Nov 29 2018

Bei Magellan und Humboldt

Von Karl

 

Auf nach Chiloé

Über einen Betonkai schleicht der Bus, setzt an und fährt die Fährrampe hinauf und kommt am anderen Ende der  zum Stehen. Ich steig aus und schon beginnt die Fähre abzulegen und hebt die Heckklappe an. Die Sonne neigt sich zum Horizont. Der Wind pfeift eisig und kalt über die glatte See. Flach liegt sie da. Flach und grün, die Küste vom Festland und gegenüber, hinter dem Vorhang eines Regenschauers, die Küste der Insel Chiloé. Als wenn sie ruhig und stumm ist. Voller spannender Geheimnisse. Wie ein*e Seefahrer*in. Ohne viele Worte, doch voller Erlebnisse und Geschichten.

Die steife Brise trägt Tröpfchen mir ins Gesicht. Auch wenn es äußerlich kalt ist, so strahlt doch irgendwie die Begeisterung über die raue Natur in mir. Doch nach einer Weile wird mir ziemlich kalt und ich geh dann doch lieber in den warmen Bus. Der hat zum Glück Fenster.

Ich bin nun also auf der Insel Chiloé. Sie ist zehn Mal so groß wie Rügen, hat aber nur ein fünftel so viele Einwohner*innen pro Quadratkilometer. Besonders der südwestliche Teil ist so gut wie unbesiedelt. Es gibt zwei „größere“ Städte mit 27.000 Menschen in Ancud, ganz im Norden, und 41.000 Menschen in Castro, ganz im Osten der Insel.

Der einzig verlässliche ständige Zugang zur Insel führt über die Fähre zwischen Pargua und Chacao, ganz im Nordosten. Andere Fähren fahren nur selten. Buslinien von und auf die Insel gibt es auch nur über diese Fähre. Es wurde zwar mit dem Bau einer der weltgrößten Hängebrücken begonnen, jedoch später wurde das Projekt wieder aufgegeben.

Ich steige in Ancud aus und beginne etwas durch die Straßen zu schlendern. Die Wege sind feucht und nass. Die Häuser aus Holz und einfach gehalten. Reichtum gibt es hier nicht. Große Shopping Malls gibt es nicht mehr und die günstigen Supermärkte sind namenlos. Unter wenigen diffusen Straßenlaternenlicht begebe ich mich nach einer Weile auf die Suche nach meiner heutigen Unterkunft. Wir hatten uns auf 21 Uhr verabredet. Die Stadt ist sehr hügelig und manche Straße verlässt ihren Asphalt und wird schlammig. Ich sehe kaum Menschen oder Autos.

Seit längerem sortieren sich Straßenzüge in etwa so, dass meist die hunderter zwischen zwei Blöcken sich befinden, dass heißt nach der Kreuzung beginnt der nächste Hunderter. Wenn ich also vor Hausnummer 332 stehe, dann kommt nach der nächsten Kreuzung mindestens die Nummer 400 oder 299. Manchmal sind auch die geraden Nummern auf einer Seite und die ungeraden auf der anderen. Ich orientiere mich aus Erfahrung und gelange an das Ende der Straße. Dort liegt eine kleine Polizeikaserne und ich frage, ob sie meine gesuchte Hausnummer kennen. Ich werde direkt zum Chef gebracht, aber der denkt, ich suche eine Unterkunft und zeigt auf die angrenzenden unbeleuchteten Cabañas (Bungalows). Heute also kein Freund und Helfer. Der Wachpolizist vor der Baracke zeigt mir dann auf seinem Handy wo mein gesuchtes Ziel liegt. Irgendwie hatte ich es schon gerochen, dass hier andere Nummerierungsregeln herrschen.

Maria und Matias

Maria macht mir die Tür auf und ich betrete das wohlig gewärmte Haus. Auch ihr Freund Matias begrüßt mich sehr freundlich. Wir fangen direkt an alles zu teilen und sie öffnen eine Flasche guten chilenischen Wein. Salzkekse, Käse, Hummus, … ein Träumchen sag ich euch. Auch sie heizen die zwei Stockwerke ausschließlich mit dem Ofen in der Küche. Nebenan hacken die beiden ab und zu das Holz dafür. Es ist halt die günstigste Möglichkeit und das Holz kommt mit dem LKW zur Haustür. Alle Häuser auf Chiloé sind aus Holz und werden damit geheizt. Was sonst. Sie sind nicht die reichsten und irgendwann tropft es von der Decke.

Wir kommen sehr gut ins Gespräch. Beide sind sehr belesen und können über Mistral und Neruda streiten. Maria und ich bevorzugen Neruda, Matias Mistral. Beide sind auch Mitglieder der jungen Partei „Revolución Democratica“ (demokratische Revolution) und bekennende Sozialist*innen. Die junge Partei entstand 2011/12 aus den starken Bildungsprotesten in Chile, die bis heute eine kostenfreies Bildungssystem fordern. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2017 war sie Teil der „Frente Amplio“ (breite Front), einem Zusammenschluss verschiedener linker Parteien um eine eigene Kandidatin (Beatriz Sánchez) nach vorn zu bringen. Völlig unerwartet erreichte das Bündnis über 20% und verpasste damit die Stichwahl nur um 2,5%. Trotzdem sind sie nun mit 20 Abgeordneten im Kongress vertreten und stellen den Senator in Valparaiso. Die meisten Stimmen für die Frente Amplio holte die Revolución Democratica.

Maria ist deswegen besonders stolz und war sogar Wahlkampfmanagerin für zwei Kandidat*innen in Santiago. Zur Zeit ist sie so was wie die innerparteiliche Juristin und kann entspannt von zu Hause aus z.B. Schiedsgerichtsfragen klären. Gewonnen hat die Wahl der rechts-konservative Präsident Sebastián Piñera, den wir ab der zweiten Flasche Wein nur noch „den Clown“ nennen. Der bringt das Land zwar nicht nach vorne, aber macht auch nur irgendwelchen populistischen Schnickschnack. So gilt seit März eine Begrenzung von maximal 2 Plastiktüten pro Einkauf. Das ist ja ganz cool, aber es kann nicht kontrolliert werden. Und ansonsten gibt es kaum ökologische Bestrebungen. Der Bergbau als wirtschaftlicher Motor des Landes, sucht immer neue Ressourcen und natürlich wird auch auf Chiloé gesucht. Aber die Chilot*innen gelten als strikte Umweltverteidiger*innen, sodass größere Eingriffe in die Natur zu massiven Protesten führen würden.

So erklärt mir Matias, dass eine gelb-blühende Pflanze auf Chiloé sich invasiv ausbreitet und dabei andere Pflanzen durch ihre Wurzeln killt. Sie sieht tatsächlich sehr hübsch aus, aber ist dummerweise eine Gefahr für die Natur der Region. Ähnliches gilt für die industrielle Lachs-Produktion. Immer wieder brechen Lachs-Schwärme aus ihren Aufzucht-Gefängnissen aus und bedrohen die vielfältige Meeresflora. In dem Zusammenhang steht auch die invasive Ausbreitung einer roten Alge in allen Gewässern rund um die Insel.

Blick von Ancud; hinten: eine weitere Insel; vorne rechts: die invasive Pflanze

Als wir wieder über den Clown sprechen, meinen sie, dass die wirkliche Gefahr in Lateinamerika bald von Jair Bolsonaro ausgeht. Der frisch gewählte brasilianische Staatspräsident bedient die faschistische Klaviatur und ist in seinem Populismus mit Trump zu vergleichen. Er befürwortet die Militärdiktatur, hetzt gegen Frauen, Homosexuelle, die freie Presse, Schwarze und beabsichtigt Klima- und Umweltschutzmaßnahmen komplett zurück zu nehmen. Was das bedeutet, wird die Welt nun ab dem 1. Januar 2019 sehen, wenn er dann sein Amt antritt.

