Apr 11 2019

Irgendwo im Atlantik

Von Karl

Schifffahrt von Natal, Rio Grande do Norte, Brasilien nach Algeciras, Andalusien, Spanien

 

Kaum war ich auf dem Schiff, sogleich wurde ich dem Sicherheitsoffizier zugewiesen. Er war fröhlich und gesprächig und ich folgte dem blauen Overall mit gelben Leuchtstreifen und weißem Helm. Ich nun auch mit weißem Helm ausgestattet.

Es gibt verschiedene Arten vor Rettungsbooten und Rettungsinseln, die zum Teil einfach nur über Bord geworfen werden müssen und sich dann von alleine aufblasen. Am Heck gibt es aber auch ein großes Lifeboat mit genügend Plätze für alle, aber nicht nur das, jede*r hat ihren eigenen zugewiesenen Platz in dem riesigen orangenen Freifallboot. Mein Platz trägt die Nummer 14. Es ist voll umschlossen und hängt mit dem Bug 45 Grad geneigt nach unten und vom C-Deck, also vom dritten Stock aus, kann es vom Heck aus bestiegen werden. Gleich nebenan ist auch im Notfall der Treffpunkt.

Es gibt verschiedene Arten von Notfällen mit verschiedenen Alarmen und verschiedenen Handlungsanweisungen, sodass es teils etwas unübersichtlich war für mich. Teils betrifft es mich als Passagier auch gar nicht, z.B. im Falle eines Öllecks. Fast spannender war jedoch, dass wir während der Ladungsarbeiten eine Rundgang über das Schiff gemacht haben und ich dadurch mal in einen leeren Ladungsraum schauen konnte. Wir sind sogar bis auf den Boden geklettert, vielleicht sieben Stockwerke. Dort stehend sind es dann höchstens zwei Meter bis unter den Kiel. Das riesige Fassungsvermögen wirkt nochmal krasser, wenn es leer ist und dann stehen wir in nur einen der vielleicht zehn Reihen an Containern. Wenn mensch dann noch bedenkt, dass auf den Deckeln, wenn die Ladeluken verschlossen sind, nochmal fünf Container übereinander und zwölf nebeneinander gestapelt werden. Alles zusammen macht das über 1.100 Container nur auf diesem Schiff. Gut, es ist auch 190 Meter lang, aber es trotzdem enorm. Unzählige Wassertanks machen es möglich, dass auch relativ durcheinander die Container gestapelt werden können. Durch das Einpumpen oder Ablassen von Wasser, kann das Schiff immer austariert werden.

Erst am übernächsten Tag nach dem Aufstieg merke ich, dass sich die CMA CGM Saint Laurent aufs Auslaufen vorbereitet. Bis dahin habe ich noch drüber nachgedacht, vielleicht nochmal in die Stadt zu gehen, aber irgendwie hatte ich schon mit Natal abgeschlossen. Natal heißt übrigens Weihnachten auf portugiesisch. Also hatte ich mit Weihnachten abgeschlossen gehabt. Als dann aber die Kräne längsschiffs gestellt wurden und Seeleute an den Trossen hantierten, sah ich auch wie die Gangway hochgezogen wurde. Das macht ein kleiner Extra-Motor und schlussendlich wird sie nur noch ans Geländer geklappt.

Auf geht‘s

Irgendwie war ich froh, dass es nun endlich losgeht. Ein Schlepper kam nun auch noch, aber er nahm die Saint Laurent nicht an die Leine. Zwei Lotsen waren auch schon an der Brücke, sowie der Kaptain und wer sonst wichtig ist. Etwas aufregend zu sehen, wie wir uns von dem vermeintlich fest verbundenen Ufer lösen und davon gleiten. Als wenn ich dachte, dass das Schiff teil des Festlandes wäre.

Mittels Bug– und HeckStrahlruder beginnt das Schiff sich um 180 Grad zu drehen um mit dem Bug gen Ozean zu zeigen. Der kleine Schlepper drückt dabei mit seinem Bug seitlich gegen den unsrigen um beim Wenden zu helfen. Trotzdem geht alles deutlich langsamer als die meisten es wohl von Fahrzeugen gewohnt sind.

Das andere Ufer des Rio Potengi, gegenüber vom Hafen, ist ausschließlich von Bäumen überwachsen. Tropische Natur ein letztes Mal vor meinem Auge.

Die letzten zwei Abende verschwand die goldene Sonne hinter den Bäumen und tauchte den Hafen und die Altstadt Natals in ein abendliches orange. Am Horizont beginnen die Hochhäuser, die sehr prägend für Natal waren. Wohnhochhäuser soweit das Auge reicht, doch hier am Hafen gibt es deutlich kleinere.

Es erscheint mir unfassbar schwierig zehntausende Tonnen, die nicht gebremst werden können, durch den nun klein scheinen Fluss zu manövrieren. Auch die kleinen Segelboote im Yachthafen erscheinen wie Spielzeugboote. Es wäre schier unmöglich denen kurzerhand auszuweichen.

Langsam schieben wir uns durch den Fluss. Der Hafenlotse ist auf jedem ein- und auslaufenden Schiff dabei. Er steht dabei mittig ganz vorne auf der Brücke und sagt ab und zu sowas wie „Ruder 5 Grad Backbord“. Dann sagt der Rudergänger das auch nochmal und kurz darauf, wenn das Ruder wirklich 5 Grad Backbord ist, dann sagt der Rudergänger zum zweiten Mal „Ruder 5 Grad Backbord“. Darauf gibt‘s ein kurzes „Danke“ vom Lotsen. Im Hafen kommt alle paar Minuten ein solcher Befehl.

Wir passieren dabei eindrucksvoll die Newton-Navarro-Brücke, welche nachts rot angestrahlt wird.

Sie verbindet den Nord- und den Südteil Natals miteinander. Als wir dann aber weiter auf offener See sind, wird dann nur noch die Richtung vorgegeben und die Geschwindigkeit erhöht. Der Kompass wird dafür in 360 Grad geteilt und wenn der Lotse sagt, dass wir nach 180 Grad fahren, dann fahren wir nach Süden. 90 Grad ist Osten und 270 Grad wäre Westen. Relativ schnell verabschieden sich die beiden dann auch und werden von einem kleinen Boot abgeholt, welches sie zurück nach Natal schafft. Nun übernimmt wieder die normale Brückenwache das Kommando. Bestehend aus einem Offizier und einen Seemann. Es ist zudem erstaunlich wie sehr sich die Vibration des Motors auf das Schiff überträgt.

Obwohl, eigentlich übernimmt einer der beiden Autopiloten. Mit 17 oder 18 Knoten, was etwas über 30 km/h sind, nimmt der Autopilot Kurs auf Spanien. Er sagt auch eine ungefähre Ankunftszeit voraus und das obschon die Überfahrt über eine Woche dauert. Ich komme in laufe der Tage nochmal auf die Brücke, denn Zeit habe ich ja genug. Eine Brückenwache scheint eine sehr entspannte Sache zu sein. Sie trinken mal Kaffee und müssen alle zwölf Minuten einen Knopf drücken, damit kein Alarm anspringt. Um sicher zu stellen, dass sie nicht eingeschlafen sind oder irgendwo anders sind. Ein System was es bei Zügen zum Beispiel auch gibt. Im Prinzip überwachen die beiden nur die vielzähligen Computer und reagieren auf Alarme. Nichtsdestotrotz wird auch nochmal händisch auf Seekarten gezeichnet. Es gibt auch Handlungsanleitungen für Piratenüberfälle, doch die spielen in diesen Seegewässern keine Rolle. Ein weiteres Tool ist die Blackbox, die sämtliche Eingaben und Informationen der Computer speichert, sowie die Gespräche auf der Brücke. Sollte das Schiff demnächst untergehen und die Blackbox geborgen werden, wären meine Unterhaltungen auch dabei. Die beiden haben ein entspanntes Leben. Zwei Mal am Tag kommen sie für vier Stunden auf die Brücke. Zwischendurch noch etwas Papierkram.

Sonnige Tage bieten sich an einen kleinen Rundgang auf dem Schiff nach vorne zu machen. Jedes Mal wenn das Schiff sich anhebt und wieder in eine Welle sich hineinlegt, wird das Meerwasser im hohen Bogen vom Boot weggeschleudert. Es wirkt beruhigend und ich kann viel nachdenken. Fast wie tiefe Atemzüge, so arbeitet sich das Schiff durch das Dunkelblau.

An den Containern ist gut zu sehen, dass die Kühlcontainer extra Strom brauchen, Starkstrom. Aus den Seitenluken strömt beständig warme Luft. Nur damit wir Früchte essen können, die bei uns nicht wachsen. Tonnen an Schweröl werden wohl allein für die Kühlung gebraucht.

Grillfest

Einmal im Monat, so erfahre ich, gibt es auch ein Grillfest. Anstelle von Abendbrot gibt es verschiedenste gegrillte tote Tiere, Salate, Reis, frisches Knoblauch-Brot, Bier und feinste Torten.

