Apr 3 2019

Am Januar-Fluss

von Karl

Rio de Janeiro, Brasilien

 

Copacabana und Ipanema

Rio de Janeiro ist wohl Brasiliens berühmteste Metropole. Ort der Sehnsucht so vieler Reisenden und derer die es werden wollen. Dann dort anzukommen ist dann doch wie ein Abgleich mit der Realität. Was uns allerdings schon im Vorfeld erreichte sind Berichte von anderen Reisenden die ihrer Habseligkeiten erleichtert wurden bis hin zu einem argentinischen Reiseradler der in den Außenbezirken erschossen wurde. Entsprechend vorsichtig und vorbereitet sehen wir unsere Umgebung.

Tatsächlich verschlägt es uns unweit des berühmtesten aller Strände: der Copacabana. Der Strand erstreckt sich auf mehrere Kilometer, ist vielleicht hundert Meter breit, kaum Bäume, breite Küstenstraße und hohe Hotelbauten. Es erinnert ein wenig an Hollywood-Filme. Schon während des Sonnenaufgangs kommen die ersten Menschen an den Strand und spätestens ab Mittag ist Hochbetrieb. Fliegende Händler*innen bieten Cocktails, Acai, Sonnenbrillen, Bier, und vieles mehr. Mit Länderflaggen wird versucht die jeweiligen Touris anzulocken, obschon die meisten aus Brasilien selbst kommen.

Die Sonne bruzelt brachial, sodass für mich ein langer Strandtag ausgeschlossen erscheint. Die Wellen bauen sich bis auf zwei Meter Höhe auf und brechen ziemlich spät. Meist auch erst direkt am Strand, sodass es gefährlich wird. Einmal wirft mich eine der Wellen etwas unsanft an Land. Der massive Tourismus hat auch das Wasser und den Strand mit Müll angereichert. Gut, mal an der Copacabana gewesen sein, aber zum Urlaub machen gibt es schönere, sichere und preiswertere Orte.

Den Weg an der Copacabana entlang folgend kommen wir zum Ende des Strandes wo die Straße abknickt. Nach 500 Metern eröffnet sich ein ähnlicher Strand, allerdings mit zwei Meter Höhenunterschied zwischen Straße und Strand. Ipanema heißt Rios zweitwichtigster Strand. Minimal ruhiger und für die Sonnenuntergangsliebenden optimal. Am Strand oder von den nahen Felsen lässt sich die rote Scheibe beobachten die zwischen den Wolken im Meer versinkt.

Zuckerhut und Christus

Nach einem Strandtag folgen wir den Pfaden der Touris und wollen rausfinden, was denn so schön an dem berühmten Zuckerhut und dem großen Christus ist. Der Zuckerhut, eigentlich nur ein Felsen, heißt im brasilianischen Zuckerbrot und ist über zwei Seilbahnen angeschlossen. Dafür wird ein satter Preis von ungefähr 100 Reales verlangt, was weit über 20 Euro liegt. Dafür das die Seilbahn echt nicht weit fährt, ist uns das zu teuer und wir suchen einen neuen Weg.

Vorbei an einem Militärgebäude und kleinem Strand mit Bucht kommen wir auf einen geteerten Wanderweg.

Den immer folgend kommt ein Abzweig auf den ersten Hügel, wo die erste Seilbahn hinfährt. Von dort bezahlt mensch nur noch den halben Preis, aber selbst das überspringen wir und folgen dem Wanderweg weiter. Irgendwann endet der Weg und es folgt ein Trampelpfad der teils Kletterkünste erfordert und steil ist. Wir können aber alle Unebenheiten überwinden und finden auch den Punkt an dem es weiter bergauf geht. Irgendwann überholt uns eine kleine französische Gruppe und klärt auf, dass später bergsteigerisches Können und Material benötigt wird. Als dann tatsächlich der Anstieg sehr herausfordernd wird und wir die Gruppe klettern sehen können, geben wir dann doch auf. Wenn es machbar wäre, wäre wohl die Seilbahn günstiger. Nagut, dann nicht.

Gut, ich sag‘s vorab, dem Christus kann ich nichts abgewinnen, aber mal gucken gehen. Auch hier werden saftige Preise verlangt und wir bezahlen bei der Zwischenstation der Bergbahn den selben Preis, wie als wenn wir unten eingestiegen wären.

