehend aufgeschüttet.

Um von der Ober- in die Unter-Stadt zu kommen, oder umgekehrt, gibt es neben der verschiedenen sich windenden Wege, den Elevador Lacerda, einen historischen Aufzug. Der beige-weiße Bau ist hübsch restauriert und enthält mehrere Aufzüge. Über eine Brücke führt der Weg zum oberen Ende des Aufzugs.

Ein weiter Ausblick erlaubt der Blick durch die breiten Fenster auf die verschiedenen Häfen. Der Aufzug ist sehr günstig und entsprechend sollte Kleingeld parat gehalten werden. Unweit des Aus- und Einstiegs in der Unterstadt gibt es auch einen großen Markt mit allerlei Handwerk und Souvenir-Kram.

Obschon alles ganz nett ist, chillen wir doch mehr am Wasser als alles andere und fahren rechtzeitig mit der S-Bahn zurück. Mittlerweile gibt es zwei Linien, die seit Jahrzehnten geplant und gebaut werden, aber für Salvadors Bedarf zu wenig ist. Mir kam zu Ohren, dass die Metro ein ähnlich belächeltes Großprojekt ist wie der Berliner Flughafen.

Wir müssen pünktlich zurück sein, denn Ilma lud uns ein, mit zu einem Axé-Konzert zu kommen. Axé hat auch afrobrasilianische und bahianische Wurzeln und ist in den letzten Jahren sehr beliebt geworden, auch außerhalb von Bahia. Falls ihr mal reinhören wollt, ich hab euch mal Daniela Mercury rausgesucht, eine Axé-Ikone. Das Konzert ist in vollem Gang und das schon am frühen Abend. Ich bin beeindruckt von der Leidenschaft die die Menschen durchströmt. Bis zur Oma hinterm Verkaufsstand lassen sich alle mitreißen. Die Oma verkauft übrigens Tapioca.

Auch Ilma und viele andere essen gerne Tapioca, insbesondere zum Frühstück. Tapioca ist eine weißes Pulver was es in allen Lebensmittelgeschäften gibt und aus Maniok gemacht wird. Das beeindruckende ist dabei die Zubereitung. Das Pulver wird feingesiebt und ohne Öl oder Wasser in eine Pfanne gegeben. Zur Not etwas festgedrückt, wird das weiße Pulver erhitzt. Dabei verbindet es sich nach und nach zu einer Masse, sodass es wie eine weißer Eierkuchen aussieht. Nur einmal drehen und servieren bevor es braun wird. Es schmeckt nach nichts und ist etwas gummiartig. Wichtig ist nun die Füllung, das heißt, was eingerollt wird. Die Faulen und Armen nutzen Salz und Margarine. Darüber hinaus sind verschiedene Fleisch- und Käsesorten beliebt, manchmal mit Rührei, gekochten Gemüße oder gar süß. Ich denke ich packe mir auch ein Päckchen ein.

Nachdem unser Hunger gestillt ist, geht es zurück zwischen die Tanzenden um es ihnen gleich zu tun. Es ist tatsächlich eine unglaublich gut tuende Musik. Sie lässt entspanntes langsames Zappeln zu, aber auch energetisches Ausrasten, wenn einen nach einer anstrengenden Arbeitswoche gerade danach ist. Auf der Bühne singt Margareth Menezes. Hört’s euch mal an. Sie ist auch ziemlich berühmt und als sie ihren Hit Dandalunda schmettert sind alle aus dem Häuschen.

Es gibt zudem eine große Halle auf dem Gelände die sich der solidarischen Wirtschaft verschrieben hat und viele Produkte aus alternativer Produktion, z.B. von Kollektiven, anbietet.

