Mrz 28 2019

Keine Blume

Von Karl

Montevideo

 

Montevideo nimmt uns erst im Zentrum und dann bei einer Freundin Azuls am Rande der Stadt auf. Es ist eine schöne Großstadt mit Graffiti und einer sehr langen Küste. Von einem einfachen Fußweg, über einen breiten Boulevard bis hin zu schönen Sandstränden wechselt sich alles immer wieder ab.

Jeden Abend ist ein goldener Sonnenuntergang zu sehen. Ich genieße die Zeit in Montevideo und wir versacken etwas bei Azuls Freundin. Sie scheinen nicht ganz arm zu sein, denn der Vater ist Oberst der Armee. Eine eher konservative Familie.

An Montevideos Küstenstraße findet sich auch ein Holocaust-Gedenkort, da viele Menschen, insbesondere Jüdinnen und Juden mit Beginn der faschistischen Diktatur in Deutschland hierher kamen. Auch ein später Ausgebürgerter stattete Montevideo ein Besuch ab: Albert Einstein.

In Tradition der schwarzen Emigrant*innen organisieren deren Vereine einen riesigen Umzug in den Straßen Montevideos. Als wir an die entsprechende Straße im Zentrum kommen, ist der Umzug schon im vollen Gange. Die einzelnen Gruppen tragen eigene Wimpel voran, allerdings in riesiger Dimension. Übertroffen wird das ganze noch von den folgenden unzähligen Fahnen-schwenker*innen. Solch große Flaggen habe ich nur selten gesehen und stelle es mir unheimlich anstrengend vor solch riesige Flaggen zum flattern zu bringen, ohne gleich alle Menschen am Straßenrand eine überzuwischen.

Fast scheint es als wenn sie zu der getrommelten Musik noch tanzen würden. Dies machen dann doch eher die Tänzer*innen, die sich auch in das farbige Muster ihrer Gruppe einfügen. Abschließend kommen dann noch die Musiker*innen, die eine schnelle und rhythmische Musik auf die Straße fegen, sodass das Blut in den Adern tanzt. Es ist gute Laune in ihrer Reinform und viele erfreuen sich dem Spektakel Bier trinkend am Straßenrand.

Teil der Tradition ist es auch, dass Spielsachen an Kinder verteilt werden, die vorher gespendet wurden. Aus langsam rollenden Kleinbussen heraus versuchen die Organisator*innen der Traube an Kindern gerecht zu werden und zu überblicken, wer vielleicht schon Geschenke bekommen hat. Angesichts dessen, dass die Busse voll sind, wohl erst recht ein anstrengendes Unterfangen. Wir sitzen in der Sonne und wippen im Takt der Musik und dem Bier in der Hand. So muss das Leben sein.

Es gibt zudem eine gedehnte Fußgänger*innen-Zone, die beim Präsident*innen-Palast beginnt und dann in einen Steg mündet, auf dem unzählige Fischer*innen ihre Angeln ins Hafenbecken lassen. Das Teatro Solis bietet in einem Nebengebäude übrigens in regelmäßigen Abständen kostenlose Vorstellungen an, deren Plätze am Abend schnell vergeben sind.

Auch Montevideo gilt an vielen Ecken als sicher, trotzdem ist es wohl besser die meisten Stadtteilte nachts zu meiden. Eine typische Erfahrung musste ich wieder machen, als es nur darum ging den Bus zum Busbahnhof zu finden, der auch nur fünf Minuten entfernt ist. Trotzdem war ein jede*r die wir fragten anderer Meinung wo und welche Busse dafür abfahren. Von „hier fährt da gar nix ab“ bis „ihr könnt jeden Bus nehmen“ war alles dabei. Wie das sein kann, bleibt mir ein Rätsel.

Wie ich schon im letzten Post beschrieben habe, hatte bis 2015 Uruguay einen besonderen Präsidenten. Aufgrund einer Doku und auch in Wikipedia ist es zu lesen, wusste ich das Pepe von Beruf Blumenzüchter ist und diese dann auch an der Straße verkauft. So generierte ich die Idee eine Blume von ihm zu kaufen, um ihn vielleicht zu sehen und meine Anerkennung auszusprechen.