Oben angekommen geht es noch breite Treppen bis zum Fuße der hohen Statue, die, so wie sie ist, auch an anderen Orten und an ähnlicher Stelle über der jeweiligen Stadt steht, aber halt nicht so berühmt ist. Nun wird es zur Herausforderung nicht auf einen der herumliegenden Touris zu treten.

Tatsächlich legen sie sich reihenweise auf den Boden um das eine berühmte Photo machen zu können mit dem Jesus im Hintergrund. Eine gelungene PR-Aktion der Kirche, wie ich finde. Sie ist auch mit Nichten die größte Statue der Welt. Diese ist sechsmal größer.

Viel imposanter und beeindruckender ist der Blick auf Rio de Janeiro selbst. Zu deutsch heißt das übrigens „Januar-Fluss“. Es ist gut zu überblicken, dass die Stadt immer wieder unterbrochen wird von Bergen bzw. größeren Felsen. So ist der strandnahe Bereich mit Felsen unterbrochen vom eigentlichen Zentrum, welches schon an der Bucht liegt und nicht mehr am offenen Meer. Am Industriehafen ist dann auch eine lange und beachtliche Brücke die die Bucht überspannt. Die brasilianische Fernstraße BR-101 pulsiert hier, von dem südlichsten Bundesstaat kommend, entlang der Atlantikküste bis zur äußersten östlichen Ecke Brasiliens.

Auch ein größerer See liegt im Rücken Ipanemas. Auf den Hügeln sind die Armensiedlungen zu erkennen, die in Brasilien Favela genannt werden. Benannt nach einer Kletterpflanze, weil sich die Siedlungen an den Hügeln entwickelt hatten und bis zu den Gipfeln gewachsen sind. Sie sind in sich sehr verschieden. In manchen wurde Infrastruktur von Strom über öffentliche Verwaltung bis Freizeitangebote eingerichtet und das in Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen. In anderen führt die Militärische Polizei einen Krieg gegen Jugendbanden die mit Drogen oder Waffen handeln. Einmal dürft ihr raten, was allen Seiten mehr geholfen hat.

Mittlerweile soll es von der Polizei bezahlte Banden geben, die Schutzgeld erpressen. Wenn die Polizei versucht die Banden zu mischen, kann es, wie zur Zeit wohl in Fortaleza, dazu kommen, dass sie sich zusammen schließen und gemeinsam Polizei und öffentliche Infrastruktur angreifen. Als besonders bezeichnend soll der Roman und Film „Die Stadt Gottes“ sein, der die Entwicklung einer gleichnamigen Favela in Rio über die Jahrzehnte anhand von verschiedenen Menschen erzählt. Der Autor ist selbst in der Favela aufgewachsen. Mittlerweile und auch durch die Fußball-Weltmeisterschaft wurden besonders die innerstädtischen und touristisch interessanten Favelas „polizeilich befriedet“. Zunehmend übernehmen Investoren die Gebiete und bauen neue hochpreisige Anlagen für Touris hin. Die Armen ziehen an den Rand der Stadt.

Ankommen und Bleiben und Sein

Neben den Strandgebieten bietet auch Rio in der Innenstadt ein paar sehenswerte Ecken. So gibt es ein größeres Viadukt dass eine einen Platz überspannt und auf dem eine historische Straßenbahn rollt.

Unweit führt der Weg zu einer bunten Treppe, die mit lauter Fließen gepflastert ist und auf der Touris anstehen um ein Photo vor den Kacheln zu machen. Rund herum versuchen Leute etwas zu verkaufen. Wir schauen uns das Spektakel an und die Graffiti in der Umgebung.

Allerdings erscheinen uns die Nebenstraßen als nicht besonders sicher. Viele jugendliche Gruppen warten am Straßenrand und schauen uns eine Spur zu düster drein, als dass wir da durchwandern möchten. Dabei habe ich Angst, dass ich Angst bekomme allein weil ich Schwarze Jugendliche sehe. Leider ist Armut und Rassismus auch in Brasilien zu oft verbunden und führt dann zu dem Kriminalitätsdruck, der mich vorsichtig werden lässt. In einem Touri-Führer las ich, dass ich nicht nur traurig sein solle, wenn mir Geld abgenommen wird, es würde auch den Hunger bekämpfen. Hier entstehen Bilder im Kopf, die schon so oft auf den Großplakaten von „Brot für die Welt“ mich traurig angeschaut haben. Ja, Rassismus und Klassismus sind intersektional. Das heißt, dass eine bedingt das andere und lässt sich schwer trennen. Wie kann ich hier als weißer Europäer diskriminierungsarm auftreten? Ich kann es euch nicht abschließend beantworten, aber vielleicht ist es hilfreich, die konkreten Ursachen und die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu benennen. Im besten Fall die eigenen Auswirkungen sich bewusst zu machen und daraus Handlungen abzuleiten. Als Touri stehen wir nicht nur außen und machen ein Photo von dem Ist-Zustand, nein, wir verändern und beeinflussen den auch. und vielleicht ist es tatsächlich nicht so schlimm, wenn wir mal beklaut werden. Die allermeisten Gewalttaten, besonders auch die Schießereien, finden in den Armensiedlungen statt und die allermeisten Opfer sind die armen und damit zu oft auch die Afrobrasilianer*innen.

