Mrz 22 2019

Weltberühmte Wassermassen

Von Karl

Ciudad del Este / Puerto Iguazú

Wir erreichen Ciudad del Este, zu deutsch „Stadt des Ostens“, am späten Abend. Wir können um 7 noch den letzten Bus nehmen, der uns ins argentinische Puerto Iguazú bringt. Beide Städte und auch das brasilianische Foz do Iguaçu sind die jeweiligen Grenzstädte im Dreiländereck von Paraguay, Brasilien und Argentinien. Wir steuern den argentinischen Teil an, weil er der beste und günstigste Ausgangspunkt für unsere Unternehmungen ist. Zwischen den Busbahnhöfen der Städte verkehren tagsüber stündlich Busse.

Die Busse zwischen Paraguay und Argentinien müssen zwar auch durch Brasilien durch, halten dort aber nicht an. Für die Grenzformalitäten hält der Bus, weil aber wegen des Staatenverbundes „Mercosur“ für die Einreise in Paraguay den Einheimischen kein Migrationsprozess verlangt wird, lässt der Bus einen da höchstens raus, wartet aber nicht unbedingt. Das sollte bedacht werden, sonst gerät mensch illegal nach Paraguay. Argentinien führt in beide Richtungen Grenzformalitäten durch und der Bus wartet.

Ciudad del Este gilt gemeinhin als große Schmuggelstadt und nimmt sich wie ein riesiger Marktplatz aus. Bis Nachmittags kann alles mögliche gekauft werden und vieles orientiert sich am oder an der brasilianischen Kunden oder Kundin. Besonders Elektronik-Waren scheinen der Renner zu sein. Im Grenzbereich drängen sich die Verkaufshochhäuser.

Die imposante und riesige Freundschaftsbrücke überspannt den Grenzfluss. Die Flüsse schneiden ziemlich tief ins Tal und deswegen entstehen weite Ausblicke bei der Überquerung.

Puerto Iguazú ist die wohl kleinste der drei Städte und ist besonders auf den Tourismus ausgerichtet. Erwähnenswert scheint mir noch, dass es eine Punkt gibt, von dem der Grenzpunkt der drei Länder, also der Zusammenfluss von Rio Paraná und Rio Iguazú besichtigt werden kann. Jedes der Länder hat eine große Säule mit den Landesfarben aufgestellt.

Teufelsrachen

Wie so viele Gäste der Region strömen auch wir zu einen der wohl bekanntesten Hightlights der Region: den Iguazú-Wasserfällen. Wir reihen uns ein und müssen mal wieder den teuersten Preis bezahlen der angeschlagen ist. Mit argentinischer Staatsbürgerschaft wäre ich beispielsweise deutlich günstiger reingekommen.

Auf den ersten Meter beeindruckt schon die Natur. Grüne Bäume umschlingen sich in friedlicher Umarmung und Holzwege führen uns durch dessen Mitte. Viele wählen die Parkeisenbahn. Auffällig viele Nasenbären leben zudem in der Gegend. Es ist fast schon unmöglich weniger als hundert von ihnen zu begegnen. Sie spielen und tollen und haben sich an das Dasein der Menschen schon ziemlich gewöhnt. Sie erscheinen zwar sehr niedlich, sind aber leider auch sehr aggressiv, wenn es darum geht Beute zu machen. Es gibt auch Gruppen von kleinen Affen. In Hab-Acht-Stellung beäugen sie die aufgeregte Meute mit ihren Selfi-Sticks die versucht möglichst tolle Photos zu machen und immer näher kommt.

Stück für Stück nähern wir uns dem eigentlichen Ziel, den Wasserfällen. Aus großer Entfernung können wir sie dann endlich sehen. Auf über zweieinhalb Kilometern Breite fällt der Rio Iguazú über sechzig Meter in die Tiefe, wobei mehrere Inseln den Fluss in verschiedene große und kleine Fälle spaltet. Direkt zwischen uns und den Fällen liegt auch eine größere hohe Insel, die der sich fortsetzende Fluss umschlängelt. Egal an welchen Punkt der Fälle wir gelangen, so bleibt es schier beeindruckend wie viele Wassermassen sich hier einfach ergießen. 7.000 bis 15.000 Kubikmeter sollen es je nach Jahreszeit sein. In der Nähe der Fälle ist es zudem sehr laut und feucht. Winzige Regentropfen schießen aus dem Schoß und bieten die Leinwand für bunte Regenbögen.

Von den oberen Aussichtspunkten aus wirkt der Rio Iguazú sehr ruhig. Nichts deutet in diesen Momenten darauf hin, dass der Fluss gleich in ungeheuerliche Tiefen vorstoßen wird. Wer also mit dem Floß oder Boot sich von oben nähert wird wohl erst kurz vorher überrascht und dann Indiana Jones mäßig hinabrauschen. Heutzutage sind die Holzstege, über die wir an die Oberlauf-Aussichtspunkte gelangen, wohl ein wichtiges Zeichen, um den Wasserfall rechtzeitig zu erkennen.

Der Höhepunkt dieser Anlage liegt am weitesten entfernt. Nach einer Wanderung mehrerer Kilometer gelangen wir, vorbei an bunten Schmetterlingsgruppen, an einen weiteren Holzsteg. Erneut geht es über den ruhigen breiten Fluss hinweg von Flussinsel zu Flussinsel. Etwas überrascht betrachte ich die ziemlich durchnässten Touris die mir entgegen kommen. Dass sie in den Fluss fielen, halte ich für ausgeschlossen, aber so wirken sie. Ein Schmetterling setzt sich auf meine Schulter ab, während ich weiter dem Holzsteg folge. Erneut passieren wir eine Flussinsel und als die Baumwelt wieder zurücktritt, öffnet sich das Panorama auf eine riesige U-förmige Einbuchtung. Den Teufelsrachen.

Bis wenige Meter vor dem Abfall führt uns der Steg an den Teufelsrachen heran. Der aufsteigende Wassernebel kriecht bis in die hinterletzten Ecken meines Beutels und meiner Kleidung. Die Brille trocken zu wischen, scheint mir sinnlos. War es schon vorab beeindruckend, so übertrifft der Anblick dieses Teiles die vorangegangenen um ein Vielfaches. All das Wasser scheint in einem weißen Nichts aus Nebel zu verschwinden. Einfach verschluckt. Auf diesem weißen Wolkenboden erwächst ein stolzer Regenbogen. Ein zeitloser Regenbogen. Ich habe das Gefühl weich zu landen, sollte ich in die unendliche Tiefe springen. Irgendwo zwischen Wolke sechs und acht. Schier endlos rinnt das Wasser in ungeahnter Menge in den Rachen des Teufels.

wie ein gewöhnlicher Staudamm

Leider trennen sich nach dem Besuch des wunderbaren Naturspektakels wieder die Wege von Rosa und mir. Ich hab mir noch ein weiteres weltbekanntes Projekt vorgenommen und mache dafür eine Tagesreise zurück nach Ciudad del Este. Die Stadt heißt übrigens erst seit 1989 so, vorher war sie nach dem deutschstämmigen Diktator benannt, der – ähnlich wie viele Nachbarländer – auch in Paraguay Linke verfolgte und vor der Strafverfolgung sich versteckende deutsche Nazis einen Unterschlupf bot. Der wohl bekannteste Flüchtling in Paraguay war Josef Mengele.

Mit einem lokalen Bus fahre ich hinaus in die nördliche Nachbargemeinde Hernandarias und gehe zu Fuß zu „Itaipú Binacional“. In einem Besucher*innen-Zentrum, das angesichts des wenigen Andrangs als viel zu überdimensioniert sich ausnimmt, bekomme ich kostenlos eine Karte für eine Führung im zweitgrößten Wasserkraftwerk der Welt. Am Rio Paraná gelegen produziert das von Pararguay und Brasilien zusammen betriebene Kraftwerk Strom für beide Länder. Da die Auslastung der Turbinen oft höher ist, als am größeren Drei-Schluchten-Staudamm, ist die Jahresenergieproduktion Weltspitze. Über 100 Terrawattstunden wurden beispielsweise 2016 produziert. Der produktivste Kernreaktor, der an der Isar in Bayern arbeitet, schafft nur etwas über 12 Terrawattstunden.