Vieles sind auch Produkte die auf die Schwarze Tradition beziehungsweise das afrobrasilianische Leben sich beziehen. So werden viele bunte Tücher angeboten, die vor allem Frauen um den Kopf tragen und auf der Stirn verknoten. Aber auch antirassistische Initiativen verkaufen Shirts mit Statements, oder ökologisch-vegane Seife, oder recycelte Kunst, oder oder oder …

Erneut gehen wir begeistert nach dem kleinen Shopping zurück zur Tanzwiese. Leider endet das Konzert relativ früh. Nach einem spätabendlichen Acai fahren wir ein letztes Mal zu Ilma nach Hause, denn am nächsten Tag steigen wir ein letztes Mal in den Fernbus. Nicht ohne im Busbahnhof nochmal fett Feijoada zu futtern.


Apr 3 2019

Am Januar-Fluss

von Karl

Rio de Janeiro, Brasilien

 

Copacabana und Ipanema

Rio de Janeiro ist wohl Brasiliens berühmteste Metropole. Ort der Sehnsucht so vieler Reisenden und derer die es werden wollen. Dann dort anzukommen ist dann doch wie ein Abgleich mit der Realität. Was uns allerdings schon im Vorfeld erreichte sind Berichte von anderen Reisenden die ihrer Habseligkeiten erleichtert wurden bis hin zu einem argentinischen Reiseradler der in den Außenbezirken erschossen wurde. Entsprechend vorsichtig und vorbereitet sehen wir unsere Umgebung.

Tatsächlich verschlägt es uns unweit des berühmtesten aller Strände: der Copacabana. Der Strand erstreckt sich auf mehrere Kilometer, ist vielleicht hundert Meter breit, kaum Bäume, breite Küstenstraße und hohe Hotelbauten. Es erinnert ein wenig an Hollywood-Filme. Schon während des Sonnenaufgangs kommen die ersten Menschen an den Strand und spätestens ab Mittag ist Hochbetrieb. Fliegende Händler*innen bieten Cocktails, Acai, Sonnenbrillen, Bier, und vieles mehr. Mit Länderflaggen wird versucht die jeweiligen Touris anzulocken, obschon die meisten aus Brasilien selbst kommen.

Die Sonne bruzelt brachial, sodass für mich ein langer Strandtag ausgeschlossen erscheint. Die Wellen bauen sich bis auf zwei Meter Höhe auf und brechen ziemlich spät. Meist auch erst direkt am Strand, sodass es gefährlich wird. Einmal wirft mich eine der Wellen etwas unsanft an Land. Der massive Tourismus hat auch das Wasser und den Strand mit Müll angereichert. Gut, mal an der Copacabana gewesen sein, aber zum Urlaub machen gibt es schönere, sichere und preiswertere Orte.

Den Weg an der Copacabana entlang folgend kommen wir zum Ende des Strandes wo die Straße abknickt. Nach 500 Metern eröffnet sich ein ähnlicher Strand, allerdings mit zwei Meter Höhenunterschied zwischen Straße und Strand. Ipanema heißt Rios zweitwichtigster Strand. Minimal ruhiger und für die Sonnenuntergangsliebenden optimal. Am Strand oder von den nahen Felsen lässt sich die rote Scheibe beobachten die zwischen den Wolken im Meer versinkt.

Zuckerhut und Christus

Nach einem Strandtag folgen wir den Pfaden der Touris und wollen rausfinden, was denn so schön an dem berühmten Zuckerhut und dem großen Christus ist. Der Zuckerhut, eigentlich nur ein Felsen, heißt im brasilianischen Zuckerbrot und ist über zwei Seilbahnen angeschlossen. Dafür wird ein satter Preis von ungefähr 100 Reales verlangt, was weit über 20 Euro liegt. Dafür das die Seilbahn echt nicht weit fährt, ist uns das zu teuer und wir suchen einen neuen Weg.

Vorbei an einem Militärgebäude und kleinem Strand mit Bucht kommen wir auf einen geteerten Wanderweg.

