Apr 11 2019

Irgendwo im Atlantik

Von Karl

Schifffahrt von Natal, Rio Grande do Norte, Brasilien nach Algeciras, Andalusien, Spanien

 

Kaum war ich auf dem Schiff, sogleich wurde ich dem Sicherheitsoffizier zugewiesen. Er war fröhlich und gesprächig und ich folgte dem blauen Overall mit gelben Leuchtstreifen und weißem Helm. Ich nun auch mit weißem Helm ausgestattet.

Es gibt verschiedene Arten vor Rettungsbooten und Rettungsinseln, die zum Teil einfach nur über Bord geworfen werden müssen und sich dann von alleine aufblasen. Am Heck gibt es aber auch ein großes Lifeboat mit genügend Plätze für alle, aber nicht nur das, jede*r hat ihren eigenen zugewiesenen Platz in dem riesigen orangenen Freifallboot. Mein Platz trägt die Nummer 14. Es ist voll umschlossen und hängt mit dem Bug 45 Grad geneigt nach unten und vom C-Deck, also vom dritten Stock aus, kann es vom Heck aus bestiegen werden. Gleich nebenan ist auch im Notfall der Treffpunkt.

Es gibt verschiedene Arten von Notfällen mit verschiedenen Alarmen und verschiedenen Handlungsanweisungen, sodass es teils etwas unübersichtlich war für mich. Teils betrifft es mich als Passagier auch gar nicht, z.B. im Falle eines Öllecks. Fast spannender war jedoch, dass wir während der Ladungsarbeiten eine Rundgang über das Schiff gemacht haben und ich dadurch mal in einen leeren Ladungsraum schauen konnte. Wir sind sogar bis auf den Boden geklettert, vielleicht sieben Stockwerke. Dort stehend sind es dann höchstens zwei Meter bis unter den Kiel. Das riesige Fassungsvermögen wirkt nochmal krasser, wenn es leer ist und dann stehen wir in nur einen der vielleicht zehn Reihen an Containern. Wenn mensch dann noch bedenkt, dass auf den Deckeln, wenn die Ladeluken verschlossen sind, nochmal fünf Container übereinander und zwölf nebeneinander gestapelt werden. Alles zusammen macht das über 1.100 Container nur auf diesem Schiff. Gut, es ist auch 190 Meter lang, aber es trotzdem enorm. Unzählige Wassertanks machen es möglich, dass auch relativ durcheinander die Container gestapelt werden können. Durch das Einpumpen oder Ablassen von Wasser, kann das Schiff immer austariert werden.

Erst am übernächsten Tag nach dem Aufstieg merke ich, dass sich die CMA CGM Saint Laurent aufs Auslaufen vorbereitet. Bis dahin habe ich noch drüber nachgedacht, vielleicht nochmal in die Stadt zu gehen, aber irgendwie hatte ich schon mit Natal abgeschlossen. Natal heißt übrigens Weihnachten auf portugiesisch. Also hatte ich mit Weihnachten abgeschlossen gehabt. Als dann aber die Kräne längsschiffs gestellt wurden und Seeleute an den Trossen hantierten, sah ich auch wie die Gangway hochgezogen wurde. Das macht ein kleiner Extra-Motor und schlussendlich wird sie nur noch ans Geländer geklappt.

Auf geht‘s

Irgendwie war ich froh, dass es nun endlich losgeht. Ein Schlepper kam nun auch noch, aber er nahm die Saint Laurent nicht an die Leine. Zwei Lotsen waren auch schon an der Brücke, sowie der Kaptain und wer sonst wichtig ist. Etwas aufregend zu sehen, wie wir uns von dem vermeintlich fest verbundenen Ufer lösen und davon gleiten. Als wenn ich dachte, dass das Schiff teil des Festlandes wäre.

Mittels Bug– und HeckStrahlruder beginnt das Schiff sich um 180 Grad zu drehen um mit dem Bug gen Ozean zu zeigen. Der kleine Schlepper drückt dabei mit seinem Bug seitlich gegen den unsrigen um beim Wenden zu helfen. Trotzdem geht alles deutlich langsamer als die meisten es wohl von Fahrzeugen gewohnt sind.

Das andere Ufer des Rio Potengi, gegenüber vom Hafen, ist ausschließlich von Bäumen überwachsen. Tropische Natur ein letztes Mal vor meinem Auge.

Die letzten zwei Abende verschwand die goldene Sonne hinter den Bäumen und tauchte den Hafen und die Altstadt Natals in ein abendliches orange. Am Horizont beginnen die Hochhäuser, die sehr prägend für Natal waren. Wohnhochhäuser soweit das Auge reicht, doch hier am Hafen gibt es deutlich kleinere.

Es erscheint mir unfassbar schwierig zehntausende Tonnen, die nicht gebremst werden können, durch den nun klein scheinen Fluss zu manövrieren. Auch die kleinen Segelboote im Yachthafen erscheinen wie Spielzeugboote. Es wäre schier unmöglich denen kurzerhand auszuweichen.

Langsam schieben wir uns durch den Fluss. Der Hafenlotse ist auf jedem ein- und auslaufenden Schiff dabei. Er steht dabei mittig ganz vorne auf der Brücke und sagt ab und zu sowas wie „Ruder 5 Grad Backbord“. Dann sagt der Rudergänger das auch nochmal und kurz darauf, wenn das Ruder wirklich 5 Grad Backbord ist, dann sagt der Rudergänger zum zweiten Mal „Ruder 5 Grad Backbord“. Darauf gibt‘s ein kurzes „Danke“ vom Lotsen. Im Hafen kommt alle paar Minuten ein solcher Befehl.

Wir passieren dabei eindrucksvoll die Newton-Navarro-Brücke, welche nachts rot angestrahlt wird.

Sie verbindet den Nord- und den Südteil Natals miteinander. Als wir dann aber weiter auf offener See sind, wird dann nur noch die Richtung vorgegeben und die Geschwindigkeit erhöht. Der Kompass wird dafür in 360 Grad geteilt und wenn der Lotse sagt, dass wir nach 180 Grad fahren, dann fahren wir nach Süden. 90 Grad ist Osten und 270 Grad wäre Westen. Relativ schnell verabschieden sich die beiden dann auch und werden von einem kleinen Boot abgeholt, welches sie zurück nach Natal schafft. Nun übernimmt wieder die normale Brückenwache das Kommando. Bestehend aus einem Offizier und einen Seemann. Es ist zudem erstaunlich wie sehr sich die Vibration des Motors auf das Schiff überträgt.

Obwohl, eigentlich übernimmt einer der beiden Autopiloten. Mit 17 oder 18 Knoten, was etwas über 30 km/h sind, nimmt der Autopilot Kurs auf Spanien. Er sagt auch eine ungefähre Ankunftszeit voraus und das obschon die Überfahrt über eine Woche dauert. Ich komme in laufe der Tage nochmal auf die Brücke, denn Zeit habe ich ja genug. Eine Brückenwache scheint eine sehr entspannte Sache zu sein. Sie trinken mal Kaffee und müssen alle zwölf Minuten einen Knopf drücken, damit kein Alarm anspringt. Um sicher zu stellen, dass sie nicht eingeschlafen sind oder irgendwo anders sind. Ein System was es bei Zügen zum Beispiel auch gibt. Im Prinzip überwachen die beiden nur die vielzähligen Computer und reagieren auf Alarme. Nichtsdestotrotz wird auch nochmal händisch auf Seekarten gezeichnet. Es gibt auch Handlungsanleitungen für Piratenüberfälle, doch die spielen in diesen Seegewässern keine Rolle. Ein weiteres Tool ist die Blackbox, die sämtliche Eingaben und Informationen der Computer speichert, sowie die Gespräche auf der Brücke. Sollte das Schiff demnächst untergehen und die Blackbox geborgen werden, wären meine Unterhaltungen auch dabei. Die beiden haben ein entspanntes Leben. Zwei Mal am Tag kommen sie für vier Stunden auf die Brücke. Zwischendurch noch etwas Papierkram.

Sonnige Tage bieten sich an einen kleinen Rundgang auf dem Schiff nach vorne zu machen. Jedes Mal wenn das Schiff sich anhebt und wieder in eine Welle sich hineinlegt, wird das Meerwasser im hohen Bogen vom Boot weggeschleudert. Es wirkt beruhigend und ich kann viel nachdenken. Fast wie tiefe Atemzüge, so arbeitet sich das Schiff durch das Dunkelblau.

An den Containern ist gut zu sehen, dass die Kühlcontainer extra Strom brauchen, Starkstrom. Aus den Seitenluken strömt beständig warme Luft. Nur damit wir Früchte essen können, die bei uns nicht wachsen. Tonnen an Schweröl werden wohl allein für die Kühlung gebraucht.

Grillfest

Einmal im Monat, so erfahre ich, gibt es auch ein Grillfest. Anstelle von Abendbrot gibt es verschiedenste gegrillte tote Tiere, Salate, Reis, frisches Knoblauch-Brot, Bier und feinste Torten.

Alles vom Koch, auf Schiffen Smut genannt, selbst gemacht. Den lerne ich dann auch noch kennen und wir unterhalten uns angeregt bis zu letzten Flasche Bier, als dann alle schon weg sind gegen Mitternacht. So erfahre ich, dass ihm die Knoblauch-Brote ziemlich schmecken und mir wird klar warum es alle paar Tage Knoblauch-Brot gibt. Die Baguettes dafür macht er übrigens auch selbst. Es ist ziemlich spannend zu sehen, wie aufwändig seine Arbeit ist. Meist beginnt er gegen sechs Uhr in der Frühe und ist nicht vor um zehn in seinem Zimmer. Die meiste Zeit ist er in seiner Küche.

Diese sieht aus wie eine typische Industrieküche mit Fließen und viel Edelstahl. Große Maschinen für alles mögliche, wie z.B. Teigkneter. Direkt von hier ab geht auch die Treppe in den Lagerraum und von dort zu mehreren Kühlkammern für Fleisch, Fisch, Käse, Milch, Obst und Gemüse.

Nur im französischen Hafen Le Havre wird das Lager aufgefüllt, welcher ungefähr einmal im Monat angelaufen wird. Ramil, der Smut, arbeitet allein. Vor Jahren waren sie noch zu zweit, aber nun nicht mehr. Sein Steward, eine Art Helfer, unterstützt ihn zwar, aber zufrieden ist Ramil damit nicht.