Vielleicht sollten Reisende Schwarze Realität und Geschichte also auch sichtbar machen. So war Rio ein wichtiger Ankunftshafen für die Sklav*innen der europäischen Kolonialherren. Der Valongo-Kai ist heute als Weltkulturerbe und archäologische Ausgrabungsstätte leicht zu besichtigen. Hier sollen bis zu einer Million Menschen angekommen sein. Ein Symbol für die wohl größte erzwungene Migrationsbewegung und eines der größten Verbrechen der Menschheit. Besonders für Afrobrasilianer*innen haben Orte wie der Valongo-Kai eine besondere Bedeutung. Der Valongo-Kai liegt heute nicht mehr an der Wasserkante, weil über die Jahre der Strand weiter versandet ist, beziehungsweise verbaut wurde, und damit ist das Wasser von dem Denkmal aus gar nicht mehr einsehbar. Ein Teil des alten gemauerten Kais ist freigelegt und befindet sich auf einem kleinen Platz unweit des Zentrums. Einige Schilde informieren umfassend über das Monument.

In unmittelbarer Umgebung gibt es noch weitere Denkmäler afrobrasilianischer Geschichte, wie z.B. ein Garten, ein Friedhof und ein kulturelles Zentrum. 

Als es für uns hieß einen Bus zu finden, der weiter der BR-101 nach Norden folgt, kamen wir dann auch unerwartet am berühmten Sambódromo vorbei. Es ist der Ort wo jedes Jahr der berühmte Karneval von Rio stattfindet. Auf hunderten Metern stehen große Tribüne beidseits eines ungenutzten Weges, in deren Mitte dann die Samba-Schulen in vier Ligen gegeneinander antreten. Gerade ist kein Karneval, aber er wirft seinen Schatten schon voraus.

Ruhiger und weniger tanzend klettern wir in einen der Busse und verlassen die Metropole am vermeintlichen Januar-Fluss gen Norden über die imposante Brücke.


Mrz 28 2019

Keine Blume

Von Karl

Montevideo

 

Montevideo nimmt uns erst im Zentrum und dann bei einer Freundin Azuls am Rande der Stadt auf. Es ist eine schöne Großstadt mit Graffiti und einer sehr langen Küste. Von einem einfachen Fußweg, über einen breiten Boulevard bis hin zu schönen Sandstränden wechselt sich alles immer wieder ab.

Jeden Abend ist ein goldener Sonnenuntergang zu sehen. Ich genieße die Zeit in Montevideo und wir versacken etwas bei Azuls Freundin. Sie scheinen nicht ganz arm zu sein, denn der Vater ist Oberst der Armee. Eine eher konservative Familie.

An Montevideos Küstenstraße findet sich auch ein Holocaust-Gedenkort, da viele Menschen, insbesondere Jüdinnen und Juden mit Beginn der faschistischen Diktatur in Deutschland hierher kamen. Auch ein später Ausgebürgerter stattete Montevideo ein Besuch ab: Albert Einstein.

In Tradition der schwarzen Emigrant*innen organisieren deren Vereine einen riesigen Umzug in den Straßen Montevideos. Als wir an die entsprechende Straße im Zentrum kommen, ist der Umzug schon im vollen Gange. Die einzelnen Gruppen tragen eigene Wimpel voran, allerdings in riesiger Dimension. Übertroffen wird das ganze noch von den folgenden unzähligen Fahnen-schwenker*innen. Solch große Flaggen habe ich nur selten gesehen und stelle es mir unheimlich anstrengend vor solch riesige Flaggen zum flattern zu bringen, ohne gleich alle Menschen am Straßenrand eine überzuwischen.

