Mrz 28 2019

Keine Blume

Von Karl

Montevideo

 

Montevideo nimmt uns erst im Zentrum und dann bei einer Freundin Azuls am Rande der Stadt auf. Es ist eine schöne Großstadt mit Graffiti und einer sehr langen Küste. Von einem einfachen Fußweg, über einen breiten Boulevard bis hin zu schönen Sandstränden wechselt sich alles immer wieder ab.

Jeden Abend ist ein goldener Sonnenuntergang zu sehen. Ich genieße die Zeit in Montevideo und wir versacken etwas bei Azuls Freundin. Sie scheinen nicht ganz arm zu sein, denn der Vater ist Oberst der Armee. Eine eher konservative Familie.

An Montevideos Küstenstraße findet sich auch ein Holocaust-Gedenkort, da viele Menschen, insbesondere Jüdinnen und Juden mit Beginn der faschistischen Diktatur in Deutschland hierher kamen. Auch ein später Ausgebürgerter stattete Montevideo ein Besuch ab: Albert Einstein.

In Tradition der schwarzen Emigrant*innen organisieren deren Vereine einen riesigen Umzug in den Straßen Montevideos. Als wir an die entsprechende Straße im Zentrum kommen, ist der Umzug schon im vollen Gange. Die einzelnen Gruppen tragen eigene Wimpel voran, allerdings in riesiger Dimension. Übertroffen wird das ganze noch von den folgenden unzähligen Fahnen-schwenker*innen. Solch große Flaggen habe ich nur selten gesehen und stelle es mir unheimlich anstrengend vor solch riesige Flaggen zum flattern zu bringen, ohne gleich alle Menschen am Straßenrand eine überzuwischen.

Fast scheint es als wenn sie zu der getrommelten Musik noch tanzen würden. Dies machen dann doch eher die Tänzer*innen, die sich auch in das farbige Muster ihrer Gruppe einfügen. Abschließend kommen dann noch die Musiker*innen, die eine schnelle und rhythmische Musik auf die Straße fegen, sodass das Blut in den Adern tanzt. Es ist gute Laune in ihrer Reinform und viele erfreuen sich dem Spektakel Bier trinkend am Straßenrand.

Teil der Tradition ist es auch, dass Spielsachen an Kinder verteilt werden, die vorher gespendet wurden. Aus langsam rollenden Kleinbussen heraus versuchen die Organisator*innen der Traube an Kindern gerecht zu werden und zu überblicken, wer vielleicht schon Geschenke bekommen hat. Angesichts dessen, dass die Busse voll sind, wohl erst recht ein anstrengendes Unterfangen. Wir sitzen in der Sonne und wippen im Takt der Musik und dem Bier in der Hand. So muss das Leben sein.

Es gibt zudem eine gedehnte Fußgänger*innen-Zone, die beim Präsident*innen-Palast beginnt und dann in einen Steg mündet, auf dem unzählige Fischer*innen ihre Angeln ins Hafenbecken lassen. Das Teatro Solis bietet in einem Nebengebäude übrigens in regelmäßigen Abständen kostenlose Vorstellungen an, deren Plätze am Abend schnell vergeben sind.

Auch Montevideo gilt an vielen Ecken als sicher, trotzdem ist es wohl besser die meisten Stadtteilte nachts zu meiden. Eine typische Erfahrung musste ich wieder machen, als es nur darum ging den Bus zum Busbahnhof zu finden, der auch nur fünf Minuten entfernt ist. Trotzdem war ein jede*r die wir fragten anderer Meinung wo und welche Busse dafür abfahren. Von „hier fährt da gar nix ab“ bis „ihr könnt jeden Bus nehmen“ war alles dabei. Wie das sein kann, bleibt mir ein Rätsel.

Wie ich schon im letzten Post beschrieben habe, hatte bis 2015 Uruguay einen besonderen Präsidenten. Aufgrund einer Doku und auch in Wikipedia ist es zu lesen, wusste ich das Pepe von Beruf Blumenzüchter ist und diese dann auch an der Straße verkauft. So generierte ich die Idee eine Blume von ihm zu kaufen, um ihn vielleicht zu sehen und meine Anerkennung auszusprechen.

Das war auch die Hauptmotivation Montevideo zu bereisen, denn andere Reisenden beschrieben die Stadt immer als grau und langweilig und rieten dazu, gleich weiter nach Punta del Este zu reisen. In Montevideo sprach ich mit unseren Gastgebenden darüber und sie verstanden, dass ich Cannabis kaufen möchte. In Uruguay wird das Cannabis auch als „Pepes Blumen“ bezeichnet. Das wäre auch gegangen, denn es bedarf wohl nur einer Registrierung in der Apotheke, dann ist der Erwerb möglich.

Da mir aber an dieser Art Pflanzen nichts gelegen war, mussten wir unseren eigenen Recherchen anstellen. Viele vermuteten auch, dass wir ihn nicht treffen werden, da er immer noch Senator ist und vor allem „wichtige“ Leute trifft. Wir ließen uns nicht entmutigen.

El Pepe

5 Uhr morgens brachte uns der Wecker auf die Beine. Es ist auch unser letzter Tag, sodass wir schon mal die Rucksäcke mitnehmen, die wir dann im Busbahnhof sicher abgeben. Dabei wird mein Rucksack gewogen. Zum ersten Mal erfahre ich was ich seit Monaten mit mir rumschleppe und vermutlich war alles mal schwerer: 22,5 Kilogramm. Nicht grad wenig.