Ich unterhielt mich auch mit dem Bosun, zu deutsch Bootsmann. Lwin kommt aus Myanmar und hatte gute 15 Jahre für eine Bremerhavener Reederei gearbeitet. Da aber wegen der Schifffahrtskrise rund um die HSH Nordbank viele deutsche Reedereien aufgegeben haben, musste er wechseln und fährt nun für CMA CGM. Ein Bootsmann ist sowas wie ein Vorarbeiter und leitet die Seeleute an. Ramil, der als einziger von den Philippinen kommt ist nicht glücklich, denn es ist vielleicht seine letzte Fahrt. Die anderen Philippiner arbeiten auch nicht mehr an Bord, denn die Myanmarer arbeiten für 100 Dollar weniger im Monat. Die Offiziere kommen alle aus der Ukraine. Kaum ein Seemann der nicht eine Freundin oder gar Kinder und Familie zu Hause hat. Während die Ukrainer zum Teil feste Teams bilden und immer das gleiche Boot fahren, werden die Myanmarer jedes Mal neu eingesetzt. Sie sind meist zehn Monate an Bord und zwei Monate zu Hause. Die Ukrainer teils nur vier Monate an Bord und dann vier Monate zu Hause.

Die kurzen Verträge ermöglichen es schnell mal die Seeleute auszutauschen, auch wenn gute, wie Ramil, immer wieder angerufen worden. Er könnte sich nicht vorstellen in einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten, da dort sehr viele Köche*innen arbeiten, die jeden Tag nur Kleinigkeiten machen, das heißt auch mal stundenlang nur Zwiebeln schneiden. Eher wieder an Land arbeiten. Das ist ruhiger, da mensch dann nicht drei Mahlzeiten am Tag allein organisieren muss und es wäre näher an der Familie. Die Stimmung unter den Seeleuten ist kumpelhaft und wenn sie die gleiche Sprache sprechen nochmal besser. Nichtsdestotrotz ist wohl immer mal jemand angenervt, zumal sie ja auf Monate zusammen arbeiten müssen und niemand anderes treffen können.

Alkohol und Rauchen ist übrigens untersagt auf den Schiffen, genauso wie Mülltrennung vorgeschrieben ist. Nur hält sich niemand daran. Das Bier wird dann von Passagier-Trinkgeldern gekauft, die meist beim Kaptain landen. Für Ramil etwas unverständlich, weil lediglich er und der Steward zusätzliche Arbeit mit den Passagieren haben. Warum geben sie ihm denn nicht das Geld? Er ist aber eine ausgeglichene Seele und so richtig regt Ramil sich dann nicht auf. Die Verbote und Bestimmungen kamen von der Reederei, aber die Seeleute wurden nicht über die Hintergründe geschult. Sodass die leeren Bierflaschen und -dosen im hohen Bogen über Bord gehen. Vielleicht auch weil der andere Kaptain, der sonst das Schiff fährt, die Regeln durchsetzt.

Ramil muss noch einiges sauber machen, da die Vorschrift, nicht mit Arbeitsklamotte in die Messe und schon gar nicht in die Küche zu kommen, vollständig ignoriert wird. Es ist fast Mitternacht, er muss noch einiges aufräumen und ich verschwinde. Noch lange bevor ich aufstehe, steht er schon am Topf und kocht Porridge.

Schnelles Ende

Die Tage plätschern dahin. Ich schreibe für diesen Blog, schaue Dokus oder aufs weite Meer. Es ist faszinierend, wie weit und blau alles ist. Unter mir geht es drei Kilometer tief und im Umkreis von hunderten Kilometern gibt es keine anderen Schiffe oder gar Land. Nur auf der Karte ist irgendwann ersichtlich dass wir unter den Kapverdischen Inseln hindurch Höhe Senegals anfangen in weitem Abstand der Küstenlinie Nordwest-Afrikas zu folgen. Über Tage schieben wir uns nach Norden. Das beständig windige Wetter wird zunehmend kühler. Die flotten Wolkenfetzen sind aber beeindruckend. Besonders bei Sonnenunter- und -aufgang.

Der Wind trägt die Gischt hinauf und meine Brillengläser beschlagen. Zunehmend kommen die langen Wellen von der Seite. Auch wenn sie nicht besonders hoch sind, so bringen sie das Schiff etwas ins Schaukeln. Lediglich mal eine Birne kullert mir vom Tisch. Wirklich gefährlich ist es also nicht. Ich gehe auch mal zum Bug und beobachte die fliegenden Fische, wie sie ihre Flossen anstellen um dann über das Wasser zu segeln. In der Nähe der brasilianischen Küste gab es noch Möwen die sie gefressen haben. Sie flogen neben dem Schiff und haben die fliegenden Fische aus der Luft gefangen oder gar einen Meter unter Wasser.

So langsam nähern wir uns unserem Ziel. Als ich vor dem Schlafen nochmal raus gehe, sehe ich schon auf Steuerbord die marokkanische Küste. Die Lichter von Tanger oder einem kleinen Vorort. Im ruhigen Wissen, dass Laden und Entladen Tage dauert schlummere ich ein. Um sechs klingelt dann aber mein Festnetz und sie meinen, dass sie bald fertig werden. Schnell muss ich meine Sachen packen und noch zum Frühstück. Ramil Tschüss sagen, und dann zu Dmytro, der mich die ganze Zeit etwas betreut hat und mir meinen Reisepass wieder aushändigt. Auch hier nochmal gute Weiterreise gewünscht und schnell zur Gangway-Wache. Ein Seemann steht immer an der Gangway und kontrolliert wer kommt und geht.

Gerade ist großer Andrang und mehrere dutzend spanischer Hafenarbeiter verlassen das Schiff. Offensichtlich sind sie fertig mit dem Laden. Kurzes Tschüss und dann klettere ich über die wackelige Gangway an den Kai. Ein Shuttlebus nimmt auch mich mit zum Ausgang.

Die Sonne geht auf. Nun bin ich also in Europa wieder. Hier schließt sich der Kreis.

Knapp 11 Monate,

oder 47 Wochen und ein Tag,

oder 330 Tage.

330 Tage war ich weg, solange wie noch nie in meinem Leben. Es war sehr viel was darin passiert ist. Ich bin schon lange nicht mehr der selbe Karl. Ich hab mich geändert und mein Leben hat sich geändert. So schön beide waren und so schön war die Reise. Es ist schwer hier ein passenden Schlusssatz zu finden. Ich sag mal so, ich bereue nichts. und worauf ich besonders stolz bin: Ich bin keinen Meter geflogen.


Apr 7 2019

Salvador, Yemayá und Tapioca

Von Karl

Salvador, Bahia, Brasilien

 

nach Salvador

Unser Start von Arraial do Cabo (Bundesstaat Rio de Janeiro) gestaltete sich nicht ganz leicht. Es gibt nur Verbindungen nach Rio de Janeiro, sodass wir erstmal mit dem Stadtbus nach Cabo Frio fuhren, was gleich der nächste Ort ist. Leider gab‘s hier auch keine Wunschverbindungen, sodass wir erstmal zum unaussprechlichen Campos dos Goytacazes aufbrachen. Gegen Mitternacht begannen wir dort dann mit dem letzten Schalterbediensteten eine theoretische Odyssee durch die letzten Verbindungen und Preise. Schlussendlich entschieden wir uns für Eunápolis im Bundesstaat Bahia, wo es auch hingehen soll.

Gegen Mittag waren dann auch dort, doch leider gab es nur Verbindungen über Nacht in die ehemalige Hauptstadt Salvador. Wir begann also die Stadt zu erkunden, aber jede*r ist hier der Meinung, dass die Stadt nicht sehenswert ist. Gut, es gibt nun auch nicht so viel zu erkunden, aber lecker Acai essen ist trotzdem drin.

Ein kleiner Platz neben der modernen Kirche lädt zum Verweilen ein. Das schönste aber in Eunápolis war wieder die Motorradfahrt zurück zum Busbahnhof. ach, die Motorrad-Taxis, ich werd‘s vermissen …

Salvador

Salvador war mal wichtiger und das als es Brasiliens Hauptstadt war. Heute eher aus kultureller Sicht berühmt. Sie gestaltet sich wie viele brasilianische Großstädte sehr durchmischt. Große Schnellstraßen durchkreuzen arme Favelas und reiche Hochhaussiedlungen. In letzteren Haben wir bei einer Professorin, genannt Ilma, ein Zuhause bekommen. Vom 9ten Stock aus bietet der Balkon schon einen kleinen Ausblick auf die Gegend. Der Sicherheitsdienst nahm es ganz genau und der Pool ist geheizt. Kinderparadies und Muckibude haben wir nicht genutzt. Mag es mal angenehm zu sein, in so einer Umgebung abzusteigen, sind wir, Azul und ich, doch einig, dass ein mit Mauer, Stacheldraht und Elektrozaun umgebenes Zuhause uns nicht gefällt.

Salvador war im 18. Jahrhundert mal Hauptstadt Brasiliens. Viele Sklav*innen unter anderem aus dem heutigen Angola wurden hierher gebracht und haben die Region nachhaltig geprägt. Immer wieder kam es zu Aufständen und Streiks, die gegen die Sklaverei und Kolonialherren in Portugal sich richteten und schlussendlich auch erfolgreich waren. Ausdruck dieser Zeit ist auch der Kampf- bzw. Tanzsport Capoeira, der seine Heimat besonders auch in der Bahia hat, wie die Region genannt wird.

Yemayá

Mit den Sklav*innen kamen auch deren Religionen nach Brasilien und Teile haben sich bis heute gehalten. Teils wurden die Religionen von der katholischen Kirche okkupiert. Eine der Religionen ist die der Yoruba aus Nigeria und Benin, die über die Zeit zur eigenständigen afrobrasilianischen Religion Candomblé wurde. Teil dieser Religion ist die Heilige Yemayá, die symbolisch für das Meer steht. Ihr zu Ehren wird jedes Jahr im Januar in verschiedenen Städten Brasiliens ein Fest abgehalten. Ilma machte uns darauf aufmerksam, dass am nächsten Tag, nach unserer Ankunft, dieses Fest im Stadtteil Rio Vermelho (zu deutsch: Roter Fluss) stattfinden wird, und, dass Salvador außerordentlich feierlaunig ist und jede Gelegenheit gerne genutzt wird.