Allein 2 der 20 Turbinen haben einen Durchsatz von 700 Kubikmeter Wasser, also dem des imposanten Iguazú-Wasserfalls. Vom weiten sieht der Damm aus, wie ein gewöhnlicher schon etwas in die Jahre gekommener Staudamm. Als wir mit dem Bus an den riesigen Turbinenrohren vorbei fuhren, merke ich, welche Dimensionen sich hier verstecken. 

Selbst der Bus erscheint winzig neben den Turbinen. Für eine Technik-Führung ins Innere hätte ich mich vorab anmelden müssen und das war mir vorab nicht bekannt. Es gibt übrigens auch Führung auf brasilianischer Seite, die sind aber nicht kostenlos. Angesichts dessen, dass ich einer von vielleicht zehn Interessierten war, konnte ich einen guten Platz wählen. Die Tour dauert schon eine knappe Stunde. Allein die Staumauer hat eine Länge von 7,7 Kilometern.

Unter den 100 größten Wasserkraftwerken der Welt stauen alleine 5 den Rio Paraná. 3 weitere sind in Planung oder Bau. Ich hatte auch in Asunción mich darüber unterhalten, zumal gerade im Sommer es ständig zu Stromausfällen kommt, die sich auch über einige Stunden ziehen können. Vielleicht fehlt es einfach an Leitungen. Gleichzeitig produziert Itaipú weitaus mehr als Paraguay verbraucht. Das Unternehmen verkauft lieber den Strom und zudem muss Paraguay noch seine Schulden aus dem Bau abbezahlen. Es erscheint mir sehr zynisch, dass mit Itaipú ein Name in der Sprache der Guaraní gewählt worden ist, obschon für den Stausee 40.000 Menschen, vor allem Guaraní-Indigene, umgesiedelt worden.

Von hier aus führte mein Weg zurück via Asunción bis nach Santa Cruz und wieder nach Asunción. Viel Zeit musste ich aufbringen um die Kreditkarten-Problematik zu lösen. Das sei hier nur nochmal erwähnt, damit ihr euch nicht wundert, warum ich dann im nächsten Artikel dort ansetze und nicht im Dreiländereck. Ich hab in den letzten Artikeln aber schon alles über die beiden Städte berichtet.


Dez 7 2018

Im Kreise der Familie

Von Karl, Esquel, Argentinien

 

Selten habe ich so gut geschlafen. Als ich kurz drauf versuche Schuhe anzuziehen, merke ich wie sehr mitgenommen sie sind. Größere Blasen verweisen auf eine lange und ungewöhnliche Wanderung.

Tulpen und fliegende Teppiche

Die Mutter, die als Psychologin arbeitete und bereits in ihrer Praxis ist, hat uns ein feines Frühstück vorbereitet, dass einem wohligen Schmaus gleich kam. Mailén und ich konnten nun unsere Konversation fortsetzen, die auch von einigen nicht ganz ernsten Episoden geprägt ist. So philosophieren wir den ganzen Tag über fliegende Teppiche. Wie sie uns wann helfen könnten und welche Probleme sie bereiten könnten. Brauchen sie Sicherheitsgurte? Gibt es extra Fahrschulen und Fahrerlaubnisse? Müssen sie ab und zu getankt werden und wenn ja, mit was?

Wir fahren im Auto zweier Freundinnen und einer Mutter derer zu einem Ausflug. Lustigerweise die Hälfte der Strecke zurück Richtung Grenze, von wo ich gekommen bin. Eine der Freundinnen ist Jüdin und Enkelin polnischer und russischer Emigration. Das ist insofern interessant, weil die Einwanderung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg steht. Einwanderung ist ein generelles Thema in Argentinien, weil aus aller Welt Menschen immer wieder kamen. Die größte Gruppe soll aber aus Italien gekommen sein.

Wir halten an einem Tulpen-Feld. Das heißt, auf einem Feld werden reihenweise verschiedene Tulpen gepflanzt und verkauft. Sie blühen in allen Farben, sodass es beispielsweise auch schwarze Tulpen gibt. Eingerahmt von den schönen weißen Bergketten im Hintergrund ist der Blick auf das bunte Tulpen-Feld kaum zum satt sehen. Als ich für den Eintritt einen 50-Pesos-Schein zurück erhalte, der mit den Falkland-Inseln bedruckt ist, muss ich wieder unfreiwillig lachen. Der empörte Blick von Mailén zeigt mir aber, ich sollte vorsichtig mit dem Thema sein. Einige meinen das Ernst mit der „Rück“-Eroberung.

Irgendwie sind Wasserfälle immer etwas berauschendes,weil es ja doch nicht so häufig kommt. Wir fahren nach den Tulpen zu einem Waldstück mit verschiedenen großen und kleinen, mächtigen und schmächtigen Wasserläufen. Beeindruckend, dass die hügelige Landschaft, versteckt im engen Nadelwald Patagoniens doch tiefe Schluchten aufweist, die dann zu größeren Wasserfällen führen. Erstmals wird mir versichert, dass ich im berühmten Patagonien bin. Nun fügt sich das Bild zusammen. Die raue Landschaft mit ihren trocken-kalten Pflanzen. Lange Zeit war die Sonne auch etwas vor dem ich in den Schatten geflohen bin und hielt Siesta für eine clevere Idee, aber hier ist sie wieder was wohlig wärmendes.

Doch hat die Natur zunehmend Probleme. So gibt es im nahmen Naturschutzgebiet noch seltene Zypressen, die aber von Käfern befallen sind, die erst durch Tourismus eingeschleppt werden können. Auch größere Tiere, wie Füchse, bringen die kleinen Tiere weiter, aber insbesondere Schuhe sind geeignet sie zu transportieren.

Für besonders schick wird das Nachbarstädtchen Trevelin gehalten. Vielleicht ein wenig schöner mag es sein, aber auch ziemlich zersiedelt. Wie halten am zentralen Platz, der sich angeblich Sonntags in einen wunderbaren Markt verwandeln soll.

Esquel

Esquel an sich

Wieder eine Stadt im exakten Schachbrett, aber deren Straße nur zum Teil asphaltiert sind. Das Leben läuft ruhig ab und Siesta klar zum Tagesablauf. Auffällig sind einige aufwändige Graffiti die auf die Kampagne „No a la Mina“ (in etwa: „Nein zur Mine“) verweisen mit deren Webseite noalamina.org. Wie ich später erfahre geht es um Goldbergbau nördlich von Esquel, der aber überhaupt nicht auf Gegenliebe getroffen ist und deswegen noch auf Eis liegt. Die breite Bevölkerung soll dem Projekt sehr ablehnend gegenüber sein, sodass erstmal nicht damit zu rechnen ist, dass die Firma anfängt zu graben.

An vielen Ecken befinden sich auch „Verdulerías“, das heißt Gemüsehandlungen. Meist verkaufen sie noch Obst und was zum Zubereiten von Gemüße noch so gebraucht wird (Gewürze, Öl, …). Sie sind auch günstiger als die wenigen Supermärkte im Ort. Hier wird noch alles einzeln gekauft, das heißt Brot in der Bäckerei, Fleisch bei der Fleischerei, und so weiter und so fort … Chiles riesige Einkaufszentren hab ich also hinter mir gelassen.

Was mir jetzt erst auffällt, ist auch die abschließende Bauweise mit spitzen Dach. Das zeugt ja vor allem von größeren Niederschlägen oder gar Schneelast. Im Winter könne es tatsächlich auch mal schneien, aber da grad Frühling ist, bleibt die Winterjacke im Haus.

