Dez 17 2018

Deine Augen verbunden, deine Hände gefesselt, du wirst gefoltert und niemand weiß wo du bist …

Córdoba, Argentinien

Von Karl

 

Córdoba ist Argentiniens zweitgrößte Stadt und bekannt für ihre Kultur und Universitäten. Auf dem ersten Blick fallen auch die vielen weißen und gut erhaltenen Gebäude auf. Architekt*innen haben sich bestimmt große Mühe gegeben und deshalb wurde die Front einiger Gebäude auch nochmal im Boden nachgezeichnet, wie eine Art Schatten. Vielleicht damit die Leute die den Boden absuchen, auch die historischen Gebäude finden.

Die Universitäten Córdobas sind landesweit bekannt und verleihen der Stadt den Beinamen „La Docta“, also „die Doktorin“. Viele Gelehrte wohnen und leben hier. Nicht nur einmal habe ich gehört, dass Menschen zum studieren nach Argentinien gehen, weil es dort kostenlos sei. Selbst die Verpflegung in der Kantine alias Mensa ist selbst für arme Argentinier*innen noch sehr günstig. Hunderttausende Studierende bevölkern die Millionen-Metropole.

Als lokale Spezialität werden handgemachte Alfajor angepriesen. Die Leser*innen hier sind aber klüger, denn es gibt sie in ganz Chile und Argentinien. In verschiedenen Varianten. Ganz einfach mit Dulce de Leche zwischen zwei Kekshälften, oder teilweise mit mehreren Schichten und Schokoglasur. Mal abgepackt im Supermarkt, dann wieder in feinen Boxen zum Verschenken oder in speziellen Feinkostläden, die die wohl im Hinterzimmer per Hand machen.

Synagoge Córdoba

Als ich in Córdoba ankomme ist es noch frühs und in dem Hostel kann ich mir noch was vom feinen Frühstück nehmen. Was ich allerdings zum ersten Mal in Argentinien gesehen habe ist Kaffee in Tee-Beuteln. Eigentlich gar nicht so doof.

Nicht ganz so überragend wie in Mendoza, aber auch wunderschön sind die Parks der Stadt. Weitläufig, grün, Teiche, Inseln, Liebespaare, hohe Bäume mit viel Schatten, … Auch gäbe es ein hervorragendes Freibad, wenn es nur Wasser hätte. Eine alte Brücke überspannt das lange Becken.

Auf einem Platz im Zentrum steht eine übergroße gelbe Ente. Daneben werden kleine Badeenten verkauft. Dahinter steht eine soziale Initiative die Essen und Kleidung sammelt und verteilt.

Die soziale Ader kommt auch am Mittwoch zum Tragen. Da sind alle Museen und Gedenkstätten kostenlos. Mal eine Gelegenheit sich moderne Kunst anzutun. Leider muss ich kurz mit dem Kopf schütteln, da die vergangene Fußballweltmeisterschaft schon mit Farbe auf Leinwand gebracht worden ist. Ein großer Raum voll mit Spielern die gegen Bälle treten und darunter die Spielergebnisse.

An manchen Stellen in der Stadt, aber auch schon auf den letzten Stationen meiner Reise bin ich der Forderung begegnet: „Respekt, Freiheit und Wahrheit für Santiago Maldonado“. Wie ich nun herausgefunden habe, handelte es sich um einen Aktivisten aus der Provinz Buenos Aires (nicht der Hauptstadt), der sich dem Kampf der Mapuche verschrieben hatte. Genauso wie in Chile, gibt es, vor allem in Patagonien, noch Gebiete die von ihnen bewohnt werden und die sie gegen die Vertreibung verteidigen. Sie fordern weiterhin die Rückgabe ihrer Gebiete und die Autonomie auf diesen. Doch mit der konservativen Regierung unter Mauricio Macri ist keine Verhandlung in Sicht. Santiago Maldonado beteiligte sich an Protesten in Cushamen (Provinz Chubut), währenddessen Straßenblockaden errichtet wurden. Nach der Auflösung dieser war er tagelang vermisst und dann als Wasserleiche geborgen worden. Es ist unklar warum er gestorben ist. Die Protestbewegung wirft der Polizei den Mord vor.