Wir fragen nochmal wegen den Bussen und auch hier wird uns nicht viel Erfolg vorhergesagt. Wir nehmen den ersten Bus. Schon verfahren wir uns und hangeln uns weiter von Bus zu Bus. Zwischenzeitlich sind wir in ärmlicheren und gefährlichen Stadtvierteln Montevideos. Immer weiter und mittlerweile bereiten wir unser Mittag zu. Nach knapp vier Stunden verlässt der vierte Bus die urbane Landschaft und nun folgen viele kleine Bauernhöfe mit vergleichsweise kleinen Feldern. An einer Blech-Haltestelle finden wir den Schotterweg, den wir suchen und der zu Pepes Anwesen führen soll.

Uns kommt ein brasilianisches Pärchen entgegen, was uns bestätigt dass wir nicht falsch sein können. Linker Hand befindet sich eine weitere Chacra. So heißen die kleinen Bauernhöfe. Rechter Hand ein Feld, das noch nicht ausgetrieben hat.

Dann kommen wir an ein größeres Backsteingebäude, dass wohl die Schule sein soll, die Pepe unter anderem spendete. Direkt davor ein Betonklotz mit der Aufschrift „Stop“. Nun kommt uns ein einzelner Polizist entgegen. Ohne groß zu warten was unser Anliegen ist, erklärt er, dass Pepe beschäftigt ist, ohnehin viele Leute kommen würden und wir Verständnis haben sollen, dass er seine Ruhe möchte. Wir haben nun auch nicht mehr erwartet und unterhalten uns mit dem redseligen Polizisten.

Er ist eine Art Filter, so erklärt er weiter, um festzustellen wer weiter fahren darf und wer nicht. Er belebt einen Schiffcontainer der entsprechend eingerichtet wurde. Nichts besonderes also. Er berichtet, dass täglich im Schnitt 50 Leute kommen würden und die allermeisten mit eigenem Auto. Darunter auch Verrückte, so ist ein Mann bekannter geworden, der um Adoption gebettelt hatte.

Wir unterhalten uns weiter und ich beobachte wie auf dem Weg ein roter Trecker herangerollt kommt. Ein alter Mann fährt, während links und rechts je ein schwarz gekleideter junger Mann sitzt. Ich denke mir nichts dabei, bis der eine Mann anfängt mich heranzuwinken.

Erst denke ich: ich kann nicht gemeint sein. Ich schaue hinter mich, und nochmal zu den Mann und tatsächlich nur ich kann gemeint sein. Ich mache Azul und den Polizisten darauf aufmerksam. Der Polizist dreht sich um und dann wieder zu uns. Er grinst breit und sagt: „Ihr habt Glück“. Der alte Mann vom Trecker huscht geduckt in den weißen Container. Es ist el Pepe.

Azul und ich hatten im Vorfeld natürlich darüber gesprochen, was wir gegebenenfalls machen, aber doch hat niemand dran geglaubt und entsprechend lapidar war unsere Vorbereitung. Noch ungläubig gehen wir die letzten fünfzig Meter und hinein in den Container. Es sieht aus wie ein typischer Baustellencontainer. Alles mögliche fliegt herum, etwas dreckig, Spinde in der Ecke, mehrere Schreibtische und alte Plastikstühle.

Pepe hat sich schon in einem der grünen Stühle breit gemacht und sein netter Begleiter stellt uns auch noch Stühle hin, dann stellen sie sich vor den Eingang. Nun, da sitzt er nun vor uns. Kleine Äugchen luken aus einem verschmitzten Gesicht, was von ernsten Zeiten geprägt ist. Die altersweisen Haare hängen wirr auf dem Kopf. Das helle Hemd ist schmutzig von der Feldarbeit und der Wohlstand hat den Bauch geformt. Nichts deutet darauf hin, dass wir einem Ex-Präsidenten gegenüber sitzen. Alles deutet darauf hin, dass ein gewöhnlicher Bauer der Region vor uns sitzt.  Ich verfluche mein schlechtes Spanisch und noch viel mehr, dass ich Pepes Genuschel kaum verstehe. Azul wird zur Dolmetscherin, ist aber auch selbst schwer angetan.

Ich frage ihn zum Fairen Handel und möchte seine Meinung dazu wissen. Er meint nur, dass es eine Möglichkeit ist und macht die Ungerechtigkeit am Import von Kakao aus Afrika nach Europa deutlich. Azul fragt nach Bolivien. Bolivien steht an einem Scheideweg und 2019 stehen Wahlen an. Evo Morales hat viel für das Land geleistet, ist aber verfassungsrechtlich schon eine Amtszeit länger im Amt als vorgesehen. Er macht Anstrengungen die Demokratie auszuhebeln. Widerstand formt sich in Bolivien. Pepe fragt sie nach ihrem Alter und verweist indirekt auf die Zeiten und die Errungenschaften Morales in den Jahren zuvor. Zur jetzigen Situation mag er nichts sagen, er sei doch nur ein alter Mann. Er strahlt Bescheidenheit aus.

Pepe lässt sich Zeit und dreht sich eine Zigarette nach der anderen. Ohne Filter versteht sich und mit bloßem Papier. In der halben Stunde, hat er bestimmt fünf Zigaretten verraucht. Er spricht davon, dass viele Politiker*innen das hohe Einkommen nutzen um dann wie die Reichen zu leben und somit Politik nicht mehr für die Armen machen. Ihn ist es aber wichtig unter den Armen zu bleiben um für sie Politik machen zu können. Er ist immer noch Senator und seine Frau ist Vize-Präsidentin.

Viele der Dokus scheinen ihm nicht so zu gefallen. Nun kam sogar ein Spielfilm, der seine 12 Jahre im Gefängnis thematisiert. Als unter der Militärdiktatur linke Aktivistis verfolgt wurden, saß auch er ein, denn er war Mitglied einer kommunistischen Guerillabewegung, den Tupamaros. Doch es sei auch einiges wahr in den Filmen.