Mittlerweile ist es schon 3 Uhr nachts durch und der Wein alle. Nachdem wir diskutiert haben, ob wir angesichts des Klimawandels noch warten können bis sich der oder die letzte freiwillig entschieden hat, ob er vielleicht auf eine Plastiktüte verzichten mag, oder ob es unpopuläre Methoden bedarf … gehen wir dann ins Bett.

Ancud und 1960

Ich nutze den schönen neuen Tag um Ancud etwas zu erkunden. Tatsächlich erscheint mir die Stadt wie Warnemünde im Frühling. Der stete Wind treibt die Wellen gegen die Wasserkante. Immer wieder speit dann eine Welle über den Betonmauer. Es ist grad auflaufende Flut. Die flachen bunten Häuser liegen geduckt in dem grün der Hügel. Das Zentrum am Wasser wird grad neu gestaltet und ist deshalb als Baustelle gesperrt. Es gibt noch ein altes spanisches Fort, aber das eigentlich bedruckende ist die Landschaft außenrum. Ein versteckter Strand, die Bucht, das ständige Grün (mit gelben Punkten), die Muschel-Wege, … Ja tatsächlich wurden manche Wege einfach aus Muscheln gemacht. Im Zentrum gibt es einen traditionellen Markt in einer neu gestalteten Halle. Hier gibt es Muscheln, Algen und andere Wasser- und Waldpflanzen in Unmengen. Bei 95% kann ich nicht sagen, was das ist, oder wozu das gegessen wird. Es gibt auch eine Sonderart des Knoblauchs. Die Zehen sind gut dreimal so groß wie gewöhnlich und die Knollen machen locker den Zwiebeln Konkurrenz. Auf einen ersten flüchtigen Blick sieht mensch dann auch nicht unbedingt, dass es Knoblauch und keine Zwiebel ist.

Überall hängen Plakate, wie auch schon in Puerto Montt, dass bald eine Erdbeben– und Tsunami-Übung bevorsteht. Alle sind aufgefordert an der Übung teilzunehmen. Es werden schon Regionen definiert, die besonders von der Übung betroffen sind. Eigentlich alle, die von einem größeren Tsunami überschwemmt werden könnten. Ich verlasse die Insel leider kurz vor der Übung in den nächsten Tagen. Solche Übungen haben für die Region eine besondere Bedeutung.

1960 kam es in ganz Süd-Chile, mit dem Epi-Zentrum bei Temuco, zum größten je aufgezeichneten Erdbeben der Welt. Mit 9,5 auf der Richter-Skala kam es zu katastrophalen Zerstörungen. Ein bis zwei Millionen Chilen*innen wurden obdachlos, was ca. ein Viertel der gesamten Bevölkerung war. Erdbeben dauern normalerweise nur wenige Sekunden, doch dieses hielt ganze fünf Minuten an. Der ausgelöste Tsunami erreichte eine Höhe von 25 Metern. Die Bucht von Valdivia war für eine Stunde trockengelegt, weil sich erst das Wasser zurückzieht bevor die Welle kommt. Der Tsunami erreichte noch in Hawaii 11 Meter und tötete noch über hundert Menschen in Japan. Selbst erdbebensichere Gebäude hielten den Erschütterungen nicht stand. Auch Vulkanausbrüche wurden ausgelöst und die Küstenlandschaft hat sich mancherorts erheblich verändert.

Bild aus dem Regionalmuseum in Ancud: Meerbeben 1960, Am Donnerstag den 22. Mai 1960 um 15:11 Uhr …

Vor der Küste Chiles schiebt sich die ozeanische Platte unter die kontinentale Platte, wodurch es die Vulkane, Erdbeben, Tsunamis und Anden überhaupt gibt. Bei dem „großen Chile-Erdbeben“ wurde ruckartig ein 200 Kilometer breiter kontinentaler Block 20 Meter nach Westen bewegt und angekippt. Die extreme Energie die durch das Beben freigesetzt wurde, führte auch dazu, dass sich die Erdachse um drei Zentimeter verschoben hat. Ich bin ganz froh, dass ich hier kein Erfahrungsbericht dazu niederschreiben kann.

Maria allerdings kann von einem Beben und Tsunami in Valdivia berichten. Tatsächlich ist sie auch nicht die erste, die mir davon berichtet Beben erlebt zu haben. Es gehört zum Leben der Menschen in Chile dazu, wie es für uns normal ist, dass es mal schneit. Bei ihr aber ist es besonders interessant, weil tatsächlich die Familie des Cousins evakuiert wurde, dann später ihr Haus nicht mehr vorfinden konnte, weil es der Tsunami mitgerissen hat und deshalb für eine Weile in dem Haus von Marias Familie in Santiago leben musste.

„Kaum zur Macht sie sind gekommen, mit dem Pinguinen sie sind geschwommen“ (Zitat Ken der Guru, siehe Känguru-Offenbarung)

Deutlich friedlicher geht es dagegen am Strand von Puñihuil zu. Einem beschaulichen Traumstrand im Nordwesten der Insel. Vom Regionalbusbahnhof in Ancud fahren nur wenige Busse, aber für die handvoll Touris sogar vier Mal am Tag ein Bus nach Puñihuil. Am breiten und weiten Sandstrand warten schon die Touranbieter*innen. Der Ort ist der einzige in der Welt wo Humboldt– und Magellan-Pinguine gemeinsam brüten. Um das touristisch zu erschließen, haben die Fischer*innen des Strandes eine Art Genossenschaft gebildet und bieten gemeinsam die gut halbstündigen Rundfahrten an. Auf einem speziellen Gefährt werden wir dann trockenen Fußes zu einem der Boote gebracht, die dann um die vorgelagerten Inseln tuckern.

Und tatsächlich, da wackeln sie, die kleinen Pinguine. Viel kleiner als ich gedacht hatte und mit hängenden Kopf schwanken sie über ihre kleinen felsigen Inseln. Die Felsinseln ragen hoch heraus und oben drauf, auf der Wiese, sollen sie brüten und leben und kommen lediglich die schmalen Pfade zum Futtern nach unten. Manchmal ganz allein, oder zu dritt, je nachdem.

Ich bin schon etwas beeindruck, sind es doch die ersten Pinguine die ich sehe und tatsächlich leben sie nicht nur in der Antarktis, sondern auch schon viel weiter nördlich. Sie sind deutlich weniger agil als die ganzen Zeichentrick-Held*innen in den Kinos der letzten Jahrzehnte. Sie gelten übrigens als sehr neugierig und haben kaum Scheu gegenüber Menschen, sodass Annäherung auf wenige Meter sie in ihrem Lebensraum kaum beeinträchtigt.

Doch nicht nur die Pinguine genießen die Abgeschiedenheit hier. Auch eine Gruppe brauner Robben chillt in der Sonne und guckt uns ganz gelangweilt an. Vielleicht kennen sie das Boot schon zur Genüge, denn es kommt ja drei mal täglich. Uns werden noch weitere seltene Tiere gezeigt, wie z.B. Pelikane und eine graue Ente, wo ich aber schon vergessen habe, warum die so besonders ist.

Alles ist an dem Ort gut abgestimmt und sobald das Boot zurück am Strand ist, kommt auch schon der Bus, der den Großteil der Touris einsammelt. Ich entscheide mich aber für eine Wanderung in die Umgebung. Schnell erreiche ich einen höheren Punkt und erlange einen spannenden Ausblick über die kaum berührte Natur. Der einzige Weg ins Hinterland verbindet nur alle paar Kilometer einen Bauernhof, die Teils nur aus Wellblechverschlägen bestehen.