Blick aus meinem Zimmer. Es ist Frühling, der Baum treibt aus.

Zum Akt in der Kleinstadt wird das Geld tauschen. Ich hab noch chilenische Pesos die ich nicht benötige und es gibt nur ein Laden mit regionalen Holzprodukten („La Estacion“), der laut Touri-Info tauschen würde. Ich werde aber erstmal weggeschickt und soll um 12 Uhr wiederkommen, wenn sie wie alle Geschäfte während der Siesta schließt. Gesagt, Getan, da bin ich wieder. Nein, wir haben leider keine chilenischen Pesos. Ich sage, dass ich sie habe und dann geht es doch. Allerdings nur zu schlechten Bedingungen. Warum? Niemand will nach Chile reisen. Chile ist wirtschaftlich stabil, aber Argentinien erlebte oder erlebt noch hohe Inflation. Das kam in der Geschichte Argentiniens schon dutzend Mal vor, sodass ich annehme, dass die Argentinier*innen auch sensibel auf Inflationen anspringen. Der argentinische Peso ist relativ schwach, aber zumindest bekomme ich Geld für die nächsten Wochen.

Am sehr späten Abend wollen Mailén, Freundinnen und ich ausgehen. Da der Freund der Mutter leckeren Tequila ausgeschenkt hat, ging es schon etwas früher los, aber ansonsten trifft sich hier wohl niemand vor um Elf. In modernen Design und gedämpften Licht gehüllt wird eine Unmenge verschiedener Handwerks-Biere ausgeschenkt. Die meisten erinnern aber eher an Irland oder Großbritannien: IPA, Stout und Red Ale haben die Vorrang vor Pilsener. So begann der Abend.

Familienausflug mit Mate

Es ist Wochenende, der Freund der Mutter im Hause, der sonst die Woche über in Bariloche arbeitet. Er hat einen Jeep und wir passen mit dem Extra-Sitz im Kofferraum tatsächlich alle in das Fahrzeug. Interessanterweise nehmen sie alles mit, was ein längeren Ausflug rechtfertigt: Kanu, Angel, Stühle, …

Auch die Oma mit ihrer Schwester bevölkern die Rückbank. Als das Radio Tango anstimmt fallen Mutter, Freund, Oma und Großtante freudig ein und trällern aus vollstem Herzen.

Ich bin voll in der Familie integriert und versuche mich mit allen zu unterhalten, bzw. versuchen sie es auch. Mailén, die gern als Übersetzerin hilfesuchend angeschaut wird, wird nicht müde immer wieder zu erklären, dass ich ja Spanisch verstehe, aber halt nur langsam und klar ausgesprochen. Nicht nur ich lerne während meiner Zeit hier.

Mit dem Ausflug bekomme ich das Gefühl Teil der Familie zu sein. Als wenn ich der Bruder von Mailén wäre. Der echte wohnt auch im Haus, aber geht die meiste Zeit seine eigenen Wege. Es ist schön, einfach zu Hause zu sein. Auch wenn ich gerne unterwegs bin, hier kann ich es mal genießen. Den Rucksack packe ich oft genug. Deswegen: Hier frag ich nach Verlängerung und das wird wohlwollend aufgenommen.

Wir fahren zum Nationalpark „Los Alerces“ und obschon eines der regenreichsten Gebiete ist, haben wir das schönste Wetter. Es gibt einen 80km langen See, der viele verlassene Ecken bietet. Gegenüber erhebt sich eine elegante Bergkette. Sie ist von Bäumen gesäumt, aber leider auch von großen Flächen verbrannter Bäume. Waldbrände nehmen wohl zu und schon in Chile schien das kein unwichtiges Thema zu sein.

Während die älteren Frauen sich dem Mate-Trinken hingeben … bevor ich weiter erzähle … Mate-Trinken! Argentiniens Nationalgetränk. Immer und überall dabei. Das ist ein faustgroßes Gefäß, welches bunt, schlicht, verziert, Leder, Plastik, … alles möglich sein kann, aber es ist meistens bauchig geformt und hat einen wulstigen Rand. Darin steht der Bombilla. Im Prinzip ein innen hohler Teelöffel mit einer siebähnlichen Löffelfläche. Das obere Ende ist wie das Mundstück eines Instrumentes geformt und daran wird mit dem Mund gezogen. Der Bombilla wird nie bewegt und meistens noch nicht mal berührt. Er steht einfach im Becher. Das Gefäß wird Mate genannt, aber auch die Pflanze deren getrocknete und gehäckselte Blätter in die Mate kommen. Nicht wie beim Tee, sondern bis einem fingerbreit unterm Rand wird aufgefüllt. Manche machen nun ein Ritual daraus, dass die Blätter etwas zur Seite geschoben und auf der anderen Seite kommt heißes Wasser. Das zieht kurz und dann kann am Bombilla gesaugt werden. Danach füll ich gegebenenfalls das heiße Wasser wieder auf und reiche es der nächsten Person. Mate-Trinken ist auch eine soziale Tradition, weil immer alle gemeinsam aus einem Mate trinken. Menschen treffen sich zum Mate-Trinken. Aber es kann auch sonst in allen erdenklichen Momenten getrunken werden und es soll schon mit Kleinstkindern losgehen. Während die Mate die Runde macht, kommt das Gefäß immer mal zurück zum Ausgangspunkt um neues heißes Wasser aus der Thermoskanne nachzufüllen. Nach und nach kann der seitlich aufgehäufte Berg genutzt werden um im Becher frische Blätter zu haben.

Immer wieder habe ich Argentinier*innen gesehen die an allen möglichen Orten nach heißen Wasser für ihre Thermoskanne fragen. Auch in den Supermärkten sind die meterlangen Regale zu finden. Die getrockneten Blätter werden dann „Yerba Mate“ genannt. Ich versichere nochmal: Es gibt keinen Ort, wo mensch nicht auch noch Mate trinken kann. Die Mate sollte übrigens nicht mit der Club-Mate verwechselt werden. Das Getränk schmeckt sehr herb und ich würde sagen wie aufgegossene Wiese. Gewöhnungssache.

Zurück: Also die Oma, ihre Schwester und die Mutter setzen sich am Rande des Sees und beginnen das Mate-Ritual. Mit den beiden anderen brechen wir zu einem Spaziergang auf. Durch Nadelwald kommen wir auf einen schönen Aussichtspunkt und passieren Araukarien und kommen an den Fuß eines schönen Wasserfalls. Auf der Plattform unterhalb des Falls werden wir Nass vom Sprühregen. Auf halber Höhe endet der Weg, aber mit etwas Kletterkunst komme ich an das obere Ende vom Wasserfall. Ein Panorama, wie gemalt, öffnet sich. Im wilden Zickzack spritzt das Wasser über die Steine und erreicht die Fallkante um dann mit lauten Brüllen aufzuschlagen und weiter zu flitzen. Alles gerahmt von stolzen hochgewachsenen Bäumen. Die Gipfel verdecken nicht ganz, dass im Hintergrund ein breiter ruhiger See liegt. Darüber wächst die Bergkette …

In Gedenken an alte Zeiten konnte ich es mir nicht nehmen lassen, dann mal in den kalten See zu hüpfen. Nicht lange, weil der gletschergespeiste Pool eher einstellige Temperaturen hat. Aber das Gefühl danach ist einzigartig. Wie neu geboren. Wir müssen dann auch schnell aufbrechen. Ihr wisst schon. Das heiße Wasser ist alle.

Auf der anderen Seeseite wird mir dann noch ein interessanter Baum gezeigt, der eine orange Rinde hat. Die Rinde hat allerdings eine sandige Schicht. Angeblich waren die orangen Bäume der entscheidende Hintergrund für eine Bambi-Verfilmung in der Region.