Alles vom Koch, auf Schiffen Smut genannt, selbst gemacht. Den lerne ich dann auch noch kennen und wir unterhalten uns angeregt bis zu letzten Flasche Bier, als dann alle schon weg sind gegen Mitternacht. So erfahre ich, dass ihm die Knoblauch-Brote ziemlich schmecken und mir wird klar warum es alle paar Tage Knoblauch-Brot gibt. Die Baguettes dafür macht er übrigens auch selbst. Es ist ziemlich spannend zu sehen, wie aufwändig seine Arbeit ist. Meist beginnt er gegen sechs Uhr in der Frühe und ist nicht vor um zehn in seinem Zimmer. Die meiste Zeit ist er in seiner Küche.

Diese sieht aus wie eine typische Industrieküche mit Fließen und viel Edelstahl. Große Maschinen für alles mögliche, wie z.B. Teigkneter. Direkt von hier ab geht auch die Treppe in den Lagerraum und von dort zu mehreren Kühlkammern für Fleisch, Fisch, Käse, Milch, Obst und Gemüse.

Nur im französischen Hafen Le Havre wird das Lager aufgefüllt, welcher ungefähr einmal im Monat angelaufen wird. Ramil, der Smut, arbeitet allein. Vor Jahren waren sie noch zu zweit, aber nun nicht mehr. Sein Steward, eine Art Helfer, unterstützt ihn zwar, aber zufrieden ist Ramil damit nicht.

Ich unterhielt mich auch mit dem Bosun, zu deutsch Bootsmann. Lwin kommt aus Myanmar und hatte gute 15 Jahre für eine Bremerhavener Reederei gearbeitet. Da aber wegen der Schifffahrtskrise rund um die HSH Nordbank viele deutsche Reedereien aufgegeben haben, musste er wechseln und fährt nun für CMA CGM. Ein Bootsmann ist sowas wie ein Vorarbeiter und leitet die Seeleute an. Ramil, der als einziger von den Philippinen kommt ist nicht glücklich, denn es ist vielleicht seine letzte Fahrt. Die anderen Philippiner arbeiten auch nicht mehr an Bord, denn die Myanmarer arbeiten für 100 Dollar weniger im Monat. Die Offiziere kommen alle aus der Ukraine. Kaum ein Seemann der nicht eine Freundin oder gar Kinder und Familie zu Hause hat. Während die Ukrainer zum Teil feste Teams bilden und immer das gleiche Boot fahren, werden die Myanmarer jedes Mal neu eingesetzt. Sie sind meist zehn Monate an Bord und zwei Monate zu Hause. Die Ukrainer teils nur vier Monate an Bord und dann vier Monate zu Hause.

Die kurzen Verträge ermöglichen es schnell mal die Seeleute auszutauschen, auch wenn gute, wie Ramil, immer wieder angerufen worden. Er könnte sich nicht vorstellen in einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten, da dort sehr viele Köche*innen arbeiten, die jeden Tag nur Kleinigkeiten machen, das heißt auch mal stundenlang nur Zwiebeln schneiden. Eher wieder an Land arbeiten. Das ist ruhiger, da mensch dann nicht drei Mahlzeiten am Tag allein organisieren muss und es wäre näher an der Familie. Die Stimmung unter den Seeleuten ist kumpelhaft und wenn sie die gleiche Sprache sprechen nochmal besser. Nichtsdestotrotz ist wohl immer mal jemand angenervt, zumal sie ja auf Monate zusammen arbeiten müssen und niemand anderes treffen können.

Alkohol und Rauchen ist übrigens untersagt auf den Schiffen, genauso wie Mülltrennung vorgeschrieben ist. Nur hält sich niemand daran. Das Bier wird dann von Passagier-Trinkgeldern gekauft, die meist beim Kaptain landen. Für Ramil etwas unverständlich, weil lediglich er und der Steward zusätzliche Arbeit mit den Passagieren haben. Warum geben sie ihm denn nicht das Geld? Er ist aber eine ausgeglichene Seele und so richtig regt Ramil sich dann nicht auf. Die Verbote und Bestimmungen kamen von der Reederei, aber die Seeleute wurden nicht über die Hintergründe geschult. Sodass die leeren Bierflaschen und -dosen im hohen Bogen über Bord gehen. Vielleicht auch weil der andere Kaptain, der sonst das Schiff fährt, die Regeln durchsetzt.

Ramil muss noch einiges sauber machen, da die Vorschrift, nicht mit Arbeitsklamotte in die Messe und schon gar nicht in die Küche zu kommen, vollständig ignoriert wird. Es ist fast Mitternacht, er muss noch einiges aufräumen und ich verschwinde. Noch lange bevor ich aufstehe, steht er schon am Topf und kocht Porridge.

Schnelles Ende

Die Tage plätschern dahin. Ich schreibe für diesen Blog, schaue Dokus oder aufs weite Meer. Es ist faszinierend, wie weit und blau alles ist. Unter mir geht es drei Kilometer tief und im Umkreis von hunderten Kilometern gibt es keine anderen Schiffe oder gar Land. Nur auf der Karte ist irgendwann ersichtlich dass wir unter den Kapverdischen Inseln hindurch Höhe Senegals anfangen in weitem Abstand der Küstenlinie Nordwest-Afrikas zu folgen. Über Tage schieben wir uns nach Norden. Das beständig windige Wetter wird zunehmend kühler. Die flotten Wolkenfetzen sind aber beeindruckend. Besonders bei Sonnenunter- und -aufgang.

Der Wind trägt die Gischt hinauf und meine Brillengläser beschlagen. Zunehmend kommen die langen Wellen von der Seite. Auch wenn sie nicht besonders hoch sind, so bringen sie das Schiff etwas ins Schaukeln. Lediglich mal eine Birne kullert mir vom Tisch. Wirklich gefährlich ist es also nicht. Ich gehe auch mal zum Bug und beobachte die fliegenden Fische, wie sie ihre Flossen anstellen um dann über das Wasser zu segeln. In der Nähe der brasilianischen Küste gab es noch Möwen die sie gefressen haben. Sie flogen neben dem Schiff und haben die fliegenden Fische aus der Luft gefangen oder gar einen Meter unter Wasser.

So langsam nähern wir uns unserem Ziel. Als ich vor dem Schlafen nochmal raus gehe, sehe ich schon auf Steuerbord die marokkanische Küste. Die Lichter von Tanger oder einem kleinen Vorort. Im ruhigen Wissen, dass Laden und Entladen Tage dauert schlummere ich ein. Um sechs klingelt dann aber mein Festnetz und sie meinen, dass sie bald fertig werden. Schnell muss ich meine Sachen packen und noch zum Frühstück. Ramil Tschüss sagen, und dann zu Dmytro, der mich die ganze Zeit etwas betreut hat und mir meinen Reisepass wieder aushändigt. Auch hier nochmal gute Weiterreise gewünscht und schnell zur Gangway-Wache. Ein Seemann steht immer an der Gangway und kontrolliert wer kommt und geht.

Gerade ist großer Andrang und mehrere dutzend spanischer Hafenarbeiter verlassen das Schiff. Offensichtlich sind sie fertig mit dem Laden. Kurzes Tschüss und dann klettere ich über die wackelige Gangway an den Kai. Ein Shuttlebus nimmt auch mich mit zum Ausgang.

Die Sonne geht auf. Nun bin ich also in Europa wieder. Hier schließt sich der Kreis.

Knapp 11 Monate,

oder 47 Wochen und ein Tag,

oder 330 Tage.

330 Tage war ich weg, solange wie noch nie in meinem Leben. Es war sehr viel was darin passiert ist. Ich bin schon lange nicht mehr der selbe Karl. Ich hab mich geändert und mein Leben hat sich geändert. So schön beide waren und so schön war die Reise. Es ist schwer hier ein passenden Schlusssatz zu finden. Ich sag mal so, ich bereue nichts. und worauf ich besonders stolz bin: Ich bin keinen Meter geflogen.


Apr 9 2019

Ein letzter Strand

Von Karl

Natal, Rio Grande do Norte, Brasilien

 

Auf dem Weg nach Natal wurde uns deutlicher, dass Brasilien ein riesiges Land ist mit riesigen Unterschieden. Die Infrastruktur nach Norden hin wurde langsam dünner. Zudem kamen wir in eine andere Zeitzone, aber in die Gegenrichtung als üblich wird die Uhr umgestellt. Was ich neues gesehen habe: Kaktus-Plantagen!

Ein letztes Mal bereise ich einen Ort auf dieser langen Reise. Kein Gedanke der mich sehr fröhlich stimmt. Nein, es ist die Zeit gekommen. Doch noch einmal darf ich hier eintauchen. Es ist Alax der uns empfängt. Ein Junger Mann der schon ein paar Jahre in der Schule als Lehrer gearbeitet hat, aber nun nochmal verreisen möchte. Neue Ideen, neue Ziele. Bei ihm wohnt noch die ganze Familie, das heißt ein kleinerer Bruder, sein Vater und seine Mutter. Während der Vater sich es nicht nehmen lässt immer einen witzigen Spruch zu drücken, zeichnet sich die Mutter durch umsorgende Gastfreundschaft aus. Sie arbeitet als Lehrerin.

Alax hat sogar sein Zimmer für uns geräumt und schläft im Wohnzimmer. Nicht nur das, er zeigt sich auch extrem hilfsbereit, denn es ist nicht so leicht mit dem Hafenagenten in Kontakt zu kommen, da seiner Aussage nach noch nie Passagiere hier in ein Containerschiff stiegen. Irgendwie klappt das dann aber mit Alax‘ Hilfe.