Nach einer guten Stunde erreiche ich die andere Seite der kleinen Halbinsel und setze mich vom Atem beraubt hin: Es ist die komplette Einsamkeit. Die Natur der Küste und ich. Niemand anderes. Die Küstenkordillere ist vom wilden Pazifik zu einer Steilküste abgearbeitet worden. Grün hügelt sich die Insel, begrenzt von dunkelbraunen Fels, schwarzen Kies-Strand und umspült von dunkelblauen Wasser. Es ist wie eine übergroße Malerei, die einem ermöglicht über Stunden immer neue Details zu entdecken. Noch lange beobachte ich, wie das Meer über die Felsen faucht und wie ein flüssiger Geist versucht, die Küste hochzuklettern. Immer wieder greifen die großen Wellen über die Felsen auf den Strand, rutschen aber dann doch wieder zurück ins Meer. Hier bin ich soweit weg von jedem Menschen, dass es vielleicht der beste Ort ist um zu Philosophieren, den Sinn der Reise zu diskutieren oder gar ein Gedicht zu schreiben.

Dieses könnte ich dann auf dem Rückweg den vielen Kühen, Pferden, Hunden, Schafen, Vögeln und Hühnern vorstellen. Am Traumstrand zurück, warte ich dann einfach auf den Bus und schaue den Bootstouranbieter*innen beim Federballspielen zu. Ihr Job bietet offensichtlich auch viel Freizeit. Irgendwann kommt der Bus. Dieser fährt direkt auf dem Strand entlang, durchquert ein breites Flussbett mit Anlauf und nimmt dann die Schlängel-Straße zurück nach Ancud.


Nov 27 2018

Erst Obdachlos und dann Traumlagune

Von Karl

 

Noch vor meiner Abreise aus Temuco wurde mein folgendes Unterfangen als irrsinnig eingestuft. Ich wollte eine SIM-Karte in Santiago abholen, um an alle meine Kontakte zu kommen, und bin dafür über Nacht nach Santiago gefahren um dann wieder über Nacht nach Puerto Montt zu kommen. Also ein längeres Unterfangen. Die Post bräuchte für den Postdienst wohl nur einen halben bis ganzen Tag, so erfahre ich kurz vorher. Hätte ich doch einfach darum gebeten den Brief abzuschicken. Naja. Warum ich die chilenische Post nicht so gut eingestuft habe, weiß ich gar nicht. Nun ist es einmal so. Leider musste ich auch feststellen, dass die Busse an Feiertagen doppelt so teuer sind, als sonst. So bezahle ich für 8 Stunden Busfahrt das Doppelte im Vergleich zu 15 Stunden am nächsten Tag.

Meine neue Couchsurferin in Puerto Montt hatte mir geschrieben, dass 11 Uhr frühs eine gute Zeit ist um bei ihr anzukommen, also suche ich eine Verbindung, die mich um 8 Uhr frühs in Puerto Montt rauswirft. Mit möglicher Verspätung und Gehweg sollte dies also klappen. Mitten in der Nacht bleibt nun der Bus für mehrere Stunden stehen und ich seh‘s schon kommen, dass wir alle umsteigen müssen. Doch er fährt dann weiter und wir kommen mit einiger Verspätung an. 10:40 Uhr starte ich am Busbahnhof meine Wanderung zum Haus der baldigen Unterkunft. Leider schaffe ich es erst 11:10 am Haus zu sein … und es ist niemand da. Eine ruhige Einfamilien-Nachbarschaft am Ende einer kleinen Sackgasse. Ich stell den Rucksack ab und warte.

Sollte sie nun auf Arbeit sein, wäre es natürlich viel Zeit die ins Land geht, wenn ich warten würde bis zum späten Abend. Ich bringe meinen Rucksack also in die äußerste Ecke der kleinen Hofeinfahrt, decke ihn ab, schreibe einen kleinen Brief an meine Gastgeberin, schiebe den unter der Tür durch und schließe mit einer Kette aus dem Hof meinen Rucksack an einer Leitung fest. Nicht, dass er trotzdem ausgeraubt werden könnte, aber die Gegend erscheint mir sehr friedlich. Ich befürchte nix.

Also auf geht‘s, die Stadt erkunden. Nach nur wenigen Metern bleibe ich vor einer kleinen Bäckerei stehen und schau mich mal um. Ein Drittel der Auslage ist Kuchen, der auch so genannt wird. Der Plural ist „Kuchenes“. Tatsächlich sieht er aus wie gewöhnlicher Blechkuchen vom Geburtstag meiner Oma. Ich nehm‘ ein Stück und bekomm tatsächlich ein schönes großes Stück eingepackt. Gleich unten am Wasser werde ich mir das zu Gemüte führen. Lecker Streusel mit Waldfrucht und Pudding. Na, Hände hoch, wer will ein Bissen?

Der Strand besteht aus vielen großen runden Steinen, die von Muscheln, Moos, Algen und Möwen übersät sind. Neben ein paar bunten Fischereibötchen schauen mir ein paar alte Männer hinterher. In diesem Stadtteil kommen vermutlich keine Touris. Der Strand geht in einer Mole über auf der eine Straße einen Halbbogen um die Bucht macht. Das Wasser liegt kühl und ruhig da. Obschon die Stadt nicht die allerkleinste ist und zeitweise viele hin- und herwuseln, wirkt sie doch sehr friedlich. Immer wieder kommt die Sonne und dann ein Regenschauer. Sie wissen noch nicht wer heute das Wetter prägen soll.

Puerto Montt bietet eine unsichtbare Grenze in Chile. Ist der Süden sowieso arm und dünn besiedelt, so ist er südlich noch viel weniger besiedelt und erschlossen. Die Anden beginnen sukzessiver kleiner zu werden und das Tal zwischen Küste und Anden geht hier direkt ins Wasser über. Nun bleiben nur noch Inseln vor der Küste, die die Überreste der Küstenkordillere sind, bevor sie ganz versinken. Die Insel Chiloé ist die letzte große Landmasse dieses kleinen Gebirgszug am Wasser, der nur wenige hundert Meter hoch wird.

Buchtform von Puerto Montt wird auch durch eine kleine Insel geprägt, die südöstlich und seitlich vorgelagert ist und so nah am Festland sich befindet, dass mensch immer um die Ecke ein Zusammenfließen der beiden Landmassen vermutet. Bei schönen Wetter lassen sich in der Ferne ganze Gruppen weißer Gipfel in den Anden entdecken. Sie sind zwar deutlich kleiner, aber durch das kühlere Klima beginnt die Schneegrenze auch viel tiefer als beispielsweise in Nord-Chile.

Die Bucht liegt im Süden und nach Norden hin steigt die Stadt schnell an, sodass eine Anreise mit dem Bus aus dem Norden schnell einen weiten Blick über die Bucht eröffnet. Ein schöne Umarmung gleich zu Beginn. Am Wasser sind einige Hochhäuser entstanden und natürlich tummeln sich alle in der Shopping Mall die zur Zeit nochmal erweitert wird. Ist sie doch schon jetzt ziemlich groß. Im Zentrum befinden sich flachere Häuser und es offenbart sich wieder der Einfluss der deutschen Emigration. Holzhäuser, Kneipen, urige Restaurants, deutsche Vereine, etc.

Der Busbahnhof gleicht einen Flughafenterminal und vereint überregionale mit regionalen Verbindungen. Unweit gibt es auch das Büro der Fährgesellschaften, da ab hier auch einiges über Fähren abgewickelt wird. Wer also weiter in den Süden will, kommt um sie nicht herum, oder muss nach Argentinien reisen. und selbst das ist nicht ganz einfach. Ganz im Westen, hinter dem Hafen, kommt noch der große Fischmarkt mit einigen Restaurants und Handwerksläden. Aus dunkelrot-gestrichen Holz wurden zig Häuser aufgebaut, teilweise mit Stelzen im Wasser. Im Erdgeschoss ganz hinten befindet sich auch ein Markt mit Fischen und Meeresfrüchten aller Art. Die Anwerberinnen sind heute nicht so motiviert, vermutlich wegen des stetig wiederkehrenden Regens. Es liegt eine Mystik über diesen Ort, die unbeschreibbar ist. Es ist ein entspannter Ort mit verschlossenen Türen. Ein dunkler Ort mit hell erleuchteten Stuben. Ein regennasser Ort mit trockenen Gesichtern.