Asado

Wenn ich schon in einer argentinischen Familie bin, wo Tango gesungen wird und Mate geschlürft. Dann darf auch das Asado nicht fehlen. Sonntags, wenn es passt, wird immer Asado gemacht. Auch das ist typisch Argentinien, so heißt es. Aber … Eigentlich ist das auch nix anderes als ein thüringisches Grillerchen. Die besten Freund*innen und Nachbarn kommen, sodass die Runde immer größer wird und auf dem Grill kommt sämtliches Tier, was in der Region lebt. Viel zu viel natürlich, sodass am Ende immer ein Berg Fleisch übrig bleibt, aber auch das ist bekannt.

Reichhaltig ist der Tisch gedeckt, mit Baguette, gegrillten Zwiebeln, Salate, etc. und es wird – natürlich argentinischer – Wein ausgeschenkt. Da es dann doch mal regnet, endet das Asado am späten Nachmittag.

Am letzten Abend bin ich dann sogar noch zum Theater eingeladen, weil Mailéns Mutter mit auftritt. Dafür bekam ich dann von Mailén, der studierten Politologin, noch eine Erkläreinheit in argentinischer Geschichte vorab. In den Jahren der faschistischen Militärdiktatur sind gut 30.000 Menschen verschwunden, d.h. sie wurden von den Militärs als links eingestuft, ohne Aufsehen in Geheimgefängnisse gebracht, gefoltert und meist ermordert worden. Das hat natürlich Spuren hinterlassen in der Gesellschaft und die Aufarbeitung ist noch nicht abgeschlossen.

Es ist die Uraufführung und das Stück beginnt schon vor dem Einlass. Die Regisseurin gibt einleitende Worte, mit zitternder Stimme. Eine junge Frau auf der Treppe beginnt unerwartet mit dem Stück, ohne dass ich dies erwartet hätte. Doch dann geht alles zu schnell. Nach dem wir sitzen wechseln schnell die Szenen und obschon ich ein ernstes Stück erwartet hatte, ist es doch eher belustigend. Ich bin positiv beeindruckt von der Leistung der Laienschauspieler*innen. Ein knappes Dutzend hat am „Theater für Identität“ mitgewirkt, wie das Stück heißt, was nun auf kleine Tour geht in der Provinz Chubut, wo ich gerade bin.

Mailén trifft dann ihren eigenen Vater, während ich mit den beiden Omis den Heimweg antrete. Als sie aber kurzfristig sich für ein Käffchen (irgendwie ist die Verniedlichung hier allgegenwärtig …) entscheiden, treffen wir dort den Vater, aber nicht Mailén. Ja, die Omis sind schon sehr kurios. Mailéns Oma hat erst vor einem Jahr ihren Ehemann verloren und dann entschieden auf Reisen zu gehen.

Irgendwie bin ich froh dass es auch zu Ende geht, denn ich muss weiter … nicht dass ich mich zum wirklichen Mitglied der Familie entwickle.

Doch Bus

Mailén hat viele gute Erfahrungen mit Trampen geteilt und ich bin doch wieder motiviert es zu wagen. Voller Hoffnung stehe ich in aller frühe auf und bin schon um 7 mit dem Daumen an Esquels einziger Verbindung gen Osten, Süden und Norden. Fünf Stunden, so nehme ich mir vor, dann geh ich zum Busbahnhof. Gegenüber von mir ist eine Kaserne und ich sehe wie die Soldat*innen Frühsport machen, wie frische Brote geliefert werden und wie sie ausreiten. Ja tatsächlich, Argentinien unterhält als eines der letzten Länder tatsächlich noch eine moderne Kavallerie, also berittene Soldat*innen für den modernen Ernstfall. Viel passiert sonst nicht. Ich wandere mit der Sonne etwas nach hinten und schaue mir ein feierlichen Konvoi hinter einem Leichenwagen an. Offensichtlich eine Beerdigung steht bevor.

Aber was soll ich sagen. Ich stand lange, aber ich hab nur drei Fahrten nach Bariloche (Norden) angeboten bekommen, will aber an den Atlantik (Osten). Stundenlang rasen die Autos an mir vorbei, machen wirre Handbewegungen, aber für mich ist nix dabei.

Niedergeschlagen geht es die zwei Kilometer zurück und der nächste Bus fährt erst um 22 Uhr. Das war nicht ganz einfach herauszufinden, weil die argentinische Aussprache sich deutlich unterscheidet. So wird das „Du“, was sonst ein „tu“ ist, zum „vos“. Alle Buchstaben die wie ein „j“ klingen werden zum „sche“. Dann noch alles schnell aussprechen und zusammenenziehen und schon heißt die Busfirma „Mar y Valle“ „Mariwasche“. Ich such tatsächlich erstmal eine Busfirma mit dem Namen Marie … Naja, so ist das Leben.

Was mach ich den restlichen Tag … Ich schau dem Touri-Zug zu, wie er Esquel verlässt. Ja, es gibt auch einen Zug, aber der ist teuer und fährt auch zu keinen spannenden Ort. Ich wärme mich mit Buch und Snack in der Sonne und als die kalte Nacht herreinbricht, fiebere ich schon dem Bus entgegen. Über Nacht ans Meer.

 

PS.: und hier ist Esquel auf der Argentinien-Karte …


Nov 23 2018

Ruhe ist wo Unruhe herrscht

Von Karl

 

Bevor ich in den nächsten Ort reise, springe ich als einziger in aller Frühe wieder aus dem Bus. Schon von der nach schlafenden Straße aus höre ich das einsames Donnern. Ich gehe ein paar Meter zurück, auf die Brücke und kann in wenigen hundert Metern den Wasserfall sehen: Die Saltos del Laja.

Der Wasserfall gilt als der größte in Chile. Ich kann über enge Wege nah heran gehen und passiere dabei hunderte Verkaufsstände, die alle noch nicht offen haben. Ich gelange an den Fuß des Wasserfalls. Da ich bislang nur schmale und manchmal auch hohe gesehen habe, ist dieser Anblick unvergesslich. Auf einer Breite von gut 100 Metern fällt der Rio de la Laja circa 35 Meter in die Tiefe. Durch die Menge an Wasser ist das tiefe Brüllen stetig zu vernehmen.

Wasserschwaden, Nebel mit Millionen kleinster Tropfen, werden aus dem Schoß gepustet und machen alles Nass im nahen Umfeld. Dadurch ist nicht nur alles schlammig und feucht, sondern auch extrem grün.

Theoretisch könnte mensch sich sehr nah an das Fallbecken heran wagen, doch der stete Regen und die glatt geschliffenen und nassen Steine, machen dies unmöglich. Ich hab‘s probiert.

Weiterhin kann das Spektakel auch von der Fallkante aus beobachtet werden. So langsam und friedlich der Fluss noch oberhalb fließt, vorbei an beschaulichen Sträuchern, Bäumen und flachen grünen Ufern, so unvermittelt stürzt er direkt hinter einem kleinen Baum in die raue Tiefe.

Immer noch bin ich allein an diesen wunderschönen und magischen Ort. Als ich dann den Rückweg antrete, sind schon die ersten Läden geöffnet und mir kommen neue Gäste entgegen. Aber sie werden nicht sehen können, was ich sah, als ich tiefen-entspannt dem Fluss beim Fallen und Kochen zusah. Ruhe ist, wo Unruhe herrscht.

Los Angeles

Anschließend fahre ich noch für ein paar Stunden ins nahe Los Angeles. Ein beschaulicher Ort, der sehr geschäftig daher kommt. Feuerwehrleute sammeln spenden, Kleinbusse durchstreifen die Straßen, verschiedene Märkte bieten Fleisch, Fisch, Gemüse, Obst, Handwerk, Mahlzeiten und so einiges mehr an. Mit Kalifornien hat der Ort aber wenig zu tun. Später geht es dann weiter zu meiner nächsten Unterkunft.