Fast scheint es als wenn sie zu der getrommelten Musik noch tanzen würden. Dies machen dann doch eher die Tänzer*innen, die sich auch in das farbige Muster ihrer Gruppe einfügen. Abschließend kommen dann noch die Musiker*innen, die eine schnelle und rhythmische Musik auf die Straße fegen, sodass das Blut in den Adern tanzt. Es ist gute Laune in ihrer Reinform und viele erfreuen sich dem Spektakel Bier trinkend am Straßenrand.

Teil der Tradition ist es auch, dass Spielsachen an Kinder verteilt werden, die vorher gespendet wurden. Aus langsam rollenden Kleinbussen heraus versuchen die Organisator*innen der Traube an Kindern gerecht zu werden und zu überblicken, wer vielleicht schon Geschenke bekommen hat. Angesichts dessen, dass die Busse voll sind, wohl erst recht ein anstrengendes Unterfangen. Wir sitzen in der Sonne und wippen im Takt der Musik und dem Bier in der Hand. So muss das Leben sein.

Es gibt zudem eine gedehnte Fußgänger*innen-Zone, die beim Präsident*innen-Palast beginnt und dann in einen Steg mündet, auf dem unzählige Fischer*innen ihre Angeln ins Hafenbecken lassen. Das Teatro Solis bietet in einem Nebengebäude übrigens in regelmäßigen Abständen kostenlose Vorstellungen an, deren Plätze am Abend schnell vergeben sind.

Auch Montevideo gilt an vielen Ecken als sicher, trotzdem ist es wohl besser die meisten Stadtteilte nachts zu meiden. Eine typische Erfahrung musste ich wieder machen, als es nur darum ging den Bus zum Busbahnhof zu finden, der auch nur fünf Minuten entfernt ist. Trotzdem war ein jede*r die wir fragten anderer Meinung wo und welche Busse dafür abfahren. Von „hier fährt da gar nix ab“ bis „ihr könnt jeden Bus nehmen“ war alles dabei. Wie das sein kann, bleibt mir ein Rätsel.

Wie ich schon im letzten Post beschrieben habe, hatte bis 2015 Uruguay einen besonderen Präsidenten. Aufgrund einer Doku und auch in Wikipedia ist es zu lesen, wusste ich das Pepe von Beruf Blumenzüchter ist und diese dann auch an der Straße verkauft. So generierte ich die Idee eine Blume von ihm zu kaufen, um ihn vielleicht zu sehen und meine Anerkennung auszusprechen.

Das war auch die Hauptmotivation Montevideo zu bereisen, denn andere Reisenden beschrieben die Stadt immer als grau und langweilig und rieten dazu, gleich weiter nach Punta del Este zu reisen. In Montevideo sprach ich mit unseren Gastgebenden darüber und sie verstanden, dass ich Cannabis kaufen möchte. In Uruguay wird das Cannabis auch als „Pepes Blumen“ bezeichnet. Das wäre auch gegangen, denn es bedarf wohl nur einer Registrierung in der Apotheke, dann ist der Erwerb möglich.

Da mir aber an dieser Art Pflanzen nichts gelegen war, mussten wir unseren eigenen Recherchen anstellen. Viele vermuteten auch, dass wir ihn nicht treffen werden, da er immer noch Senator ist und vor allem „wichtige“ Leute trifft. Wir ließen uns nicht entmutigen.

El Pepe

5 Uhr morgens brachte uns der Wecker auf die Beine. Es ist auch unser letzter Tag, sodass wir schon mal die Rucksäcke mitnehmen, die wir dann im Busbahnhof sicher abgeben. Dabei wird mein Rucksack gewogen. Zum ersten Mal erfahre ich was ich seit Monaten mit mir rumschleppe und vermutlich war alles mal schwerer: 22,5 Kilogramm. Nicht grad wenig.

Wir fragen nochmal wegen den Bussen und auch hier wird uns nicht viel Erfolg vorhergesagt. Wir nehmen den ersten Bus. Schon verfahren wir uns und hangeln uns weiter von Bus zu Bus. Zwischenzeitlich sind wir in ärmlicheren und gefährlichen Stadtvierteln Montevideos. Immer weiter und mittlerweile bereiten wir unser Mittag zu. Nach knapp vier Stunden verlässt der vierte Bus die urbane Landschaft und nun folgen viele kleine Bauernhöfe mit vergleichsweise kleinen Feldern. An einer Blech-Haltestelle finden wir den Schotterweg, den wir suchen und der zu Pepes Anwesen führen soll.