Nach meinem langen Rundgang durch das friedliche Puerto Montt, kehre ich zum Haus zurück und finde alles so vor, wie ich es verlassen habe. Leider aber auch keine Couchsurferin. Ich warte wieder. Ich lese etwas, mal in der Sonne mich wärmend, dann wieder unter dem langen Dach vor Regen schützend.

Ich unternehme noch eine Wanderung zu einer nahen großen Brücke, die mir einen großartigen Ausblick über einen Teil der Stadt verschafft. Noch kann ich den Ausblick genießen, aber irgendwie machen sich Sorgen breit. Ich hoffe, sie kommt noch. Aber insgeheim habe ich tiefes Vertrauen, dass ich auch heute ein warmes und trockenes Bett habe.

Kurz vor Sonnenuntergang kehre ich wieder auf ihr Grundstück zurück, aber immer noch niemand da, der oder die mir die Tür öffnen kann. Gut, es gibt die weiße Katze, die mir ihre Pfote unter dem Türspalt hindurch reicht, aber sie öffnet leider nicht die Tür. Ich lese wieder etwas. Schreibe einen Text auf dem Computer. Mach mir Abendbrot. Stunde um Stunde verrinnt und ich merke, wie dumm es vielleicht war, unendlich zu warten. Ich überlege immer mehr, die Einfahrt als Nachtlager zu nutzen und mein Schlafsack auszurollen.

Jetzt durch die Stadt zu ziehen, die jetzt kaum bezahlbare Unterkünfte bietet, scheint mir noch irrsinniger. Doch irgendwie kann ich nicht in Ruhe schlafen und so richtig warm ist es auch nicht. Die Temperaturen sind ja schon einstellig, der Boden hart und kalt. Meine Iso-Matte musste ich schon vor Wochen aufgeben, weil sie kaputt ist. Immer wenn ein Auto vorbei fährt, steigt meine Aufmerksamkeit und Konzentration auf hundert Prozent. Was war das? Hoffentlich sehen mich die Nachbar*innen nicht. Oder vielleicht doch und sie bekommen Mitleid? Soll ich klingeln, fragen? Oder sind es gar Einbrecher, die mich aus dem Weg räumen müssen. Oder ein blöder Hund, der mich anfällt. Naklar ist das Blödsinn, aber irgendwie hält mich das Gedankenkarussell wach.

Wieder ein Auto. Nachbar*innen kommen und gehen, aber diese Einfahrt bleibt unberührt. Ich habe das Tor geschlossen, damit es von außen so aussieht wie immer und keine Hunde reinkommen. Erneuter Versuch einzuschlafen. Wieder ein Auto. Ich kenne mittlerweile alle Autos aus der kleinen Straße und weiß sofort, dass dieses keine Hoffnung bringt. Ich versuch zu schlafen. Es wird auch nicht warm im Schlafsack und der Boden erweist sich schon jetzt als unangenehm hart. Doch was tun … Hätte ich doch mal in der Stadt Internet gesucht und Kontakt aufgenommen. Oder mir eine Notlösung gesucht.

Wieder ein Auto. Diesmal ein kleines rotes und hält direkt vor dem Tor. Sofort bin ich wach. Schnell bin ich in den Schuhen und geh langsam zum Tor. Blöde Situation. Ist sie das oder ist sie es nicht? Wenn ja, wie mach ich auf mich aufmerksam ohne sie zu erschrecken. Ich rufe etwas zögerlich. Als sie anfängt das Tor aufzuschieben, merke ich, dass sie mich nicht wahrgenommen hat, dabei stehe ich nur einen Meter dahinter, aber halt im Dunkeln. Sie scheint in Gedanken versunken, aber ist offensichtlich die gesuchte Bewohnerin.

Sie erschrickt. Im Nachhinein denke ich, dass ich deutlich stärker erschrocken wäre, als sie das war. Ohne großes Tamtam gehen wir – es ist schon Elf – in die Wohnung.

Ich dachte du kommst morgen?

Hä?, denke ich, wieso morgen. Mist, ich hab mich bestimmt verzählt, als ich nach einer Unterkunft gefragt hatte. Später merke ich, dass ja mein Rechner auf deutscher Zeit läuft und dort ist es bekanntermaßen später als hier, sodass, wenn ich abends suche, sich schon der nächste Tag einstellt. Also hab ich mich tatsächlich verzählt. Richtig dumm von mir.

Doch kein Problem für Nicole. Die kleine und resolute Frau, Anfang 30, zeigt mir mein kleines Zimmer und schmeißt den Ofen an. Die einzige Wärmequelle. Da mir wirklich kalt ist, freue ich mich sehr über die wohlige Wärme. Sie hat lange gearbeitet. Sie ist als Psychologin für die Mitarbeitenden-Zufriedenheit in einem Lachs-Fischerei-Konzern zuständig. Wir unterhalten uns noch ein wenig bei Wein und sie erklärt, dass zur Zeit die größte Messe der Südhalbkugel in Puerto Montt ist. Die Agua Sur. Natürlich geht es um Fischerei und da ist sie grad sehr eingebunden und muss auch morgen viel arbeiten.

Als ich an diesem Abend frisch geduscht, in ein trockenes, weiches und bald warmes Bett steige, freue ich mich umso mehr darüber. Nur fünf Meter entfernt, lag ich noch wenige Stunden zuvor und war bitterlich von mir enttäuscht. Doch das Glück kam ganz am Ende doch noch. Wie ein Happy End.

 

Nichtsdestotrotz bleibt die Moral der Geschichte, dass das Glück nicht unbedingt herausgefordert worden sollte. Auch am nächsten Tag werde ich enttäuscht. Ich habe erfahren, dass es kostenlose Busse zur Messe gibt, die ich mir gern anschauen möchte. Ich erfahre, dass sie stündlich die verschiedenen teuren Hotels der Stadt anfahren. Doch jedes Mal wenn ich zur gegebenen Uhrzeit warte, kommt der Bus nicht. Warum, kann ich mir nicht erklären. Später sage ich Nicole, dass die Busse vermutlich unsichtbar sind. Ich ziehe es vor, das warme Zuhause zu genießen, doch meine Feuerkünste lassen zu wünschen übrig. Tja, ist halt kein Heizkörper mit Thermostat und ich nicht auf einem Bauernhof mit Feuerheizung aufgewachsen.

 

Auf Nicoles Anraten mache ich einen Ausflug nach Frutillar und Puerto Varas. Beide liegen am Lago Llanquihue, einem großen See nördlich von Puerto Montt. Seine Hauptattraktion: Von den beiden Orten aus liegen die großen weißen Vulkankegel genau gegenüber und spiegeln sich im stillen See. Doch nicht nur das, sie sind auch das Herz der ehemals deutschen Immigration. Feuerwehr, Kuchen, deutsche Schule.

Irgendwie passt das Bild Frutillars auch zu einem bayerischen Bergsee. Als die Schüler*innen aus der deutschen Schule kommen, tragen sie – wie in Chile üblich – ihre Schuluniform, nur diesmal mit schwarz-rot-goldenen Streifen auf der Krawatte. In Fruttilar gibt es auch ein Museum der deutschen Kolonisierung. Es wirkt doch irgendwie befremdlich. Doch viel zu entdecken gibt es schlussendlich dann nicht, bis auf die ganze Deutschtümelei. Zurück in der Wohnung trinken wir mit dem Nachbarn noch ein Glas Rotwein und so erfahre ich, dass ziemlich viele in der Region in der Lachs-Industrie arbeiten. Es scheint ein wichtiges wirtschaftliche Standbein zu sein.