Das war auch die Hauptmotivation Montevideo zu bereisen, denn andere Reisenden beschrieben die Stadt immer als grau und langweilig und rieten dazu, gleich weiter nach Punta del Este zu reisen. In Montevideo sprach ich mit unseren Gastgebenden darüber und sie verstanden, dass ich Cannabis kaufen möchte. In Uruguay wird das Cannabis auch als „Pepes Blumen“ bezeichnet. Das wäre auch gegangen, denn es bedarf wohl nur einer Registrierung in der Apotheke, dann ist der Erwerb möglich.

Da mir aber an dieser Art Pflanzen nichts gelegen war, mussten wir unseren eigenen Recherchen anstellen. Viele vermuteten auch, dass wir ihn nicht treffen werden, da er immer noch Senator ist und vor allem „wichtige“ Leute trifft. Wir ließen uns nicht entmutigen.

El Pepe

5 Uhr morgens brachte uns der Wecker auf die Beine. Es ist auch unser letzter Tag, sodass wir schon mal die Rucksäcke mitnehmen, die wir dann im Busbahnhof sicher abgeben. Dabei wird mein Rucksack gewogen. Zum ersten Mal erfahre ich was ich seit Monaten mit mir rumschleppe und vermutlich war alles mal schwerer: 22,5 Kilogramm. Nicht grad wenig.

Wir fragen nochmal wegen den Bussen und auch hier wird uns nicht viel Erfolg vorhergesagt. Wir nehmen den ersten Bus. Schon verfahren wir uns und hangeln uns weiter von Bus zu Bus. Zwischenzeitlich sind wir in ärmlicheren und gefährlichen Stadtvierteln Montevideos. Immer weiter und mittlerweile bereiten wir unser Mittag zu. Nach knapp vier Stunden verlässt der vierte Bus die urbane Landschaft und nun folgen viele kleine Bauernhöfe mit vergleichsweise kleinen Feldern. An einer Blech-Haltestelle finden wir den Schotterweg, den wir suchen und der zu Pepes Anwesen führen soll.

Uns kommt ein brasilianisches Pärchen entgegen, was uns bestätigt dass wir nicht falsch sein können. Linker Hand befindet sich eine weitere Chacra. So heißen die kleinen Bauernhöfe. Rechter Hand ein Feld, das noch nicht ausgetrieben hat.

Dann kommen wir an ein größeres Backsteingebäude, dass wohl die Schule sein soll, die Pepe unter anderem spendete. Direkt davor ein Betonklotz mit der Aufschrift „Stop“. Nun kommt uns ein einzelner Polizist entgegen. Ohne groß zu warten was unser Anliegen ist, erklärt er, dass Pepe beschäftigt ist, ohnehin viele Leute kommen würden und wir Verständnis haben sollen, dass er seine Ruhe möchte. Wir haben nun auch nicht mehr erwartet und unterhalten uns mit dem redseligen Polizisten.

Er ist eine Art Filter, so erklärt er weiter, um festzustellen wer weiter fahren darf und wer nicht. Er belebt einen Schiffcontainer der entsprechend eingerichtet wurde. Nichts besonderes also. Er berichtet, dass täglich im Schnitt 50 Leute kommen würden und die allermeisten mit eigenem Auto. Darunter auch Verrückte, so ist ein Mann bekannter geworden, der um Adoption gebettelt hatte.

Wir unterhalten uns weiter und ich beobachte wie auf dem Weg ein roter Trecker herangerollt kommt. Ein alter Mann fährt, während links und rechts je ein schwarz gekleideter junger Mann sitzt. Ich denke mir nichts dabei, bis der eine Mann anfängt mich heranzuwinken.

Erst denke ich: ich kann nicht gemeint sein. Ich schaue hinter mich, und nochmal zu den Mann und tatsächlich nur ich kann gemeint sein. Ich mache Azul und den Polizisten darauf aufmerksam. Der Polizist dreht sich um und dann wieder zu uns. Er grinst breit und sagt: „Ihr habt Glück“. Der alte Mann vom Trecker huscht geduckt in den weißen Container. Es ist el Pepe.