Uns kommt ein brasilianisches Pärchen entgegen, was uns bestätigt dass wir nicht falsch sein können. Linker Hand befindet sich eine weitere Chacra. So heißen die kleinen Bauernhöfe. Rechter Hand ein Feld, das noch nicht ausgetrieben hat.

Dann kommen wir an ein größeres Backsteingebäude, dass wohl die Schule sein soll, die Pepe unter anderem spendete. Direkt davor ein Betonklotz mit der Aufschrift „Stop“. Nun kommt uns ein einzelner Polizist entgegen. Ohne groß zu warten was unser Anliegen ist, erklärt er, dass Pepe beschäftigt ist, ohnehin viele Leute kommen würden und wir Verständnis haben sollen, dass er seine Ruhe möchte. Wir haben nun auch nicht mehr erwartet und unterhalten uns mit dem redseligen Polizisten.

Er ist eine Art Filter, so erklärt er weiter, um festzustellen wer weiter fahren darf und wer nicht. Er belebt einen Schiffcontainer der entsprechend eingerichtet wurde. Nichts besonderes also. Er berichtet, dass täglich im Schnitt 50 Leute kommen würden und die allermeisten mit eigenem Auto. Darunter auch Verrückte, so ist ein Mann bekannter geworden, der um Adoption gebettelt hatte.

Wir unterhalten uns weiter und ich beobachte wie auf dem Weg ein roter Trecker herangerollt kommt. Ein alter Mann fährt, während links und rechts je ein schwarz gekleideter junger Mann sitzt. Ich denke mir nichts dabei, bis der eine Mann anfängt mich heranzuwinken.

Erst denke ich: ich kann nicht gemeint sein. Ich schaue hinter mich, und nochmal zu den Mann und tatsächlich nur ich kann gemeint sein. Ich mache Azul und den Polizisten darauf aufmerksam. Der Polizist dreht sich um und dann wieder zu uns. Er grinst breit und sagt: „Ihr habt Glück“. Der alte Mann vom Trecker huscht geduckt in den weißen Container. Es ist el Pepe.

Azul und ich hatten im Vorfeld natürlich darüber gesprochen, was wir gegebenenfalls machen, aber doch hat niemand dran geglaubt und entsprechend lapidar war unsere Vorbereitung. Noch ungläubig gehen wir die letzten fünfzig Meter und hinein in den Container. Es sieht aus wie ein typischer Baustellencontainer. Alles mögliche fliegt herum, etwas dreckig, Spinde in der Ecke, mehrere Schreibtische und alte Plastikstühle.

Pepe hat sich schon in einem der grünen Stühle breit gemacht und sein netter Begleiter stellt uns auch noch Stühle hin, dann stellen sie sich vor den Eingang. Nun, da sitzt er nun vor uns. Kleine Äugchen luken aus einem verschmitzten Gesicht, was von ernsten Zeiten geprägt ist. Die altersweisen Haare hängen wirr auf dem Kopf. Das helle Hemd ist schmutzig von der Feldarbeit und der Wohlstand hat den Bauch geformt. Nichts deutet darauf hin, dass wir einem Ex-Präsidenten gegenüber sitzen. Alles deutet darauf hin, dass ein gewöhnlicher Bauer der Region vor uns sitzt.  Ich verfluche mein schlechtes Spanisch und noch viel mehr, dass ich Pepes Genuschel kaum verstehe. Azul wird zur Dolmetscherin, ist aber auch selbst schwer angetan.

Ich frage ihn zum Fairen Handel und möchte seine Meinung dazu wissen. Er meint nur, dass es eine Möglichkeit ist und macht die Ungerechtigkeit am Import von Kakao aus Afrika nach Europa deutlich. Azul fragt nach Bolivien. Bolivien steht an einem Scheideweg und 2019 stehen Wahlen an. Evo Morales hat viel für das Land geleistet, ist aber verfassungsrechtlich schon eine Amtszeit länger im Amt als vorgesehen. Er macht Anstrengungen die Demokratie auszuhebeln. Widerstand formt sich in Bolivien. Pepe fragt sie nach ihrem Alter und verweist indirekt auf die Zeiten und die Errungenschaften Morales in den Jahren zuvor. Zur jetzigen Situation mag er nichts sagen, er sei doch nur ein alter Mann. Er strahlt Bescheidenheit aus.