(warum wir immer Wein trinken? … einige Chilen*innen sind sehr stolz auf den chilenischen Wein)

Teil des Museums zur deutschen Kolonisierung, Frutillar

 

Am nächsten Tag, der auch mein letzter in Puerto Montt ist, ist dann Wochenende und wir unternehmen einen Ausflug mit einer Freundin von ihr. Die Saltos de Petrohué sind unser Ziel. Saltos meinen oft Wasserfälle. Touristisch gut erschlossen, können wir über Holzwege sehr nah rangehen. Es sind nun keine hohen oder großen Wasserfälle, aber es sind – und das lässt sich nicht immer sagen – äußerst beeindruckende. Das wuchtige hier, sind die türkisen Wassermassen die das kleine Tal entlang preschen. Sie stieben auseinander um im nächsten Moment wieder zu einem reisenden Strom zusammenzufallen. Es ist gewissermaßen die Rafting-Super-Klasse, nur dass der Versuch als Suizid einzuordnen wäre. Den äußerst wilden Wassermassen trotzen grüne Ränder und Bäume auf den tiefschwarzen Steinen. Es ist ein magisches Schauspiel. Als wenn sich alles in Bewegung gesetzt hätte. Und doch bleiben ja die Steine wo sie sind, aber dass sie der Wucht des Wassers standhalten, scheint wundersam zu sein. Am Ende so manches kurzen Falls, scheint das türkise Becken zu kochen. Doch vermutlich ist das Wasser frisch geschmolzener Gletscher. Was das ganze Bild umso schöner macht: Ganz in der Nähe erhebt sich der Vulkan Osorno. Majestätisch und makellos beginnt der Kegel direkt neben dem Fluss und die Sonne wird vom vielen Schnee prächtig reflektiert. Nicole fordert mich auf weiter zu gehen.

Wir erreichen noch einen Weiler, der auch Filmkulisse sein kann. Ein idealtypisches Becken, mit lauter grünen Bäumen außenrum, ein kleiner Sandstrand, klares Wasser, auf der anderen Seite ein kleiner Wasserfall und alles völlig einsam und unberührt. Es ist faszinierend, aber genau so stelle ich mir die ideale Lagune vor.

Mit diesem Eindruck im Gepäck bringen die beiden mich noch zum Busbahnhof.


Nov 25 2018

Einmal um die Welt

Von Karl

 

Deutsches Temuco

Je länger ich durch Temuco wandele, desto mehr bekomme ich den Eindruck, ich bin einmal um die Welt gereist und nun von der anderen Seite nach Deutschland wieder eingereist. Ich will erklären wieso.

Mit der Ankunft in Temuco erreiche ich auch deutlich eine Klimazone, die der in Mitteleuropa entspricht. Vom Breitengrad ist Temuco zwar soweit vom Äquator entfernt wie das italienische Palermo oder das spanische Mérida oder das griechische Patras. Nur das Europa unter dem Einfluss des wärmenden Golfstroms steht, während Chile durch einen kalten Antarktis-Strom beeinflusst wird. Orte in Chile die näher am Äquator liegen sind klimatisch vergleichbar mit Orten die in Europa entfernter sind vom Äquator.

In Temuco blühen die Frühlingsbäume, das Gras sprießt und es duftet nach Sonne kurz dem letzten Regen. Die Häuser bekommen spitzere Dächer und sind weitgehend aus Holz. Mir erscheinen immer mehr Schriftzüge auf Deutsch. So fährt in der Avenida Alemania (Allee Deutschland) die Linie 1 in schwarz-rot-goldenen Farben. Unweit gibt es einen deutschen Turnverein, eine deutsche Klinik und eine große deutsche Schule. Im Eingang der Schule hängt eine Karte der Bundesrepublik mit ihren Bundesländern und ein Zeitstrahl zur völkisch-deutschen Geschichte. Im Hof stehen Schilder mit „Sauberkeit ist Kultur“ und darunter ein Stadtbild gemalt mit vielen Fachwerkhäusern. Aber auch ganz subtil lassen sich die Spuren der deutschen Einwanderung lesen: in den vielen Nachnamen zum Beispiel die Arztpraxen, Autohäuser und andere Einrichtungen tragen.

So treffe ich auf der Straße dann auch einen alten Mann, der mich direkt fragt ob ich aus Deutschland sei und fängt an mit mir gebrochen Deutsch zu sprechen. Er zeigt mir noch sein altes Akkordeon und erklärt mir wie unsicher alles ist. Selbst die „German Angst“ hat überlebt, denke ich. Selbst die Graffiti sind auf deutsch!

Auf meinem Stadtrundgang finde ich die alte Markthalle völlig abgebrannt vor. Nicht dass sie gestern abgebrannt wäre, aber in allen Karten wird sie noch als aktueller Markt geführt. In der Nähe des ehemaligen Bahnhofs gibt es nun all die Marktstände, die seit langem mal wieder eine reichhaltige Vielfalt an Gemüse, Obst und Handwerk bieten. Tatsächlich bin ich hier beeindruckt über die unerwartet vielfältigen Angebote. Damit hatte ich in Chile nicht mehr gerechnet.

Weitere Sehenswürdigkeit ist eine kleiner stadtnaher Hügel, der Eintritt kostet, den es aber nicht wert ist. Er erreicht kaum beeindruckende Höhe und eröffnet nur einen kleinen Ausblick auf die Stadt. Wenn der Park-Wächter Feierabend macht, kommen die Leute um den Feierabend zu genießen, weil dann kostet es auch nix mehr. Für mich befremdlich: Die Natur erinnert an ein Spaziergang im Thüringer Wald.

Nichts zu sehen

Gegend Abend suche ich dann meinen hiesige Unterkunft auf. Kaum stehe ich im kleinen Wohnzimmer von Andres steht auch schon ein Humpen Bier vor meiner Nase. Nicht dass ich das ablehnen würde, doch mit so viel Klischee hab ich einfach nicht gerechnet. Auch sein bester Freund Mauro ist da und zusammen spielen sie seit Mittag Gitarre und Ukulele. Ja sie haben erst an dem Tag entschieden sich Instrumente anzuschaffen. Sie bilden die noch unbekannte Band „Nichts zu sehen“. Tatsächlich gibt es noch nix zu sehen, denn es gibt auch noch nix zu hören. Außer die Anfänge von dem mexikanischen Volkslied „La Bamba“. Ich muss gestehen: Eine gute Wahl, weil das Lied macht schon nach wenigen Takten gute Laune. Also wenn ihr Bock drauf habt, klickt einfach hier. Ich hab mal die Playing-for-Change-Version rausgesucht.

Nach den ersten Bieren sammeln wir noch Andres Freund Robert ein und nun wird es richtig kurios: er spricht fließend deutsch mit mir. Er ging auf die deutsche Schule, war auch eine Weile in Deutschland und kann sich noch mit seiner Oma auf Deutsch unterhalten. Seine Eltern unterhalten ein Ski-Hotel was sich insbesondere an deutsche Touris wendet. Die Ur-Eltern kamen mit dem Ersten Weltkrieg, gingen dann nochmal zurück, als aber der Zweite startete, emigrierten sie erneut nach Temuco.

Wir machen lecker Hamburger und trinken weiter. Pico oder Piscola ist das Getränk des Abends. Das ist Pisco mit Cola, also ein einfacher Cocktail. Immer mehr Leute kommen in das kleine Wohnzimmer. Erst wollten wir auf das „Bierfest“ gehen, eine Art Oktoberfest, gehen aber dann doch in die Disco. Mauro, sein bester Kumpel, ist stadtbekannter Veranstalter – was auch immer das bedeutet – und bringt uns alle kostenlos rein und zudem gibt es noch ein paar Getränke gratis. Wir zappeln eine Weile aber so richtig toll wird es dann nicht und als es vorbei ist, ziehen Andres und ich es vor heim zu gehen.

Am nächsten Tag setzen wir uns dann in sein Auto und fahren Richtung Meer. Auch wenn die Seenplatte, also Richtung Gebirge, als Highlight angepriesen wird. Wir durchfahren Carahue, eine kleine Stadt am Rio Imperial, der auch zum Meer fließt. Carahue zeichnet sich durch drei Stockwerke aus, dass heißt, es gibt drei Ebenen auf denen die Ortschaft liegt. Funfact: Angeblich die Ortschaft mit den meisten Alkohol-Abhängigen in der Welt. Ich hab keinen gesehen, aber vielleicht Saufen die auch grad in der Kneipe oder schlafen den Rausch zu Hause aus. Neu ist dort eine Klinik. Wir vermuten Zusammenhänge.