Nov 10 2018

Auf den zweiten Blick

San Gil, Kolumbien

von Rosa

Wie oft schmieden wir Pläne und sind dann enttäuscht, wenn sie sich nicht nach unseren Vorstellungen erfüllen. Südamerika hat mich wieder einmal gelehrt Pläne sind schön und gut, doch links und rechts der Route finden sich manchmal Begegnungen, die uns um so mehr ins Staunen versetzen.

Ich bin zurück in Kolumbien, um einen zweiten Blick zu wagen. Die Zeit von Quito nach Bogotá vergeht buchstäblich wie im Flug und bevor ich mich am Zusammenspiel von Bergen und Wolken satt sehen kann, landet die Maschine auch schon mehr oder weniger sanft auf dem grauen Asphalt. Die kolumbianischen Grenzbeamten möchten wissen, wo ich übernachten werde. Ich suche schnell ein Hostel raus und dann darf ich endlich passieren. Am Gepäckband wartet schon mein Rucksack und Gerald auf mich. Gerald hatte mich bei der Gepäckaufgabe gebeten seine zwei großen Nutella-Gläser schnell noch in meinen Rucksack zu stecken, da sein Koffer schon weg war und er seinen geliebten Schokoaufstrich nicht mit ins Handgepäck nehmen durfte. Wir müssen beide zum Busterminal. Es gibt einen Bus, den man bezahlen muss und einen, naja man quetscht sich einfach rein und fährt ein Stück bis zur Metrolinie. Dort dürfen wir auf der Metrokarte eines anderen mitfahren und so sind wir nach einer Stunde endlich am Busterminal. Zufällig fahren wir sogar beide Richtung Bucaramanga. Gerald kommt aus Venzuela und ist Technikbetreuer für ein Triathlonteam aus Ecuador. Triathlon ist in Venezuela, Kolumbien und Ecuador sehr bekannt und so kommt er ganz schön rum. Der Triathlonmann bedankt sich nochmal überschwänglich bei mir für den ungewöhnlichen Transport und freut sich schon auf die schokoverschmierten Gesichter seiner Kinder.

Fallen

Auch wenn ich schon einmal in San Gil war, gibt es viele versteckte Ecken, die ich noch nicht erkundet habe. Zum Beispiel den Wasserfall Juan Curi. Meine Wanderbegleitung heißt zufällig auch Juan und scherzt, dass ihm der Wasserfall gehöre. Wir laufen durch die verwachsene Natur und es geht steile Erd- und Felstreppen bis nach ganz oben. Mit den ersten Lichtstrahlen, die sich durchs dichte Blätterdach kämpfen, höre ich das Rauschen des Wasserfalls.

Die herunterströmenden Wassermassen verzaubern mich und ich fühle mich als hätte ich einen verborgenen Ort entdeckt. Vor rot-grünen Felsen, umgeben von verschiedensten Schlingpflanzen fällt das Wasser fast leicht nach unten in ein Zwischenbecken. Auf der anderen Seite geht nochmal ein Strom nach unten. Wir setzen uns auf Steinfelsen direkt neben den ins Tal fallenden Wasserfluss und genießen den Ausblick und unser Abendbrot. Am Ende des Regenbogens mag es Gold geben. Am Anfang des Wasserfalls ganz viele Glücksendorphine. Es ist möglich sich den Wasserfall hinunter zu seilen, auch „Rappeling“ genannt. Da die Sonne aber schon fast untergeht, ist keiner mehr da und mich interessiert es sowieso viel mehr ein Stück den Wasserfall hinauf zu klettern. Es ist gar nicht so einfach die klitschigen Felsen zu besteigen, Wege durch den Fluss zu finden und durch die Strömungen zu wandern. Doch es macht unglaublich viel Spaß. Ich stelle mich nah an das aufprallende Wasser und spüre die Kraft des Wassers. Hier oben ist es ziemlich kalt und windig. Auf dem abgesteckten Weg zurück zur Straße falle ich dann doch noch hin und ich habe blutige Schrammen an Knien und Händen. Und wieder mal denke ich: das ist leben. Verletzungen passieren nicht bei vermeintlich gefährlichen Aktionen, sondern wenn man über seine eigenen Füße stolpert.

In diesem Licht

Der Mond leuchtet hell in dieser Nacht. Es ist Vollmond. Zwischen dunkel und hell verwischen die Konturen. Dieser Ort, diese Zeit, dieses Licht – es füllt sich unwirklich an. Wie ein Traum.

Doch es existiert wirklich.

Drei Stunden von San Gil entfernt liegt ein Ort, der sich übersetzt Irgendwo im Nirgendwo nennt. Dieser Ort wird einfach nur das Dorf genannt. Eigentlich habe ich keine Lust drei Stunden auf einem Motorrad zu sitzen. Aber es soll sich lohnen. Was ich noch nicht weiß: zwei Stunden des Weges fahren wir Schotterpiste. Ich schlucke Staub. Auf dem kleinen Sitz werde ich hin und her geschoben. Schon nach einer halben Stunde tut mein Hintern ordentlich weh. Schlaglöcher, Steine, Wassergräben und doch wohnen hier Menschen. Fahren diese Strecke jeden Tag. Immer wieder zwischen den Bäumen zeigen sich mir Einblicke auf die Felswand des Canyon Chica Mocha. Ganz unten im Tal fließt ein kleiner Fluss. Das Szenario erinnert mich an den Grand Canyon. Die Felsen sind rot von grünen Färbungen unterbrochen.

Ab und zu sind 20 Meter lange Stücke der Straße mit Pflastersteinen ausgelegt. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir fahren vorbei an Bananenplantagen, einzelnen Häusern und aller 30 Minuten gibt es Verkaufsstände. Ein Leben am Ende der Welt. Wer hier kein Motorrad hat, ist aufgeschmissen. Auch Zehnjährige kommen uns auf den großen Maschinen entgegen. Ich bemerke gar nicht wie schnell es dunkel wird. Irgendwann geht die Straße nicht mehr weiter. Eigentlich. Doch nur weil da ein Sperrschild steht, heißt das noch lange nichts. Wir fahren im Slalom an Pflastersteintürmen und kleinen Baufahrzeugen vorbei. Es wird wohl wieder ein Stück Straße gebaut. Nach zwei Stunden Rüttelfahrt bergab bin ich froh, dass ich noch alle Zähne im Mund habe. Wir kommen tatsächlich in einem Dorf mit Häusern und geteerter Straße an. Es gibt nur wenige Lichter und es ist still. So still als würden alle Geräusche verschluckt werden. Ich fühle mich wie in einem Horrorfilm kurz bevor die typische Musik losgeht, damit auch niemand verpasst, dass jetzt gleich etwas Schlimmes passiert. Doch die Musik kommt nicht. Es ist weiterhin ruhig. Auf einer Straßenkreuzung spielen drei Kinder Fußball und ihre Väter schauen gelangweilt zu. Es gibt ein Geschäft, das natürlich Bier verkauft und alte Brötchen. Gut geschätzt von letzter Woche. Am Ende des Dorfes, in dem 50 Menschen leben, gibt es einen kleinen Teich und wie überall eine Kirche.

Es geht noch einmal 20 Minuten weiter bis zu unserer Unterkunft. Ich muss mehrmals absteigen, um zu vermeiden nicht ganz vom Motorrad zu fallen. Endlich biegen wir in die Einfahrt einer Finca und ab hier geht es nur noch zu Fuß. Am Ende eines Steinpfades liegt eine kleine Hütte vor der Betten stehen. Der Himmel ist bewölkt. Es ist fast nichts zu erkennen. Ich sitze eine Weile auf einer Mauer, starre in die Dunkelheit und sehe dem Wasser zu, wie es durch Strudel flussabwärts fließt. Dann brechen die Wolken auf und Fluss und Canyon werden in ein silbernes Licht getaucht. Felsen und Bäume nehmen Konturen an. Diese Farbe des scheinenden Mondlichts habe ich so noch nie gesehen. Meine Augen wollen zufallen, doch ich will nicht schlafen und diesen Moment vergehen lassen. Ich liege im Bett und starre den Mond an. Solange bis die Wolken wieder ihren Vorhang schließen. Der Mann im Mond verbeugt sich für seine unglaubliche Lichtshow und auch ich schließe endlich meine Augen. Unterm Himmelszelt mitten im Nirgendwo schlafe ich so sicher und gut wie nie zuvor.