Der Vater arbeitet als Uber-Fahrer und bietet uns eine Tagestour mit diversen Sehenswürdigkeiten an, zum halben Preis, als sonst üblich. Schnäppchen und die Möglichkeit der Familie was zurück zu geben … da greifen wir direkt zu.

Ausflug in Rio Grande do Norte

Nach einer Weile Autobahn, biegen wir ein und passieren Alleen an Palmen, bis wir einer türkisen Flussmündung folgen.

Bald halten wir an einer Steilküste um den weiten Ozean zu überblicken. Unter uns ein idyllisch breiter Sandstrand. Bis in die Ferne verlängert sich dieser und liegt nahezu unberührt da. Es ist, was das Herz begehrt.

Unser Ziel ist der kleine Ort Praia da Pipa, was soviel wie Drachen-Strand bedeutet, wobei aber ein Steig-Drachen gemeint ist. Es ist ein verschlafener Hippie-Ort, mit Touris, Stränden, Lädchen und alles was die Touris so kaufen würden. Die Strände tragen wiederum verschiedene Namen. Einer ist als Liebesstrand bekannt. Von einem Parkplatz aus nähern wir uns wieder von oben und es führt eine steile Treppe hinab in eine grüne schmale Waldkette zwischen Fels und Strand.

Wir entgehen relativ flott wieder dem überlaufenen Ort und fahren zurück nach Tibau do Sul, vielleicht zehn Minuten entfernt. Auch hier gibt es einen Strand oder besser gesagt gleich zwei. In wenigen Laufminuten getrennt gibt es neben dem offenen Meer auch die Möglichkeit an der Flussmündung zu baden, was besonders für Nichtschwimmer*innen spannender ist, weil es vor Wellen geschützt ist. Ein Teppich aus Plastik-Stühlen, -Tischen und Schirmen wurde zudem aufgebaut. Restaurants verkaufen in ihren Bereichen Menüs mit viel Fisch, sowie Cocktails, Bier und das übliche. Auch Acai mit Cupuacu. Cupuacu ist eine Frucht, die wie Wein schmeckt.

und bei den Cocktails gibt es übrigens nicht nur Caipirinha.

Für ein paar Stunden genießen wir die Herrlichkeit des Ortes in vollen Zügen. Die Sonne ist ungebrochen und der Schatten der Abreise aus Südamerika ist nicht zu spüren. Dafür umspült die AtlantikGischt viel zu traumhaft die schwarzen Felschen auf dem weiß-gelben Strand. und im Hintergrund die Palmen …

Auf dem Weg zurück nach Natal halten wir noch in Pirangi do Norte einem Stadtteil des kleinen Städtchen Parnamirim nur noch wenige Kilometer vor Natal. Die Besonderheit hier ist der größte Cashew-Baum der Erde.

Wie ein kleiner Wald erscheint von außen der Baum mit seinen festen Blättern und dünnen Stämmen, die sich wie gelegte Leitungen durch die Luft schlängeln.

Auf Holzpfaden lässt sich das Innere des Baumes erkunden und so machen wir uns auf unter dem grünen Walddach zu wandeln.

Spannend ist dabei, dass schon die Mehrheit der Stämme irgendwie aus der Mitte heraus kommt.

Hinweisschilder klären über den Cashew-Baum und seine Nüsse auf, die demzufolge sehr gesund sein können. Auch fast alles andere ist essbar. Überraschend für mich war es, dass die Frucht mit der Nuss einer Paprika ziemlich ähnlich sieht. In der Erntezeit trägt der Baum Früchte mit einem Gesamtgewicht von 2,5 Tonnen. Das Wort Cashew kommt von den indigenen Tupis, die vormals große Teile Brasiliens besiedelten. In vielen Sprachen wurde dieses Wort übernommen.

Wir lernen von der Familie noch eine Oma kennen und kochen einmal ausgiebig für alle. Azul macht wieder bolivianische Erdnusssuppe und von mir kommt deutscher Eierkuchen. Auch ein letztes Mal. Aber zur Freude der lieben Mutter und des jungen Bruders, die regelmäßig um unsere Töpfe und Pfannen schleichen.

Natals touristischster und sicherster Ort soll der Strand-Stadtteil Ponta Negra sein. Hier gibt es Surfer*innen wie Sand am Meer. Eine lange Strandpromenade, unzählige Hotels und Restaurants und Verkaufsstände säumen den gut frequentierten Strand. Ansonsten soll Natal nicht besonders sicher sein, so zumindest meint es Alax. Wir passen entsprechend auf. Besonders aber die Stadtteile nördlich des Rio Potengi sollen regelmäßig durch Raubüberfälle und Schießereien berühmt werden.

Wir planen nicht dorthin zu gehen, doch dann kommt die letzte Nacht und wir müssen Azul nachts zum Flughafen bringen. Nun gesellt sich zu der ausgiebigen Abschiedstrauer noch die Angst, denn tatsächlich werden auf dem Weg zum Flughafen, der im Norden liegt, auch immer wieder bewaffnete Raubüberfälle durchgeführt, so Alax, weshalb der Vater sich bereit erklärt uns zu fahren. Tatsächlich sehen wir in den frühen Morgenstunden ein paar Jugendliche durch die Straßen streifen, doch wir bleiben in Ruhe.

Abstieg

Es bleiben mir noch zwei Stunden zu schlafen, bis ich dann auch meinen Rucksack mir auf den Rücken schnüre. Ich hab noch 5 Reals, vielleicht 1,20 Euro, für den Bus, der 3,65 Reals kostet. Also stelle ich mich an die Haltestelle, doch nun bemerke ich, dass Sonntag ist und die Busse seltener verkehren. Um Acht soll ich am Hafen sein, doch dies lässt sich nun nicht mehr machen. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Wenn das Schiff weg ist, hab ich ein derbes Problem.

Gegen 8:45 war ich dann am Hafen und ich beginne das Warten am Eingang neben den beiden Sicherheitsleuten. Mhh, denke ich, da war der deutsche Pünktlichkeitsfanatiker doch schon wieder da. Natürlich ist das Schiff noch lange nicht weg. Mir wird zwar versucht irgendwas zu erklären, aber ich verstehe nun mal kaum etwas in portugiesisch. Ich beobachte wie LKWs mit ISO-Containern kommen und gehen. Ein Kranwagen lädt die Container auf und ab oder bringt sie woanders hin. Hin und her wuseln die Maschinen. Ein Gabelstapler-Team entfernt oder bringt Kühlaggregate an die weißen Kühlcontainer an.

Im nächsten Schritt sitze ich dann in einem weißen Container und warte wieder, dass Eduardo kommt. Das Spiel kenne ich schon und Geduld zu haben fällt mir nach über zehn Monaten Südamerika ziemlich leicht. Das berühmte Theaterstück würde in Natal übrigends „Warten auf Eduardo“ heißen, da das wohl so das üblichste war was ich an verschiedenen Orten im Hafen gemacht habe. Tatsächlich haben mich dann aber immer wieder andere Leute geführt oder gefahren.

Dann stehe ich bei der Hafenpolizei. Ein einziger völlig unmotivierter Beamter sitzt hinter seinen Rechner und schaut meine Papiere an. Er sagt nichts und gibt sie mir irgendwann wieder. Währenddessen sind gleich zwei Seeleute von der „CMA CGM Saint Laurent“ kommen. Meinem Schiff. „CMA CGM“ ist der Name der Reederei. Den einen ukrainischen Schiffsoffizier, Dmytro, erkenne ich auch direkt wieder. Nachdem ich ihm das erklärt habe, meint auch er, dass er mich wiedererkennt. Naja, freudiges Wiedersehen sieht anders aus, aber das ist wohl unseren kühlen Naturellen zu verdanken.

Sie haben zwei große Stapel blauer und roter Reisepässe mitgebracht, die der Hafenbeamte nun auch noch alle bearbeitet. Als das unspektakulärste Spektakel sein Ende fand, gehe ich einfach mit den beiden Seeleuten mit. Es ist nicht weit und das große Containerschiff unschwer zu erkennen. Im dunklen Ozean-Blau liegt sie wieder da. Beachtet mich nicht, aber für mich ist sie beachtlich. Die schiffseigenen Kräne sind am rotieren und laden und entladen nach und nach. Irgendwie ist der Schritt zum Schiff auch vertraut. Seltsam bekannt und aufregend zu gleich. und traurig, da es das Anfang vom Ende ist.

Wir gelangen zur Gangway und ich beginne den Aufstieg aufs Schiff. Aber der Aufstieg auf das Schiff ist auch der Abstieg von Südamerika …


Dez 3 2018

Eine Reise in sechs Akten

Von Karl

 

So manche*r wird staunen und neunmalklug behaupten: Ein Theaterstück hat doch nur 3, 4 oder 5 Akte. Tjaaa, dann lest das folgende Stück. Vorhang auf:

Akt 1: Castro → Quellón

Kurz nach meiner Rückkehr in Castro bekomme ich eine Rückmeldung für meine nächste Unterkunft. Es soll nach Esquel in Argentinien gehen. Das ist nicht so weit, denke ich.