So war dann auch unser Eindruck. Schon Kilometer vor dem angepeilten Ort der Feierlichkeiten, sehen wir tausende Begeisterte, die zu den Stränden pilgern und ihren Weg durch die unzähligen Verkäufer*innen schlängeln. Neben den üblichen Essen und Trinken, besonders Bierdosen, gibt es auch frittierten Käse. Der erst frisch über einen kleinen Eimer mit Holzkohle gegrillt wird, nachdem wir bestellt haben.

Wir erreichen dann auch, nachdem wir durch die Massen an Trinkenden uns durchgeschlängelt haben, einen Strandbereich. Teil der Tradition ist es Blumen ins Wasser zu werfen. Unzählige Tulpen schwammen schon im Wasser und der Strand ist gesäumt durch welke und nasse Blumen. Oft wird Frauen ein paar Blumen geschenkt, die sie dann ins Wasser werfen. Je nach Einkommen, auch ein Blumenstrauß oder sogar mit einer kleinen Bootsfahrt.

Rio Vermelho hat viele kleine Strände und wir hangeln uns von Strand zu Strand weiter bis wir zu einem größeren kommen, der auch massiv überlaufen ist. Unzählige Bötchen schaukeln im Wasser oder warten am Strand auf Kundschaft oder um das Spektakel zu beobachten. Genauso wie Fernsehsender, die eine eigene große Plattform aufgebaut haben. Tatsächlich gibt es hier auch Zelte für rituelle Segnungen und teils steigen Priester in religiösen Trachten mit großen Blumengestecken auf die schaukelnden Boote. Unter dem gespannten Interesse der Umstehenden die das auf jeden Fall sehen und photographieren müssen.

Oberhalb des Strandes steppt auch der Bär. Essen und Trinken soweit das Auge reicht. Tausende die feierlaunig die Straßen bevölkern. Die eigentlich breite Uferstraße folgend kommen dann auch Bars mit DJs und Boxen um die Straße mit tanzbarer Musik zu bespielen. Den Rhythmen folgend bewegen sich die hunderten Menschen, wenn sie nicht von umziehenden Gruppen, Bierträger*innen oder der brutalen Polizei geschubst werden. Die Polizei tritt in kleinen Gruppen auf und es ist sehr ratsam nicht denen im Weg zu stehen, weil, wie ich beobachten musste, sie schnell mal den Schlagstock zücken und kräftig zulangen.

Wir versuchen die entsprechenden Korridore frei zu halten und genießen die MPB. MPB meint soviel wie brasilianische Popmusik. In Brasilien hat sich eine eigene Popmusik entwickelt die auch immer wieder weltweit bekannte Titel hervorbrachte. Natürlich läuft auch etwas Elektro, Rock und Reggae. Salvador ist, ähnlich wie Rio de Janeiro, ein Ort, der besonders LGBTIQ-freundlich ist. Wir tanzen entlang des Regenbogens bis uns die Füße schmerzen. Teil der Tradition dieses Festes scheint auch der Verkauf von Armbändchen zu sein, die es auch in Regenbogenfarben gibt. MPB ist einfach zu finden, falls ihr mal reinhören wollt.

Pelourinho

Salvadors touristisches Zentrum ist Pelourinho. Es ist die hübsch restauriert Altstadt. Sie liegt in der Oberstadt. Die Unterstadt liegt auf Meeresspiegelniveau und wurde über die Jahrzehnte weitestgehend aufgeschüttet.

Um von der Ober- in die Unter-Stadt zu kommen, oder umgekehrt, gibt es neben der verschiedenen sich windenden Wege, den Elevador Lacerda, einen historischen Aufzug. Der beige-weiße Bau ist hübsch restauriert und enthält mehrere Aufzüge. Über eine Brücke führt der Weg zum oberen Ende des Aufzugs.

Ein weiter Ausblick erlaubt der Blick durch die breiten Fenster auf die verschiedenen Häfen. Der Aufzug ist sehr günstig und entsprechend sollte Kleingeld parat gehalten werden. Unweit des Aus- und Einstiegs in der Unterstadt gibt es auch einen großen Markt mit allerlei Handwerk und Souvenir-Kram.

Obschon alles ganz nett ist, chillen wir doch mehr am Wasser als alles andere und fahren rechtzeitig mit der S-Bahn zurück. Mittlerweile gibt es zwei Linien, die seit Jahrzehnten geplant und gebaut werden, aber für Salvadors Bedarf zu wenig ist. Mir kam zu Ohren, dass die Metro ein ähnlich belächeltes Großprojekt ist wie der Berliner Flughafen.

Wir müssen pünktlich zurück sein, denn Ilma lud uns ein, mit zu einem Axé-Konzert zu kommen. Axé hat auch afrobrasilianische und bahianische Wurzeln und ist in den letzten Jahren sehr beliebt geworden, auch außerhalb von Bahia. Falls ihr mal reinhören wollt, ich hab euch mal Daniela Mercury rausgesucht, eine Axé-Ikone. Das Konzert ist in vollem Gang und das schon am frühen Abend. Ich bin beeindruckt von der Leidenschaft die die Menschen durchströmt. Bis zur Oma hinterm Verkaufsstand lassen sich alle mitreißen. Die Oma verkauft übrigens Tapioca.

Auch Ilma und viele andere essen gerne Tapioca, insbesondere zum Frühstück. Tapioca ist eine weißes Pulver was es in allen Lebensmittelgeschäften gibt und aus Maniok gemacht wird. Das beeindruckende ist dabei die Zubereitung. Das Pulver wird feingesiebt und ohne Öl oder Wasser in eine Pfanne gegeben. Zur Not etwas festgedrückt, wird das weiße Pulver erhitzt. Dabei verbindet es sich nach und nach zu einer Masse, sodass es wie eine weißer Eierkuchen aussieht. Nur einmal drehen und servieren bevor es braun wird. Es schmeckt nach nichts und ist etwas gummiartig. Wichtig ist nun die Füllung, das heißt, was eingerollt wird. Die Faulen und Armen nutzen Salz und Margarine. Darüber hinaus sind verschiedene Fleisch- und Käsesorten beliebt, manchmal mit Rührei, gekochten Gemüße oder gar süß. Ich denke ich packe mir auch ein Päckchen ein.

Nachdem unser Hunger gestillt ist, geht es zurück zwischen die Tanzenden um es ihnen gleich zu tun. Es ist tatsächlich eine unglaublich gut tuende Musik. Sie lässt entspanntes langsames Zappeln zu, aber auch energetisches Ausrasten, wenn einen nach einer anstrengenden Arbeitswoche gerade danach ist. Auf der Bühne singt Margareth Menezes. Hört’s euch mal an. Sie ist auch ziemlich berühmt und als sie ihren Hit Dandalunda schmettert sind alle aus dem Häuschen.

Es gibt zudem eine große Halle auf dem Gelände die sich der solidarischen Wirtschaft verschrieben hat und viele Produkte aus alternativer Produktion, z.B. von Kollektiven, anbietet.

Vieles sind auch Produkte die auf die Schwarze Tradition beziehungsweise das afrobrasilianische Leben sich beziehen. So werden viele bunte Tücher angeboten, die vor allem Frauen um den Kopf tragen und auf der Stirn verknoten. Aber auch antirassistische Initiativen verkaufen Shirts mit Statements, oder ökologisch-vegane Seife, oder recycelte Kunst, oder oder oder …

Erneut gehen wir begeistert nach dem kleinen Shopping zurück zur Tanzwiese. Leider endet das Konzert relativ früh. Nach einem spätabendlichen Acai fahren wir ein letztes Mal zu Ilma nach Hause, denn am nächsten Tag steigen wir ein letztes Mal in den Fernbus. Nicht ohne im Busbahnhof nochmal fett Feijoada zu futtern.


Apr 3 2019

Am Januar-Fluss

von Karl

Rio de Janeiro, Brasilien

 

Copacabana und Ipanema

Rio de Janeiro ist wohl Brasiliens berühmteste Metropole. Ort der Sehnsucht so vieler Reisenden und derer die es werden wollen. Dann dort anzukommen ist dann doch wie ein Abgleich mit der Realität. Was uns allerdings schon im Vorfeld erreichte sind Berichte von anderen Reisenden die ihrer Habseligkeiten erleichtert wurden bis hin zu einem argentinischen Reiseradler der in den Außenbezirken erschossen wurde. Entsprechend vorsichtig und vorbereitet sehen wir unsere Umgebung.

Tatsächlich verschlägt es uns unweit des berühmtesten aller Strände: der Copacabana. Der Strand erstreckt sich auf mehrere Kilometer, ist vielleicht hundert Meter breit, kaum Bäume, breite Küstenstraße und hohe Hotelbauten. Es erinnert ein wenig an Hollywood-Filme. Schon während des Sonnenaufgangs kommen die ersten Menschen an den Strand und spätestens ab Mittag ist Hochbetrieb. Fliegende Händler*innen bieten Cocktails, Acai, Sonnenbrillen, Bier, und vieles mehr. Mit Länderflaggen wird versucht die jeweiligen Touris anzulocken, obschon die meisten aus Brasilien selbst kommen.

Die Sonne bruzelt brachial, sodass für mich ein langer Strandtag ausgeschlossen erscheint. Die Wellen bauen sich bis auf zwei Meter Höhe auf und brechen ziemlich spät. Meist auch erst direkt am Strand, sodass es gefährlich wird. Einmal wirft mich eine der Wellen etwas unsanft an Land. Der massive Tourismus hat auch das Wasser und den Strand mit Müll angereichert. Gut, mal an der Copacabana gewesen sein, aber zum Urlaub machen gibt es schönere, sichere und preiswertere Orte.

Den Weg an der Copacabana entlang folgend kommen wir zum Ende des Strandes wo die Straße abknickt. Nach 500 Metern eröffnet sich ein ähnlicher Strand, allerdings mit zwei Meter Höhenunterschied zwischen Straße und Strand. Ipanema heißt Rios zweitwichtigster Strand. Minimal ruhiger und für die Sonnenuntergangsliebenden optimal. Am Strand oder von den nahen Felsen lässt sich die rote Scheibe beobachten die zwischen den Wolken im Meer versinkt.