Wir unterhalten uns weiter über Ungerechtigkeit. Er macht aber immer wieder klar, dass er doch nur ein einfacher Bauer ist. Ich frag ihn nach den Blumen. Gerade sei nicht die Saison für Blumen; und die Leute würden zunehmend aus China importierte Plastik-Blumen auf die Gräber legen. Die Tomaten sehen aber grad prächtig aus, fügt Pepe noch hinzu. Zu guter Letzt machen wir noch ein gemeinsames Photo und bedanken uns. Er haut uns großväterlich auf den Kopf und meint, als er uns sah, wollte er uns kennen lernen. oder anders gesagt: Pepe entschied uns willkommen zu heißen.
Mit stolzgeschwellter Brust machen wir uns auf dem Weg zurück. Der eine Kollege Pepes rauscht dann noch mit dem berühmten blauen VW Käfer an uns vorbei und grüßt uns freundlich. Ich grinse immer noch.


Sep 15 2018

Faire Woche beginnt – mit unseren Videos – #fairhandeln

Gestern hat die Faire Woche begonnen! Wir sind ganz stolz mit eigenen Beiträgen dabei zu sein. Auf Facebook und Instagram findet ihr unsere Videos, die wir in Dorf 36 (Guyana), Ivochote (Peru) und Huancayo (Peru) mit Bäuerinnen und Bauern gemacht haben. Also schaut sie euch an und unterstützt die Faire Woche kräftig!

#fairhandeln


Jun 27 2018

Kaffee, der stresst

von Karl, 26. Juni 2018, Playas (General Villamil)

 

Heute stelle ich euch Piura vor. Piura hat für mich zwei Gesichter. Sie heißen NorAndino und Kev. Beide Gesichter möchte ich euch vorstellen. Auch wenn es vielleicht unglücklich losgeht, so seid beruhigt, es wird besser.

(Nicht) Willkommen bei NorAndino

Unser zentrales Anliegen in Piura war der Besuch der großen Exportfirma „NorAndino“. NorAndino beliefert die ganze Welt, vor allem aber Europa, mit fairen Kaffee, Kakao und Rohrzucker. Schon in Huancayo kannten Leute NorAndino. Mehrere Tausend Bäuerinnen und Bauern arbeiten für NorAndino und es gibt mindestens eine große Fabrik, sowie eine Geschäftsstelle. Wir haben Probleme Informationen von unserer Kontaktfrau zu bekommen und werden sie nicht einmal zu Gesicht bekommen. Am ausgemachten Tag rufen wir an und können dann doch einfach vorbei kommen. Nun warten wir lange, doch Interesse an uns hat hier niemand. Das war bei den anderen Firmen meist anders, weil unser Film oft eine Gelegenheit ist, auch die eigenen Produkte vorzustellen. Gratis Werbung halt. Irgendwann sprechen wir mit einem Ingenieur, aber auch ihm erzählen wir alles von vorn. Dann schickt er uns mit einen Fahrer in die Kaffee-Fabrik.

Unbegleitet schlendere ich zwischen riesigen Lagern von Kaffee-Säcken und lauten staubigen Rüttelmaschinen und Transportbändern umher und mache Photos und Filmaufnahmen. Ich verstehe nicht, was die Maschinen machen. Die Lagerhallen sind beeindruckend groß und es prangern die großen Bio- und Fair-Handels-Siegel der importierenden Länder an den Wänden. NorAndino ist offensichtlich eine große und stolze Firma. Neben den Maschinen ist es kaum auszuhalten. Es ist extrem laut und staubig. Obschon es sehr aufgeräumt aussieht, ist der Boden von dem staubigen Sand bedeckt. Der Staub entsteht in der Produktion und stammt von den Kaffee-Bohnen. Die Kaffee-Schalen torkeln neben manchen Maschinen durch die Luft. Die staubige Luft wird matt von den Lampen erhellt und taucht die Umgebung in dunkles Gelb. Ein Arbeiter begegnet mir, alle anderen sind in der Mittagspause. Die Maschinen laufen wohl auch ohne Arbeiter*innen ganz gut.

Unser Begleiter taucht wieder auf und erklärt uns, dass wir am nächsten Tag zu den Kaffee-Feldern können, allerdings müsste NorAndino für uns ein Auto mieten. 60 Soles meint er. Das sind ca 15 Euro. Wir überlegen lange, ob wir den Film weiter verfolgen, wenn wir sogar für unsere Arbeit zahlen sollen. Schlussendlich gewinnt die Neugier und wir willigen ein. Er erklärt uns noch, dass eine Präsidentin einer deutschen Firma oder NGO gerade bei NorAndino zu Gast ist und sie uns gern treffen mag. Wir sollen um 4 Uhr nochmal zum Büro kommen.

Punkt um 4 sitzen wir wieder an gewohnter Stelle und warten. Irgendwann ist es nach um 5 und ein Angestellter fragt uns, ob wir sie gern heute oder morgen treffen mögen. Auf heute haben wir kein Bock mehr. Wir kommen uns ziemlich verarscht vor.

Tags drauf sind wir dann schon um 7 Uhr in der Frühe vor der Geschäftsstelle und finden unseren wortkargen Fahrer samt Geländewagen. Auf geht‘s. Auf der neuen Landstraße geht es mit 160 Sachen voran. Nur für die Bodenwellen wird abgebremst, die extra dafür da sind, dass langsam gefahren wird; und wohl auch in den Dörfern an der Strecke die einzige Überlebensversicherung ist, die Straßenseite zu wechseln. Irgendwann wird die Straße zu Beton und dann zu Schotter. Wir durchqueren Bachläufe und sehen die Berge. Ich bin überrascht, dass der Fahrer gar nicht von NorAndino ist und auch nicht den Weg kennt. Er hat nur einen Namen und einen Ort. Wir fahren durch die Berge in verschiedene Dörfer und mehrere Dutzend Mal fragt unser Fahrer nach dem Weg. Nach über vier Stunden und mehren Hin und Her finden wir den gesuchten Mann und folgen seinem Motorrad.