Die Ruhe der Nacht ist dem Morgenspektakel der Vögel und Grillen gewichen. Die Sonnenstrahlen wärmen und kitzeln mich wach. All das was gestern noch im Verborgenen lag, eröffnet sich nun groß und farbenfroh meinem noch müdem Blick. Was meine Ohren hören, sehen meine Augen noch deutlicher. Ich bin nur von Natur umgeben. Am oberen Ende des Canyons stürzt ein Wasserfall in die Tiefe. Ein Kolibri labt sich an einer feuerroten Blume und ist so schnell wie er gekommen ist, fliegt er auch wieder weg. Das Wasser im Fluss schlängelt sich eifrig vorbei an den vielen Felsen, die sich stur dagegenstemmen. Nur die Sonne brennt unerbittlich und zeigt mir deutlich, dass ich hier nicht hingehöre. Das Thermometer zeigt 40 Grad. Ich blinzle der Sonne entgegen und bedanke mich für den Besuch.

Süß und herzhaft

Barichara ist ein Dorf, dass unter Denkmalschutz steht. Alle neuen Häuser müssen ebenso im kolonialen Stil der alten Häuser errichtet werden. Es ist ein hübsches kleines Dörfchen, was sich rausputzt. Am Wochenende kommen viele rausgeputzte Leute hierher, um zu flanieren. Wir sind nicht zum Flanieren, sondern zum Wandern hier. Die beste Zeit ist die Mittagszeit. Da brennt die Sonne so schön. Der Weg ist mit vielen Steinen gepflastert. Manchmal gerade, manchmal eher ungerade. Der Camino Real Trail führt von Barichara nach Guane und besticht durch seine unglaubliche Aussicht.

Das kleine Dorf Guane erscheint wie eine ruhigere Version von Barichara. Hier ticken die Uhren noch einmal langsamer. Nach zwei Stunden sind wir auf dem Hauptplatz angekommen. Im Schatten liegen Hunde und alte Männer mit Hut, die kaum Energie zum Schwatzen haben. Es gibt ein Museum und drei kleine Geschäfte. Eines verkauft cremigen Ziegenlikör, der mich an Eierlikör erinnert. In einem Tante-Emma-Laden soll ich Käse mit Bocadillo probieren. Bocadillo ist eine geleeartige Brombeerpaste, die einfach auf den Käse gelegt wird. Am Anfang schmeckt es süß und dann eben salzig herzhaft. Juan kann meine Abneigung gar nicht verstehen und verschlingt genüsslich das süße Käsestück. Ich bediene mich lieber beim Eis, das im Nachbardorf produziert wird. Es gibt alle möglichen Sorten. Eben der beliebte Käse mit Bocadillo, Avocado, unzählige einheimische Früchte und „Tres Leches“. Letzteres ist ein Cremeeis aus Kondensmilch, karamellisierte Milch und normaler Kuhmilch und schmeckt einfach zum Dahinschmelzen. Der Tante-Emma-Laden ist auch eine Art Kneipe und so ist der nette alte Mann hinter seinem Tresen nie allein. Er hört den neusten Dorfklatsch und die Geschichten der Reisenden.

Frühshoppen

Ich bin zu einem Barbecue eingeladen. Schön denke ich. Bis ich erfahre, dass es 10 Uhr Morgens stattfindet. Die spinnen die Kolumbianer. Kurz vor 11 Uhr tauche ich auf und tatsächlich brutzelt das Fleisch schon auf dem improvisierten Grill vorm Haus. Auf den Grill wird alles geworfen, was irgendwann mal in oder an einem Tier war. Von runden kleinenWürstchen über Schweinelenden, blutiger Leber und Kuhdarm ist alles dabei. Eine harte Show für eine Vegetarierin. Es gibt aber zum Glück auch noch Maiskolben, Kartoffeln, Yuca (schmeckt ähnlich wie Kartoffel) und Salat. Alle sind gut drauf, obwohl jeder den Gastgeber nervt, wo denn das Bier bleibt. Dann kommt die ersehnte Lieferung endlich an. Das Moped bringt einen Kasten Bier und jetzt sind alle glücklich. Nach fast einer halben Stunde ist das Bier aber schon wieder alle und Nachschub muss her. Im Supermarkt kauft hier keiner Bier. Viel zu teuer. Dafür gibt es extra Getränkelieferannten. Es ist zwei Uhr Mittags und alle sind gut angetrunken. Die Geschichten werden wilder, das Lachen lauter und der Bierkasten leerer. Gegen drei verabschieden sich die ersten und werden hinten aufs Moped gepackt. Auch mir ist jetzt eher nach einem Nickerchen zu Mute. Den Rest des Tages bin ich mit Ausnüchtern beschäftigt. Ich finde es ein bisschen komisch so zeitig mit Trinken anzufangen, weil dann der Rest des Tages eher weniger zu gebrauchen ist. Aber so versichern mir die andern, ist man am nächsten Tag wenigstens wieder nüchtern. Macht schon Sinn, wenn man auch am Sonntag trinken will.

Sprung mit Folgen

Es ist mal wieder heiß in Santander. Santander ist die Provinz in der ich gerade für zwei Wochen lebe. Das Wandern geht mir heute trotzdem leicht von der Hand. Allerdings hätte ich mich für lange Kleidung entscheiden sollen. So sind meine Beine schon nach kurzer Zeit von den Sträuchern in Mitleidenschaft gezogen. Wir sind in Curiti an einem Fluss, der durch natürliche Pools zum Baden einlädt.

Juan war vor vier Jahren zum letzten Mal hier und da sah alles noch ganz anders aus. Er meint es gäbe einen Stelle, wo man von sechs Metern ins Wasser springen kann. Doch der Weg wird immer verwachsener und die Sonne brennt in der Mittagshitze. Also kehren wir um zu einer anderen Badestelle. Das Wasser ist kalt, aber das tut gerade sehr gut auf der Haut. Ich schwimme ein paar Runden, bis mich Juan fragt, ob ich nicht von dem Felsen springen möchte. Bei meinem letzten Besuch hier habe ich viele Einheimische springen sehen. Ich klettere auf den vier Meter hohen Felsen, nehme Anlauf und springe von der Kante. Der Flug ins Wasser kommt mir recht lang vor. Dann lande ich und ziehe meine Füße ein. In diesem Moment erwischt mich ein stechender Schmerz. Genauer gesagt in meinem linken Ohr. Es sind wie Nadelstiche, die sich durch mein Ohr ziehen. Ich gehe so schnell wie möglich aus dem Wasser und wir fahren zurück. Tabletten und ein Wärmekissen helfen mir den Schmerz zu lindern. Als ich bei Dr. Google nach Symptomen suche, bestätigt sich mein Verdacht. Beim Aufprall ins Wasser kann das Trommelfell reißen. Normalerweise verheilt der Riss von alleine, es sei denn Wasser und Bakterien verursachen eine Entzündung.