Zuckerhut und Christus

Nach einem Strandtag folgen wir den Pfaden der Touris und wollen rausfinden, was denn so schön an dem berühmten Zuckerhut und dem großen Christus ist. Der Zuckerhut, eigentlich nur ein Felsen, heißt im brasilianischen Zuckerbrot und ist über zwei Seilbahnen angeschlossen. Dafür wird ein satter Preis von ungefähr 100 Reales verlangt, was weit über 20 Euro liegt. Dafür das die Seilbahn echt nicht weit fährt, ist uns das zu teuer und wir suchen einen neuen Weg.

Vorbei an einem Militärgebäude und kleinem Strand mit Bucht kommen wir auf einen geteerten Wanderweg.

Den immer folgend kommt ein Abzweig auf den ersten Hügel, wo die erste Seilbahn hinfährt. Von dort bezahlt mensch nur noch den halben Preis, aber selbst das überspringen wir und folgen dem Wanderweg weiter. Irgendwann endet der Weg und es folgt ein Trampelpfad der teils Kletterkünste erfordert und steil ist. Wir können aber alle Unebenheiten überwinden und finden auch den Punkt an dem es weiter bergauf geht. Irgendwann überholt uns eine kleine französische Gruppe und klärt auf, dass später bergsteigerisches Können und Material benötigt wird. Als dann tatsächlich der Anstieg sehr herausfordernd wird und wir die Gruppe klettern sehen können, geben wir dann doch auf. Wenn es machbar wäre, wäre wohl die Seilbahn günstiger. Nagut, dann nicht.

Gut, ich sag‘s vorab, dem Christus kann ich nichts abgewinnen, aber mal gucken gehen. Auch hier werden saftige Preise verlangt und wir bezahlen bei der Zwischenstation der Bergbahn den selben Preis, wie als wenn wir unten eingestiegen wären.

Oben angekommen geht es noch breite Treppen bis zum Fuße der hohen Statue, die, so wie sie ist, auch an anderen Orten und an ähnlicher Stelle über der jeweiligen Stadt steht, aber halt nicht so berühmt ist. Nun wird es zur Herausforderung nicht auf einen der herumliegenden Touris zu treten.

Tatsächlich legen sie sich reihenweise auf den Boden um das eine berühmte Photo machen zu können mit dem Jesus im Hintergrund. Eine gelungene PR-Aktion der Kirche, wie ich finde. Sie ist auch mit Nichten die größte Statue der Welt. Diese ist sechsmal größer.

Viel imposanter und beeindruckender ist der Blick auf Rio de Janeiro selbst. Zu deutsch heißt das übrigens „Januar-Fluss“. Es ist gut zu überblicken, dass die Stadt immer wieder unterbrochen wird von Bergen bzw. größeren Felsen. So ist der strandnahe Bereich mit Felsen unterbrochen vom eigentlichen Zentrum, welches schon an der Bucht liegt und nicht mehr am offenen Meer. Am Industriehafen ist dann auch eine lange und beachtliche Brücke die die Bucht überspannt. Die brasilianische Fernstraße BR-101 pulsiert hier, von dem südlichsten Bundesstaat kommend, entlang der Atlantikküste bis zur äußersten östlichen Ecke Brasiliens.

Auch ein größerer See liegt im Rücken Ipanemas. Auf den Hügeln sind die Armensiedlungen zu erkennen, die in Brasilien Favela genannt werden. Benannt nach einer Kletterpflanze, weil sich die Siedlungen an den Hügeln entwickelt hatten und bis zu den Gipfeln gewachsen sind. Sie sind in sich sehr verschieden. In manchen wurde Infrastruktur von Strom über öffentliche Verwaltung bis Freizeitangebote eingerichtet und das in Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen. In anderen führt die Militärische Polizei einen Krieg gegen Jugendbanden die mit Drogen oder Waffen handeln. Einmal dürft ihr raten, was allen Seiten mehr geholfen hat.

Mittlerweile soll es von der Polizei bezahlte Banden geben, die Schutzgeld erpressen. Wenn die Polizei versucht die Banden zu mischen, kann es, wie zur Zeit wohl in Fortaleza, dazu kommen, dass sie sich zusammen schließen und gemeinsam Polizei und öffentliche Infrastruktur angreifen. Als besonders bezeichnend soll der Roman und Film „Die Stadt Gottes“ sein, der die Entwicklung einer gleichnamigen Favela in Rio über die Jahrzehnte anhand von verschiedenen Menschen erzählt. Der Autor ist selbst in der Favela aufgewachsen. Mittlerweile und auch durch die Fußball-Weltmeisterschaft wurden besonders die innerstädtischen und touristisch interessanten Favelas „polizeilich befriedet“. Zunehmend übernehmen Investoren die Gebiete und bauen neue hochpreisige Anlagen für Touris hin. Die Armen ziehen an den Rand der Stadt.

Ankommen und Bleiben und Sein

Neben den Strandgebieten bietet auch Rio in der Innenstadt ein paar sehenswerte Ecken. So gibt es ein größeres Viadukt dass eine einen Platz überspannt und auf dem eine historische Straßenbahn rollt.

Unweit führt der Weg zu einer bunten Treppe, die mit lauter Fließen gepflastert ist und auf der Touris anstehen um ein Photo vor den Kacheln zu machen. Rund herum versuchen Leute etwas zu verkaufen. Wir schauen uns das Spektakel an und die Graffiti in der Umgebung.

Allerdings erscheinen uns die Nebenstraßen als nicht besonders sicher. Viele jugendliche Gruppen warten am Straßenrand und schauen uns eine Spur zu düster drein, als dass wir da durchwandern möchten. Dabei habe ich Angst, dass ich Angst bekomme allein weil ich Schwarze Jugendliche sehe. Leider ist Armut und Rassismus auch in Brasilien zu oft verbunden und führt dann zu dem Kriminalitätsdruck, der mich vorsichtig werden lässt. In einem Touri-Führer las ich, dass ich nicht nur traurig sein solle, wenn mir Geld abgenommen wird, es würde auch den Hunger bekämpfen. Hier entstehen Bilder im Kopf, die schon so oft auf den Großplakaten von „Brot für die Welt“ mich traurig angeschaut haben. Ja, Rassismus und Klassismus sind intersektional. Das heißt, dass eine bedingt das andere und lässt sich schwer trennen. Wie kann ich hier als weißer Europäer diskriminierungsarm auftreten? Ich kann es euch nicht abschließend beantworten, aber vielleicht ist es hilfreich, die konkreten Ursachen und die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu benennen. Im besten Fall die eigenen Auswirkungen sich bewusst zu machen und daraus Handlungen abzuleiten. Als Touri stehen wir nicht nur außen und machen ein Photo von dem Ist-Zustand, nein, wir verändern und beeinflussen den auch. und vielleicht ist es tatsächlich nicht so schlimm, wenn wir mal beklaut werden. Die allermeisten Gewalttaten, besonders auch die Schießereien, finden in den Armensiedlungen statt und die allermeisten Opfer sind die armen und damit zu oft auch die Afrobrasilianer*innen.

Vielleicht sollten Reisende Schwarze Realität und Geschichte also auch sichtbar machen. So war Rio ein wichtiger Ankunftshafen für die Sklav*innen der europäischen Kolonialherren. Der Valongo-Kai ist heute als Weltkulturerbe und archäologische Ausgrabungsstätte leicht zu besichtigen. Hier sollen bis zu einer Million Menschen angekommen sein. Ein Symbol für die wohl größte erzwungene Migrationsbewegung und eines der größten Verbrechen der Menschheit. Besonders für Afrobrasilianer*innen haben Orte wie der Valongo-Kai eine besondere Bedeutung. Der Valongo-Kai liegt heute nicht mehr an der Wasserkante, weil über die Jahre der Strand weiter versandet ist, beziehungsweise verbaut wurde, und damit ist das Wasser von dem Denkmal aus gar nicht mehr einsehbar. Ein Teil des alten gemauerten Kais ist freigelegt und befindet sich auf einem kleinen Platz unweit des Zentrums. Einige Schilde informieren umfassend über das Monument.

In unmittelbarer Umgebung gibt es noch weitere Denkmäler afrobrasilianischer Geschichte, wie z.B. ein Garten, ein Friedhof und ein kulturelles Zentrum. 

Als es für uns hieß einen Bus zu finden, der weiter der BR-101 nach Norden folgt, kamen wir dann auch unerwartet am berühmten Sambódromo vorbei. Es ist der Ort wo jedes Jahr der berühmte Karneval von Rio stattfindet. Auf hunderten Metern stehen große Tribüne beidseits eines ungenutzten Weges, in deren Mitte dann die Samba-Schulen in vier Ligen gegeneinander antreten. Gerade ist kein Karneval, aber er wirft seinen Schatten schon voraus.

Ruhiger und weniger tanzend klettern wir in einen der Busse und verlassen die Metropole am vermeintlichen Januar-Fluss gen Norden über die imposante Brücke.


Dez 19 2018

Bautis Welt und Familie

Salta, Argentinien

Von Karl

 

Benicio Bautista

Ich stelle kleine Plastik-Dinosaurier auf. Das ist meine Aufgabe, sie wurde von Benicio bzw. Bautista für mich vorgesehen. Vielleicht fünfzig Stück. Große und kleine, ruhige und aggressive, ja die ganze Bandbreite der allgemein bekannten Dinos. Bautista ist vier Jahre und stellt Plastik-Soldaten auf. Die meisten direkt gegenüber und andere kreisförmig um meine Dinos herum. Als wir nun alle aus den Eimerchen ausgeschütteten Figuren auf den Teppich mit bunten Häusern und Straßen aufgestellt haben, stellt er sich daneben und imitiert Schussgeräusche. Nach und nach wirft er Dinos von mir um.

Ich find‘ ja Kriegsspiele nicht ganz so lustig und frage ihn warum er das macht. Hat er in einem Film gesehen, sagt er. Kurz hält er inne, aber dann geht‘s weiter. Nagut, denke ich, dann mach ich was anderes. Als er mir aber folgt, merke ich erneut, dass er gern mit mir spielen möchte. Vorher hatte er mir Spielzeugwaffen angeboten, aber auch die hatte ich schon nicht genommen. Er versteht nicht, dass ich nicht mag.