In einem NorAndino-Kaffee-Tal

Ricces ist Agrar-Ingenieur und das erst seit ein paar Monaten bei NorAndino. Hinzu kommt noch seine Kollegin, die den selben Job mit der selben Erfahrung macht. Sie betreuen Bäuerinnen und Bauern bei der Kaffee-Produktion. Er zeigt mit der Hand in das Tal und erklärt uns, dass hier überall Kaffee von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern angebaut wird und auch alle für NorAndino arbeiten. Das ganze Tal. Ein NorAndino-Kaffee-Tal. Jede*r der Ingenieur*innen hat eine bestimmte Region und kümmert sich um eben jene Kaffee-Bäuerinnen und -Bauern dieser Region. Entlang eines steilen schlammigen Pfades steigen wir mit den beiden von dem Dorf abwärts gen Tal. Ricces und Kollegin sind sehr geduldig und freundlich mit uns und erklären uns alles mögliche zur Kaffee-Produktion.

Es werden verschiedene Sorten angebaut, die verschieden schnell tragen und verschieden ertragreich sind. Normal sind die Beeren an den Sträuchern grün und wenn sie geerntet werden rot bis dunkelrot. In etwa wie kleine Kirschen. Es gibt aber auch Sorten, die gelbe Beeren tragen. Ricces quetscht den Kern aus der Kirsche und zeigt uns damit, worum es bei der Kaffee-Produktion geht. Der Kern verliert noch seine Schale in der Fabrik und in Europa werden die Kerne dann geröstet, wodurch sich erst das Aroma entfaltet. Da das wichtig ist und das Aroma mit der Zeit verschwindet, wird nicht in Peru geröstet, sondern erst vor Ort.

Die Bäuerinnen und Bauern haben Bäche mit Gräben umgeleitet und fangen zum Teil das Wasser auf. Damit kann dann an den entscheidenden Stellen gewässert werden. Die Kaffee-Felder liegen am Hang im Bergregenwald versteckt. Es sind nur wenige Hektar große Flächen, die von außen für uns nicht zu erkennen sind. Zumal zwischen den Kaffee-Sträuchern noch Bäume gepflanzt wurden, die verschiedene Zitrusfrüchte tragen. Sie bringen den nötigen Schatten, weil sie allesamt größer sind als die nur menschenhohen Kaffee-Sträucher. Ricces bestätigt unser Frage nach dem Klimawandel so schnell wie wir sie gestellt haben. Unsichere Regen- und Trocken-Zeiten seien die Folge, sowie das verstärkte Auftreten von Schädlingen. Vor dem Klimawandel waren die Jahreszeiten eindeutiger. Start und Ende sind ungewisser.

Es ist erstaunlich, wie für alle Bäuerinnen und Bauern die wir schon in Südamerika getroffen haben, es offensichtlich ist, dass es den Klimawandel gibt. Während in Europa und Nordamerika es immer noch Menschen gibt, die daran zweifeln.

Wir haben großes Glück mit der von Ricces Kollegin gewählten Plantage, weil gerade geerntet wird, obwohl es nicht Erntezeit ist. Der Bauer und viele Bäuerinnen sammeln in Körben per Hand die roten Kirschen ein. Sie schauen etwas schüchtern als sie uns sehen. Als wenn sie sich etwas schämen. Ich habe den Eindruck, dass sie es jetzt besonders gut machen möchten. Wir platzieren Ricces, als den selbstbewusstesten, zwischen den Reihen mit Kaffee-Pflanzen und interviewen ihn. Er schlägt sich ganz gut und freut sich, fast schon wie ein Kleinkind, ein erstes Interview in seinem Leben gegeben zu haben.

Wir verabschieden uns von den Arbeitenden und arbeiten uns zwischen den Sträuchern den Steilhang hoch. Auf dem Weg angekommen begrüßt uns eine Tarantula, größer als meine Hand. Gefährlich sei sie wohl, aber Ricces vertreibt sie mit einem Holzstab. Eine Distanz, die mir etwas zu wenig ist. Für mich zu nah an der schon fast kuschelig anmutenden Spinne.

Wir schauen uns noch Verarbeitungsanlagen an, um zu verstehen, wie die Kerne vom Fruchtfleisch getrennt werden. Allerdings sind diese weitgehend klein und draußen. Mit einen umgeleiteten Bach werden die Bohnen gereinigt und später auf einer schwarzen Plane getrocknet. Laster bringen die Säcke voll mit Kernen dann in die vier Stunden entfernte Fabrik in Piura.

Erst gegen Sonnenuntergang sind wir wieder zurück in Piura und unserer Fahrer nimmt nur wenige Meter vor unserem Ausstieg einen Kollegen auf, der deutlich kräftiger und bedrohlicher ist. Beim Ausstieg will dieser dann das Geld abrechnen, aber nun sind es 770 Soles und damit ca. 200 Euro. Wir sind sehr verärgert und diskutieren lange mit ihm. Wir haben das Geld einfach nicht und können es auch nicht bezahlen. Die Situation ist sehr beschissen für uns. Erst will er mit uns zu NorAndino fahren, um zu erfragen ob die den Betrag teils übernehmen, aber er verfolgt seinen Vorschlag nicht. Plötzlich bietet er uns an, die eben getankten 160 Soles (40 Euros) zu zahlen. Für uns deutlich annehmbarer. Als die beiden dann glücklich gestimmt lächeln, erscheint uns dieser Deal als ziemliche Verarsche. Wir sind schnurstracks abgedampft und ärgern uns noch eine Weile. Selbst wenn sie 160 Soles vertankt haben, so hat der Fahrer an dem Tag ja nix verdient. Warum dann die Freude? Wir können es uns nicht erklären. Wir denken zumindest: Nie wieder NorAndino.