Die Schmerzen sind auch am nächsten Morgen noch da. Ein dumpfes Gefühl, ich höre schlechter und ab und zu heftiger stechender Schmerz. In San Gil gibt es genau einen HNO-Arzt. Als ich die Praxis betrete muss ich zweimal schauen, ob ich hier richtig bin. Warte- und Behandlungszimmer sind ein großes Wohnzimmer. An den Wänden hängen Bilder vom Arzt. In der Mitte steht ein Behandlungsstuhl aus dem 19. Jahrhundert und am Eingang warten auf Holzbänken zwei Patienten. Dazwischen eine Frau auf einer Liege, die an einem Beatmungsgerät hängt. Ich werde in ein paar Minuten ihren Platz einnehmen. Es geht überraschend schnell. Ich setzte mich auf das antike Möbelstück und der Arzt schaut mir in die Ohren, Nase und Mund. Kein Riss zu sehen, meint er. Dafür eine starke Schwellung und eine Entzündung. So richtig plausibel wie sie entstehen konnte erklärt der Arzt nicht. Durch den Aufprall hätte es einen Schlag gegeben, der den Muskel verletzt hat. Er verschreibt mir zwei Tabletten für zehn Euro, 20 Minuten am Beatmungsgerät und vier bis fünf Tage Ruhe. Kein Wasser an die Ohren und keine Musik. Was für ein Leben.

Um sicher zu gehen, dass es kein Trommelfellriss ist, hole ich mir noch eine zweite Meinung bei einem Allgemeinarzt ein. Sein „Praxiszimmer“ befindet sich in einem Hinterzimmer einer Apotheke. In diesem Raum befindet sich genau eine Pritsche und ein Kühlschrank auf dem Spritzen und Medikamentenschachteln verteilt liegen. Auf eine Taschenlampe schraubt er das Otoskop, um in mein Ohr zu schauen. Auch er stellt keinen Riss, sondern nur die Entzündung fest. Allerdings empfiehlt er mir eine Spritze für 20 Euro mit der morgen alles weg ist. Nadeln finde ich grundsätzlich nicht besonders sympathisch und deswegen lasse ich mir lieber schmerz- und entzündungshemmende Tabletten geben. Die Ibuprofen 800 bekomme ich ohne Rezept. Für den Notfall ist das vielleicht nicht ganz schlecht. Beide Ärzte empfehlen mir viel Kaugummi kauen, um den Ohrmuskel zu lockern. Da hätte ich doch lieber wieder eine Mandelentzündung. Damals hat der Arzt empfohlen ganz viel Eis zu essen.

Der König der Löwen

Meinen Ohren geht es täglich besser, auch wenn Heilung länger braucht als erwartet. Die Zeit in Kolumbien neigt sich dem Ende. Ich gehe nicht ohne mich von meinem Lieblingscanyon zu verabschieden. Mein Hintern und ich nehmen nochmal eine huckelige Fahrt in Kauf, um an einen ganz besonderen Ort zu kommen. Wieder einmal gibt es keine richtige Straße mehr, aber dafür ein Seniorenzentrum, ein Tanzlokal und Kneipen. Ich bin überrascht von der Infrastruktur an diesen abgelegenen Orten. Das ländliche Leben ist im Gegensatz zu manchen Gegenden in Deutschland gut organisiert. Es ist eben was du draus machst. Die Polizei scheint hier auch eher selten vorbeizukommen. Also fahren alle ohne Helm. Bei diesen Straßen ist es sowieso unmöglich schneller als 30 km/h zu fahren. Ein Bauernhof dient als Parkplatz für das Motorrad und wir laufen über Stock und Stein bis uns eine Ziegenherde den Weg versperrt. Die Tiere sind leider schwer davon zu überzeugen den Weg frei zu machen. Wir geben auf und laufen einen kleinen Umweg. Dann stehen wir vor einem Haus was den Weg versperrt. Doch links am Zaun führt ein kleiner Trampelpfad zu einem Punkt, der sich tief in mein Gedächtnis brennen soll. Ich stehe auf einem Steinplateau und fühle mich wie der König der Löwen.

Unter meinen Füßen eröffnet sich der gesamte Chica Mocha Canyon. In meinem Kopf spulen sich die Bilder der Wanderungen, der Felsen, Staubwolken, Kolibris, das Geisterdorf und das Licht im Mond ab. All diese Bilder und die Aussicht machen mich unglaublich glücklich. Nur das Meckern einer Ziege reißt mich aus meinen Erinnerungen und mahnt mich, dass es Zeit ist weiter zuziehen, um neue Erinnerungen zu schaffen.

Wir werden manchmal müde etwas lange anzuschauen. Vielleicht vergessen wir das Gefühl, wie es war, etwas zum ersten Mal zu sehen. Vielleicht erscheinen uns Berge, Täler, Meere irgendwann gleich. Doch ich kann immer noch staunen. Auch noch beim zweiten Mal hinsehen. Und so lange ich staunen kann, möchte ich reisen.


Jul 19 2018

Peace, Love and Rock’n’Roll

von Rosa

Und am Ende der Straße steht ein Haus am See,
Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg,..,
alle komm’n vorbei, ich brauch nie rauszugehen

-Peter Fox-

Marcello, unser Host, schiebt das Tor zu seinem Garten auf. Doch stellt euch diesen Garten nicht wie einen ordentlichen Vorgarten mit gemähtem Rasen und womöglich noch zwei grinsenden Gartenzwergen vor. Stellt euch das Gegenteil vor. Alles wächst wo es will, bunt, kreuz und quer. Es wuchert hoch hinaus, Blumen zwischen Bäumen. Keine Beete,keine Begrenzung, keine Ordnung. Frei und chaotisch so ist auch Marcello. Ein dünner kleiner Mann Mitte 40. Aus seiner dunkelgrünen Wollmütze schaut langes graues Haar hervor. Einen drei oder sagen wir eher zehn Tagesbart umrandet sein freundliches Lächeln. Er bittet uns in sein großes Holzhaus, das wie ein altes Kolonialhaus in den Tropen aussieht. Die Dielen knarren, im Wohnzimmer hängt ein kaputter Kronleuchter. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes steht ein großes Schachbrett. Die Partie wurde scheinbar nicht zu Ende gespielt. Stühle darum wahllos verteilt. Marcello entschuldigt sich für das Chaos. Gestern wäre eine Fiesta in seinem Haus gewesen mit Menschen aus Argentinien, Frankreich, USA, Venezuela und Jena. Jena? Scheinbar habe ich richtig gehört und in dem kleinen verschlafenen Dorf namens Mindo gibt es noch jemanden aus Jena. Sarah, so heißt die Jenaerin, will später noch vorbei kommen. Im zweiten Stock können wir unser Nachtlager aufschlagen, zwischen einem Schreibtisch mit alter Schreibmaschine und Balkon spannt Karl seine Hängematte. Dort wo ein Fenster sein sollte, wurde kein Glas eingebaut und so wohnt auch einiges Krabbeltier in diesem Haus. Internet Fehlanzeige.

Im Garten wachsen Orangenbäume, deren Früchte wir mit ein paar langen Holzstäben ernten können. Doch das ist gar nicht so einfach. Marcello sticht ein paar mal in die Baumkrone. Mehr als Blätter fallen allerdings nicht herunter. Nach ein paar weiteren Versuchen kullern die Orangen über den Boden und ich habe Mühe sie im Gestrüpp wiederzufinden. Bei Kaffee und Orangen unterhalten wir uns über Gott und die Welt, Frauenbewegungen in Ecuador, Korruption und Schwarzbrot. Unser Gastgeber hat mehrere Jahre in Leipzig gewohnt und schwärmt noch immer vom dunklen Körnerbrot und den feministischen Bewegungen in Deutschland.

Wir verabreden uns für den Abend zum Pizzabacken und erkunden in der Zwischenzeit den Ort. Mindo ist von hohen grünen Bergen umgeben, deren Spitze meist im Nebel hängt. Bis ins Dorf laufen wir einen kleinen Hügel hinunter.Vorbei an mehren Hostels, Restaurants und Tourenanbietern erreichen wir das Ende des Dorfes innerhalb von zehn Minuten. Wir schauen uns um, Essen hier eine Empanada (Teigtasche mit Käse), trinken da einen Kaffee und besorgen Käse und Basilikum für die Pizza. Ab und zu begegnen uns Touristen in Wanderschuhen. Die wollen wir aber erst morgen anziehen.