Azul und ich hatten im Vorfeld natürlich darüber gesprochen, was wir gegebenenfalls machen, aber doch hat niemand dran geglaubt und entsprechend lapidar war unsere Vorbereitung. Noch ungläubig gehen wir die letzten fünfzig Meter und hinein in den Container. Es sieht aus wie ein typischer Baustellencontainer. Alles mögliche fliegt herum, etwas dreckig, Spinde in der Ecke, mehrere Schreibtische und alte Plastikstühle.

Pepe hat sich schon in einem der grünen Stühle breit gemacht und sein netter Begleiter stellt uns auch noch Stühle hin, dann stellen sie sich vor den Eingang. Nun, da sitzt er nun vor uns. Kleine Äugchen luken aus einem verschmitzten Gesicht, was von ernsten Zeiten geprägt ist. Die altersweisen Haare hängen wirr auf dem Kopf. Das helle Hemd ist schmutzig von der Feldarbeit und der Wohlstand hat den Bauch geformt. Nichts deutet darauf hin, dass wir einem Ex-Präsidenten gegenüber sitzen. Alles deutet darauf hin, dass ein gewöhnlicher Bauer der Region vor uns sitzt.  Ich verfluche mein schlechtes Spanisch und noch viel mehr, dass ich Pepes Genuschel kaum verstehe. Azul wird zur Dolmetscherin, ist aber auch selbst schwer angetan.

Ich frage ihn zum Fairen Handel und möchte seine Meinung dazu wissen. Er meint nur, dass es eine Möglichkeit ist und macht die Ungerechtigkeit am Import von Kakao aus Afrika nach Europa deutlich. Azul fragt nach Bolivien. Bolivien steht an einem Scheideweg und 2019 stehen Wahlen an. Evo Morales hat viel für das Land geleistet, ist aber verfassungsrechtlich schon eine Amtszeit länger im Amt als vorgesehen. Er macht Anstrengungen die Demokratie auszuhebeln. Widerstand formt sich in Bolivien. Pepe fragt sie nach ihrem Alter und verweist indirekt auf die Zeiten und die Errungenschaften Morales in den Jahren zuvor. Zur jetzigen Situation mag er nichts sagen, er sei doch nur ein alter Mann. Er strahlt Bescheidenheit aus.

Pepe lässt sich Zeit und dreht sich eine Zigarette nach der anderen. Ohne Filter versteht sich und mit bloßem Papier. In der halben Stunde, hat er bestimmt fünf Zigaretten verraucht. Er spricht davon, dass viele Politiker*innen das hohe Einkommen nutzen um dann wie die Reichen zu leben und somit Politik nicht mehr für die Armen machen. Ihn ist es aber wichtig unter den Armen zu bleiben um für sie Politik machen zu können. Er ist immer noch Senator und seine Frau ist Vize-Präsidentin.

Viele der Dokus scheinen ihm nicht so zu gefallen. Nun kam sogar ein Spielfilm, der seine 12 Jahre im Gefängnis thematisiert. Als unter der Militärdiktatur linke Aktivistis verfolgt wurden, saß auch er ein, denn er war Mitglied einer kommunistischen Guerillabewegung, den Tupamaros. Doch es sei auch einiges wahr in den Filmen.

Wir unterhalten uns weiter über Ungerechtigkeit. Er macht aber immer wieder klar, dass er doch nur ein einfacher Bauer ist. Ich frag ihn nach den Blumen. Gerade sei nicht die Saison für Blumen; und die Leute würden zunehmend aus China importierte Plastik-Blumen auf die Gräber legen. Die Tomaten sehen aber grad prächtig aus, fügt Pepe noch hinzu. Zu guter Letzt machen wir noch ein gemeinsames Photo und bedanken uns. Er haut uns großväterlich auf den Kopf und meint, als er uns sah, wollte er uns kennen lernen. oder anders gesagt: Pepe entschied uns willkommen zu heißen.
Mit stolzgeschwellter Brust machen wir uns auf dem Weg zurück. Der eine Kollege Pepes rauscht dann noch mit dem berühmten blauen VW Käfer an uns vorbei und grüßt uns freundlich. Ich grinse immer noch.


Aug 28 2018

Bogotá im Zeichen des aufkommenden Friedens

von Karl

 

In keiner Stadt habe ich wohl so viel Zeit verbracht, wie in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Mit ihren 7 Millionen Menschen eine der größeren. Als ich aus dem Bus ausstieg erwartete mich schon ihr kalt-nasses Wetter. Nicht, dass es tagsüber auch mal T-Shirt-warm werden kann, es kann auch regnen und Sonne scheinen im selben Moment.