Ich war tags zuvor bei der Fährgesellschaft Naviera Austral und habe meine Überfahrt von der Insel Chiloé zurück auf das Festland geplant. So habe ich erfahren, dass meine angestrebte Überfahrt von Quellón nach Chaitén nur an zwei Tagen in der Woche möglich ist. Einmal legt das Schiff am Donnerstag um 3 Uhr in der Nacht ab und das andere mal am Sonntag um 18:30 Uhr. Beides ist doof, weil kein Bus von Castro in der Nacht nach Quellón fährt und wenn ich 18:30 abfahre, dann bin ich Mitternacht in Chaitén. In dem Dorf fährt zu der Zeit dann sicherlich kein Bus. Die Überfahrt dauert vier bis fünf Stunden.

Von Castro aus gibt es zur Zeit keine Fähre. Ich war schon in Puerto Montt in dem Büro von Naviera Austral und habe zudem den Eindruck bekommen, dass sich die Pläne hier wohl regelmäßig ändern. Das bestätigen auch die Hosts und schimpfen auf die sich ständig ändernden Pläne. Es werden auch längere Fähr-Strecken angeboten, die bis in den äußersten Süden Chiles reichen. In Castro bin ich gefühlt der erste der überhaupt ein Ticket gekauft hat. Vielleicht stellt mir die Fährgesellschaft auch einfach ein Ruderboot hin und sagt, mache selbst. Die Einheimischen nehmen den Bus über Puerto Montt, der dann in Hornopirén auf die Fähre fährt. Die Strecke soll landschaftlich sehr reizvoll sein. Manche nehmen auch kleine Flugzeuge, die aber oft wegen dem Wetter ausfallen oder starke Verspätung haben.

Ich habe mich für die nächste Fähre entschieden, die überhaupt abfährt und das ist schon diese Nacht um 3 Uhr. Der letzte Bus fährt um 21 Uhr ab, sodass ich diesen dann auch nehme. Die Dunkelheit bricht über Castro ein, als sich der Reisebus auf der Straße nach Quellón herauswindet. Gut eineinhalb Stunden ist dieser unterwegs und direkt beim Busterminal ist auch schon der Anleger. Spärlich ist die Stadt erleuchtet und der kalte Seewind dringt in die Klamotten. Ein völlig Betrunkener torkelt an mir vorbei und vervollständigt, ohne es zu wollen, das Bild einer heruntergekommen Hafenstadt. Sicherlich gibt es um die Ecke die düstere Kneipe wo bärtige alte Männer literweise Bier trinken und so laut und tief lachen, dass die Holztische beben.

Es steht eine Fähre bereit und es ist mächtig Betrieb. LKWs rollen hin und her und einige stehen mit Sack und Pack am Anleger. Als diese dann auf den Kai gelassen werden, frag ich nach, aber diese Fähre ist noch nicht meine. Mir wird ein Aufenthaltsraum in einiger Entfernung empfohlen.

Tatsächlich, Naviera Austral hat ein eigenes großes Büro mit großem Aufenthaltsraum, der mit einem Ofen gut geheizt ist und es läuft mal wieder eine ins Spanische übersetzte Schnulzen-Serie, Made in Türkei. Ich hab zwar noch nie darüber geschrieben, aber tatsächlich habe ich schon wartend viele Folgen dieser türkischen Serie gesehen. Es ist die typische Abendberieselung die ihr auch aus dem deutschen Fernsehprogramm kennt. Beziehungsdramen halt.

Das Warten ist ansonsten wenig spektakulär und ich schlaf auch ein wenig.

Akt 2: Quellón → Chaitén

Eine gute Stunde vor Abfahrt kommt Unruhe unter die Wartenden und wir machen uns nach und nach auf den Weg zum Anleger. Gut hundert Meter einsamer Beton, dann geht die Rampe nach unten und der Ausleger der Fähre beginnt. Das kalte nasse Seewetter erfüllt meine Lunge mit Glück. Ja, Seefahrtsromantik kommt wieder auf. Nicht alle mögen‘s verstehen, aber jedes Mal wenn ich ein Boot betrete, ja, dann werd‘ ich zum Dichter.

Es wartet eine Fähre, die der von der frühen Nacht gleicht. Zum Glück kein Ruderboot. Die RoRo-Fähre ist ziemlich klein im Vergleich zu denen die in Calais, Dover, Travemünde oder Warnemünde abfahren, aber doch um einiges größer als die Auto-Fähren auf den Priwall oder die zwischen Kleinzschachwitz und Pillnitz. Zwei Dutzend Fährzeuge können über die Heckluke auf das einzige Deck mit drei Spuren fahren und nach dem Anlegen über die Bugluke geradewegs abfahren.

Über Außentreppen geht es in das Passagierdeck, was aus hunderten Busstühlen und einer Cafeteria besteht. Eigentlich haben sich fast alle immer drei Sitze nebeneinander geschnappt und hingelegt. Dem Beispiel folgend und der Tatsache geschuldet, dass in der Dunkelheit nix zu sehen ist, leg ich mich auch hin, mach mir den Wecker an, damit ich ja die Einfahrt und den Sonnenaufgang nicht verpasse.

Wie beschreib‘ ich den Sonnenaufgang nur richtig … Sagen wir mal so: Es war ein Qualitäts-Sonnenaufgang der von der Stiftung Warentest die Note Sehr Gut (1,0) bekommt. Ohne Witz, es ist unvorstellbar. Aus dem spiegelglatten Meer ragen die Anden gen Himmel, die bis in winterliche Höhen vorstoßen. Die Sonne geht hinter diesen auf und wirft orange Strahlen durch die Spalten und schafft harte Rahmen um die Gipfelkette. und nun noch alles in 3D, weil manche Berge weiter vorne stehen im Vergleich zu anderen. Der Himmel ist klar und die seltenen Wolken spielen mit den Bergen. Manche Wolke ergänzt den Berg und lässt ihn wachsen und andere spiegeln das orange auf ihren weiß-grauen Bauch. Das noch nachtschwarze Wasser hat eine goldene Schicht bekommen, die auf ihr schimmert, als wenn der goldene Morgen an der Oberfläche kondensiert wäre und nun wie Öl darauf schwimmt. Hach, einfach schön …

Nicht lange nach dem Sonnenaufgang fährt die Fähre wieder in den Schatten der Berge und erreicht den Anleger von Chaitén. Dieser liegt keinen Kilometer vom Ortseingang entfernt. Das Festmachen scheint nicht so einfach zu sein, weil es keinen klassischen Kai gibt und die Poller sind irgendwo in den Felsen verankert. Nun sehe ich auch, dass wirklich nur eine handvoll Fahrzeuge an Bord sind. Es sind ausschließlich Reisende, d.h. Bullis, Geländewagen oder Reisebusse. Die gut Fünfzig Passagiere verteilen sich darin oder wandern an Land.

Anlegemanöver in Chaitén

Dort wartet ein Bus, doch irgendwie scheint es mir nicht gerechtfertigt für einen knappen Kilometer Geld auszugeben. All die Rucksackreisenden nehmen aber den Bus und kommen nur kurz vor mir im Ort an. Wo sie aber verbleiben, ist mir ein großes Rätsel. Sie tauchen nicht wieder auf. Noch später frag ich mich, was sie eigentlich vor hatten und wie sie das bewerkstelligt haben.

Akt 3: Chaitén → Villa Santa Lucía

An dem Busbahnhof oder besser gesagt Reisebüro-Häuschen angekommen warten schon schon ein älteres Pärchen und ein junger Rentner. Das Paar will auch nach Argentinien und der alte Mann in den nahen Nationalpark. Der Mini-Busbahnhof wird nebenan gerade gebaut.

Wir warten, denn das Häuschen ist noch geschlossen. Der Mann fragt die Arbeiter nebenan und offensichtlich macht der Betreiber auf, wie er lustig ist. Öffnungszeiten sind ja eh relativ. Doch mein Mit-Wartender findet zwei weitere Einheimische die durch Anruf den Verantwortlichen wecken und nach eine guten halben Stunde kommt ein Mann mit grauen und wuscheligen Haaren und breiten Grinsen angeradelt.

Wir werden freundlich eingeladen und all unsere Fragen beantwortet. Ich habe Glück. Zwei Mal die Woche fährt ein Bus nach Futaleufú, der nächste und letzte Ort vor der Grenze, und heute ist so ein Tag. Um 12 Uhr von der Tankstelle geht es los. Angesichts der Entfernung ist mir das aber zu spät. Ich muss ja noch viel weiter, von Futaleufú aus. Ich hab mit mehr Verkehr gerechnet. Schlimmer aber: Von Futaleufú fährt heute vermutlich kein Bus mehr nach Esquel. Er ist sich nicht hundert Prozent sicher, aber er meint, heute nicht. Ich hab keine Wahl. Ich muss bis zum Abend ankommen.

Nun also die Notfalllösung, aber auch irgendwie das, was ich schon länger mal ausprobieren wollte: Con Dedo? Mit Daumen?

Ja, meint er, das geht bestimmt. Einfach am Ortsausgang, beim Friedhof, da ist ein super Ort zum Trampen. Chaitén ist ja ziemlich klein und ich treff‘ den jungen Rentner wieder. Ein, zwei, drei, maximal vier Fahrzeuge würde ich warten. Das ist ganz normal hier. Viele würden Trampen.

Das motiviert. Natürlich ist es nicht mein erster Tag hier, um zu wissen, dass ich nicht nur vier Autos warten werde. Naja.