Am Meer liegt Puerto Saavedre. Das beschauliche Örtchen mit den bemoosten Straßenschildern hat sich eine neue Wasserkante gebaut und verfügt über heimelnde Restaurants aus ganz viel Holz gebaut. Es gibt wohl auch die weltbeste Ceviche hier. Da Feiertag ist – d.h. der Feiertag wurde auf den kommenden Montag verlegt, der nun ist – gibt es im Hafen auch ein Ruderwettbewerb, dem wir eine Weile zuschauen.

Ganz in der Nähe befindet sich auch der Lago Budi, ein meeresnaher und ziemlich großer See. Wir suchen ein Plätzchen um diesen Ort zu bewundern und finden jemanden der uns den Weg zeigt: Ein immer noch Betrunkener. Mit blutigen Gesicht, schafft er es gerade so uns den Weg zu zeigen und wir nehmen ihn ein Stückchen mit. Der See liegt tatsächlich sehr ruhig da und wieder bekomme ich den Eindruck, die Müritz könnte es auch sein.

Araukarie

Auf den Weg zum und vom Meer passieren wir einige gerodete Gebiete. Exzessiv werden hier schnellwachsende Eukalypten-Wälder angelegt und wieder geholzt. Was damit passiert, weiß ich nicht, aber es führt zur Bodenaustrocknung, in einer eigentlich sehr feuchten Region. Die Region mit Temuco als Hauptstadt ist nach einen Baum benannt der vor allem hier vorkommt: Araukarie. Auf der Nordhalbkugel gibt’s den Baum nicht. Dieser Baum bildet lange stachlige Zweige aus und sieht tatsächlich etwas eigenwillig aus.

Eukalypten-Wald-Rodung

Was mir zudem auffällt, sind die immergleichen Häuserreihen in den Siedlungen. Wie aus US-Filmen oft bekannt, gibt es Straßenzüge die aus den immergleichen Häusern bestehen. Ganze Stadtteile mit den komplett gleichen Einfamilienhaus. Kurios.

Was die Region sehenswerter macht, ist wenn mensch gleichzeitig die Memoiren von Pablo Neruda liest. Er ist weltbekannter Dichter und mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Er schreibt in „Ich bekenne, ich habe gelebt“ über seine Kindheit und Jugend in der Region von Temuco. Seine Schreibstil ist ausgezeichnet bildgewaltig!

Flagge der Mapuche

Mapuche

Dem gegenüber stehen in den ländlichen Regionen die Rukas. Das sind die traditionellen Häuser der Mapuche, bestehend aus Holz und Lehm. Die Mapuche sind die größte indigene Gruppe in Chile und sind deren letzten Überlebenden. Die Kolonisation haben nur sie überlebt und dies vor allem, weil sie sich mit allen Mitteln gewehrt haben. Den Krieg gegen die Mapuche hat die chilenische Nation übernommen, sodass sie weiterhin in Reservaten gedrängt wurden und keine Chance mehr haben ihr Land zurück zu bekommen. Besonders in der Region um Temuco gibt es immer noch Auseinandersetzungen. Die Polizei bekämpft die ländlichen Siedlungen, die sich wiederum wehren und beispielsweise Rodungsfahrzeuge in Brand setzen, die Bäume in ihren Schutzgebieten fällen.

Ruka (traditionelles Mapuche-Haus)

Deswegen bin ich nach Temuco gefahren, aber erfahren kann ich nur wenig. Sie leben größtenteils in den weit entfernten Dörfern und sollten Weißen gegenüber verschlossen sein. Vermutlich aus bitterer Erfahrung. Auch wenn ihre Traditionen und Produkte zunehmend touristisch vermarktet werden. Temucos Museum hat nur sehr eingeschränkte Öffnungszeiten.

Die Mapuche an sich sind auch nicht nur ein Volk, sondern eine Vielzahl davon und leben in einem relativ großem Gebiet, was bis nach Argentinien reicht. Ihnen gemein ist unter anderem ihre Sprache Mapudungun. Mapuche heißt so viel wie „Menschen der Erde“. Viele sind schon in die großen Städte abgewandert und vermeiden ihre Mapuche-Herkunft, weil auch in Chile die indigene Herkunft mit unzivilisiert, naiv und rückständig assoziiert wird. Während meines Aufenthalts habe ich Aufrufe für Demonstrationen in Santiago gelesen und Nachrichten im Fernsehen dazu gesehen. Interessanterweise wurden die ersten Siedler*innen aus Deutschland mit Land, Steuererleichterung, kostenloser Überfahrt und chilenischer Staatsbürgerschaft gelockt, um ein Land fruchtbar zu machen, wo kurz vorher die Mapuche vertrieben worden.

Ich wollte eigentlich die Welt der Mapuche besser kennen lernen.


Nov 23 2018

Ruhe ist wo Unruhe herrscht

Von Karl

 

Bevor ich in den nächsten Ort reise, springe ich als einziger in aller Frühe wieder aus dem Bus. Schon von der nach schlafenden Straße aus höre ich das einsames Donnern. Ich gehe ein paar Meter zurück, auf die Brücke und kann in wenigen hundert Metern den Wasserfall sehen: Die Saltos del Laja.

Der Wasserfall gilt als der größte in Chile. Ich kann über enge Wege nah heran gehen und passiere dabei hunderte Verkaufsstände, die alle noch nicht offen haben. Ich gelange an den Fuß des Wasserfalls. Da ich bislang nur schmale und manchmal auch hohe gesehen habe, ist dieser Anblick unvergesslich. Auf einer Breite von gut 100 Metern fällt der Rio de la Laja circa 35 Meter in die Tiefe. Durch die Menge an Wasser ist das tiefe Brüllen stetig zu vernehmen.

Wasserschwaden, Nebel mit Millionen kleinster Tropfen, werden aus dem Schoß gepustet und machen alles Nass im nahen Umfeld. Dadurch ist nicht nur alles schlammig und feucht, sondern auch extrem grün.

Theoretisch könnte mensch sich sehr nah an das Fallbecken heran wagen, doch der stete Regen und die glatt geschliffenen und nassen Steine, machen dies unmöglich. Ich hab‘s probiert.

Weiterhin kann das Spektakel auch von der Fallkante aus beobachtet werden. So langsam und friedlich der Fluss noch oberhalb fließt, vorbei an beschaulichen Sträuchern, Bäumen und flachen grünen Ufern, so unvermittelt stürzt er direkt hinter einem kleinen Baum in die raue Tiefe.

Immer noch bin ich allein an diesen wunderschönen und magischen Ort. Als ich dann den Rückweg antrete, sind schon die ersten Läden geöffnet und mir kommen neue Gäste entgegen. Aber sie werden nicht sehen können, was ich sah, als ich tiefen-entspannt dem Fluss beim Fallen und Kochen zusah. Ruhe ist, wo Unruhe herrscht.

Los Angeles

Anschließend fahre ich noch für ein paar Stunden ins nahe Los Angeles. Ein beschaulicher Ort, der sehr geschäftig daher kommt. Feuerwehrleute sammeln spenden, Kleinbusse durchstreifen die Straßen, verschiedene Märkte bieten Fleisch, Fisch, Gemüse, Obst, Handwerk, Mahlzeiten und so einiges mehr an. Mit Kalifornien hat der Ort aber wenig zu tun. Später geht es dann weiter zu meiner nächsten Unterkunft.