Pepe lässt sich Zeit und dreht sich eine Zigarette nach der anderen. Ohne Filter versteht sich und mit bloßem Papier. In der halben Stunde, hat er bestimmt fünf Zigaretten verraucht. Er spricht davon, dass viele Politiker*innen das hohe Einkommen nutzen um dann wie die Reichen zu leben und somit Politik nicht mehr für die Armen machen. Ihn ist es aber wichtig unter den Armen zu bleiben um für sie Politik machen zu können. Er ist immer noch Senator und seine Frau ist Vize-Präsidentin.

Viele der Dokus scheinen ihm nicht so zu gefallen. Nun kam sogar ein Spielfilm, der seine 12 Jahre im Gefängnis thematisiert. Als unter der Militärdiktatur linke Aktivistis verfolgt wurden, saß auch er ein, denn er war Mitglied einer kommunistischen Guerillabewegung, den Tupamaros. Doch es sei auch einiges wahr in den Filmen.

Wir unterhalten uns weiter über Ungerechtigkeit. Er macht aber immer wieder klar, dass er doch nur ein einfacher Bauer ist. Ich frag ihn nach den Blumen. Gerade sei nicht die Saison für Blumen; und die Leute würden zunehmend aus China importierte Plastik-Blumen auf die Gräber legen. Die Tomaten sehen aber grad prächtig aus, fügt Pepe noch hinzu. Zu guter Letzt machen wir noch ein gemeinsames Photo und bedanken uns. Er haut uns großväterlich auf den Kopf und meint, als er uns sah, wollte er uns kennen lernen. oder anders gesagt: Pepe entschied uns willkommen zu heißen.
Mit stolzgeschwellter Brust machen wir uns auf dem Weg zurück. Der eine Kollege Pepes rauscht dann noch mit dem berühmten blauen VW Käfer an uns vorbei und grüßt uns freundlich. Ich grinse immer noch.


Nov 25 2018

Einmal um die Welt

Von Karl

 

Deutsches Temuco

Je länger ich durch Temuco wandele, desto mehr bekomme ich den Eindruck, ich bin einmal um die Welt gereist und nun von der anderen Seite nach Deutschland wieder eingereist. Ich will erklären wieso.

Mit der Ankunft in Temuco erreiche ich auch deutlich eine Klimazone, die der in Mitteleuropa entspricht. Vom Breitengrad ist Temuco zwar soweit vom Äquator entfernt wie das italienische Palermo oder das spanische Mérida oder das griechische Patras. Nur das Europa unter dem Einfluss des wärmenden Golfstroms steht, während Chile durch einen kalten Antarktis-Strom beeinflusst wird. Orte in Chile die näher am Äquator liegen sind klimatisch vergleichbar mit Orten die in Europa entfernter sind vom Äquator.

In Temuco blühen die Frühlingsbäume, das Gras sprießt und es duftet nach Sonne kurz dem letzten Regen. Die Häuser bekommen spitzere Dächer und sind weitgehend aus Holz. Mir erscheinen immer mehr Schriftzüge auf Deutsch. So fährt in der Avenida Alemania (Allee Deutschland) die Linie 1 in schwarz-rot-goldenen Farben. Unweit gibt es einen deutschen Turnverein, eine deutsche Klinik und eine große deutsche Schule. Im Eingang der Schule hängt eine Karte der Bundesrepublik mit ihren Bundesländern und ein Zeitstrahl zur völkisch-deutschen Geschichte. Im Hof stehen Schilder mit „Sauberkeit ist Kultur“ und darunter ein Stadtbild gemalt mit vielen Fachwerkhäusern. Aber auch ganz subtil lassen sich die Spuren der deutschen Einwanderung lesen: in den vielen Nachnamen zum Beispiel die Arztpraxen, Autohäuser und andere Einrichtungen tragen.

So treffe ich auf der Straße dann auch einen alten Mann, der mich direkt fragt ob ich aus Deutschland sei und fängt an mit mir gebrochen Deutsch zu sprechen. Er zeigt mir noch sein altes Akkordeon und erklärt mir wie unsicher alles ist. Selbst die „German Angst“ hat überlebt, denke ich. Selbst die Graffiti sind auf deutsch!