Chaitén ist übrigens deswegen so klein, weil erst 2008 der gleichnamige Vulkan ausbrach und große Teile des Dorfes zerstörte. Der Vulkan wurde vorher als erloschen eingestuft und brach völlig überraschend aus. Die Einwohner*innen wollten aber ihr Dorf nicht aufgeben und mittlerweile wohnen wieder mehrere tausend Menschen dort.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, … naja ich hab aufgehört zu zählen. Autos kommen und gehen. Nur anhalten tut keines. Beruhigend, dass ja irgendwann der Bus kommt. Viele Fahrer*innen machen irgendwelche Handzeichen, die ich so deute, dass sie nicht Chaitén verlassen, sondern vorher abfahren. Es gibt zwar nur noch eine Ausfahrt, aber es scheinen sehr viele zu sein, die dahin müssen. Vermutlich. Es vergeht auch die erste Stunde, ohne dass etwas passiert. An meiner Stelle kann es ja nicht liegen, denn die ist perfekt. Ich bin gut von weiten zu sehen und anhalten können die Autos auch problemlos hier.

Hier warte ich mit dem Daumen, Ortsausgang Chaitén

Die Sonne bruzzelt und ich versuche die Langeweile mit Musik oder Essen totzuschlagen. Das Trampen wird zur Lethargie. Ich versuch freundlich drein zu schauen, aber das Daumen hochhalten passiert rein mechanisch. Als dann doch ein schwarzer Geländewagen neben mir hält, wach ich auf. Tatsache! Er kann mich ein Stück mitnehmen. Wie schön ist das!

Wir steigen direkt ein und können uns über einiges unterhalten. Besonders das Leben in dieser Einöde interessiert mich. Hier leben auf zig Kilometern nur noch ganz wenig Menschen. Die Infrastruktur ist minimal. Er selbst wohnt in einer Häuseransammlung (Dorf wäre übertrieben), die nur über ein Boot von einem Dorf auf der anderen Seite der Flussmündung erreichbar ist. Seine Kinder lehrt er zu Hause. Einmal, weil es ein längerer Schulweg wäre, aber auch weil er kaum was auf das chilenische Bildungssystem hält. Zu schlecht seien die Lehrer*innen und er könne das besser. Seine Kinder würden bei den Prüfungen gut abschneiden, besonders in Meeresbiologie. Gut, sein Job ist Meereskonservation, d.h. er belegt was alles in den nahen Gewässern lebt und wie es sich verändert. Auch er benennt das Problem der industriellen Lachs-Zucht mit den roten Algen. Er zeigt mir ein Buch mit großen Farbphotos von krassen Unterwassertieren und -pflanzen.

Irgendwann stoppt er dann und packt eine Drohne aus. Vor wenigen Monaten ist an dieser Stelle ein Teil eines nahen Berges abgerutscht. Eine Bodenverflüssigung. Eine Gerölllawine, von unvorstellbaren Ausmaß, ging des Nachts den Berg ab und folgte den Flussbett. Hektarweise wurde Wald links und rechts einfach umgeholzt und die Straße begraben. Stahlbeton und uralte Bäume sind wie Zahnstocher gebrochen.

Vom Berg hinten rechts fehlt die Hälfte und alles zwischen den Bäumen links, rechts und am Hang war vormals Wald

Noch Kilometer weiter unten hat die Gerölllawine Wald begraben und auch die Ortschaft Villa Santa Lucía zur Hälfte. Da sie mitten in der Nacht kam, waren alle zu Hause und haben geschlafen. Viele sind in ihren Häusern gestorben. Die Holzhäuser sind einfach weggespült worden und als wir in den Ort kommen, sind noch völlig deformierte Häuser gut zu erkennen. Auch wenn die Straße schon erneuert ist und schweres Gerät am Aufräumen ist, wird es wohl noch dauern bis alles wieder beim alten ist.

Villa Santa Lucía, links die Häuser stehen noch, rechts wurde alles begraben, in der Mitte ist ein stark deformiertes, der Weg wurde mittlerweile wieder angelegt

Villa Santa Lucía ist auch der Ort mit dem Abzweig. Ich muss zur Grenze, aber meine Mitfahrgelegenheit weiter nach Süden. Wir verabschieden uns und ich suche den neuen gewalzten Weg nach Futaleufú. Am Ortsausgang schmeiß ich meinen Rucksack hin und das Warten beginnt auf‘s Neue.

Akt 4: Villa Santa Lucía → Futaleufú

Motiviert von dem Erfolg ein Drittel schon getrampt zu sein und der Sicherheit, dass irgendwann der Bus kommt, warte ich auf weitere Fahrzeuge die mich gegebenenfalls zum Ziel bringen. Anders als meiner erster Wartestelle ist hier auch deutlich weniger los. Es kommen so gut wie keine Autos, auch wenn es die einzige Straße nach Futaleufú ist. Doch vielleicht nimmt mich dann erst recht jemand mit.

Die Umgebung hilft aber über die Einsamkeit. Hohe schneebedeckte Gipfel, weite grüne Wälder und ein kleiner Bach umgeben mich. Doch kommt mal ein Fahrzeug angerauscht, so bleibt nur der Staub in der Luft stehen. Gleichzeitig brennt die Sonne auf mich runter. Es ist mittlerweile Mittag geworden. Mein Fahrer von eben war optimistischer mit meinem Plan. Vielleicht fährt ein Bus und wenn nicht, dann ist es nicht weit zur Grenze und dahinter fährt bestimmt etwas.

Nach einer halben Stunde fange ich an eine Statistik zu führen. An die schon gekommenen Fahrzeuge kann ich mich noch gut erinnern und Steine gibt es hier ja genug. Auf der Absperrung zur alten Straße, die vom Geröll zerstört wurde, lege ich die Steine ab.

Doch es vergehen die Stunden und das einzige was mich ab und zu besucht, ist eine neue Staubwolke, aufgeworfen von Fahrzeugen. Als nach zwei Stunden zehn Steine nach links und fünf Steine nach rechts liegen, kommt der Bus aus Chaitén. Nur gut, dass ich diese Notfalllösung habe. Das Zehn-zu-Fünf-Ergebnis ist aber auch ein wissenschaftlicher Beleg für Murphys Gesetz. Kurz gesagt, das dümmste Ergebnis tritt meist ein. Da zehn Fahrzeuge in die falsche Richtung gefahren sind, also diese in die ich nicht möchte, aber nur fünf in die meinige, sehe das Gesetzt für belegt an.

Ich finde noch einen Platz in dem Bus und offensichtlich hat der Busfahrer hier nicht mit mir gerechnet. Mir egal. In dem wohlig-warmen Treibhaus fallen mir direkt die Augen zu.

Über eine Stunde ruckelt der ältere Bus durch die Berge und lässt uns dann in Futaleufú raus. Einem kleinen Touri-Ort. Wieder ein Ort der für sich wunderschön ist. Flache ruhige Häuser in einer atemberaubenden Landschaft. Völlig unberührt. Traumhaft. Mittlerweile habe ich aber schon 50% meine Motivation eingebüßt und will einfach nur weiter.

Futaleufú

Akt 5: Futaleufú → KM 15

Der Busfahrer weiß nix zu weiteren Bussen, aber sein Kumpel meint, einen zu kennen. An dem von ihm angegebenen Ort finde ich die besagte Firma nicht, geschweige denn überhaupt irgend eine Art Transportmöglichkeit. Dafür aber die Touri-Info. Sichtlich erfreut über meinen Erscheinen erklärt mir die junge Frau auf feinsten Englisch was sie weiß: Morgen früh.

Ja, es gibt Busse, zwei Mal die Woche (das scheint hier der Takt zu sein mit dem die Leute leben). Aber halt erst morgen früh. Ich habe aber kein Internet und auch keine andere Möglichkeit meiner Couchsurferin Bescheid zu geben und entscheide mich das Glück weiter herauszufordern. Ich muss heute noch in Esquel bei ihr ankommen. Das habe ich vor über 24 Stunden ihr so mitgeteilt.

Also wieder: Auf zur Ausfallstraße Richtung Grenze. Die Karte sagt 10,6 Kilometer bis zum argentinischen Grenzposten. Ich ruf mir den netten Fahrer in Erinnerung und entscheide mich mit dem Laufen zu beginnen. Gleichzeitig strecke ich aber auch jeden den Daumen hin, der in meiner Richtung an mir vorbei fährt.

Gleichzeitig ändert sich die Landschaft regelmäßig. Andere Gebirgszüge kommen und gehen. Mal komme ich nah an einen schnellen und breiteren Fluss. Dann wieder eine Wiese mit Tieren. Autos kommen und gehen. Sie machen immer irgendwelche Zeichen. Vermutlich, dass sie nicht zur Grenze fahren. Was sie offensichtlich nicht wissen: Ich wäre auch einverstanden, wenn sie mich nur einen Kilometer fahren. Einfach nur etwas. Aber keine*r erbarmt sich.

irgendwo zwischen Futaleufú und Grenze, in Richtung Grenze photographiert

Von Kilometer zu Kilometer wird der Rucksack schwerer. Ich bin schon so verschwitzt, dass ich mich selbst riechen kann. und das kommt nicht mal eben. Immer schwerer und immer mehr Zweifel. Es ist zum Verzweifeln, aber es hält wirklich niemand. Ich verfluche all die Menschen die mir in den letzten Tagen erzählt haben, wie einfach doch trampen ist. All die Menschen die es ach so einfach und toll finden. Ich kann mich hier mit niemanden austauschen, der mich liebevoll weiter bringt. Ich kann mir die Natur anschauen und mit dem viel zu schweren Rucksack mich unterhalten. Doch der antwortet nicht. Ich fang‘ an jede*n zu belegen, die oder der mich einfach stehen lässt.