Der vierjährige Junge mit seinen kurzen schwarzen Haaren ist der Sohn von meiner Couchsurferin. Darf ich vorstellen: Daiana, Mitte 20zig, immer schick gekleidet, Kümmerin, liebevolle Mutter, gesprächig und für jeden Spaß zu haben. Sie haben mich in ihren geräumigen Haus aufgenommen. Gerade stellt sie einen Teller mit Spaghetti für jede*n auf den Tisch. Benicio isst nur ein wenig und springt schon wieder rum. Daiana nimmt das gelassen. Generell bin ich beeindruckt mit welcher Gelassenheit sie ihn lässt und liebt. Dagegen sind deutsche Stille-Sitzen-Befehle reinste Diktatur.

In Südamerikas Welt, so mein Eindruck, gibt es viele Regeln für Kinder nicht, die viele in Deutschland für absolut wichtig finden. Aufessen, um 8 im Bett, immer artig sein, etc. Die Menschen hier, die daraus werden und denen ich begegne sind trotzdem freundlich und zuvorkommend. Vielleicht weniger autoritätsgläubig. Es ist eine reine Vermutung von mir, dass die weniger autoritäre Erziehung auch zu mehr Selbstständigkeit führt. Beispiel: Polizist*innen werden als normale Menschen betrachtet und wenn mir die Anweisung nicht gefällt diskutiere ich halt und widersetze mich. Ganz normal eben. Wenn kein weiteres Auto an der Kreuzung steht, dann kann ich auch bei Rot fahren. Wo kein Richter da kein Henker. Mir gefällt‘s und ich frag mich, ob wir unsere deutsche Über-Strenge wirklich brauchen und wir nicht zu viele autoritäre Charaktere formen.

Nun kommt er mit Jenga an den Tisch und wir beginnen dieses Spiel. Doch nach 10 Minuten ist dafür die Konzentration weg. 20 Minuten später räumt Daiana es wieder zurück. Ich versuche es mit Kartentricks. Er scheint noch zu jung zu sein, wiederholt meinen Trick mit eigenwilliger Interpretation bei mir. Manchmal sind die bunten Bilder auf den Karten aber dann doch noch interessanter.

Benicio Bautista hat übrigens zwei Vor- und zwei Nachnamen (hispanoamerikanische Namensgebung). Das ist völlig üblich. Meist vergeben beide Elternteile je einen Vornamen und ihren ersten Nachnamen weiter. Für mich war es anfangs verwirrend, dass er sowohl Benicio als auch Bauti gerufen wurde. Gegen 14 Uhr muss er in die Kita, hat zwar erst kein Bock, aber dann gehen die beiden doch. Kurz darauf kehrt Daiana zurück und isst seine Spaghetti.

Daiana wohnt am Stadtrand von Salta, einer Großstadt im Norden Argentiniens und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Halbe Million Menschen leben hier und machen Nachmittags Pflicht-Siesta. So wird sie mir vorgestellt. Am Wochenende ist Bauti bei seinem Vater und Daiana hat Zeit für sich. Sie zeigt mir viel und ist die Bilderbuch-Gastgeberin. Sie kennt mein Profil auswendig und nimmt sich viel Zeit mir ihre Stadt zu zeigen. Das ganze Wochenende. Zudem lerne ich einige Familienmitglieder kennen – ihrer Aussage nach nur einen kleinen Ausschnitt – für mich allerdings wäre es schon eine vollständige Familie. Dazu kommen einige Freund*innen, aber jetzt langsam und von vorn.

Daiana

Ich versuche zu ergründen was ihre Arbeit ist und öffne eine leidenschaftliche Seite von ihr. Körper-Ästhetik studiert sie. Jups, hab ich auch noch nie gehört. Ihr Ziel ist es, mal ein Studio aufzumachen, wo menschen hinkommen können und beraten werden, wie sie ihre Ästhetik-Vorstellungen an sich selbst umsetzen können. Ich bin naturgemäß skeptisch: Es gibt ja auch ein Bild von Schönheit in der Gesellschaft. Kommt es vor das Menschen mit Bildern von Stars kommen und genau so aussehen wollen?

Ja leider, meint sie, aber das wäre kein Ziel ihrer Arbeit. Viel mehr sei es entscheidend die persönlichen Vorstellungen und Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Ansätze gibt es viele. Das kann auch einfach eine Ernährungsberatung sein.

Selbst ist sie übrigens weitgehend vegetarisch unterwegs, was mein Leben deutlich entspannt und wir gemeinsam kochen können.

Sie stärkt das Bild von einer individuellen Schönheit. Innerer Applaus brandet in mir auf und ich muss schmunzeln.

Gibt es Menschen, die gerne ihre Hautfarbe ändern möchten, dunkler zum Beispiel?

Ja, die gibt es. Die meisten möchten hellere Haut und greifen auf ätzende Cremes zurück. Das empfiehlt sie aber überhaupt nicht. Sie schaden mehr als dass sie helfen.

Unter der Woche geht sie zum Studieren. Gegen 17 Uhr geht‘s los und natürlich wird während des Unterricht gemeinsam Mate getrunken. Und Süßes gegessen. Ein Körper-Ästhetik-Seminar mit Süßigkeiten. Wie geil ist das denn!

Ihr Einkommen kommt aus einer Arbeit am Wochenende, wo sie Empanadas verkauft. Diese endet meist auch früher, weil wenn alle verkauft sind, dann macht der Laden dicht. Angeblich kommen auch schon frühs um 9 Uhr Menschen, die dann Empanadas und Wein ordern. Ich kann‘s mir nicht so richtig vorstellen.

Bäche und Ausblick

Im Nachbarhaus mit selben Eingang und gemeinsam genutzten Auto, wohnt die Schwester. Auch sie ist schwer interessiert an meinem Leben, und hat natürlich Mate dabei. Zu dritt fahren wir zu einem Hügel hinter dem Rand der Stadt. Pferde und Schafe stehen seelenruhig neben uns, während wir auf das ferne Salta und die grüne Hügellandschaften blicken. Hinter dem Berg beginnt die Sonne sich abzusenken. Ein einsam-schöner Ort.

hinten rechts: Salta, vorne rechts: Daiana

Dagegen ist der Flusslauf den sie mir dann zeigt etwas beliebter. Ruhig plätschert das Wasser dahin und wir setzen unsere Gespräche fort. und je länger sie andauern, desto stolzer bin ich, dass ich auf noch nicht eine Vokabel Englisch zurückgreifen musste. Die Mühen machen sich langsam bezahlt. Auch dass mein Spanisch verstanden wird baut mein Selbstbewusstsein auf.

Die Straßen Argentiniens sind gesäumt von einem lila-blühenden Baum. Irgendwie macht er jede Allee noch einen Tick schöner. Sein Name ist Jacaranda, wie ich nun herausfinden konnte. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, fahren wir auf den Hügel San Bernardo. Für mich wäre es ein Berg, aber für Südamerikaner*innen nur ein Hügel. Daiana ist ganz verwundert, dass wir in Deutschland Berge schon ab 500m Höhe als Berge bezeichnen. Das ist hier allenfalls Strand oder Küste, höchstens ein Deich. Die Anden sind Berge und sie erklärt mir, dass es verwirrend findet, dass ich alles als Berge bezeichne, was wir sehen. Es seien nur Hügel. So auch der San Bernardo, der auch durch eine Gondelbahn erreichbar ist. Tags und – etwas schöner noch – Nachts bietet er einen wunderbaren Blick auf die Stadt Salta. Nachts wenn die Straßenlaternen ein Netz ausbreiten. Unzählige Lichterketten.

Tagsüber ist ein komplexes System an kleinen künstlichen Wasserfällen und Wasservorhängen auf dem Berg – äh sorry – Hügelchen zu bewundern. Wir unternehmen rein deswegen eine Fahrt mit der Gondel, die auch historischen Wert besitzt. Ein Fußweg führt durch den dichten Wald runter an den Rand der Stadt.

Salta

Die Innenstadt hat erneut einen Hauptplatz mit vielen Bäumen, umsäumt von kolonialen Gebäuden. An der Ecke gibt es die besten Empanadas, so Daiana, sodass unsere Mittagspause genau dort stattfindet. Klein aber fein, muss ich ihr recht geben, sie weg zu werfen müsste unter Strafe stehen. Drei Türen weiter gibt es das „Archäologische Museum des Hochgebirges“. Hauptattraktion sind die drei Kinder die als Mumien auf dem Vulkan Llullaillaco gefunden worden, der im Grenzgebiet zu Chile liegt. Gut fünfhundert Jahre sind die drei alt und wurden zusammen mit zahlreichen Beigaben geborgen und nach Salta ins Museum gebracht. Dort ist abwechselnd immer ein Kind zu sehen. Als ich drin war, ist grad der Junge ausgestellt. Tatsächlich ist die Mumie als zusammen gekauertes Kind gut zu erkennen, auch wenn er etwas geschrumpft ist. Es soll der archäologisch höchste Fund der Welt sein. Sogar Coca-Blätter hatten die drei dabei. Ihre Beigaben sind auch im Museum ausgestellt und umfassen vor allem kleine filigrane Puppen. Erst dachte ich, dass mich diese Ausstellung nicht so sehr interessiert, aber als ich dann der Mumie gegenüberstand, lief es mir schon kalt den Rücken runter. Nun kann ich mir vorstellen, warum Archäologie für manche so spannend ist.

Die angrenzenden Straßen zeugen dann nur vom normalen geschäftigen Leben einer Stadt und bieten keine Neuerungen. Für mich spannender ist das normale Leben am Rande der Stadt. Trotz Lage ist die Verbindung zum Zentrum sehr gut, weil Salta eines der besten Bussysteme hat. Es fahren viele Busse zu günstigen Preisen, und selbst in der Nacht kommt spätestens alle halbe Stunde ein Bus.

In ihren Viertel, Santa Ana, oder kurz Santana, sind die meisten Straßen nicht geteert und die Häuser noch nicht so alt. Die Gegend ist ruhig und in jeder dritten Straße gibt es einen kleinen Laden oder Stand mit allerlei Obst und Gemüse. Ein chinesischer Supermarkt liegt etwas weiter entfernt. Daiana ist Sparfüchsin und weiß wo es welches Angebot gibt. So verteilen sich unsere Einkäufe im Viertel.