Kev

Kev ist die positive Seite der Medaille Piura. Kev ist unser Gastgeber. Der erste Eindruck ist nicht, dass er offen auf Menschen zugeht, aber seine vielen Fragen strafen diesen Eindruck Lügen. Auch für uns hat er viel Zeit und Beratung. Als Ingenieur verdient er selbst für peruanische Verhältnisse extrem gut. Besitzt ein fünfstöckiges Haus mit zig Wohnungen, welche er an Angestellte, aber vor allem Studierende vermietet. Im fünften Stock können wir ein Zimmer beziehen. Ein anderes wird von einem jungen Venezolaner, 19 Jahre, und einer Venezolanerin, etwa Anfang 30, bewohnt. Das Wohnzimmer ist sehr groß und beherbergt auch eine geräumige Küche. Befremdlich wirkt der große Monitor an der Wand der in Echtzeit die Aufnahmen der Überwachungskameras im ganzen Hans anzeigt. Zu Kev gehört Alexandra, seine Freundin. Sie ist Studentin, aber verbringt viel Zeit im Wohnzimmer mit schlafen und fernsehen.

An den meisten Abenden sitzen wir bis nach Mitternacht und tauschen uns über Deutschland und Peru aus. Er erklärt uns, wie größere Firmen in Peru ihre Steuern zurück bekommen können, sodass sie unterm Stricht so gut wie keine zahlen. Ähnlich wie in Deutschland sind Spenden steuerlich absetzbar.

Auch seien viele Peruaner*innen sehr rücksichtslos untereinander, währenddessen sie sehr zuvorkommend gegenüber Ausländern seien. Kev ist großer Freund von Bier, sodass wir den einen Abend mit einer kurzen Motorradfahrt zur Tankstelle beginnen. Dabei zeigt er mir welche Bereiche beim letzten „El Niño“ überschwemmt wurden.

El Niño, zu deutsch „das Christkind“, ist ein ca. alle vier Jahre zur Weihnachtszeit auftretenden Klimaphänomen vor der Westküste Südamerikas. Normalerweise trägt der Humboldtstrom das Pazifik-Wasser vom Land weg, Richtung Westen, Richtung Indonesien. Dabei steigt kaltes Tiefenwasser vor der Küste auf, sodass das Klima an der Küste etwas kühler und sehr trocken ist. Wüste. Bei El Niño versiegt der Strom und das Wasser vor der Küste wird aufgeheizt. Es entsteht ein warm-feuchtes Klima mit starken Niederschlägen. Bäche werden zu riesigen Strömen. Kev meinte, dass das Wasser bis in die Häuser gelaufen ist, obwohl der aktuelle Flusslauf gut 10 bis 20 Meter tiefer liegt und ein sehr breites Flussbett hat. Alle Straßen waren überschwemmt. 2016 hat ein El Niño die Westküste heimgesucht. Aber nicht nur diese Region ist dann betroffen, sondern das Wettergleichgewicht auf der ganzen Erde gerät aus dem Fugen. Selbst in Europa soll es dann kälter sein. Die Meeresflora und -fauna an der Küste ist dadurch massiv gestört, sodass viele Tiere hungern und sterben, weil die Nahrungskette zu einer Art Domino-Kette wird. Peruanische Fischer haben, weil Weihnachten plötzlich keine Fische mehr da waren, dieses Phänomen irgendwann El Niño getauft.

Kev berät uns aber auch, wie wir den zusätzlichen Tag nutzen können, der uns geschenkt wurde, als wieder mal zu spät uns um Bustickets gekümmert haben. Also stehen wir eines vormittags an der Kreuzung um die Ecke und suchen den Bus ins empfohlene Catacaos. Ein touristisches Dorf ganz in der Nähe. Tatsächlich finden wir ihn irgendwann, doch Catacaos ist uns keinen langen Besuch wert. Es gibt sehr viel Handwerk mit Gold und Silber, doch brauchen wir gerade kein Schmuck. Nach nur wenigen Stunden nehmen wir den Bus in die Gegenrichtung.

 

Mit Kev habe ich einen Freund auf der Reise kennengelernt. Der viel Geduld mit mir hatte, obschon ich seine Sprache nur schlecht spreche. Bei der Verabschiedung ist er dann wieder ganz der distanzierte. Für uns geht es weiter, nächster Stopp ist an der Grenze. Seid gespannt (-;


Jun 17 2018

Eine fast unendliche Geschichte

von Rosa

Alles hat ein Ende, nur Huancayo nicht. Aus den ursprünglichen zwei Tagen wurden sechs, dann acht, dann neun und zwölf.

Wie alles begann…

Die Busfahrt war mal wieder unruhig. Ich hatte Mühe und Not mich auf meinem Sitz zu halten und meine Beine so zwischen die Absperrung zur Bustreppe zu klemmen, dass ich nicht bei jeder Kurve das Gleichgewicht verlor. Schlagloch um Schlagloch. Zwischen kalt und warm. Zwischen Schlaf und Wachkomma. In den frühen Morgenstunden eines Donnerstags hatte auch diese Fahrt ihr Ende. Freudig stieg ich nun endlich aus dem Bus ins…kalte Schwarz. Es war unerwartet kalt. Wir warteten im improvisierten Busbahnhof auf die Sonne. Unseren Host sollten wir erst 9 Uhr treffen. Noch vier Stunden. Mit den ersten Sonnenstrahlen fahren wir zum verabredeten Treffpunkt. Nach einer Weile kommt die Polizei auf uns zu. Schnell wird das Coca versteckt, obwohl es ja in Peru nicht verboten ist. Nur das Ausführen ist nicht erlaubt. Es stellt sich heraus, dass es nur die Touristenpolizei ist, die uns von den Sehenswürdigkeiten Huancayo überzeugen will.