Mich interessiert noch mehr von der aktuellen Politik und nehme die Gedenkstätte „La Perla“ in meinen Tagesplan. Es stellt sich schnell heraus, dass sie außerhalb der Stadt liegt und ich muss den entsprechenden Bus finden. Im neu errichteten Terminal 2 findet sich auch der entsprechende Bus. Er muss nämlich nach Villa Carlos Paz fahren, einen Nachbarort Córdobas, aber in Malagueño, einem Vorort, halten. Als der Bus dann aber nicht abfährt für Malagueño, zeige ich dem Busfahrer nochmal mein Ticket mit dem Zielort „La Perla“. Er fängt an zu schimpfen und lässt mich auf der Autobahn raus. Ich war einer von drei Fahrgästen und hatte ihm ja beim Einstieg mein Ticket gezeigt. Da es mir immer noch vergönnt ist, das „r“ nicht so auszusprechen, wie es die Einheimischen können, versteht mich leider niemand wenn ich „La Perla“ sage. Mehrmals habe ich z.B. beim Ticketkauf „La Perla“ gesagt, aber es wurde nicht verstanden. Erst als ich es als Gedenkstätte erläutert habe die bei Malagueño liegt, meinten sie „La Perla?“. Da denke ich auch: Was zum Teufel habe ich zehn Mal zu dir gesagt?

Tatsächlich liegt Malagueño südlich der Autobahn und La Perla nördlich, sodass ich jetzt nur noch einen Kilometer zu laufen habe. Eigentlich ist das ganze Gebiet Sperrgebiet, aber hier gibt es einen Weg zur Gedenkstätte. Als erstes passiere ich einen heruntergekommenen Checkpoint und kann mir schon vorstellen, wie hier die Militärfahrzeuge in den 70er Jahren an die Schranke ranfuhren, die sich dann öffnete und salutierend den Laster hinterherschauten.

Zur gleichen Zeit kommt ein älterer Mann in das Gelände und wir erscheinen quasi zeitgleich bei der Rezeption. Die ganze restliche Zeit sehe ich keine weitere Person. Das Areal ist eine ehemalige kleine Kaserne mit Tor, Wachtürmen und verschiedenen Hallen. Ich unterhalte mich mit der jungen Frau, die für uns zuständig zu sein scheint. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 sind über 30.000 Menschen verschwunden. Meist Linke oder Menschen denen es unterstellt wurde. Sie wurden tagelang gefoltert und ermordet. Ohne dass es Aufzeichnungen gibt. Deswegen wird die Methode „verschwinden lassen“ genannt. Es war brutaler Staatsterror, der noch aufgearbeitet wird. Die Familien wissen oft bis heute nicht, was mit ihren Angehörigen passiert ist. Ob sie vielleicht ins Exil gegangen sind, Glück hatten und überlebten oder einfach per Flugzeug über dem Atlantik rausgeworfen worden. Das faschistische Regime hat seine Methoden unter anderem von der „Schule der Amerikas“ in Panama, den französischen Doktrin, die entwickelt wurden um die Aufständigen in Algerien niederzuschlagen, und den Erfahrungen der eingewanderten deutschen Nazis im Rahmen des Holocaust.

Ich beginne meinen Rundgang und beginne zu begreifen. Für viele ist die Suche nach ihren Angehörigen schwerlich. Kunstwerke in der ehemaligen Fahrzeughalle zeugen von ihren Willen und Hoffnungen auf Frieden. In anderen Räumen, die als Auswahl oder Folterkammern genutzt wurden, hängen Steckbriefe der Täter. Viele sind unbestraft davon gekommen. Die heutigen Rechten und Sympathisant*innen der Militärdiktatur versuchen immer wieder die Ereignisse zu relativieren. Irgendwie kommt mir das bekannt vor.

die Täter, viele unbestraft

Gezeigt wird auch der Kampf der „Mütter vom Platz des Mais“. Der Platz des Mais oder Mai-Platz ist der zentrale Platz in Buenos Aires und noch während der Diktatur begannen sie für Aufklärung zu demonstrieren. Sie trugen alle weiße Kopftücher und dieses wurde zum Symbol. Noch heute gibt es in allen Städten weiße Kopftuch-Graffiti auf den Gehwegen. Noch heute wird demonstriert. Da auch einige schwangere Frauen verschwunden sind, gibt es nun auch die Bewegung der „Großmütter vom Platz des Mais“, die wissen wollen wo ihre Enkel*innen abgeblieben sind. Die Militärs sollen die Neugeborenen an regimetreue Familien abgegeben haben. So mancher Mensch in Argentinien, der vielleicht 50 Jahre alt ist, ist womöglich kein Kind seiner Eltern. Bei Vermutungen können kostenlos Tests gemacht werden.

In La Perla ist auch der Raum zu besichtigen in denen die Gefangenen eingesperrt waren. Wie in alten Kasernen-Zeiten waren Doppel-Stock-Metall-Betten in unzähligen Reihen aufgestellt. Die Demütigung ging bis zum Stuhlgang und Duschen. Mit grausamer Freude wurden die Gefangenen gefoltert und entwürdigt. Berühmtestes deutsches Opfer ist Elisabeth Käsemann, die nach mehreren Tagen Folter getötet wurde. Unter anderem wegen ihr gab es dann auch Gerichtsverfahren in Deutschland, aber Argentinien hat die Täter nicht ausgeliefert.