Auf meinem Stadtrundgang finde ich die alte Markthalle völlig abgebrannt vor. Nicht dass sie gestern abgebrannt wäre, aber in allen Karten wird sie noch als aktueller Markt geführt. In der Nähe des ehemaligen Bahnhofs gibt es nun all die Marktstände, die seit langem mal wieder eine reichhaltige Vielfalt an Gemüse, Obst und Handwerk bieten. Tatsächlich bin ich hier beeindruckt über die unerwartet vielfältigen Angebote. Damit hatte ich in Chile nicht mehr gerechnet.

Weitere Sehenswürdigkeit ist eine kleiner stadtnaher Hügel, der Eintritt kostet, den es aber nicht wert ist. Er erreicht kaum beeindruckende Höhe und eröffnet nur einen kleinen Ausblick auf die Stadt. Wenn der Park-Wächter Feierabend macht, kommen die Leute um den Feierabend zu genießen, weil dann kostet es auch nix mehr. Für mich befremdlich: Die Natur erinnert an ein Spaziergang im Thüringer Wald.

Nichts zu sehen

Gegend Abend suche ich dann meinen hiesige Unterkunft auf. Kaum stehe ich im kleinen Wohnzimmer von Andres steht auch schon ein Humpen Bier vor meiner Nase. Nicht dass ich das ablehnen würde, doch mit so viel Klischee hab ich einfach nicht gerechnet. Auch sein bester Freund Mauro ist da und zusammen spielen sie seit Mittag Gitarre und Ukulele. Ja sie haben erst an dem Tag entschieden sich Instrumente anzuschaffen. Sie bilden die noch unbekannte Band „Nichts zu sehen“. Tatsächlich gibt es noch nix zu sehen, denn es gibt auch noch nix zu hören. Außer die Anfänge von dem mexikanischen Volkslied „La Bamba“. Ich muss gestehen: Eine gute Wahl, weil das Lied macht schon nach wenigen Takten gute Laune. Also wenn ihr Bock drauf habt, klickt einfach hier. Ich hab mal die Playing-for-Change-Version rausgesucht.

Nach den ersten Bieren sammeln wir noch Andres Freund Robert ein und nun wird es richtig kurios: er spricht fließend deutsch mit mir. Er ging auf die deutsche Schule, war auch eine Weile in Deutschland und kann sich noch mit seiner Oma auf Deutsch unterhalten. Seine Eltern unterhalten ein Ski-Hotel was sich insbesondere an deutsche Touris wendet. Die Ur-Eltern kamen mit dem Ersten Weltkrieg, gingen dann nochmal zurück, als aber der Zweite startete, emigrierten sie erneut nach Temuco.

Wir machen lecker Hamburger und trinken weiter. Pico oder Piscola ist das Getränk des Abends. Das ist Pisco mit Cola, also ein einfacher Cocktail. Immer mehr Leute kommen in das kleine Wohnzimmer. Erst wollten wir auf das „Bierfest“ gehen, eine Art Oktoberfest, gehen aber dann doch in die Disco. Mauro, sein bester Kumpel, ist stadtbekannter Veranstalter – was auch immer das bedeutet – und bringt uns alle kostenlos rein und zudem gibt es noch ein paar Getränke gratis. Wir zappeln eine Weile aber so richtig toll wird es dann nicht und als es vorbei ist, ziehen Andres und ich es vor heim zu gehen.

Am nächsten Tag setzen wir uns dann in sein Auto und fahren Richtung Meer. Auch wenn die Seenplatte, also Richtung Gebirge, als Highlight angepriesen wird. Wir durchfahren Carahue, eine kleine Stadt am Rio Imperial, der auch zum Meer fließt. Carahue zeichnet sich durch drei Stockwerke aus, dass heißt, es gibt drei Ebenen auf denen die Ortschaft liegt. Funfact: Angeblich die Ortschaft mit den meisten Alkohol-Abhängigen in der Welt. Ich hab keinen gesehen, aber vielleicht Saufen die auch grad in der Kneipe oder schlafen den Rausch zu Hause aus. Neu ist dort eine Klinik. Wir vermuten Zusammenhänge.

Am Meer liegt Puerto Saavedre. Das beschauliche Örtchen mit den bemoosten Straßenschildern hat sich eine neue Wasserkante gebaut und verfügt über heimelnde Restaurants aus ganz viel Holz gebaut. Es gibt wohl auch die weltbeste Ceviche hier. Da Feiertag ist – d.h. der Feiertag wurde auf den kommenden Montag verlegt, der nun ist – gibt es im Hafen auch ein Ruderwettbewerb, dem wir eine Weile zuschauen.