Sicherheit und Geschichte des bewaffneten Konflikts bis heute in Kolumbien

gesamte Geschichte Kolumbiens

Bogotá ist eine Stadt die auch viel über aktuelle und vergangene Politik verrät. Kolumbien befindet sich an einem Wendepunkt zwischen bewaffneten Auseinandersetzungen und Frieden. Wie schon in anderen Städten Kolumbiens wird uns gedankt, dass wir als Touris gekommen sind, damit wir ein friedliches Bild Kolumbiens nach außen senden können.

Bis vor wenigen Jahren noch, war es sehr gefährlich, sodass selbst Einheimische kaum ihre Städte verlassen haben. Bus fahren war zu gefährlich und Fliegen ist in Kolumbien teuer. Aber selbst das Fliegen wurde teils durch paramilitärische oder Guerilla-Armeen unterbunden. Busse überfallen oder zumindest eine Passagen-Gebühr genommen. Paramilitärs galten als besonders brutal, d.h. sie töteten gleich die ganze Familie, wenn Menschen im Verdacht standen mit Guerillas zu kooperieren, während Guerillas Geiseln nahmen und Lösegeld forderten. Auch die Armee begang Menschenrechtsverbrechen. Bekannt sind z.B. die vielen „Falsos Positivos“. Im „Plan Colombia“ hat die US-Regierung mehrere Milliarden an Rüstungshilfe im Kampf gegen die Drogen bereit gestellt. Das Geld floss über Umwege zurück an US-Waffenhersteller. Umwege, weil laut UN-Vorgaben, Länder nicht anderen Geld geben dürfen, damit sie eigene Waffen kaufen. Es gibt aber private US-Sicherheitsdienste die dann zu Mittelsleute werden. Nicht nur der Kampf gegen Drogen stand im Interesse der USA, auch die Guerillas, die als links gelten, kamen ins Fadenkreuz. In dieser Zeit wurde das Geld auch eingesetzt um Kopfpauschalen für ermordete Guerilleros an Soldaten zu zahlen. Die Folge war dass Bäuer*innen und mit falschen Versprechen angeworbene in Guerilla-Uniformen gesteckt wurden, um sie dann zu töten und abzurechnen. Diese Zahl geht in die Tausende und werden „Falsche Positive“ also „Falsos Positivos“ genannt.

Die Paramilitärs entstanden als Reaktion auf die Guerillas und der Unfähigkeit des Staates diese zu bekämpfen. Großgrundbesitzer aus dem Norden Kolumbiens gründeten und finanzierten die paramilitärischen Kämpfer*innen. Paramilitärs gelten als rechts außen.

Guerillas

Ähnlich wie paramilitärische Verbände gibt es eine Vielzahl Guerilla-Armeen. Die berühmtesten sind wohl die FARC-EP, ELN und M-19. Die FARC begann als leninistisch-marxistische Gruppe in den 1960er Jahren in Folge der Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen in Kolumbien. Liberal meinte da noch links-progressive Ideen und nicht was heute unter neoliberal verstanden wird. Die Konservativen, vielleicht unter zur Hilfenahme der CIA, haben liberale Präsidentschaftskandidaten ermordet und so deren Machtübernahme verhindert. Als das in Straßenschlachten in Bogotá mündete, begann eine brutale und verdeckte Verfolgung der Liberalen. Zu Hause oder auf offener Straße wurden sie erschossen. Das radikalisierte Gruppen und mündete in Guerillas a la FARC. Mit der Zeit musste sich die FARC finanzieren, wodurch sie auch im Drogenhandel aktiv wurde. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fiel auch diese Unterstützerin weg. 2016 schlossen FARC und Regierung mit Unterstützung von Norwegen und Kuba einen Friedensvertrag. Die FARC gibt die Waffen ab und firmiert als neue Partei. Sie hat nun für einige Jahre 10 feste Sitze im Parlament. Die Regierung ist verpflichtet die ländlichen Gegenden, in denen die FARC aktiv ist, zu unterstützen. In einer Volksabstimmung Ende 2016 stimmten allerdings 50,22% der Bevölkerung gegen das Friedensabkommen. Nur wenige Wochen vor der Abstimmung wurde der 300seitige Vertrag veröffentlicht. Viele befürchten, dass die Guerillas für ihre Menschenrechtsverbrechen nicht ausreichend bestraft werden.