Kilometer um Kilometer schleppe ich mich weiter und so langsam tun mir die Füße weh. Das bin ich nun nicht gewohnt. Es ist nicht zu vergleichen mit der Wanderung nach Aguas Caliente, dem Machu Picchu Dorf. Es ist auch eine andere Herausforderung als die tagelange Urwald-Tour von Georgetown über Lethem nach Boa Vista. Warum mach ich diese Reise eigentlich. Immer mehr Zweifel kommen auf. In meinem schönen zu Hause in Deutschland könnte ich die Füße hochlegen. Doch hier mache ich diese aberwitzige Wanderung im Nirgendwo. Immer weniger Fahrzeuge passieren mich, dafür gibt es immer mal wieder Anstiege, die es nicht einfacher machen. Pause will ich nicht mehr machen, weil ich Angst habe, dann ganz die Motivation zu verlieren. Also weiter. Und weiter.

Als ich die Hälfte geschafft ist, kommt die aberwitzige Motivation, doch bald an der Grenze zu sein. und ja, nach Stunden der Qual erreiche ich die Grenze. Endlich mal den Rucksack absetzen. Ein sauberes Klo. Frisches Trinkwasser. Ein Wunder ist geschehen. Der Grenzbeamte mustert mich neugierig, sagt aber nicht viel. Ziemlich entspannt akzeptiert er meine Ausreise und weiter geht‘s. Ich treffe andere Reisende, die zweieinhalb Stunden in die Gegenrichtung getrampt haben, aber fündig geworden sind. Herzlichen Glückwunsch.

Ich wandere weiter und bald endet die geteerte Straße. Schotterweg beginnt. Das hat noch gefehlt. Darauf lässt es sich noch blöder laufen. Das erste Zeichen was mir Argentinien schickt, ist ein Schild mit den Umrissen der Falkland-Inseln beziehungsweisen Islas Malvinas wie sie hier heißen. Darüber der Spruch „Für immer argentinisch“. Die haben Humor denke ich. Dunkel entsinne ich mich, dass sie den Krieg um die Inseln gegen Großbritannien verloren haben und dass die Bevölkerung in einer Abstimmung für den Verbleib beim Vereinigten Königreich gestimmt hat. Doch das belastet mich nicht.

Nächstes Schild: Blau-wei-blau, Willkommen in Argentinien. Das Handy bestätigt es auch nochmal. Wenigstens das habe ich geschafft. Es folgt eine Schranke und nebenan ein Holzhaus. Drei Grenzbeamt*innen erwarten mich. Etwas umständlich, aber dann doch erfolgreich schaffe ich die Einreise. Wir unterhalten uns noch nett, auch wenn es mir schwer fällt sie gut zu verstehen. Ich versuche meine Situation klar zu machen und will wissen ob es Busse gibt.

Sie gucken mich an als wenn ich nach Ufos gefragt hätte. Nee, heute nicht. Morgen früh kommt der Bus aus Futaleufú. Mhh, danke, nee, ich muss heute ankommen. Ob sie mir helfen können ein Taxi zu rufen. Nee, geht nicht, hier gibt es kein Signal. Aber ob ich die Toten Hosen kennen. Die spielen Mitte November in Buenos Aires. Ja, gute Musik, sag ich, und verlasse niedergeschlagen ihre Holzhütte.

Was nun? Ich laufe einfach. Jetzt habe ich kein Ziel mehr. Esquel ist 24h zu Fuß von hier entfernt. Es muss motorisiert weiter gehen. Der eine Grenzbeamte meinte, in der nächsten Ortschaft, Los Cipreses genannt, elf Kilometer entfernt, könnte ich es versuchen. Aber er wüsste sonst nix. Ich laufe einfach, weil es mir an anderen Möglichkeiten fehlt. Einfach immer weiter. 18 Uhr ist lange durch und ich sehe schon die Sonne hinter den Bergketten verschwinden. Auf dem Schiff war ich noch fit, aber die letzten Stunden haben mich fertig gemacht.

Was, wenn ich hier jetzt campen muss. Mitten im Nirgendwo. Gut, es sieht sehr schön aus, ein breiter Fluss, vielfältige Bäume und die sich ändernde und wunderschöne Kulisse aus weißen Gipfeln. Ich bekomme es mit der Angst, denn einfach nur den Schlafsack am Straßenrand ausrollen, das ist kein schöner Gedanke. Es wird sicherlich kalt und wer weiß welche Tiere hier leben. Es ist ja schließlich so gut wie im Nationalpark. Dieser beginnt gleich am anderen Ufer des Flusses.

ersten Meter in Argentinien

Die Anzahl der Autos, die mich passieren, ist gefühlt im Minus-Bereich. Aber es kommen welche. Das erste kommt – und geht. Ich denke, dass, wenn die Grenzbeamtin und die beiden Beamten Feierabend machen, um 20 Uhr, die ja noch vorbei kommen und vielleicht habe ich einen freundlichen Eindruck hinterlassen. Zweites Auto, kommt – und geht.

Ich hab schon wieder einen Kilometer geschafft. Ich rede kurz laut mit mir. Ist das schon das Zeichen verrückt zu sein? Ich vermisse gerade umso mehr, dass ich keine*n Reisepartner*in habe. Keine Stimme der Vernunft, niemand um mich auszukotzen, niemand für etwas Galgenhumor. Ich verlege den Jutebeutel zum hundertsten Mal von einer auf die andere Schulter.

Drittes Auto. Mit ungeminderter Geschwindigkeit fährt es zur Fahrbahnmitte und hinterlässt eine neue Staubwolke. Was hab ich auch erwartet. Dass sie anhalten? Mich würde ja jeder verdammte Kilometer helfen, aber vielleicht denken sie in ihren klimatisierten und mit Radiomusik unterlegten Fahrzeug, dass sie nicht dahin fahren wo ich hin will. Doch! Will ich.

Ich versuche mir aktiv positive Gedanken zu machen, doch ich bin am Boden der Reisemotivation und ich schwöre, nie wieder Trampen und nie wieder einfach irgendwo hin fahren, wo ich nicht weiß wie es weiter geht. Der eine der mich heute mitgenommen hatte, hat ehrliche Bewunderung für meinen Plan ausgesprochen. Doch die kann ich hier nicht einlösen.

Ich höre ein viertes Auto von hinten kommen. Mittlerweile spielt mein Kopf verrückt und manchmal kommt kein Auto, obwohl ich glaube eines zu hören. Die entgegen kommenden nehme ich schon nicht mehr wahr. Es sind auch mehr, als in meine Richtung. Siehe Murphys Gesetz.

Doch diesmal kommt tatsächlich eines von hinten. Nummer 4 zähle ich schon, doch dann hält es, ca. hundert Meter hinter mir, und gibt Lichthupe. Ich bleib verdutzt stehen.

Akt 6: KM 15 → Esquel

Was da los? Circa Fünfzehn Kilometer (KM 15) bin ich gelaufen und jetzt das? Ich bin der einzige weit und breit, also muss ich gemeint sein. Egal, los, bevor sie es sich anders überlegen. Ein freundlicher Mann steigt schon lange bevor ich beim Auto bin aus und öffnet das Gitter zur Ladefläche von seinem Geländewagen. Mir fällt es schwer spanisch zu sprechen, aber ich sage, dass sie meine Held*innen sind. Doch das interessiert sie kaum. Auf dem Beifahrersitz sitzt noch eine Frau, vermutlich sind sie ein Paar. Ich wage kaum zu fragen wo sie denn hinfahren, denn mir schwant, dass es einen weiteren Akt geben wird. Doch ihre Antwort ist eine zweite Rettung. Esquel. Direkt zum Ziel. Das Glück kam sehr spät, aber es kam.

Ich stelle auf freundlich und gesprächig um. Doch ich bin auch erschöpft und kann kaum noch. Sie leben auf beiden Seiten der Grenze. Einer kommt aus Esquel und eine aus Futaleufú. Deswegen haben sie zwei Häuser. Er zeigt mir eine Gebirgskette, die wie ein hingelegtes Gesicht aussieht und hält extra an, damit ich ein Photo machen kann. Ja, schön ist es, gebe ich zurück. Ich will schlafen, denke ich.

Wir kommen in dem kleinen Ort an, von dem der Grenzbeamte sprach. Sie halten an um gesammelte Pilze abzuholen. Die Frau gibt mir eine Visitenkarte, denn sie sammelt Pilze und verarbeitet sie zu Essen. Ein Hobby von ihr. Würde sonst keiner machen. In Europa auch nicht, oder? Ich gebe zurück, dass es tatsächlich einige Menschen machen, da wo ich herkomme.

Dass ich heute noch über das Pilze Sammeln sprechen muss, hätte ich nie vorhersagen können, aber ja, so ist es nun. Doch damit endet unsere Konversation.

gesammelte Pilze aus Los Cipreses

Erst als wir kurz vor Esquel sind, fragen sie mich, wo ich denn hin muss. Ich sage, dass ich am Ortseingang eine Freundin habe, die mich unterbringt. Welche Adresse das ist. Sie kennen sie nicht, aber gemeinsam finden wir das Haus, was ich suche. Ich versuche nochmal klar zu machen, dass sie meine Retter*innen sind und ich hundertmal dankbar bin.