Nov 21 2018

11 um 5, Tee statt Schnaps und das pünktlich

Von Karl

 

Es ist wieder mal ein Zug der mich antreibt in eine Stadt zu kommen. Auch in Chile gibt es kaum mehr Bahnverbindungen. Bis auf ein wenig Metro in Santiago und Valparaiso. Doch eine Verbindung fährt noch täglich zwei Mal: Santiago ←→ Chillán. Die halbe Strecke wird noch häufiger bedient durch eine Art Vorort-Zug. Deswegen weist der Fahrplan auch nie Santiago oder Hauptbahnhof Santiago aus, obwohl er tatsächlich so heißt (estacion central). Sondern Alameda nennt sich der Start- und Endpunkt, wie bei einer Straßenbahn.

Chillán

Äußerlich und Innerlich unterscheidet sich der graue Zug mit drei Waggons kaum von einer Regionalbahn in Deutschland. Gut, die Fahrscheine werden beim Einstieg kontrolliert und größeres Gepäck kann vorher abgegeben werden gegen eine Gebühr. Während der Zug die ersten Meter macht geht dann der Schaffner im schicken langen schwarzen Mantel durch und erklärt jede*n persönlich wo das Bordrestaurant und die Klos sind. Die Leute vom Bordrestaurant bringen die Sachen dann an den Platz.

Sobald Santiago lichter und grüner wird, erscheinen die weiten grünen Felder. Über ihnen schwebt noch der kühle Morgennebel, der nach einem Nickerchen aber auch verschwunden ist. Der erste Zug fährt um halb Neun ab und ist dann mit Verspätung gegen Mittag da.

Gedenktafel an die Opfer der Militärdiktatur in Chillán

Chillán lässt sich komplett erlaufen. Ich nutze den angefangenen Tag um mir ein Bild von der Stadt zu machen, die aber über keine Sonderlichkeiten verfügt. Bis auf die moderne Kirche. Ein grüner Park im Zentrum, ein paar Fußgänger*innen-Zonen. das war’s.

So vor mich hin schlendernd spricht mich eine alte Frau auf Englisch an und fragt mich ob ich ihr helfen kann mit ihrem Handy. Wir kommen ins Gespräch und laufen dann zurück zum Park. Eine Weile finde ich es spannend. Sie verkauft Sopaipillas und Empanadas aus ihrer Tasche heraus, in dem sie durch die Straßen geht und diese rufend anbietet. Sie schenkt mir sogar ein Sopaipilla, dass mir aber nicht besonders zusagt. Audi, so heißt die Frau, erzählt mir auch von ihrem Zuhause in einem Dorf bei Chillán und dass ihre Schwester heute kommt. Als sie mich wiederholt einlädt bei ihr zu wohnen, reift der Wunsch doch das Gespräch zu beenden. Ich lehne weitere Angebote ab und schau ihr beim Arbeiten zu, trau mich aber nicht in der Zeit abzusetzen. Ich weiß nicht mehr, ob sie was unangenehmes im Schilde führt, oder einfach nur super nett ist. Blöde Situation.

Tatsächlich wird es schwer, sich von ihr zu trennen. Irgendwann muss sie dann Zutaten kaufen gehen, für den Verkauf der Empanadas und Sopaipillas am nächsten Tag. Gut, nun endlich meine Chance abzuhauen.

Später geh ich dann zu meinem Couchsurfer. Heber erscheint pünktlich um 18:45 im Eingang des Hochhauses in dem er eine kleine Wohnung hat. Sogar ein kleines Zimmer für mich ist dabei. Heber ist Psychologe an der lokalen Uni und ich erfahre, dass sie den Rorschach-Test anwenden. Davon hab ich vorher noch nie was gehört, aber tatsächlich ist es eine interessante Methode. Als Kinder haben wir Tintenklekse in gefalteten Papier gemacht und dann die skurrilen Flecken phantasievoll interpretiert. Heber hört also Patient*innen zu, was diese in den Flecken sehen und leitet daraus irgendwelche Ergebnisse ab. Das ist tatsächlich kein Hokuspokus sondern Wissenschaft.

Heber nimmt mich mit zum Laufen, sodass ich dankbar seit längerem wieder zu Sport komme. Etwas dass ich vermisse und leider nur schwerlich umsetze während der Reise. Danach gehen wir immer einen Trinken und treffen einen Freund und seinen Bruder. In einer traditionellen und urigen Kneipe probiere ich nochmals Chicha und wieder trifft es nicht mein Geschmack. Chicha ist mir schon mehrfach auf der Reise begegnet und meint ein irgendeiner Weise vergorenes Getränk. Meist Mais. Es ist also eine Art Bier, doch sehr trüb und je nach Region aus verschiedenen Sachen hergestellt. Ein wenig erinnert es an die jugendlichen Experimente mit Früchten in Plastikflaschen.

Die Kneipe ist komplett aus Holz gebaut. Sogar die Hocker, auf denen wir sitzen sind nur Baumscheiben. In Chile ist es übrigens üblich 10% Trinkgeld zu geben und manchmal steht es schon auf der Rechnung. Nur wenn es Fast Food auf die Hand ist oder das Essen oder die Bedienung schlecht war, kann man das Trinkgeld reduzieren. Während wir so sitzen singt der Besitzer mit seiner Gitarre im Arm alte chilenische Schlager. Meist traurig, aber irgendwie auch kraftvoll. Meine Getränkegenossen singen immer wieder ergriffen mit.

Sie lehren mich auch in chilenischen Spanisch. Also Begriffe die vor allem ausschließlich in Chile verwandt werden. Pacos für die Carabineros hatte ich ja schon erwähnt. Die PDI wird auch Ratis genannt. Beides sollte man ihnen nicht direkt ins Gesicht sagen. Besonders verbreitet ist „Weyon“, was so viel wie Kumpel*ine oder Freund*in meint. Es wird in etwas so verwandt: „Hey Weyon, noch nen Bier?“ oder „Hey Weyon, lass mal eine Rauchen gehen“. Es ist lässig informelle Sprache. Dazu zählt auch „weviar“. Dies ist nur der Infinitiv und muss entsprechend gebeugt werden. Das Verb ist wohl das am schwierigsten zu lernende, weil es absolut Kontext-abhängig ist. Je nach dem wann oder wie ich das nutze kann es alles bedeuten. Es kann ein Kompliment oder eine Beleidigung sein. So kann die Aufforderung, ein Bier trinken zu gehen ungefähr so lauten: „Hey Weyon, lass mal weviar“ (¡Hola Weyon!, ¿vamos weviar?)

Am nächsten Tag waren wir in einer moderneren Kneipe, die dann auch modernere Live-Musik hatte. Doch dies und Holz-Nutzung scheint sich fortzusetzen.

Once

Unsere gemeinsamen Abende begannen aber immer zu Hause mit einem „Once“. Zu deutsch die Zahl „Elf“ und wird gegen fünf Uhr nachmittags begangen. Eine Tradition in Chile und entspricht in etwa dem britischen Nachmittags-Tee. Dazu gibt es – zumindest bei Heber – nix süßes sondern eher Brot mit Käse und Tomate. Der Name leitet sich von Zeiten ab, als es verboten war „Aguardiente“, also Schnaps, zu trinken. Aguardiente hat elf Buchstaben, deswegen hat man sich auf „Elf“ getroffen und vorgegeben Tee oder Kaffee zu trinken.

Was die Zeit betrifft bildet Heber (mal wieder) eine großartige Ausnahme. Er ist immer pünktlich. Ich komm leider nicht sehr gut klar damit, dass eine oder mehr Stunden später als vereinbart völlig normal sind, für viele denen ich bislang begegnet bin. Umso entspannter, mal nicht warten zu müssen.

Wieder gegen fünf Uhr, aber frühs, verlasse ich Heber und mit dem Sonnenaufgang Chillán. Das Laufen hat seine Spuren hinterlassen und der Rucksack drückt doppelt (-;

PS.: … und da liegt Chillán …


Nov 19 2018

Wein und Smog

Von Karl

 

Die Wiese ist noch niedrig und gepflegt. Wenige Bäume schmücken sie. Ein paar Sofas stehen unter den größeren ausladenden Bäumen. Noch sind sie abgedeckt mit einer durchsichtigen Plastikplane, die durch das Morgentau noch ganz weiß ist. Hinter manchen niedrigen Büschen spielen Wasserstrahlen, künstlich in die Luft geworfen, einen Bogen. Hinter dem kleinen Weg befindet sich ein weitläufiges Weinfeld. Brusthoch erstrecken sich in Reih und Glied tausende kleine Pflanzen. Mit Bändern gezwungen einen besonderen Weg zu klettern.