Justizministerium, am Tag vor Duques Amtseinführung

Der erst am 7. August das Amt übernommene Präsident Ivan Duque steht auf der Seite der Kritiker. Dem rechten Politiker der konservativen Partei konnten Verbindungen zu Paramilitärs nachgewiesen werden, aber Morde an Zeugen verhindern Gerichtsverfahren. Mit ihm wird eine Rückkehr zur Gewalt befürchtet. Das kurz vor dem Abschluss stehende Friedensabkommen mit der ELN, der zweitgrößten Guerilla-Gruppe, wurde abgebrochen und wird von Duque nicht fortgeführt. Die stalinistische ELN operiert noch, u.a. im Nordosten. Als ich dort unterwegs war, sind mir die unzähligen Straßenkontrollen durch die Armee und Polizei aufgefallen. Teilweise im Zehn Minuten Takt sind wir in eine Kontrolle geraten. Es bleibt abzuwarten, wie die ELN, die sich auf Frieden eingesetellt hatte, darauf reagieren wird.

Am zentralen Platz der Stadt, dem Plaza Bolivar, wurde Duque vereidigt. In der Platzmitte steht Kolumbiens wichtigster Befreier von den spanischen Besatzer*innen: Simon Bolivar. Sein wichtigster Mitstreiter war Francisco de Paula Santander. Allerdings verstritten sich beide nach Erlangen der Unabhängigkeit. Bolivar war für eine Diktatur unter seiner Führung, während Santander Demokratie befürwortete. Am selben Platz steht das Justizministerium mit einem Zitat von Santander. Selbiges Gebäude ist Symbol einer M-19-Aktion. M-19 ist aus akademischen Kreisen in Bogotá entstanden und hat einen Bruch durchgemacht, als sie anfing mit den Drogen-Kartellen zusammenzuarbeiten. In den 1980er stürmten sie das Justizgebäude und nahmen zig Geiseln. Im Nachgang fehlten Beweisunterlagen für Prozesse gegen Drogen-Kartelle. Auch die Armee zeigte sich nicht kooperative und beschoss das Gebäude rücksichtslos teils mit Panzern, dass es im Nachgang komplett neu aufgebaut werden musste.

indigene Frauen protestieren während Duques Amtseinführung gegen dessen politischen Kurs

Mathilde, Laura und Isabelle

Meine ersten Tage waren dadurch geprägt die politische Auseinandersetzungen zu verfolgen, die durch die Amtseinführung Duques nochmal präsenter waren. Für zwei Nächte hatte ich allerdings das Glück bei Mathilde übernachten zu dürfen. Eine Couchsurferin die durch hartes Arbeiten sich bekannt machte. Die geborene Französin lebte schon einige Jahre in verschiedenen Ländern und macht nun ihren Abschluss in Bogotá. Mit BBC lernten wir am ersten Abend ein sehr leckeres und lokales Bier intensiv kennen.

Sie sprach mir aus dem Herz, was ich bei vielen Backpackern vermisse: Das Bewusstsein über die eigenen Privilegien. Viele kommen nach Kolumbien und freuen sich, welch tolles Land das ist. Das aber vieles darauf beruht, dass sie hier wegen der schwachen Währung finanziell gut ausgestattet sind, wird gern ausgeblendet. Für einige in Kolumbien ist selbst der Bus zu teuer, der umgerechnet ca. 0,70 Euro kostet. Durchschnittseinkommen liegt wohl bei 200 Euro im Monat. Da ist ein 150-Euro-Zimmer in Bogotá, wie es Mathilde bewohnt, nicht mal eben zu haben. Wer im Hostel im Touri-Viertel abhängt und Touren bucht, wird wohl kaum hinter den Vorhang schauen. Am nächsten Tag lerne ich noch ihre bolivianische Mitbewohnerin kennen, die auch sehr freundlich und hilfsbereit ist.