In der Küche knetet Marcello gerade Teig, als wir nach Hause kommen. Er trägt jetzt seine Haare zu einem Kneul auf dem Kopf gebunden und einen hängenden Ohrring im rechten Ohr. Die Frau am Küchentisch dreht sich ein Zigarette und kommt tatsächlich aus Jena. Im November hat Sarah ihr Studium beendet und dann in Kolumbien Deutschunterricht gegeben. Wir sich später herausstellt, haben wir vor zwei Jahren an Silvester auf der gleichen Party getanzt. Das Backen der Pizza dauert. Es wird improvisiert mit den wenigen Küchenutensilien, die vorhanden sind. Doch das Warten lohnt sich. Die Pizza schmeckt sehr lecker. Die Küchenabfälle soll ich aus dem Fenster schmeißen. Einfach die Schalen soweit wie möglich werfen. Den Rest macht die Natur, meint Marcello. Bei dem feuchten Klima würde alles schnell verrotten. Das habe ich auch schon von den Kaffeebauern in Peru gehört. Pünktlich zum zweiten Pizzablech kommen fünf weitere Gäste aus Frankreich in das Haus im Wald. Unter anderem Lucas. Er ist mit dem Segelschiff nach Südamerikas gekommen, trägt weite Kleidung und ebenfalls einen großen Ohrring und zwei Rastazöpfe. Später kommen dann noch Alex aus Argentinien und Marco aus Venezuela dazu. Der Abend vergeht mit einigen Partien Schach, Salsa und selbstgebrauten alkoholischen Getränken, deren Geruch mich hätte abschrecken sollen. „Compartir“ heißt das Lebensmotto von Marcello. Teilen. Er teilt sein Haus, sein Essen und seinen Tabak. Als die letzten Gäste verschwunden sind, ist der Nachtisch endlich fertig. Chicha – frittierte Maiskörner. Aus den Lautsprechern klingt die Stimme von Elivis und animiert uns zum Tanzen. Rock‘n‘Roll bis der Kronleuchter wackelt und das Parkett nachgibt.

Ich renn bergauf, rolle bergab
durch die Pampa und durch die Stadt
gradeaus, zerkratz mein Lack
zack, mit’m Kopf durch die Wand, bis es knackt

Ich renn durch mein Leben wie ’ne Lok auf zwei Beinen
Ein Hund kann nicht krähn, ein Fisch kann nicht schrein
und ich kann nicht stehn bleibn, ich bin ’n rollender Stein.

-Peter Fox-

Die Nacht war kurz. Eigentlich wollten wir mit dem Taxi zum Eingang des Nationalparks fahren. Doch dieses eigentlich bedeutet, dass wir gelaufen sind. Wie fast immer. Wenn etwas zu Fuß zu erreichen ist, dann gehen wir. Vielleicht ist das unser Sportersatz in Südamerika. Fünf Kilometer bergauf bis zur Seilbahnstation. Dort können wir festgeschnallt an unserem Bauch und eingehakt in ein Drahtseil über den Regenwald rutschen. Nach einer kurzen Einweisung geht es endlich los. Das Ende der Seilstrecke ist von hier nicht zu erkennen. Ich bekomme einen Schubs und schon sause ich über das grüne Meer von Bäumen. Ein tolles Gefühl. Ich öffne die Arme und schreie ohne es zu wollen laut Wuhuu. Unter mir ist nur ein grünes Blätterdach zu sehen. Jeder einzelne Fahrt macht Spaß. Ich versuche es kopfüber mit den Beinen nach oben, schaukle hin und her oder wir werden von dem Tourguide so gedreht, dass wir am Seil hin und her hüpfen. In meinem Kopf verfestigt sich der Wunsch als Vogel über Mindo wiedergeboren zu werden. Mal sehen, ob es klappt.

Nach dem Adrenalinschub wandern wir weiter nach oben zur Tarabita. Diesmal hängen wir zwar auch an einem Seil, aber wir sitzen dabei in einer offenen Gondel. Schneller als gedacht, saust der gelbe Korb bis zum anderen Ende. Dort erwartet uns eine spektakuläre Naturwanderung. Der schmale Wanderweg führt uns zwischen hohen Bäumen entlang über große Wurzeln und Steine. Rauf und wieder runter. Links und rechts Riesenfarne und Agaven. Lianen schlängeln sich um die Bäume. Äste wachsen kunstvoll umeinander. Dazwischen rote, gelbe und pinke Blumen und immer wieder kreuzen Libellen und Schmetterlinge in den buntesten Farben unseren Weg. Das Highlight der Wanderung sind die Wasserfälle, die sich fünf bis zehn Meter in die tiefer stürzen. Man wartet jeden Moment darauf, dass Fabelwesen aus dem Wasser steigen, so magisch wirkt dieser Ort. Das Wasser ist klar und die perfekte Abkühlung in der tropischen Hitze. Also werde ich selbst zur Nixe und tauche unter den Wasserfall. Als ich auftauche sitzt ein große Vogel neben mir auf einem Stein. Er schreckt auf und bahnt sich seinen langen weg durch die Baumkronen ins Licht. An diesem Ort zu sein, muss das Glück sein von dem so viele sprechen.

Wir sitzen beim Frühstück und Marcello macht für uns kleine gebratene Bananen. Kleines Gold heißen diese Bananen hier. Im Wohnzimmer meditiert Lucas mit seiner Klangschale. Als er fertig ist, verabschiedet er sich von uns mit den Worten: Wir sehen uns im nächsten Leben. Vielleicht als bunte Vögel in Mindo, scherze ich. Marcelllo klopft ihm auf die Schulter und wirkt in diesem Moment wie sein Vater. Er wünscht ihm viel Glück mit Sarah. Darauf entgegnet Lucas, dass sie nur eine gute Freundin ist. Marcello lächelt und meint zu ihm „Ihr Europäer, nie bereit für die Liebe“. Wir lachen.

Bevor es für uns weiter nach Quito geht, wollen wir noch Tubing ausprobieren. Dabei sind sieben Reifen mit Seilen aneinander gebunden. Auf dieser Konstruktion fährt man dann auf einem Fluss mit Stromschnellen und Steinen runter. Klingt gefährlicher als es ist, doch man bekommt schon ganz schön Tempo und wird ordentlich nass. Mit uns auf der Fahrt sind zwei Studentinnen aus Israel, die den ganzen Spaß mit ihrer Actionkamera filmen. Nach einer halben Stunde und ein paar blauen Flecken ist unser Wochenende in Mindo vorbei und unser Adrenalinpegel normalisiert sich wieder.

Als kleines Dankeschön pflanzen wir in Marcellos Garten noch Sonnenblumen. Marcello hat uns mit seiner Lebensweise beeindruckt. Für sein Haus im Glück zahlt er 170 Euro und für sein Leben nochmal 85 Euro. Er arbeitet als Psychologe und Therapeut immer dann, wenn er daran Freude hat. In der Küche sitzen schon wieder zwei neue Gäste, denen er gerne etwas von seinem Glück abgibt. Wovon Peter Fox noch träumt, hat Marcello schon längst erreicht. Nur das sein Haus im Wald und nicht am See steht. Aber wer braucht schon einen See, wenn man unter einem Wasserfall duschen kann.

 

 

Der Bus schiebt sich langsam den Berg hinauf und ich denke mal wieder „Que lindo es Mindo“ (Wie schön ist Mindo). Fast so schön wie Mindo ist auch die Fahrt nach Quito. Ich klebe an der Scheibe und staune. Das grüne Meer will nicht enden. Palmenbewachsene Berghänge, Schluchten und der Nebel, der sich über das Tal legt. Meine Augen möchten zufallen, doch ich will den Moment konservieren. Als ich aufwache, ist das grün dem schwarz gewichen. Dazwischen tausend helle Lichtpunkt. Wir sind in Quito.