Den immer folgend kommt ein Abzweig auf den ersten Hügel, wo die erste Seilbahn hinfährt. Von dort bezahlt mensch nur noch den halben Preis, aber selbst das überspringen wir und folgen dem Wanderweg weiter. Irgendwann endet der Weg und es folgt ein Trampelpfad der teils Kletterkünste erfordert und steil ist. Wir können aber alle Unebenheiten überwinden und finden auch den Punkt an dem es weiter bergauf geht. Irgendwann überholt uns eine kleine französische Gruppe und klärt auf, dass später bergsteigerisches Können und Material benötigt wird. Als dann tatsächlich der Anstieg sehr herausfordernd wird und wir die Gruppe klettern sehen können, geben wir dann doch auf. Wenn es machbar wäre, wäre wohl die Seilbahn günstiger. Nagut, dann nicht.

Gut, ich sag‘s vorab, dem Christus kann ich nichts abgewinnen, aber mal gucken gehen. Auch hier werden saftige Preise verlangt und wir bezahlen bei der Zwischenstation der Bergbahn den selben Preis, wie als wenn wir unten eingestiegen wären.

Oben angekommen geht es noch breite Treppen bis zum Fuße der hohen Statue, die, so wie sie ist, auch an anderen Orten und an ähnlicher Stelle über der jeweiligen Stadt steht, aber halt nicht so berühmt ist. Nun wird es zur Herausforderung nicht auf einen der herumliegenden Touris zu treten.

Tatsächlich legen sie sich reihenweise auf den Boden um das eine berühmte Photo machen zu können mit dem Jesus im Hintergrund. Eine gelungene PR-Aktion der Kirche, wie ich finde. Sie ist auch mit Nichten die größte Statue der Welt. Diese ist sechsmal größer.

Viel imposanter und beeindruckender ist der Blick auf Rio de Janeiro selbst. Zu deutsch heißt das übrigens „Januar-Fluss“. Es ist gut zu überblicken, dass die Stadt immer wieder unterbrochen wird von Bergen bzw. größeren Felsen. So ist der strandnahe Bereich mit Felsen unterbrochen vom eigentlichen Zentrum, welches schon an der Bucht liegt und nicht mehr am offenen Meer. Am Industriehafen ist dann auch eine lange und beachtliche Brücke die die Bucht überspannt. Die brasilianische Fernstraße BR-101 pulsiert hier, von dem südlichsten Bundesstaat kommend, entlang der Atlantikküste bis zur äußersten östlichen Ecke Brasiliens.

Auch ein größerer See liegt im Rücken Ipanemas. Auf den Hügeln sind die Armensiedlungen zu erkennen, die in Brasilien Favela genannt werden. Benannt nach einer Kletterpflanze, weil sich die Siedlungen an den Hügeln entwickelt hatten und bis zu den Gipfeln gewachsen sind. Sie sind in sich sehr verschieden. In manchen wurde Infrastruktur von Strom über öffentliche Verwaltung bis Freizeitangebote eingerichtet und das in Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen. In anderen führt die Militärische Polizei einen Krieg gegen Jugendbanden die mit Drogen oder Waffen handeln. Einmal dürft ihr raten, was allen Seiten mehr geholfen hat.

Mittlerweile soll es von der Polizei bezahlte Banden geben, die Schutzgeld erpressen. Wenn die Polizei versucht die Banden zu mischen, kann es, wie zur Zeit wohl in Fortaleza, dazu kommen, dass sie sich zusammen schließen und gemeinsam Polizei und öffentliche Infrastruktur angreifen. Als besonders bezeichnend soll der Roman und Film „Die Stadt Gottes“ sein, der die Entwicklung einer gleichnamigen Favela in Rio über die Jahrzehnte anhand von verschiedenen Menschen erzählt. Der Autor ist selbst in der Favela aufgewachsen. Mittlerweile und auch durch die Fußball-Weltmeisterschaft wurden besonders die innerstädtischen und touristisch interessanten Favelas „polizeilich befriedet“. Zunehmend übernehmen Investoren die Gebiete und bauen neue hochpreisige Anlagen für Touris hin. Die Armen ziehen an den Rand der Stadt.

Ankommen und Bleiben und Sein

Neben den Strandgebieten bietet auch Rio in der Innenstadt ein paar sehenswerte Ecken. So gibt es ein größeres Viadukt dass eine einen Platz überspannt und auf dem eine historische Straßenbahn rollt.