Das Museum stellt die Ereignisse auch mit dem „Plan Condor“ der USA in Verbindung. Dabei handelt es sich um direkte Unterstützung und Intervention der USA in Lateinamerika von anti-kommunistischen Regierungen, Parteien, Milizen, Bewegungen, etc. Sie behaupteten, wenn ein Land sich dem Ostblock anschließen würde, dann fallen alle anderen Länder wie im Domino (Domino-Theorie). Deswegen wurde mit aller Macht versucht dies in allen Ländern Amerikas zu verhindern. Somit war die USA auch Freund des argentinischen faschistischen Militärregimes.

Besonders einprägend im Museum war ein Buch mit Zeichnungen eines ehemaligen Häftlings. Es sind Menschen zu sehen die mit verbundenen Augen auf dem Boden liegen. Wächter die mit Schlagstöcken unterwegs sind. Brutale Foltermethoden. Foltermethoden Made in Europe.

Ich bin schwer beeindruckt und noch in Gedanken versunken, als ich die Autobahn zu Fuß überquere um in Malagueño einen Bus zurück nach Córdoba zu finden.

Dort angekommen sehe ich in einer Nebenstraße des Hauptplatzes, dass hunderte Bilder aufgehängt worden sind. Bilder von Angehörigen, die vermisst werden. Quer über den Weg, von einer zu anderen Seite. Es hat Argentinien noch lange nicht losgelassen. Ein bisschen ist Argentinien Gefangene der eigenen Geschichte. Immer noch halten einige die Augen geschlossen, sind unfähig etwas zu unternehmen, viele tragen das tiefe Leid in sich und wissen nicht wo sie suchen sollen.


Dez 15 2018

Million unterm Blätterdach

Mendoza, Argentinien

Von Karl

 

Als ich aufwache und aus dem Fenster schaue, sehe ich wieder die weiten Flächen mit ihren grünen Sträuchern und Bäumen. Ab und zu kommt ein Feld. Doch mitunter mischen sich auch Weinfelder dazwischen, was meine unmittelbare Ankunft in Mendoza anzeigt, weil die gleichnamige Provinz landesweit berühmt für ihren Wein ist. Je näher wir der Großstadt kommen, desto deutlicher treten auch die Anden dahinter in Erscheinung. Direkt auf der anderen Seite der weißen Gipfel liegt Santiago de Chile und dazwischen liegt der höchste Berg außerhalb Asiens, der Aconcagua. Mendoza ist wohl Ausgangspunkt für dessen Besteigung, welche allerdings zwei bis drei Wochen dauern.

Was schnell auffällt, wenn mensch in Mendozas Straßen wandelt, sind die vielen Alleen. Es gibt so gut wie keine Straße, die nicht mit Bäumen begrünt ist. Mauro, mein Gastgeber, erklärt mir, dass für das Fällen Strafen verhängt werden. Mauro bewohnt eine kleine saubere Wohnung im wohlhabenden Westen der Stadt. Er ist noch ganz fertig von dem Trinkgelage am Vorabend, sodass ich relativ schnell die Wohnung übernehme. Wo ich auch gerne bin, da es tagsüber schon locker über 30 Grad werden und seine Wohnung ist klimatisiert. Wir sind uns sogar einig, kältere Temperaturen sind schöner. An den nächsten Tagen zeigt er aber seine krassen Kochkünste und wir diskutieren viel.

Kochkunst a la Mauro, dahinter frische Empanadas, die hier gewöhnlich als Dutzend („Docena“) verkauft werden