Die Rettung kam, auch wenn sie spät kam. Ich werde mein Glück trotzdem nicht nochmal herausfordern.

Als ich die Wiese vor dem großen Holzhaus überquere und dann klingele und meinen Rucksack abstelle, sehe ich dass sie noch gewartet haben, ob ich mir sicher bin, dass ich hierher muss. Manche Menschen, so denke ich, wissen gar nicht, wie gut sie sind.

Ich atme durch und bin schon jetzt glücklich. Obschon niemand aufmacht. Ich klingel immer wieder, aber nix passiert. Das Holztor daneben ist nur angelehnt und ich überlege in den Garten zu gehen. Noch warte ich, aber als ich es dann doch versuche, kommen kläffende Köter angerannt und nun weiß die ganze Nachbarschaft, dass ich hier warte.

Dieser Lärm hat aber auch meine dritte Retterin gerufen: Mailén. Hochgewachsen, kurze Haare, kluges Grinsen und immer zuvorkommend, steht sie hinter den Hunden. Ein erleichtertes Dankes-Grinsen bricht nun auch aus mir raus und sie begleitet mich ins Haus. Ob ich Essen möchte. Ich hatte aus Vorsicht vor den Grenzkontrolle alles aufgegessen und habe tatsächlich Hunger. Die kleine bescheidenen Mahlzeit die ich mir aus dem bisschen Baguette bastele, ist für mich die eines Königs.

das rettende Haus für die nächsten Tage

Wir unterhalten uns eine Weile und es stellt sich heraus, dass sie selbst oft Couchsurfing genutzt hat um Unterkünfte zu bekommen. Eine Seltenheit, denn meist machen die Leute entweder das eine oder das andere, also bieten eine Couch oder erfragen eine Couch. Sie kennt meine Seite aber ziemlich gut und zeigt sich sehr verständlich, als ich ihr Angebot, auf die Geburtstagsfeier einer ihrer Freundinnen zu gehen, ausschlage. Ich bin fertig, erzähle meine Story, beziehe mein Zimmer für die nächsten Tage. Ja, ihr lest richtig, ich hab ein eigenes geräumiges Zimmer. Mit komfortablen Bett und frischer Bettwäsche. Davor noch eine warme Dusche.

und da ist es wieder. Das Gefühl, dass eine warme Dusche und ein eigenes weiches Bett der alles erfüllende Traum sein kann. So wie Puerto Montt. Kaum habe ich mich und die Glieder ausgestreckt, holt sich der Körper die Erholung die er verdient … Vorhang zu.


Mai 12 2018

Caesar ist stark

Porto Velho

9. Mai 2018

 

Ein schrilles Pfeifen zerreißt die Stille. Stille in die ich seit zehn Minuten hineingehört habe. Immer mal unterbrochen von Flip-Flops die über Metallboden scharen. Die Stille wäre keine Stille wenn ich das laute Brummen des Schiffsdiesel noch hören würde. Doch das ist zu einem Grundrauschen geworden. Irgendwo im Hintergrund. Vor zehn Minuten hat der oder die erste an meiner Hängematten-Aufhängung gerüttelt. Unabsichtlich bestimmt. Im Vorbeigehen. Seitdem habe ich den begrenzten Ausschnitt beobachtet den ich rechts an meiner Hängematte vorbei sehen kann. Hinter der Reling liegt der Rio Madeira und Regenwald an dessen Ufer. Willkommen auf der „Almte Moreira IX“ unserem Schiff, unserem zu Hause, unseren Fenster in den Amazonas-Regenwald, unserem Bus nach Porto Velho, unserem Gefängnis und unserer Klassenfahrt.

Unser Fenster

Unser Schiff fährt dicht am Ufer, weil wir flussaufwärts unterwegs sind und am Ufer die Strömung weniger stark ist. So kann ich die vielen großen und kleinen Sträucher und Bäume gut beobachten. Mit ihren ausladenden Zweigen. Das Ufer ändert sich ständig. Manchmal kommt Schwemmland und dann tritt die Vegetation hinter riesigen Pfützen zurück. Manchmal rote Steilhänge. Manchmal stehen Holzhütten auf Stelzen mit oder ohne Menschen davor. Hölzerne Boote schaukeln in unserer Bugwelle oder fahren an uns vorbei. Die Holzboote sind ungefähr zehn Meter lang und auf der Heckreling ist ein unverdeckter Motor angebracht. Die Welle zur Schraube ist gute zwei Meter lang, sodass mensch den Eindruck erlangen kann, die Boote fahren mit übergroßen Stab-Mixern die flach ins Wasser gehalten werden.

Bei Holzhütten gibt es meist auch kleine Plantagen. Je mehr Holzhütten beieinander stehen, desto öfter kommt noch ein Sozial-Zentrum, eine Schule, ein Fußballplatz oder eine Kirche hinzu. Alles entsprechend klein, aus Holz und bunt angestrichen. Menschliche Siedlungen unterbrechen lediglich die unendliche Strecke des Regenwald-Ufers. Immer wieder schlüpfen aus den Wipfeln die langen weißen und die schnellen Blauen Vögel hervor. Die weißen stehen mit ihren langen Beinen oft am Ufer. Die grauen treten in Scharen auf und machen Lärm wie hundert ungeölte Fahrräder. Einmal lag am Ufer auch ein schwarzes Krokodil (Anmerkung: Der Autor hat keine Ahnung von Tieren und Pflanzen. Das Tier hält er für ein Krokodil, weil es halt so aussieht, wie er sich ein Krokodil vorstellt.) Aus dem kaffee-braunen Wasser des Rio Madeira taucht auch hin und wieder einer der grauen oder rosanen Flussdelphine auf.

Unsere Klassenfahrt

Schon mit Beginn der Reise merken wir, dass viele sehr gut gelaunt sind. Viele sind sehr gesprächig, sodass auch ich viele Menschen sehr schnell kennen lerne. Ein Großteil der Menschen ist auf dem Weg aus Venezuela in ein schöneres Leben in einem spanisch-sprachigen Land. So auch Kevin, mein Hängematten-Nachbar. Als er sich aus seiner Hängematte schält, werde ich erneut geweckt und mache es ihm gleich. Aufgrund der Enge geschieht das nicht, ohne dass wir uns gegenseitig wecken. Kevin ist auf dem Weg nach Peru. Er grinst fast ausnahmslos und ich habe ihn seinem Erscheinen nach auf 18 Jahre geschätzt. Tatsächlich ist er 25. Kurze schwarze Haare, langes Gesicht, dünn gebaut und flott zu Fuß. Kevin ist allein unterwegs. Wir unterhalten uns abends manchmal, von Hängematte zu Hängematte und dabei lerne ich venezolanisches Spanisch. „Pingue“ zum Beispiel ist eine starke Steigerung, die vor allem zusammen mit heiß und kalt verwandt wird. Mensch könnte es mit „bastante“ oder im weitesten Sinne mit „mucho“ gleichsetzen. Kevin ist ein wenig wie Mickey Maus‘ Goofy. So richtig scheint er keinen Plan zu haben, aber irgendwie hat er ständig das Glück, zufällig an sein Ziel zu kommen. ohne jemals wirklich traurig zu sein.

Diese ständige Freude, die Enge und die Zeit machen die Reise zu einer Art Klassenfahrt. Schnell freunden sich viele an. Da ist der Musiker, da der Draufgänger und dort der Ruhige. Einer erzählt mir, dass er drei Jobs in Venezuela hatte, von dessen Einkommen er sich im Monat gerade mal ein Huhn leisten konnte. Ein anderer fordert, dass der Bolivar, die venezolanische Währung, mit dem US-Dollar gekoppelt wird, damit die Hyperinflation ein Ende hat. Sie vereint die Flucht und das Wissen, dass Venezuela nicht so schnell stabil wird. Die nächsten Wahlen sind keine echten Wahlen, meint der eine. Wenn Maduro nicht gewinnt, gibt der Gewinner seine Macht an Maduro ab. Das Land hätte keine andere Wirtschaft außer die Erdöl-Industrie. Das macht die Situation zu einer Katastrophe. Hector erzählt, dass er zwei Töchter und eine Frau zu Hause hat. Er möchte in Peru arbeiten und diese versorgen oder nachholen.

Joseph, Caesar und Ramon reisen zusammen und möchten von Argentinien aus ihre Eltern und Geschwister unterstützen. Caesar ist 27, vielleicht 1,70m groß, ärmelloses türkises T-Shirt, muskulös gebaut. Caesar ist nicht ganz so überschwänglich und erklärt mir, dass Venezolaner*innen auch dann freudig sind, wenn ihnen grad was schlechtes widerfahren ist. Caesar hat Informatik studiert und einen Bruder in Buenos Aires. Sein Traum ist es, ein eigenes sicheres und freies Betriebssystem zu programmieren, dass viele verwenden. Er ist Fan von freier Software wie Linux. Wir können uns viel unterhalten und ich lerne dabei zusehend spanisch. Es ist hart. Den Satz „Kannst du es nochmal langsam sagen“ kann ich auf spanisch mittlerweile auswendig. Ich erzähle viel von unserer Reise, unseren Vorhaben, meinem Leben in Deutschland. Er ist sehr interessiert. Hinter den freudig-freundlichen Gesichtern vermute ich aber auch eine traurige Seite. Ich kann es mir schwerlich ausmalen, dass so viele Menschen so beschwingt ihr Land verlassen. Umso schöner, dass sie es mit Leichtigkeit machen. Ob er eine Freundin hat, frag ich Caesar.