Ganz in der Nähe befindet sich auch der Lago Budi, ein meeresnaher und ziemlich großer See. Wir suchen ein Plätzchen um diesen Ort zu bewundern und finden jemanden der uns den Weg zeigt: Ein immer noch Betrunkener. Mit blutigen Gesicht, schafft er es gerade so uns den Weg zu zeigen und wir nehmen ihn ein Stückchen mit. Der See liegt tatsächlich sehr ruhig da und wieder bekomme ich den Eindruck, die Müritz könnte es auch sein.

Araukarie

Auf den Weg zum und vom Meer passieren wir einige gerodete Gebiete. Exzessiv werden hier schnellwachsende Eukalypten-Wälder angelegt und wieder geholzt. Was damit passiert, weiß ich nicht, aber es führt zur Bodenaustrocknung, in einer eigentlich sehr feuchten Region. Die Region mit Temuco als Hauptstadt ist nach einen Baum benannt der vor allem hier vorkommt: Araukarie. Auf der Nordhalbkugel gibt’s den Baum nicht. Dieser Baum bildet lange stachlige Zweige aus und sieht tatsächlich etwas eigenwillig aus.

Eukalypten-Wald-Rodung

Was mir zudem auffällt, sind die immergleichen Häuserreihen in den Siedlungen. Wie aus US-Filmen oft bekannt, gibt es Straßenzüge die aus den immergleichen Häusern bestehen. Ganze Stadtteile mit den komplett gleichen Einfamilienhaus. Kurios.

Was die Region sehenswerter macht, ist wenn mensch gleichzeitig die Memoiren von Pablo Neruda liest. Er ist weltbekannter Dichter und mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Er schreibt in „Ich bekenne, ich habe gelebt“ über seine Kindheit und Jugend in der Region von Temuco. Seine Schreibstil ist ausgezeichnet bildgewaltig!

Flagge der Mapuche

Mapuche

Dem gegenüber stehen in den ländlichen Regionen die Rukas. Das sind die traditionellen Häuser der Mapuche, bestehend aus Holz und Lehm. Die Mapuche sind die größte indigene Gruppe in Chile und sind deren letzten Überlebenden. Die Kolonisation haben nur sie überlebt und dies vor allem, weil sie sich mit allen Mitteln gewehrt haben. Den Krieg gegen die Mapuche hat die chilenische Nation übernommen, sodass sie weiterhin in Reservaten gedrängt wurden und keine Chance mehr haben ihr Land zurück zu bekommen. Besonders in der Region um Temuco gibt es immer noch Auseinandersetzungen. Die Polizei bekämpft die ländlichen Siedlungen, die sich wiederum wehren und beispielsweise Rodungsfahrzeuge in Brand setzen, die Bäume in ihren Schutzgebieten fällen.

Ruka (traditionelles Mapuche-Haus)

Deswegen bin ich nach Temuco gefahren, aber erfahren kann ich nur wenig. Sie leben größtenteils in den weit entfernten Dörfern und sollten Weißen gegenüber verschlossen sein. Vermutlich aus bitterer Erfahrung. Auch wenn ihre Traditionen und Produkte zunehmend touristisch vermarktet werden. Temucos Museum hat nur sehr eingeschränkte Öffnungszeiten.

Die Mapuche an sich sind auch nicht nur ein Volk, sondern eine Vielzahl davon und leben in einem relativ großem Gebiet, was bis nach Argentinien reicht. Ihnen gemein ist unter anderem ihre Sprache Mapudungun. Mapuche heißt so viel wie „Menschen der Erde“. Viele sind schon in die großen Städte abgewandert und vermeiden ihre Mapuche-Herkunft, weil auch in Chile die indigene Herkunft mit unzivilisiert, naiv und rückständig assoziiert wird. Während meines Aufenthalts habe ich Aufrufe für Demonstrationen in Santiago gelesen und Nachrichten im Fernsehen dazu gesehen. Interessanterweise wurden die ersten Siedler*innen aus Deutschland mit Land, Steuererleichterung, kostenloser Überfahrt und chilenischer Staatsbürgerschaft gelockt, um ein Land fruchtbar zu machen, wo kurz vorher die Mapuche vertrieben worden.

Ich wollte eigentlich die Welt der Mapuche besser kennen lernen.