Javier, unser Host zeigt uns seine Wohnung, die er mit einer Familie teilt. Seine eigene Familie ist quer in der Welt verteilt, sein Vater in den USA, seine Mutter in Italien und sein Bruder in Lima. Er irgendwo dazwischen. Javier sieht nach Metropole aus, leicht Hipster mit Nerdbrille und für peruanische Verhältnisse sehr groß. Darauf ist er stolz. Sein Vater war wohl ein erfolgreicher Torhüter in Peru und hat ihm seine Größe vererbt. Viel mehr ist ihm von seinem Vater nicht geblieben. Ab September will Javvier einen Master in Fotografie in Rom machen. Geldprobleme hat die Familie nicht. Ihnen gehören ein paar Immobilien, die sie an Studenten vermieten. Trotz seiner 29 Jahre wirkt er eher, wie jemand der nicht erwachsen werden will. Eben ganz „La Dolce Vita“.

Wir laufen mit Javier bis ins Zentrum der Stadt, Huancayo wirkt modern, die Menschen sehen nach Großstadt aus. Wieder kommen uns zwei junge Frauen entgegen, die uns eine Tour anbieten wollen. Rund um Huancayo gibt es viel zu sehen. Nur die Touristen fehlen. In Huancayo selbst tut sich unser Gastgeber schwer uns Besonderheiten der Stadt zu zeigen. Zufällig treffen wir seine Cousine Maria und sie lädt uns zum Abendessen ein. Es gibt Pasta „a la Peruana“. Der Abend wird lustig mit Rotwein, Zaubertricks und Politik. In Peru ist man der Auffassung, dass Europa das Paradies wäre und in Europa alles läuft. Vor allem in der Politik. Doch diesen Glauben müssen wir ihnen rauben. Vielleicht wirken die Probleme über den Pazifik weniger groß, doch auch in Deutschland gibt es Korruption, große Wirtschaftskonzerne werden nicht sanktioniert, weil sie zu mächtig sind. Eben auch wie überall auf der Welt. Die Wohnung von Maria ist modern eingerichtet. In ihrer Wohnstube steht ein zweiter unbenutzte Herd. Wir sprechen sie darauf an. Sie lächelt. Es wäre ein Hochzeitsgeschenk gewesen. Dann zählt sie auf was sie noch alles zu ihrer Hochzeit bekommen hat. Es sind fast alle Möbelstücke der Wohnung inklusive der Wohnung selbst. Heiraten in Huancayo lohnt sich. Nicht selten entsteht ein Wettstreit zwischen den Familien. Da kann auch schon mal ein Auto oder ein Apartment verschenkt werden. Na mal sehen was sich machen lässt in den paar Tagen in Huancayo scherzen wir. Da wird uns schon Hilfe bei der Partnersuche angeboten. Wir lehnen trotz des verlockenden Angebot ab.

Aus zwei mach sechs

Am nächsten Morgen sind wir endlich mit Yannet verabredet. Sie ist die Chefin von Agropia. Der Grund warum wir eigentlich in Huancayo sind. Agropia stellt Chips und frittierte Maiskörner aus okölogischem und fairem Anbau her, die dann schon als Fertigprodukte nach Deutschland und Frankreich verschickt werden. Am Stadtrand steht die kleine Fabrik. Alles sieht sehr ordentlich aus. Uns werden erst einmal die produzierten Chips als Kostprobe angeboten. Ich kenne Chips schon aus Deutschland und bin amüsiert jetzt am Produktionsort zu sein. Die Besprechung dauert eine Weile, weil viel zu tun ist, einiges nicht gefilmt werden kann, weil der Prozess zu lange dauert und wir immer wieder darum bitten müssen alles noch einmal langsam zu wiederholen. Am Wochenende wird nicht gearbeitet, d. h. wir können erst ab Montag drehen. Drei Tage Leerlauf für uns. Arbeitsmeeting auf Spanisch beendet. Es hat alles geklappt, aber der Kopf raucht etwas.

Als wir nach Hause kommen hat Javier eine Überraschung für uns. Vor der Tür steht ein kleiner gelber VW Käfer. Besonders in Huancayo sind uns die vielen alten Autos aufgefallen. Es gibt sogar ein Kinderspiel. Man ruft „Sapito“ (kleiner Frosch) und die jeweilige Farbe, wenn man einen sieht. Auch wir beteiligen uns am Spiel. Der Gang geht schwer, doch dann fährt er los, der alte Rennwagen. Mit dabei ist diesmal Javiers Cousin Hernán. Er ist nicht überzeugt von den Fahrkünsten seines Verwandten, steigt aber trotzdem ein. Der kleine Käfer quält sich den Berg bis zu einem Aussichtspunkt hinauf. Beim Ausblick über die Stadt fragt uns Hernán, ob wir nicht Lust hätten morgen mit auf eine Hochzeit zu kommen. Wir sagen zu, aber verweisen auf unsere eher kaputten Schuhe und unsere sportliche Kleidung. Der Anzug für Sponatanhochzeiten hat dann doch nicht mehr in den Rucksack gepasst. Wir werden kurz gemustert. Dann nickt Hernán ab.

Den Samstagmorgen verbringen wir, wie scheinbar andere Familien in Huancayo auch in der Werkstatt. Bei dem Verkehr in Huancayo kein Wunder. Der kleine Sapito war im Stadtverkehr nicht stark genug. Die Lampe ist kaputt und der Lack ab. Es gibt aber tatsächlich noch einen Fachbedarfladen für Käfer Ersatzteile. Der Lack wir abgeschliffen, neue Masse aufgespachtelt, wieder abgeschliffen und mit Farbe bespritzt. Wie neu. Glück gehabt.