Viertel Santa Ana, Salta

Nachtleben

Freitag ist Pizza-Tag. Da gibt es keine Ausnahme und natürlich holen wir den Fertig-Boden von der Oma ab. Sie mache die weltbeste Pizza, sagt Daiana. Die Oma kenne ich schon. Weil sie näher am Busbahnhof wohnt, haben wir uns bei ihr getroffen. Dort treffe ich auch die Tante, die mit der Oma das Haus teilt. Ich muss gestehen, die Oma hat‘s drauf. Wir haben zwei Pizzen zubereitet, sind randvoll, aber überlegen noch wegzugehen. Während ich kurz im Wohnzimmer warte, schlafe ich ein und träume, wie ich gegen das Einschlafen ankämpfe. Erst als Daiana mich weckt, stelle ich fest, dass ich nicht wirklich gegen das Einschlafen ankämpfe, sondern tatsächlich schlafe.

Nächster Tag, neuer Anlauf. Mit einer Reihe Freundinnen fahren wir in das entsprechende Ausgeh-Viertel. Ein paar Straßen werden des Nachts abgesperrt und sind dem Nachtleben vorbehalten. Wir stellen uns vor einen Schrank, der den Einlass regelt. Tröpfchenweise lässt er uns in die Dunklen Hallen treten. Einzig als Mann muss ich Eintritt bezahlen. Der Vorraum bietet noch ein Bierchen, und dann vorbei an den Lollipop-Verteilerinnen ab in die Zappel-Höhle. Der riesige Raum bietet allerdings noch nicht viele Tanzende und der VIP-Bereich bleibt noch leer. Es gibt tatsächlich eine Art übergroße Bühne für die VIP-Gäste. Wie vermutlich überall in der Welt sind in dem Bereich Kontakte immer wichtig. Daianas Freundin kennt irgendjemand der für alle günstig Getränke organisieren kann. So wird der Abend lustiger und so langsam kann gezappelt werden. Zu meiner Überraschung geht um 4 Uhr die Musik aus.

Saltas Polizei, so wird mir gesagt, ist wohl sehr hinterher, dass alle Bestimmungen eingehalten werden. Bislang war Argentiniens Nachtleben eher dafür bekannt, dass es spät losgeht und lange andauert. Es gibt Bars und Schuppen die Anschlussangebote machen und in manchen Städten kann bis 14 Uhr weiter gefeiert werden (kein Scherz!).

Ich nehme den Bus nach Santa Ana und als ich am Eingangstor bin, flüchte ich vor dem Sonnenaufgang in das dunkle Zimmer und mein Bett.

Am Sonntag abend kommt Benicio zurück. Wir sind zu einer Bar gefahren, wo es handgebraute Biere gibt, aber Daiana verabschiedet sich schnell um ihren Sohn in Empfang zu nehmen. Ich verbleibe mit ihren Freund*innen in der Bar und wir gönnen uns weitere leckere Biere. Parallel spielen wir Riesen-Jenga. In einer Runde schaffen wir es soweit, dass wir auf den Stuhl klettern müssen, um oben die Steine erneut abzulegen.

Dann fahren wir noch zu einem der Freunde nach Hause und beginnen zu diskutieren und Bier aus Plastikflaschen zu trinken. Santiago Maldonado, Fußball, Jair Bolsonado, Merkel und das argentinische Schulsystem, wir lassen kaum was aus. Dann packt es mich wieder und ich muss stänkern.

Ich verstehe nicht warum Argentinien glaubt die Falkland-Inseln seien ihre, sag ich und schon ist die Bombe gezündet. Ich hoffe insgeheim, das besser verstehen zu können. Meine beiden Gesprächspartner*innen wollen am liebsten beide sofort kontern. Aus linker Perspektive sei die Rückgewinnung ein Kampf gegen den Kolonialismus. Das erschließt sich mir leider nicht. Ich bringe die Abstimmung an, doch hier wird eingewandt, dass Großbritannien ja viel Geld investiere und die Stimmen im Prinzip gekauft seien. Ganz so einfach sehe ich das zwar nicht, aber nun gut, ich will mich nicht absolut unbeliebt machen. Ich wende ein, dass die Inseln dem erdgeschichtlichen Ursprung nach von Südafrika kommen und nie Teil Südamerikas waren. Dem gegenüber steht eine Entscheidung einer UN-Kommission, die festgestellt hat, dass die Inseln noch innerhalb des argentinischen Festlandsockels lägen und damit deren Hoheitsgebiet entsprächen. Naja, wir werden‘s niemals erfahren, wer recht hat.

Der 50-argentinische-Pesos-Schein zeigt die Falkland-Inseln

Als ich ziemlich spät an Daianas Haus ankomme, muss ich, da mein Klopfen vergeblich ist, einen Weg nach Innen finden. Da aber das Fenster einfach aufzuschieben geht, brauche ich keine zehn Minuten um ins Bett zu fallen.

Abschied

Da mein Bus um Mitternacht abfährt, verbringe ich den Abend im Kreise der Familie bei der Oma und Tante. Sie hat Tortilla gemacht, dass heißt eine Riesen-Pfanne mit Ei, Kartoffeln und allerlei Gemüse. Dazu Rotwein und selbstgemachte Empanadas. Ein Schlemmen und nun lerne ich noch den Onkel vom Theater kennen.

Ich erfahre von Daiana einiges über die Weihnachts– und Neujahrs-Traditionen, die beides Mal im großen Kreis der Familie mit viel Essen und Trinken stattfinden. Vorsingrituale, Geschenke unter Erwachsenen, den Nikolaus oder Weihnachtsmann, das gibt es alles nicht. Es sind zwei Familienfeste. Die Unterhaltung schließt mit der ernsten Einladung mein Weihnachten bei Ihnen zu verbringen. Ich bin etwas gerührt und sage nur, dass ich ja weiterreisen werde, aber wenn es nicht schön ist, dann komm ich einfach zurück.

Der Onkel bringt mich noch zum Bus – und wie es hier üblich ist – nur kurz vor knapp. Sechs Minuten vor der Abfahrt verabschiede ich mich vom Onkel und später noch sehr herzlich von Bauti und Daiana.

Es sind die Abschiede auf der Reise, die immer wieder kommen, wo ich hilflos dastehe und mich frage, was habe ich ihnen eigentlich gegeben und wie kann ich – verdammt nochmal – angemessen klar machen, wie dankbar ich doch bin.

Ich schaffe es wieder nicht und sitze traurig im Bus. Traurig, dass ich Salta verlasse, aber auch traurig, dass ich nicht angemessen Danke gesagt habe.


Dez 13 2018

Wie es in der Pampa ist …

Von Karl

 

Es ist schon spät Abend als ich in Santa Rosa aus dem Bus klettere. Es scheint einer von den berühmten Langstrecken-Bussen gewesen zu sein, die das ewig lange Land von Nord nach Süd durchfahren. Es soll Verbindungen mit über 50 Stunden Fahrtdauer geben. Die Stunden im Bus gaben mir die Möglichkeit das platte Land zu bestaunen. Nach den Monaten in den Anden ist es umso interessanter, dass es hier keine Hügel gibt und nur Landwirtschaft, Sträucher-Meere und der Horizont. Irgendwie erinnert Patagonien ans Meer. Der Blick geht endlos, der Wind ist streng und kühl.

Lucas holt mich ab, so freundlich ist er. Auch wenn er den Tag mit einen ernsten Gesicht durchlebt, lässt er sich schnell zu einem Lachen motivieren. Er ist wohl ein Grübler, der sich sicher sein möchte in dem was macht. Darin finde ich mich wieder und zusammen mit seinem aufgeschlossenen Freund kommen wir schnell ins Gespräch. Ein Sofa wird mein zu Hause und der Vorbenutzer ist noch da. Erst Mitternacht bringen wir ihn zum Bus nach Buenos Aires, oder einfach BA genannt.

Gründungs-Hacienda von Santa Rosa

Lucas klärt mich auf, was es in Santa Rosa zu sehen gibt und das ist tatsächlich überschaubar und wenig spektakulär. Er fragt nach meiner Motivation hierher zu kommen. und da trifft er ins schwarze. Santa Rosa ist die Hauptstadt der Provinz Pampa und ich wollte schon immer mal in der Pampa sein. Der Redewendung „Ich bin in der Pampa“ folgend, wollte ich rausfinden, wie es dort ist. Übrigens gibt es die Redewendung auch in Argentinien. Santa Rosa ist auch eine der kleinsten Provinzhauptstädte des Landes und viele weitere Städte gibt es nicht in der Provinz. Es gibt noch sogenannte Mennoniten-Siedlungen im Nirgendwo (also in der Pampa). Das sind Bauernhof-Ansammlungen, die in sich geschlossen sind und deren Bewohner*innen eine Art Deutsch sprechen. Sie sind eine christliche Gruppe mit sehr mittelalterlichen Methoden. So wird so gut wie keine Technik eingesetzt, sodass mit Pferdekarren gearbeitet wird. Die Frauen dürfen die Gehöfte nicht verlassen. Besorgen sich die Jugendlichen ein Handy werden sie vom Hof geschmissen. Geheiratet wird innerhalb der Sippe. Sie sind wohl irgendwann mal aus Deutschland ausgewandert.

Im Ausgehenden 19. Jahrhundert fuhr das junge Argentinien die Wüstenkampagne. Dabei ging es um die Besiedlung Pampas und Patagoniens, weg von der Primatstadt Buenos Aires. Die Regionen waren größtenteils von Indigenen bewohnt, die gewaltsam vertrieben worden. Besonders General Roca tat sich als Kriegsminister hervor und gilt als Anführer des Genozids an der einheimischen Bevölkerung. Dem zu Grunde lag eine zutiefst rassistische Ideologie von der Höherwertigkeit der europastämmigen Bevölkerung. Erst später kam starke Kritik auf, dessen Wortführer der Menschenrechtsaktivist Osvaldo Bayer sein soll. Er dokumentierte die Geschehnisse Anfang des 20. Jahrhunderts, da die gewaltsame Unterdrückung und Verfolgung weiterging. Heute gibt es kaum noch Indigene in Argentinien.

Das ganze Regal voll mit Yerba Mate

Die Innenstadt von Santa Rosa ist wenig spektakulär. Es gibt einen größeren gestalteten Platz, daneben die typischen im Kolonialstil gehaltenen Verwaltungsgebäude und eine moderne Kirche. Wir unternehmen auch einen kleinen Ausflug um den stadtnahen See, der allerdings nicht zum Schwimmen geeignet ist, da er die ganze Zeit einfach in der Sonne steht. Er wurde angelegt, weil bei Regen eh das ganze Wasser dort hin fließt und stehen bleibt. Bei einer flachen Ebene breitet sich das natürlich aus und so ist der künstliche See ziemlich groß.