Dank Mathilde bekomme ich später Kontakt zu Isabelle. Isabelle ist kanadische Menschenrechtsanwältin, arbeitet aber schon seit einigen Monaten in Bogotá. Ab und zu fährt sie in ländliche Gegenden und trifft Frauen. Frauen die unter dem bewaffneten Konflikt litten und deren Stimme sie in den Friedensprozess einfließen lässt. Isabelle schreibt nach den Gesprächen Berichte, die Teile einer Sonderjustiz sind, die Rahmen des Friedensabkommens Verbrechen von FARC und Armee aufarbeiten. Erst seit einem guten Monat laufen die ersten Verhandlungen vor der JEP. Isabelle erzählte uns bei guten Kaffee voller Energie von ihren Erlebnissen. Sie strotzt voller Stolz und Energie, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Ich dagegen schweige und staune. Eine starke Arbeit, die sie da leistet und das direkt im historischen Weg Kolumbiens. Sie erzählt von lokalen Initiativen die Erfolge für die Unabhängigkeit der Frauen feiern. Oft ist die ökonomische Abhängigkeit vom eigenen Mann, ist oft ein Problem um sich effektiv gegen häusliche Gewalt zu wehren. Aber auch die Folgen des Konflikts werfen ihre Schatten. Vergewaltigungen haben alle bewaffneten Gruppen eingesetzt um ihre Region zu kontrollieren. Zugeben mag es nur niemand. Dann lieber zugeben, dass sie einen Mann getötet haben. Sie erzählt von einer Frau, die von einem Paramiltär vergewaltigt worden war und später darüber sprach. Das war traumatisierend auch für die Tochter, weil die nun Begriff wer ihr Vater ist. Viele trauen sich nicht offen darüber zu sprechen und da kann Isabelle mit Anonymität und vertrauensvollen Gesprächen trotzdem helfen.

Über Isabelle kommen wir in Kontakt mit ihrer Kollegin: Laura. Sie arbeitet auch für „Humanas“ und kümmert sich mehr um den Friedensaufbau. Besonders in Kontakt mit Paramilitärs im Nordwesten. Wir diskutieren wie sie mit Menschen umgehen muss, die grausamste Taten begangen haben. Wie sie Paramilitärs und Guerillas für gemeinsames Fußball-Schauen gewinnen konnte. Eine, die selbst Opfer von Paramilitärs wurde, meinte mal zu ihr: „Wir sind keine Opfer und Täter. Wir sind überlebende des Konfliktes.“ Verzeihen zu können scheint ihr wichtig zu sein, aber natürlich müssen sie ihre Taten zugeben und bei Aufklärung helfen. Laura spricht von ihren Job nicht als Job. Es ist ihr Leben. Ich frage sie, wie sie das Problem lösen möchte, da Kokain immer noch stark nachgefragt wird. Besonders Nordamerika und Europa konsumieren, während Länder wie Kolumbien produzieren. Sie spricht von Legalisierung und welche Folgen der Koka-Anbau hat. Ja da hängt Blut dran und es wird mir klar, dass auch hier die neokoloniale Ausbeutung zu finden ist. Die Folgen des Konsums im globalen Norden, trägt der globale Süden.

Als positives Beispiel führt sie das Café an, indem wir uns verabredet hatten. „Cantera Café Work“ setzt ausschließlich auf Regionalität. Selbst die Kaffeemaschinen sind aus Kolumbien. Eingestellt werden ehemalige FARC-Kämpfer*innen. So wird ihnen ein Weg vom/von der Soldat*in hinüber ins zivile Leben ermöglicht. Da das Mittag und der Kaffee ausgezeichnet sind, möchte ich allen Bogotá-Reisenden diese Location unbedingt ans Herz legen.

Noch Stunden nach dem Treffen bin ich schwer beeindruckt von Laura und ihrer Arbeit. Rosa und ich unterhalten uns noch länger über sie und hoffen, dass ihre Arbeit fruchtbar sein wird.

Grün und Bunt

Eine Region die Guerillas und Regierung nicht beherrschen, sind die Smaragd-Abbaugebiete. Kolumbien ist der größte Smaragd-Produzent der Welt. In der Innenstadt Bogotás bietet jede*r Schmuckhändler*in Smaragde und Smaragd-Schmuck an. An einer unscheinbaren Stelle im Zentrum können auch illegal die Edelsteine erworben werden. Immer zwei bis drei Männer stehen zusammen. Bei einer hinteren Gruppe konnte ich beobachten wie einer mit einem speziellen Lupen-Gerät seine Serviette untersuchte. Ich vermute mal, dass in der halboffen gehaltenen Serviette das grüne Gold schlummerte.