Samstag ist großer Hochzeitstag in Peru. So verwundert es auch nicht, dass wir erst einige Minuten auf der falschen Hochzeit tanzen, bis ein Freund von Hernán bemerkt, dass er das Brautpaar gar nicht kennt. Wir ziehen uns mit einem leichten Schmunzeln zurück. Vor der richtigen Hochzeit begrüßt uns dann schon ein LKW mit Bierkästen. Das Brautpaar feiert in einer Art Halle, die spärlich geschmückt ist. Als wir gegen frühen Nachmittag ankommen, übergeben einige der 200 Gäste gerade ihre Geschenke. Das Überreichen der Geschenke ist eine Zeremonie. Vom Gemüsekorb bis zum Auto ist alles dabei. Eine Blaskapelle spielt den Takt vor und die Schenker tippeln in in kleinen Schritten nacheinander bis sie beim Brautpaar angekommen sind. Dann wird dieser Vorgang noch einmal mit Bierkästen wiederholt. Irgendwann dürfen die Gäste dann auch trinken, aber das erfolgt ebenfalls nach einer bestimmten Regel. Es gibt eine Bierflasche und einen Becher. Alle stehen im Kreis. Der erste in der Reihe schenkt sich einen kleinen Schluck in den Becher und gibt die Bierflasche an seinen Nachbarn weiter. Dann wird sich zugeprostet. Aber nur der mit dem Becher trinkt. Der Becher wird maximal in 2 Schlucken fast leer getrunken. Der kleine Rest im Becher wird auf den Boden geschüttet für die Pachamama (Mutter Erde). Dann geht der Becher weiter an den nächsten, der schenkt sich wieder ein und gibt die Bierflasche an seinen Nachbarn und so weiter. Wir haben relativ schnell gemerkt, dass weniger mehr ist, denn im Kreis können auch schon mal mehre Bierflasche rotieren. Durch die kleinen Schlucke wird man weniger schnell betrunken. Wenn nicht getrunken wird, dann tanzen alle. Aber es geht auch beides gleichzeitig. Entweder zu Blasmusik in kleinen Tippelschritten oder zu Cumbia (traditioneller peruanischer Musik) in größeren Tippelschritten mit etwas mehr Hüfte. Man hat Freude daran den Deutschen Tanzen beizubringen, mit uns Fotos zu machen oder uns zu Fragen wie wir die Peruaner finden. Gegen zehn Uhr abends leert sich der Saal etwas, alle sind gut angetrunken. Wir besorgen uns noch etwas zu Essen, denn das haben wir nicht so richtig auf der Hochzeit gefunden.

Es gibt nicht alles soviel wie Bier in Huancayo. Es fehlt vor allem an Wärme, Wasser und Toilettenpapier. Es ist normal in geschlossenen Räumen mit dicker Jacke zu sitzen. Kinder haben sogar Wollmützen auf. Heizungen gibt es nicht. Meine Nase ist eigentlich permanent kalt. Es sei denn, die Sonne scheint. Dann brennt sie und man darf sich nicht zu sehr an den Sonnenstrahlen laben, um keinen Sonnenstich zu bekommen. Das Schlafen ist nur im Schlafsack oder mit mehreren Decken möglich. Wärme bringt auch eine heiße Dusche, die ist dann aber wirklich sehr heiß. Dieser Plan funktioniert aber nur, wenn es tatsächlich Wasser gibt. Manchmal kommen nur Tropfen aus dem Wasserhahn und manchmal gar kein Wasser. Am nächsten Morgen geht es dann plötzlich wieder. Toilettenpapier, was eigentlich in ganz Peru auf Toiletten nicht vorhanden ist, sollte man immer bei sich haben. Man sieht auch Leute, die mit so einer Papierrolle spazieren gehen und auch in unserer Unterkunft hat jeder seine eigene Rolle. Dafür kann man es auch an jeder Ecke kaufen wie Zigaretten eben. Man muss es eben nur wissen. Rauchen ist in Peru übrigens nicht üblich.

Dann acht, wer hät‘s gedacht

Aus dem Schlafsack zu klettern, ist eine besondere Herausforderung. Halb sieben am Morgen umso mehr. Es ist Dienstag und wir können endlich anfangen zu drehen. Wir besorgen uns noch ein paar Blätterteigspezialitäten und ein Brötchen mit Ei. An jeder Ecke, wirklich an jeder Ecke, kann man sich irgendetwas kaufen. Es gibt unzählige Tante-Emma-Läden, Essensstände mit gegrilltem Fleisch, belegten Brötchen, Süßigkeiten oder frischen Säften. Javier erklärt uns, dass sich jeder irgendwie über Wasser halten muss und so werden die Menschen kreativ und verkaufen alles was geht. Wir laufen gerade an einer Schule vorbei. Die Süßigkeiten und Spielzeugstände werden von Schülern belagert. Sich etwas Kleines zu gönnen scheint bei dem Angebot unvermeidlich. Wir haben uns schnell an diese Lebensart gewöhnt. Kurz nach acht sitzen wir dann im Auto von Silvestre und Pedro. Silvestre ist der Technik-Chef von Agropia und Pedro sein Assistent. Gut 45 Minuten geht es bergauf nach Aymara. Aus den Lautsprecher des Autos tönen Gitarrenklänge und spanischer Gesang. Die Musik untermalt perfekt den Anblick, der sich uns bietet. Grüne Berge und Täler, unterbrochen von Anbauflächen, die sich über weite Strecken der Berghänge verteilen. Wir treffen auf Schafhirten und Schafe, die uns den Weg versperren. Es ist Andenromantik pur.