Dahinter befindet sich eine Hacienda, eine Landgut von dem aus die Länderein bestellt werden und die höherklassigen im 19. Jahrhundert gelebt haben. Es wurde sauber und äußerst ordentlich rekonstruiert und mit allen informativen Schnickschnack ausgestattet. Nun ist meine Neugier schwer klein zu kriegen, aber soweit reicht sie dann doch nicht, dass ich mich für jedes Detail der Stadtgeschichte Santa Rosas interessiere. Doch das bekomme ich fünfzehn Minuten ungefragt frei Haus. Der Angestellte ist offensichtlich froh, dass sich mal ein Tourist hierher verirrt und versucht sich in Englisch. Lucas muss aber ab und zu einspringen, beim übersetzen. Ich gönne dem jungen Mann den Erfolg und höre zu und stelle Fragen. Viel behalte ich aber danach nicht.

Lucas vor seinem Handyladen

Tags drauf komme ich mit auf Lucas‘ Arbeit. Ein Handyladen in der Innenstadt ist sein Domizil. Frühs macht ihn wie gewohnt die Mutter auf und Nachmittags ist Siesta. Sodass er um fünf erneut öffnet. Aber Öffnungszeiten sind eh was fürs Papier und so erlebe ich die Tage bei Lucas, dass er das nicht so genau nimmt und auch wenn sich jemand beschwert, dann soll er oder sie halt später kommen, wenn er da ist.

während der Arbeit (-;

Er hat wohl durch seinen Laden gute Kontakte in der Stadt, was ich bei einem abendlichen Bierbarbesuch mitbekomme. Im Hinterzimmer ist befindet sich die Welt eines Bastlers. Alle möglichen Handyteile und Werkzeuge stehen herum. Sein Freund, Er und ich nutzen die Freiläufe und trinken Bier in seiner Werkzeugsstube. Ja das Leben nimmt er leicht und ich bring die leere Flasche zurück um eine neue zu holen. Tatsächlich gibt es eine Art Pfand-System in Argentinien. Wenn ich eine leere Flasche abgebe, bekomme ich eine volle günstiger. So vergeht dann auch meine letzter Nachmittag in der Pampa, im Hinterzimmer des besten Handyladens der Pampa.

Jenga ist typisches Bar-Spiel

Am späten Abend hau ich dann wieder ab. Über Nacht geht‘s weiter, wie so oft (-;


Dez 7 2018

Im Kreise der Familie

Von Karl, Esquel, Argentinien

 

Selten habe ich so gut geschlafen. Als ich kurz drauf versuche Schuhe anzuziehen, merke ich wie sehr mitgenommen sie sind. Größere Blasen verweisen auf eine lange und ungewöhnliche Wanderung.

Tulpen und fliegende Teppiche

Die Mutter, die als Psychologin arbeitete und bereits in ihrer Praxis ist, hat uns ein feines Frühstück vorbereitet, dass einem wohligen Schmaus gleich kam. Mailén und ich konnten nun unsere Konversation fortsetzen, die auch von einigen nicht ganz ernsten Episoden geprägt ist. So philosophieren wir den ganzen Tag über fliegende Teppiche. Wie sie uns wann helfen könnten und welche Probleme sie bereiten könnten. Brauchen sie Sicherheitsgurte? Gibt es extra Fahrschulen und Fahrerlaubnisse? Müssen sie ab und zu getankt werden und wenn ja, mit was?

Wir fahren im Auto zweier Freundinnen und einer Mutter derer zu einem Ausflug. Lustigerweise die Hälfte der Strecke zurück Richtung Grenze, von wo ich gekommen bin. Eine der Freundinnen ist Jüdin und Enkelin polnischer und russischer Emigration. Das ist insofern interessant, weil die Einwanderung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg steht. Einwanderung ist ein generelles Thema in Argentinien, weil aus aller Welt Menschen immer wieder kamen. Die größte Gruppe soll aber aus Italien gekommen sein.

Wir halten an einem Tulpen-Feld. Das heißt, auf einem Feld werden reihenweise verschiedene Tulpen gepflanzt und verkauft. Sie blühen in allen Farben, sodass es beispielsweise auch schwarze Tulpen gibt. Eingerahmt von den schönen weißen Bergketten im Hintergrund ist der Blick auf das bunte Tulpen-Feld kaum zum satt sehen. Als ich für den Eintritt einen 50-Pesos-Schein zurück erhalte, der mit den Falkland-Inseln bedruckt ist, muss ich wieder unfreiwillig lachen. Der empörte Blick von Mailén zeigt mir aber, ich sollte vorsichtig mit dem Thema sein. Einige meinen das Ernst mit der „Rück“-Eroberung.

Irgendwie sind Wasserfälle immer etwas berauschendes,weil es ja doch nicht so häufig kommt. Wir fahren nach den Tulpen zu einem Waldstück mit verschiedenen großen und kleinen, mächtigen und schmächtigen Wasserläufen. Beeindruckend, dass die hügelige Landschaft, versteckt im engen Nadelwald Patagoniens doch tiefe Schluchten aufweist, die dann zu größeren Wasserfällen führen. Erstmals wird mir versichert, dass ich im berühmten Patagonien bin. Nun fügt sich das Bild zusammen. Die raue Landschaft mit ihren trocken-kalten Pflanzen. Lange Zeit war die Sonne auch etwas vor dem ich in den Schatten geflohen bin und hielt Siesta für eine clevere Idee, aber hier ist sie wieder was wohlig wärmendes.

Doch hat die Natur zunehmend Probleme. So gibt es im nahmen Naturschutzgebiet noch seltene Zypressen, die aber von Käfern befallen sind, die erst durch Tourismus eingeschleppt werden können. Auch größere Tiere, wie Füchse, bringen die kleinen Tiere weiter, aber insbesondere Schuhe sind geeignet sie zu transportieren.

Für besonders schick wird das Nachbarstädtchen Trevelin gehalten. Vielleicht ein wenig schöner mag es sein, aber auch ziemlich zersiedelt. Wie halten am zentralen Platz, der sich angeblich Sonntags in einen wunderbaren Markt verwandeln soll.

Esquel

Esquel an sich

Wieder eine Stadt im exakten Schachbrett, aber deren Straße nur zum Teil asphaltiert sind. Das Leben läuft ruhig ab und Siesta klar zum Tagesablauf. Auffällig sind einige aufwändige Graffiti die auf die Kampagne „No a la Mina“ (in etwa: „Nein zur Mine“) verweisen mit deren Webseite noalamina.org. Wie ich später erfahre geht es um Goldbergbau nördlich von Esquel, der aber überhaupt nicht auf Gegenliebe getroffen ist und deswegen noch auf Eis liegt. Die breite Bevölkerung soll dem Projekt sehr ablehnend gegenüber sein, sodass erstmal nicht damit zu rechnen ist, dass die Firma anfängt zu graben.

An vielen Ecken befinden sich auch „Verdulerías“, das heißt Gemüsehandlungen. Meist verkaufen sie noch Obst und was zum Zubereiten von Gemüße noch so gebraucht wird (Gewürze, Öl, …). Sie sind auch günstiger als die wenigen Supermärkte im Ort. Hier wird noch alles einzeln gekauft, das heißt Brot in der Bäckerei, Fleisch bei der Fleischerei, und so weiter und so fort … Chiles riesige Einkaufszentren hab ich also hinter mir gelassen.

Was mir jetzt erst auffällt, ist auch die abschließende Bauweise mit spitzen Dach. Das zeugt ja vor allem von größeren Niederschlägen oder gar Schneelast. Im Winter könne es tatsächlich auch mal schneien, aber da grad Frühling ist, bleibt die Winterjacke im Haus.

Blick aus meinem Zimmer. Es ist Frühling, der Baum treibt aus.

Zum Akt in der Kleinstadt wird das Geld tauschen. Ich hab noch chilenische Pesos die ich nicht benötige und es gibt nur ein Laden mit regionalen Holzprodukten („La Estacion“), der laut Touri-Info tauschen würde. Ich werde aber erstmal weggeschickt und soll um 12 Uhr wiederkommen, wenn sie wie alle Geschäfte während der Siesta schließt. Gesagt, Getan, da bin ich wieder. Nein, wir haben leider keine chilenischen Pesos. Ich sage, dass ich sie habe und dann geht es doch. Allerdings nur zu schlechten Bedingungen. Warum? Niemand will nach Chile reisen. Chile ist wirtschaftlich stabil, aber Argentinien erlebte oder erlebt noch hohe Inflation. Das kam in der Geschichte Argentiniens schon dutzend Mal vor, sodass ich annehme, dass die Argentinier*innen auch sensibel auf Inflationen anspringen. Der argentinische Peso ist relativ schwach, aber zumindest bekomme ich Geld für die nächsten Wochen.

Am sehr späten Abend wollen Mailén, Freundinnen und ich ausgehen. Da der Freund der Mutter leckeren Tequila ausgeschenkt hat, ging es schon etwas früher los, aber ansonsten trifft sich hier wohl niemand vor um Elf. In modernen Design und gedämpften Licht gehüllt wird eine Unmenge verschiedener Handwerks-Biere ausgeschenkt. Die meisten erinnern aber eher an Irland oder Großbritannien: IPA, Stout und Red Ale haben die Vorrang vor Pilsener. So begann der Abend.

Familienausflug mit Mate

Es ist Wochenende, der Freund der Mutter im Hause, der sonst die Woche über in Bariloche arbeitet. Er hat einen Jeep und wir passen mit dem Extra-Sitz im Kofferraum tatsächlich alle in das Fahrzeug. Interessanterweise nehmen sie alles mit, was ein längeren Ausflug rechtfertigt: Kanu, Angel, Stühle, …

Auch die Oma mit ihrer Schwester bevölkern die Rückbank. Als das Radio Tango anstimmt fallen Mutter, Freund, Oma und Großtante freudig ein und trällern aus vollstem Herzen.

Ich bin voll in der Familie integriert und versuche mich mit allen zu unterhalten, bzw. versuchen sie es auch. Mailén, die gern als Übersetzerin hilfesuchend angeschaut wird, wird nicht müde immer wieder zu erklären, dass ich ja Spanisch verstehe, aber halt nur langsam und klar ausgesprochen. Nicht nur ich lerne während meiner Zeit hier.