Dauerbrenner in Argentinien ist seit einiger Zeit die Abtreibungsdiskussion. Es gibt eine breite Bewegung die ein Recht auf kostenlose und legale Abtreibung fordert. Bislang ist nur in bestimmten Fällen, wie z.B. nach einer Vergewaltigung oder wenn Gefahr für Kind oder Mutter besteht, die Abtreibung erlaubt. Endgültig entscheidet aber dies immer noch eine andere Stelle, die, wenn ich das richtig verstanden habe, auch kein*e Mediziner*in ist. Sie kann also trotz Gefahren oder Vergewaltigung die Abtreibung verbieten. In Trelew, in der Provinz Chubut, haben sich erst vor wenigen Wochen 50.000 Frauen zu einem jährlich stattfindenden Kongress getroffen, wo es vor allem um die Forderung nach der Legalisierung ging. Am Rande kam es zu Ausschreitungen und eine Kirche wurde angezündet. Denn die katholische Kirche ist für das Abtreibungsverbot. Seitdem haben viele Frauen in Argentinien das grüne Halstuch als Protestsymbol und ich habe das grüne Halstuch sehr oft auch im Alltag gesehen. Ein erster Versuch der Legalisierung ist am Senat gescheitert. Die Abgeordnetenkammer, die landesweit gewählt wird, hat dem Gesetzesentwurf bereits zu gestimmt, aber der Senat, der aus von den Provinzen entsandte Senator*innen besteht, hat diesen abgelehnt. Angesichts der breiten Unterstützung der Bewegung halte ich es aber nur für eine Frage der Zeit, dass auch in diesem Bereich die Frauen ihre Selbstbestimmung erlangen. Damit würden sie sogar Deutschland überholen. Eine interessante Rolle spielen dabei auch die Medienberichte. Als ich zufällig Nachrichten sah, kommentierte der Sprecher die feministische Bewegung als „Feminazis“. Das ist ein von den Gegner*innen gewählter Ausdruck um die Forderungen als zu hysterisch, übertrieben, verbohrt, etc. abzuwerten. Er verwendet den Ausdruck als sei es die normale Bezeichnung für die Feminist*innen. Das ist dann wohl nicht mehr die objektive Berichterstattung.

Schnell verliebe ich mich in das Stadtbild mit den vielen Bäumen. Sie machen diese Stadt sehr lebenswert und schützen die Gehwege vor der intensiven Sonne. Eine Stadtführerin erklärt mir, dass sie im Sommer nicht empfiehlt nach Mendoza zu kommen. Tatsächlich ist der Gran Chaco, also die nördliche Region Argentiniens, der Hitzepol Südamerikas und weißt Temperaturmessungen von über 40 Grad auf.

Ein guter Ort gegen die Hitze und für eine Siesta ist auch der Parque San Martín im Westen der Stadt. Der ist tatsächlich sehr groß angelegt mit einem See und einen Hügel, von dem aus über die Stadt geschaut werden kann. Diese jedoch hat durch die vielen Bäume ein ganz anderes Gesicht und mensch könnte denken, es ragen nur ein paar Gebäude aus dem Wald hervor. Dabei lebt da knapp eine Million Menschen. Parks in Städten gibt‘s ja viele, aber einen so großen, dass für Lauf- und Rad-Einheiten Auswahlmöglichkeiten bestehen, soweit schaffen es die wenigsten.

Parque San Martín

Mauro ist etwas feinfühliger als ich und fragt mich ob ich das Erdbeben vor 10 Minuten mitbekommen hätte. Online lässt es sich verifizieren, es gab tatsächlich eines. Aber ich hab‘s bei besten Willen nicht mitbekommen. Ich bin schon etwas enttäuscht, denn ich hab noch nie ein Erdbeben erlebt …

Eigentliches Standbein der Region ist nicht der Wein, sondern das Erdöl. Davon bekommt mensch aber in Mendoza nicht so viel mit. Größere Erdgas-Vorkommen Argentiniens haben auch dazu geführt, dass es in den südlichen und kälteren Regionen die Häuser mit Gasheizungen ausgestattet sind. Aber meist dann doch nicht in jedem Zimmer, sondern im wichtigsten Zimmer mit einem einzelnen Heizkörper. Wer übrigens eine typische Rebsorte aus Argentinien beziehungsweise Mendoza probieren möchte, sollte nach Malbec Ausschau halten. Sie ist wohl sehr fruchtig würzig. Wein wird von allen Gesellschaftsschichten getrunken, bis hin zu den Alkoholabhängigen gescheiterten Seelen der Straße. Es ist günstiger als Bier zu trinken.

Ein weiteres Kuriosum, was ich mal niederschreiben möchte, ist der Cannabis-Konsum. Gefühlt fast jede*r in Chile und Argentinien konsumiert und einige bauen auch an. Es ist nirgends legal, aber es gibt auch so gut wie keine Kontrollen. Selbst im Freien wird gern eine Tüte gedreht und solange mensch nicht direkt vor der Polizeiwache dies tut, gibt es auch keine Probleme. Jede Stadt verfügt deshalb auch über die entsprechenden Grow-Shops.

Was nun aber Mendozas absolutes Kuriosum ist, ist die Straßenbahn. Es gibt tatsächlich eine einzige Linie, die mit roten Wagen verkehrt und „grüne Linie“ heißt. Mauro versteht meine Verwunderung nicht so sehr. Ich dagegen frag mich ob es zu weit weg ist um es als „realer Irrsinn“ bei Extra 3 vorzuschlagen.