Ja und Nein, sagt er.

Pause.

Ja, aber wir machen grad eine Pause, solange wie ich unterwegs bin.

Es klingt aufrichtig, aber nicht mehr so sorgenlos.

Unser Schiff – unser zu Hause – unser Gefängnis

Der Pfiff hat uns zum Frühstück gerufen. Vor dem Eingang in den Essensbereich steht schon eine Schlange. Ich reihe mich ein und schau mich wartend um. Das erste Obergeschoss ist im vorderen Bereich Stauraum und in der hinteren Hälfte der Hängematten-Bereich. Dieser Bereich ist auch überdacht durch den 2. Stock. Am Heck befindet sich, durch ein Plastikgitter abgetrennt, der Essensraum. Unten stehen noch mehr Sachen, die transportiert werden, wie beispielsweise, Farbdosen, Para-Nüsse oder Holzkohle. Vor allem aber stehen dort Autos. Auf dem obersten Deck gibt es eine überdachte Fläche mit Stühlen, ein Kiosk mit Fernseher, der Crew-Bereich und natürlich die Brücke. Sogar auf dem obersten Dach transportieren wir Materialien, wie beispielsweise Stühle. Auf dem Vorschiff ist alles verdeckt durch Planen, bis auf die Fahrräder und Stühle. Die Brücke ist sehr eng und gesteuert wird mit einem historisch wirkenden roten Steuerrad. Schon die Gesamterscheinung des Schiffes mutet historisch an. Besonders die anderen hölzernen Varianten dieser Schiffe, die wir öfters sehen, geben den Eindruck, dass schon im 19. Jahrhundert diese auf den Flüssen unterwegs waren.

Nach und nach dürfen wir in den Speisesaal, und wenn Menschen fertig gegessen haben, werden neue eingelassen. Ich lasse mir etwas vorgesüßten Kaffee in den Plastikbecher und zwei süße Milchbrötchen. Nach ein paar Tagen gibt‘s keine Brötchen mehr, dann gibt‘s kleine Kekse. An langen steinernen Tischen, nehme ich auf einen der weißen Plastikhocker platz. In den Margarine-Schachteln stecken Messer, mit dem ich die Brötchen aufschneiden und mit der salzigen Margarine bestreichen kann. Das ist das Frühstück hier an Bord.

Auf dem Rückweg schlängele ich mich an wartenden Menschen und Hängematten vorbei. Gute 50 Hängematten in allen Farben gibt es hier. Die meisten aus Stoff und nicht so billiger Plaste-Kram wie unsere. Wir glauben nicht, dass wir sie mehrmals brauchen, aber für das Schiff ist eine Hängematte unerlässlich. Die Hängematte hängen quer zum Schiff und überlappend passen drei nebeneinander. Mein Tag beginnt mit der Naht-Kontrolle. Jedes Mal wenn ich mich in die Hängematte setze, macht sie ein Geräusch, als wenn gleich Nähte reißen. Deswegen das Sicherheitsritual nach dem Frühstück. Auch tagsüber verbringe ich und viele andere ihre Zeit in der Hängematte. Lesen, schlafen, Musik-hören, Podcast-hören, unterhalten. Bei fünf Tagen die das Schiff braucht, haben wir viel Zeit für alles mögliche. So nähe und lese ich viel, was ich sonst nicht machen würde. Eingezwängt zwischen vielen Menschen, ohne Privatsphäre und kaum Raum in dem ich mich bewegen kann. Es hat auch etwas von Gefängnis.

Unser „Bus“ nach Porto Velho

Unser Weg führt von Manaus nach Porto Velho. Etwas den Amazons runter und dann rechts abbiegen in den Rio Madeira. Eine andere Verbindung über Land als das Schiff gibt es nicht. Es gab und gibt Planungen über eine Straße, aber diese ist wieder zugewachsen. Die Transamazonica soll Höhe des Äquators vom Atlantik bis zum Pazifik reichen. Sie würde auch Manaus und Porto Velho verbinden. In Brasilien heißt sie BR-319. Die anderen Länder neben Brasilien befürchten den brasilianischen Einfluss, sodass sie nicht ganz so eifrig hinter dem Projekt stehen. Aber auch indigene Völker und Umweltschützer protestieren, teils mit Besetzungen. Bis nach Manaus und damit ein erhebliches Stück ist schon fertiggestellt. Das Stück nach Porto Velho und weiter Richtung Grenze ist allerdings überwuchert und wurde nicht komplett asphaltiert. Sollte die Straße zukünftig Städte an das Straßennetz verbinden, würde das deren Wirtschaft unterstützen. Diese besteht aber zu nicht unerheblichen Teilen aus der Forstwirtschaft, der Landwirtschaft und dem Bergbau. Alle drei reduzieren den Regenwald schon jetzt nachhaltig, sodass im Bundesstaat Rondonia, wo wir hinfahren, ein Viertel des Waldes abgeholzt ist. Die Rohstoffe gehen oft nach Europa. Die Landwirtschaft produziert vor allem Soja, das Haupt-Futter in der industriellen Massentierhaltung. Für neue Felder wird Regenwald abgebrannt oder abgeholzt.

Schon jetzt hat Brasilien entlang der Transamazonica eine Blutspur gezogen. Mindestens 9 indigene Völker wurden ganz oder fast vollständig umgebracht. Da die Völker nicht gegen die selben Krankheiten immun sind, wie die zugewanderten Europäer*innen, wurden vielen der Völker bspw. mit Windpocken vergiftete Geschenke gemacht. Eine Windpocken-Pandemie tötete dann das indigene Volk. Erst spät wurde das europäische Märchen vom nahezu unbewohnten Regenwald widerlegt. Von den ehemals fünf Millionen Indigenen im Amazonas-Regenwald gibt es heute nur noch ca. 300.000. Viele werden noch heute diskriminiert oder durch Holzfäller und Bauern vertrieben. Die übrigen unkontaktierten Völker im Regenwald verhalten sich oft sehr aggressiv gegenüber Fremden, weil der mörderische Umgang der europäischen Nachfahren mit ihnen bekannt ist. Hätte es eine Busverbindung über die Transamazonica für uns gegeben, ich hätte mir sehr schwer getan, diese zu nutzen.

Porto Velho kommt

Zurück aufs Schiff. Wir halten an Tag 4 für ungefähr acht Stunden in Humaitá, wo etwas Ladung und vor allem Brasilianer*innen von Bord gehen. Mittlerweile nimmt das Langeweile-Gefühl zu und das Essen bleibt einseitig. Reis, Spaghetti, Bohnen und gekochtes Fleisch. Mittags und Abends. Jeden Tag. An einigen Tagen wird zusätzlich gegrillt auf dem Oberdeck. Ich unterhalte mich mit Ramon und frage ihn nach den Holzhaus-förmigen Booten, die vor jeder noch so kleinen Siedlung liegen. Es sind Baggerschiffe, sagt er. Später sehe ich auch größere im Fluss. Mittels einer Pumpanlage wird der Fluss-Schlamm angesaugt und über breite Holzrinnen geleitet. Dort soll sich das gesuchte und schwerere Gold ablagern. Vermutlich unter dem Einsatz des giftigen Quecksilbers, das die Arbeit effektiver macht.

An Tag 5 ist es endlich so weit. Agraranlagen werden sichtbar. Eine große Brücke und Hochhäuser kommen ins Blickfeld. Wir sind glücklich, weil bald können wir das Boot verlassen. Alle packen. Wir auch. Wir verabschieden uns von unseren neuen Freunden und wünschen uns gegenseitig viel Erfolg auf unseren neuen Wegen. Ich tausche mit Caesar Kontaktdaten und muss an unseren letzten Abend denken.

Er erzählte von seinen Eltern, die ihn ungern gehen ließen. Er selber würde nicht so viel an zu Hause denken und meint, seine Eltern seien halt sentimental. Er verkauft sich als stark, aber ich empfinde Mitgefühl. Es ist diese Stärke, die die andere Schwäche ausgleichen soll. Er erzählt, dass er seinen Eltern nicht gesagt hat, dass er mit Karten-Tricks in den Straßen Geld hinzuverdient hat. Touris seien sehr leichtgläubig. Dadurch konnte Caesar sich schickere Kleidung und Schuhe kaufen. Er und ich führen den herumstehenden Menschen unsere Karten-Tricks auf. Nachdem die meisten sich schlafen gelegt hatten, um bis zum 6-Uhr-Pfeifen zu schlafen, sitzen Caesar und ich noch unter dem imposanten Sternenhimmel, der durch keine Stadtlichter beeinträchtigt wird. Wir sprechen über die ungerechte Welt. Dass Touris immer höhere Preise zahlen und das Latinos/as immer Preise unter den angezeigten verhandeln können.

Dann zeigt er mir ein Photo auf seinem Handy.

Völlig ungefragt.

Seine Freundin.

und seine Augen verraten mir, dass auch der starke Caesar nicht nur stark ist.