Wer nicht nur auf grün steht, sollte einfach mit offenen Auge durch die Stadt gehen. Auch unter Brücken, an Straßenrändern und Hausfasaden sind zig große und besonders gute Graffiti zu bestaunen. Auch wenn die Stadtpolitik das eingrenzen will, so sind viele Wände besonders kunstvoll gestaltet. Allein aus dem Fenster der Buslinien 6 und 1 konnte ich einiges sehen. Vögel sind oft gesprüht worden, weil sie auf die besonders hohe Biodiversität Kolumbiens verweisen. Kolumbien hat Naturschutzgebiete, die größer sind als die Niederlande.

Besonders bunt ging es auch am Sonntag los, als der 480te Stadtgeburtstag nachgefeiert wurde. Sonntags ist generell Ciclovia in Bogotá, d.h. viele Hauptstraßen werden für den Motorverkehr gesperrt. Fahrräder, Spaziergänger*innen, Sportler*innen verschiedenster Art und alles was Rollen hat, erobert die Straßen. Die Stadtverwaltung bietet u.a. auch Reparaturservice an. Diese Ciclovia wurde um einen langen und bunten Umzug ergänzt. Kulturgruppen haben verschiedenste Themen in Szene gesetzt. Teils durch Choreographien, Tänze, Akrobatik oder/und kunstvolle Kostüme und Puppen. Gruppe um Gruppe zog an mir und vielen anderen Schaulustigen vorbei.

Wer einen schönen Ausblick in der Stadt sucht, dem sei Montserrate empfohlen. Ein Gipfel an der Ostseite ist über einen langen steilen Weg zu erreichen oder Zahnradbahn oder Seilbahn. Die Seilbahn ist Sonntags günstiger. Wenn das Wetter besser ist, soll ein traumhafter Sonnenuntergang zu sehen sein. Neben einen wunderschönen Rundblick sei darauf hingewiesen, dass das kühle Wetter und der Wind einen nicht vor Sonnenstich und Sonnenbrand schützen kann. Leider. Auch das Hochhaus der Colpatria-Bank bietet einen schicken Rundblick.

In den Straßen Bogotás, aber auch in vielen anderen Orten Kolumbiens, werden „Minutos“ also Minuten angeboten. Das sind quasi mobile private Telephonzellen. Menschen bieten da Telephonate, meist nach Venezuela, für günstige Preise an. Meist wird damit geworben, welche Funknetze abgedeckt werden.

Trennung und der Weg nach Süden

Nun geht auch die schönste Zeit irgendwann vorbei. Bogotá war besonders spannend und ich konnte viel lernen. Ich breche auf, lasse aber Rosa zurück. Beide erwarten wir Gäste, die uns auf der Reise begleiten werden, nur, dass ich dafür Anfang September in Lima und sie in knapp zwei Wochen in Ecuador sein muss. Ich hoffe unsere Wege führen danach wieder zusammen.

Um etwas Strecke zu machen bin ich mit dem Bus direkt bis an die ecuadorianische Grenze gefahren. 23 Stunden brauchte der Bus bis Ipiales und mit dem geteilten Taxi war ich noch rechtzeitig bei der Migrationsbehörde Kolumbiens. Nach ca. 2 Stunden hatte ich meinen Stempel. Anders geht es vielen Venezolaner*innen, die in einer eigenen Schlange anstehen müssen und wodurch gut hundert übernachten müssen auf der Straße bis am nächsten Morgen die Behörde ihre Schalter wieder öffnet. Alle anderen haben privilegierten Vorzug. Das Rote Kreuz ist nun am Start. Ecuador hat das eleganter gelöst. Gleich acht Schalter sind nun rund um die Uhr besetzt, sodass niemand warten muss. Dadurch bin ich schnell durch an der Grenze und hab auch gleich ein geteiltes Taxi zum Busbahnhof gefunden. Kaum angekommen fuhr schon 20 Minuten später der Bus ab. Gegen 3:15 stieg ich etwas gerädert an einem der Busbahnhofe in Quito aus …