In Aymara angekommen werden die Schlaglöcher größer und der Nebel dichter. Wir laufen einen kleinen Hügel hinauf und dort bereiten gerade ein paar Bäuerinnen und Bauern ein Feuer vor. Es ist für unser Mittagessen gedacht. Neomi, eine Kartoffelproduzentin, hat extra ihren festlichen Rock mitgebracht und eine Blume steckt in ihrem Hut.

Normalerweise würde sie so nicht auf dem Feld arbeiten, aber heute ist ein besonderer Tag. Noemi ist etwas aufgeregt, als wir ihr Kamera und Mikrofon vor die Nase halten. Um sie herum stehen die anderen Mitglieder der Kooperative und schauen ihr gespannt über die Schulter. In 4000 Meter Höhe wachsen nicht nur gelbe Kartoffeln in der Erde, sondern auch rote und blaue. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick.

Noemi erzählt, dass sie als Bäuerinnen den Klimawandel bei ihrer Produktion deutlich merken. Seit fünf Jahren hat sich die Regenzeit stark verändert, manchmal regnet es zu viel, manchmal zu wenig. Neue Schädlinge sind aufgetaucht und in einem Jahr ist die gesamte Ernte ausgeblieben, weil es zu stark geregnet hatte. In der Mittagspause gibt es dann eine Kostprobe von den blauen und roten Kartoffeln mit Käsecreme und Lamm. Alles gegart auf Steinen im Erdloch. Nach dem Mittag hält Silvestre noch eine Ansprache und auch wir werden zu ein paar Worten überredet. Dann müssen wir noch in den Arbeitsnachweishäften der Bäuerinnen und Bauern unterschreiben. In diesem Heft wird alles genau protokolliert. Einkauf, Ernte, Düngemittel und Weiterbildungen. Auch bei Naomi geht es genau zu. Alle ihre Utensilien für ihre Arbeit sind beschriftet. Die Kartoffeln für Agropia und die Kartoffeln für den Markt. Dann zeigt uns Naomi noch stolz ihr Meerschweinchenzucht. 120 der kleinen Nager tummeln sich in einer kleinen Halle. Auch Hasen gibt es. Zurück in der Fabrik von Agropia, erklärt uns Yannet, dass es besser wäre am Donnerstag weiterzufilmen, d. h. wir haben wieder einen Tag frei.

Zum Feierabend gönnen wir uns ein Eis. Genauer genommen frittiertes Eis. Dabei wird eine fetthaltige Milch mit Früchten oder Schokolade gemixt und auf einer geraden Fläche auf -15 Grad gefroren. Dann wird mit einem Spachtel die dünne Eisschicht zu Rollen abgetragen. Es gibt noch verschiedene Toppings dazu. Die Zubereitung ist ein Spektakel. Als wir hören, dass es das ganze auch schon in Dresden gibt und zwar für 7 Euro statt den hier 1,50 Euro beschließen wir am nächsten Tag wiederzukommen.

Dann neun

Seit einer Woche sind wir in Huancayo. Wir sitzen gerade beim Frühstück, als die Kinder der Familie wieder nach Hause kommen und der Vater uns erklärt, dass es einen Generalstreik gibt. Alle Transportunternehmen und der Schulsektor sind betroffen. In diesem Moment klingelt unser Telefon. Es ist Yannet. Sie erklärt uns, dass der Weg zur Fabrik durch Straßenspeeren blockiert wäre und wir erst am Freitag kommen könnten. Dumm gelaufen. Die Tickets für den Nachtbus nach Lima sind schon gekauft, aber nicht umtauschbar. Im Zentrum ist es anders als angekündigt relativ ruhig. Auf dem Weg dahin begegnen uns weniger Taxis und Busse. Einige Läden haben geschlossen. Die Polizei steht vor Regierungsgebäuden und Banken. Ein Zug von 100 Menschen zieht mit Kochtöpfen und Stöcken durch die Straßen. Ab und zu kommen neue Protestzüge vorbei. Ein Mann erklärt uns, dass seit einer Woche der Ölpreis gestiegen ist und alle Bereiche davon betroffen sind. Zum Beispiel sind die Lebensmittel teurer geworden.

Und zwölf

Neben mir hustet es. Karl ist krank. Fieber. Auch heute ist das Filmen nicht möglich. Es ist Freitag. Das heißt noch ein Wochenende in Huancayo. Wir rufen Yannet an, dass wir erst am Montag kommen, um die letzten Bilder zu drehen. Ich verbringe die Tage im „Parque de la Identidad“ (Park der Identität). Die Gestaltung erinnert mich an Hundertwasser. Ich lausche der Musik, beobachte Wolken und lese Destojewski. Dünne Fäden ziehen sich aus den Wolken wie Zuckerwatte. Stunden vergehen. So schnell wie das Fieber gekommen ist, ist es auch wieder verschwunden. Unser Host muss nach Lima und wir ziehen in ein Hostel um.

Dann ist es endlich Montag, wir stehen vor der Fabrik und treffen noch einmal Noemi. Bevor es losgeht, müssen wir noch Schutzkleidung anziehen. Dann kommen die ersten Kartoffeln, werden geschnitten, gewaschen, frittiert und verpackt. Immer wieder kontrolliert von der Produktionschefin. Es läuft wie am Schnürchen und doch steckt im ganzen Prozess mehr Handarbeit als wir gedacht hätten. Zum Mittag gibt es, wie sollte es anders sein, die frischen Chips. Die Chefin erzählt stolz, dass hier viele Frauen arbeiten, die einen guten Lohn bekommen und somit unabhängiger sind.

Uuund Cut. Die letzte Szene ist im Kasten. Was lange währt, wird endlich gut. So sitzen wir nach 12 langen, kalten und schönen Tagen wieder im Bus. Wir verlassen nach einiger Zeit das Hochgebirge, um in wärmere Regionen an die Küste Perus zu fahren.