Unweit führt der Weg zu einer bunten Treppe, die mit lauter Fließen gepflastert ist und auf der Touris anstehen um ein Photo vor den Kacheln zu machen. Rund herum versuchen Leute etwas zu verkaufen. Wir schauen uns das Spektakel an und die Graffiti in der Umgebung.

Allerdings erscheinen uns die Nebenstraßen als nicht besonders sicher. Viele jugendliche Gruppen warten am Straßenrand und schauen uns eine Spur zu düster drein, als dass wir da durchwandern möchten. Dabei habe ich Angst, dass ich Angst bekomme allein weil ich Schwarze Jugendliche sehe. Leider ist Armut und Rassismus auch in Brasilien zu oft verbunden und führt dann zu dem Kriminalitätsdruck, der mich vorsichtig werden lässt. In einem Touri-Führer las ich, dass ich nicht nur traurig sein solle, wenn mir Geld abgenommen wird, es würde auch den Hunger bekämpfen. Hier entstehen Bilder im Kopf, die schon so oft auf den Großplakaten von „Brot für die Welt“ mich traurig angeschaut haben. Ja, Rassismus und Klassismus sind intersektional. Das heißt, dass eine bedingt das andere und lässt sich schwer trennen. Wie kann ich hier als weißer Europäer diskriminierungsarm auftreten? Ich kann es euch nicht abschließend beantworten, aber vielleicht ist es hilfreich, die konkreten Ursachen und die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu benennen. Im besten Fall die eigenen Auswirkungen sich bewusst zu machen und daraus Handlungen abzuleiten. Als Touri stehen wir nicht nur außen und machen ein Photo von dem Ist-Zustand, nein, wir verändern und beeinflussen den auch. und vielleicht ist es tatsächlich nicht so schlimm, wenn wir mal beklaut werden. Die allermeisten Gewalttaten, besonders auch die Schießereien, finden in den Armensiedlungen statt und die allermeisten Opfer sind die armen und damit zu oft auch die Afrobrasilianer*innen.

Vielleicht sollten Reisende Schwarze Realität und Geschichte also auch sichtbar machen. So war Rio ein wichtiger Ankunftshafen für die Sklav*innen der europäischen Kolonialherren. Der Valongo-Kai ist heute als Weltkulturerbe und archäologische Ausgrabungsstätte leicht zu besichtigen. Hier sollen bis zu einer Million Menschen angekommen sein. Ein Symbol für die wohl größte erzwungene Migrationsbewegung und eines der größten Verbrechen der Menschheit. Besonders für Afrobrasilianer*innen haben Orte wie der Valongo-Kai eine besondere Bedeutung. Der Valongo-Kai liegt heute nicht mehr an der Wasserkante, weil über die Jahre der Strand weiter versandet ist, beziehungsweise verbaut wurde, und damit ist das Wasser von dem Denkmal aus gar nicht mehr einsehbar. Ein Teil des alten gemauerten Kais ist freigelegt und befindet sich auf einem kleinen Platz unweit des Zentrums. Einige Schilde informieren umfassend über das Monument.

In unmittelbarer Umgebung gibt es noch weitere Denkmäler afrobrasilianischer Geschichte, wie z.B. ein Garten, ein Friedhof und ein kulturelles Zentrum. 

Als es für uns hieß einen Bus zu finden, der weiter der BR-101 nach Norden folgt, kamen wir dann auch unerwartet am berühmten Sambódromo vorbei. Es ist der Ort wo jedes Jahr der berühmte Karneval von Rio stattfindet. Auf hunderten Metern stehen große Tribüne beidseits eines ungenutzten Weges, in deren Mitte dann die Samba-Schulen in vier Ligen gegeneinander antreten. Gerade ist kein Karneval, aber er wirft seinen Schatten schon voraus.

Ruhiger und weniger tanzend klettern wir in einen der Busse und verlassen die Metropole am vermeintlichen Januar-Fluss gen Norden über die imposante Brücke.