Mit dem Ausflug bekomme ich das Gefühl Teil der Familie zu sein. Als wenn ich der Bruder von Mailén wäre. Der echte wohnt auch im Haus, aber geht die meiste Zeit seine eigenen Wege. Es ist schön, einfach zu Hause zu sein. Auch wenn ich gerne unterwegs bin, hier kann ich es mal genießen. Den Rucksack packe ich oft genug. Deswegen: Hier frag ich nach Verlängerung und das wird wohlwollend aufgenommen.

Wir fahren zum Nationalpark „Los Alerces“ und obschon eines der regenreichsten Gebiete ist, haben wir das schönste Wetter. Es gibt einen 80km langen See, der viele verlassene Ecken bietet. Gegenüber erhebt sich eine elegante Bergkette. Sie ist von Bäumen gesäumt, aber leider auch von großen Flächen verbrannter Bäume. Waldbrände nehmen wohl zu und schon in Chile schien das kein unwichtiges Thema zu sein.

Während die älteren Frauen sich dem Mate-Trinken hingeben … bevor ich weiter erzähle … Mate-Trinken! Argentiniens Nationalgetränk. Immer und überall dabei. Das ist ein faustgroßes Gefäß, welches bunt, schlicht, verziert, Leder, Plastik, … alles möglich sein kann, aber es ist meistens bauchig geformt und hat einen wulstigen Rand. Darin steht der Bombilla. Im Prinzip ein innen hohler Teelöffel mit einer siebähnlichen Löffelfläche. Das obere Ende ist wie das Mundstück eines Instrumentes geformt und daran wird mit dem Mund gezogen. Der Bombilla wird nie bewegt und meistens noch nicht mal berührt. Er steht einfach im Becher. Das Gefäß wird Mate genannt, aber auch die Pflanze deren getrocknete und gehäckselte Blätter in die Mate kommen. Nicht wie beim Tee, sondern bis einem fingerbreit unterm Rand wird aufgefüllt. Manche machen nun ein Ritual daraus, dass die Blätter etwas zur Seite geschoben und auf der anderen Seite kommt heißes Wasser. Das zieht kurz und dann kann am Bombilla gesaugt werden. Danach füll ich gegebenenfalls das heiße Wasser wieder auf und reiche es der nächsten Person. Mate-Trinken ist auch eine soziale Tradition, weil immer alle gemeinsam aus einem Mate trinken. Menschen treffen sich zum Mate-Trinken. Aber es kann auch sonst in allen erdenklichen Momenten getrunken werden und es soll schon mit Kleinstkindern losgehen. Während die Mate die Runde macht, kommt das Gefäß immer mal zurück zum Ausgangspunkt um neues heißes Wasser aus der Thermoskanne nachzufüllen. Nach und nach kann der seitlich aufgehäufte Berg genutzt werden um im Becher frische Blätter zu haben.

Immer wieder habe ich Argentinier*innen gesehen die an allen möglichen Orten nach heißen Wasser für ihre Thermoskanne fragen. Auch in den Supermärkten sind die meterlangen Regale zu finden. Die getrockneten Blätter werden dann „Yerba Mate“ genannt. Ich versichere nochmal: Es gibt keinen Ort, wo mensch nicht auch noch Mate trinken kann. Die Mate sollte übrigens nicht mit der Club-Mate verwechselt werden. Das Getränk schmeckt sehr herb und ich würde sagen wie aufgegossene Wiese. Gewöhnungssache.

Zurück: Also die Oma, ihre Schwester und die Mutter setzen sich am Rande des Sees und beginnen das Mate-Ritual. Mit den beiden anderen brechen wir zu einem Spaziergang auf. Durch Nadelwald kommen wir auf einen schönen Aussichtspunkt und passieren Araukarien und kommen an den Fuß eines schönen Wasserfalls. Auf der Plattform unterhalb des Falls werden wir Nass vom Sprühregen. Auf halber Höhe endet der Weg, aber mit etwas Kletterkunst komme ich an das obere Ende vom Wasserfall. Ein Panorama, wie gemalt, öffnet sich. Im wilden Zickzack spritzt das Wasser über die Steine und erreicht die Fallkante um dann mit lauten Brüllen aufzuschlagen und weiter zu flitzen. Alles gerahmt von stolzen hochgewachsenen Bäumen. Die Gipfel verdecken nicht ganz, dass im Hintergrund ein breiter ruhiger See liegt. Darüber wächst die Bergkette …

In Gedenken an alte Zeiten konnte ich es mir nicht nehmen lassen, dann mal in den kalten See zu hüpfen. Nicht lange, weil der gletschergespeiste Pool eher einstellige Temperaturen hat. Aber das Gefühl danach ist einzigartig. Wie neu geboren. Wir müssen dann auch schnell aufbrechen. Ihr wisst schon. Das heiße Wasser ist alle.

Auf der anderen Seeseite wird mir dann noch ein interessanter Baum gezeigt, der eine orange Rinde hat. Die Rinde hat allerdings eine sandige Schicht. Angeblich waren die orangen Bäume der entscheidende Hintergrund für eine Bambi-Verfilmung in der Region.

Asado

Wenn ich schon in einer argentinischen Familie bin, wo Tango gesungen wird und Mate geschlürft. Dann darf auch das Asado nicht fehlen. Sonntags, wenn es passt, wird immer Asado gemacht. Auch das ist typisch Argentinien, so heißt es. Aber … Eigentlich ist das auch nix anderes als ein thüringisches Grillerchen. Die besten Freund*innen und Nachbarn kommen, sodass die Runde immer größer wird und auf dem Grill kommt sämtliches Tier, was in der Region lebt. Viel zu viel natürlich, sodass am Ende immer ein Berg Fleisch übrig bleibt, aber auch das ist bekannt.

Reichhaltig ist der Tisch gedeckt, mit Baguette, gegrillten Zwiebeln, Salate, etc. und es wird – natürlich argentinischer – Wein ausgeschenkt. Da es dann doch mal regnet, endet das Asado am späten Nachmittag.

Am letzten Abend bin ich dann sogar noch zum Theater eingeladen, weil Mailéns Mutter mit auftritt. Dafür bekam ich dann von Mailén, der studierten Politologin, noch eine Erkläreinheit in argentinischer Geschichte vorab. In den Jahren der faschistischen Militärdiktatur sind gut 30.000 Menschen verschwunden, d.h. sie wurden von den Militärs als links eingestuft, ohne Aufsehen in Geheimgefängnisse gebracht, gefoltert und meist ermordert worden. Das hat natürlich Spuren hinterlassen in der Gesellschaft und die Aufarbeitung ist noch nicht abgeschlossen.

Es ist die Uraufführung und das Stück beginnt schon vor dem Einlass. Die Regisseurin gibt einleitende Worte, mit zitternder Stimme. Eine junge Frau auf der Treppe beginnt unerwartet mit dem Stück, ohne dass ich dies erwartet hätte. Doch dann geht alles zu schnell. Nach dem wir sitzen wechseln schnell die Szenen und obschon ich ein ernstes Stück erwartet hatte, ist es doch eher belustigend. Ich bin positiv beeindruckt von der Leistung der Laienschauspieler*innen. Ein knappes Dutzend hat am „Theater für Identität“ mitgewirkt, wie das Stück heißt, was nun auf kleine Tour geht in der Provinz Chubut, wo ich gerade bin.

Mailén trifft dann ihren eigenen Vater, während ich mit den beiden Omis den Heimweg antrete. Als sie aber kurzfristig sich für ein Käffchen (irgendwie ist die Verniedlichung hier allgegenwärtig …) entscheiden, treffen wir dort den Vater, aber nicht Mailén. Ja, die Omis sind schon sehr kurios. Mailéns Oma hat erst vor einem Jahr ihren Ehemann verloren und dann entschieden auf Reisen zu gehen.

Irgendwie bin ich froh dass es auch zu Ende geht, denn ich muss weiter … nicht dass ich mich zum wirklichen Mitglied der Familie entwickle.

Doch Bus

Mailén hat viele gute Erfahrungen mit Trampen geteilt und ich bin doch wieder motiviert es zu wagen. Voller Hoffnung stehe ich in aller frühe auf und bin schon um 7 mit dem Daumen an Esquels einziger Verbindung gen Osten, Süden und Norden. Fünf Stunden, so nehme ich mir vor, dann geh ich zum Busbahnhof. Gegenüber von mir ist eine Kaserne und ich sehe wie die Soldat*innen Frühsport machen, wie frische Brote geliefert werden und wie sie ausreiten. Ja tatsächlich, Argentinien unterhält als eines der letzten Länder tatsächlich noch eine moderne Kavallerie, also berittene Soldat*innen für den modernen Ernstfall. Viel passiert sonst nicht. Ich wandere mit der Sonne etwas nach hinten und schaue mir ein feierlichen Konvoi hinter einem Leichenwagen an. Offensichtlich eine Beerdigung steht bevor.

Aber was soll ich sagen. Ich stand lange, aber ich hab nur drei Fahrten nach Bariloche (Norden) angeboten bekommen, will aber an den Atlantik (Osten). Stundenlang rasen die Autos an mir vorbei, machen wirre Handbewegungen, aber für mich ist nix dabei.

Niedergeschlagen geht es die zwei Kilometer zurück und der nächste Bus fährt erst um 22 Uhr. Das war nicht ganz einfach herauszufinden, weil die argentinische Aussprache sich deutlich unterscheidet. So wird das „Du“, was sonst ein „tu“ ist, zum „vos“. Alle Buchstaben die wie ein „j“ klingen werden zum „sche“. Dann noch alles schnell aussprechen und zusammenenziehen und schon heißt die Busfirma „Mar y Valle“ „Mariwasche“. Ich such tatsächlich erstmal eine Busfirma mit dem Namen Marie … Naja, so ist das Leben.

Was mach ich den restlichen Tag … Ich schau dem Touri-Zug zu, wie er Esquel verlässt. Ja, es gibt auch einen Zug, aber der ist teuer und fährt auch zu keinen spannenden Ort. Ich wärme mich mit Buch und Snack in der Sonne und als die kalte Nacht herreinbricht, fiebere ich schon dem Bus entgegen. Über Nacht ans Meer.

 

PS.: und hier ist Esquel auf der Argentinien-Karte …