Auch ein kleiner Erklär-Garten ist angelegt. Zu jeder Weinsorte drei oder vier Pflanzen. Durch Bäume verdeckt stehen bauchig große Betontanks. Bauglötzer von Riesen. Bestimmt passt ein kleines Einfamilienhaus in sie hinein. Mehrere stehen davon da und an ihnen schließen sich kleine Holzfässer an, ja Fässchen im Vergleich dazu, aber im Reellen könnt auch ich die nicht umschlingen.

Kein Wind geht, trotzdem schaukelt die lackierte Europalette. Ich sitze drauf und selbst ist sie an zwei Bäumen festgemacht. Nur vorsichtig trauen wir uns zu schaukeln, denn der Sekt darf nicht umfallen. Sekt, der hier nebenan angebaut wird. Ich muss kurz an die vielen Sektflaschen an meiner ehemaligen Arbeitsstelle denken. Zurück: Ein Genuss, auch wenn wir keine Kenner*innen sind. Das Ambiente lässt es gleich drei Mal so geil schmecken. Dazu: Käse. Vier Sorten, einer feiner als der andere, serviert auf kleinen Salzkeksen. Das Picknick-Angebot von „Undurraga“ steht allen offen, doch wir sind die einzigen, die gerade hier ihr Mittag verbringen. Noch eine paar Nüsse und Rosinen dazu. Ein Picknick auf dem Hof der*s Winzer*in, zwischen Fässern und Weinreben. Welch Traum.

Dafür sind wir nicht weit weg von einer Großstadt. Von Santiago aus, keine Stunde. Santiago ist Chiles Hauptstadt und mit Abstand die Größte. Über 40 Prozent der Bevölkerung leben in ihr. Im gesamten Tal sogar 80 Prozent. Alles gibt es und passierte hier. Dadurch ist die 7-Millionen-Metropole auch sehr groß und weitläufig, aber doch irgendwie weniger chaotisch. Ihre Herzschlagader ist die Alameda, die Ost-West-Achse, was aber nicht der wirkliche Name der Straße ist. Aber überall wird sie so genannt. Unter ihr befindet sich die Linie 1 der Metro. Zu Stoßzeiten quetschend gefüllt, ist sie doch sonst sehr erträglich. Sie fahren übrigens nicht auf Schienen, denn wer genau hinsieht, wird die Räder entdecken. Ein knappes Dutzend Linien gibt es. Doch sie nützen der Luft nix, denn Santiago hat einen endlosen Smog. Von allen Seiten Bergen, ist ein Tag in Santiago wie acht Zigaretten rauchen, erfahren wir bei einer Stadtführung. Von einem Hügel mit einer Marien-Statue aus, mitten im Zentrum, lässt sich die Stadt gut überblicken, wenn nicht in bestimmter Entfernung der Smog zu dick wird. Zum Berg führt sowohl eine Drahtseilbahn, als auch eine Kabinen-Seilbahn. Letztere hat den deutlich schöneren Ausblick über die Stadt und das bisschen Grün im Zentrum.

Smog über der Stadt

Dadurch ist die Stadt auch von Ost nach West in Arm und Reich geteilt. Auf den höheren Lagen am Fuße der Anden befinden sich die stromumzäunten und von Zähne fletschenden Kötern bewachten Villen. Im Wellblech-Westen dagegen sind sie nicht mehr auszumachen. Die Anden, mit ihren weißen Gebirgszügen. Etwas nordöstlich Santiagos befindet sich auch der höchste Berg der Anden und damit die höchste Erhebung Südamerikas und der Südhalbkugel und außerhalb Asiens. Der Aconcagua mit seinen knapp 7000 Metern, wird sogar von manchem Flugkapitän rechtzeitig angesagt.

Die Stadt ist nie leise oder still und als politisches Zentrum in Aufruhr. Es gibt unzählige Unis und ein Monat kann umgerechnet 800 US-Dollar kosten. Das führt seit einiger Zeit zu Protesten und als wir in der Stadt wahren, überfallen uns schlagartig hunderte Jugendliche. Als wenn sie gejagt werden rennen die meist schwarz gekleideten Jugendlichen zur Alameda. Kurz warten sie die Grünphase ab und schon stehen sie auf der Straße und blockieren die Hauptverkehrsachse. Skandieren und Springen. Sie fordern ein Recht auf kostenfreie Bildung.

Dann erscheinen auch schon die Jäger*innen. In Grün erscheinen die Carabineros, unter der Hand auch Pacos genannt. Die chilenische Polizei. Es gibt noch die PDI, aber die trägt keine Uniform und ist für komplizierte Straftaten zuständig. Sie rennen den Jugendlichen hinterher, die nun aber schon drei Ecken weiter sind. Ein Wasserwerfer versucht mit Vollgas noch welche zu erwischen. Das verfärbte Wasser soll die Täter*innen später identifizieren. Ich denke manche haben Wechselklamotten dabei.

Später ist die Alameda frei von Autoverkehr, aber die Sprint-Beteiligten scheinen anderswo unterwegs zu sein. Nur manchmal steht ein Dutzend Pacos an einer Straßenecke und wartet.

Wir ziehen weiter durch die Straßen und gelangen zur Moneda. Dem wohl geschichtsträchtigsten Haus Chiles. Hier wurde am 11. September 1973 Salvador Allende geputscht. Die ehemalige Münzprägeanstalt war damals Präsidentenpalast und ist heute ein Kulturhaus. Gerade gibt es Ausstellungen zu Wale an Chiles Küste, Handwerkskunst und eine Messe mit tierfreundlichen Produkte.

La Moneda

Pinochet war damals Oberbefehlshaber und hat die Macht übernommen, alle Kommunikationswege abgeschnitten und die Moneda bombadiert. Kampfflugzeuge, Soldaten auf jedem Dach und Panzer auf dem Platz davor. In der ausweglosen Lage hat Allende Selbstmord begangen. In einer Seitenstraße ist auch dem Kammermann Leonardo Henrichsen gedacht, der wichtige Aufnahmen an dem Tag machte, aber dann von Soldaten erschossen wurde. Ein brutales Regime insbesondere für Linke entstand an dem Tag.

Apropos Linke: Ich kann nicht mehr sagen, wie wir darauf kamen, aber es kam uns ulkig vor, wenn wir mal an Honeckers Grab gestanden hätten. Ja, ihr habt richtig gelesen, Erich Honecker, Ex-Generalsekretär, ist in Santiago begraben. Nur wo genau, dass ist ein Rätsel. Vielleicht hat er auch kein Grabstein. Wir waren offenkundig nicht die ersten, die danach fragten, denn auf dem riesigen Zentralfriedhof liegen tausende und sie konnten sofort erklären was los ist, als ich „deutscher Ex-Präsident“ sagte. Er sei beim Krematorium, Patio 83. Dort wurde er offensichtlich verbrannt, aber einen Grabstein finden wir nicht. Eine nette Friedhofsarbeiterin gibt uns dann noch ein anderes Planquadrat als Tipp, aber auch dort finden wir keinen passenden Grabstein. Aber es gibt auch hunderte, sodass es ein mühseliges Unterfangen ist. Ruhe gut Genosse, wir haben‘s versucht.

Es liegen noch unzählige andere wichtige chilenische Persönlichkeiten auf dem selben Friedhof. So ist Allendes Monument deutlich einfacher zu finden. Wir hoffen in Santiago etwas mehr auch über die 17jährige Diktatur, die an Allendes Tod sich anschloss. In der Londres 38 findet sich ein Haus, des ehemaligen Geheimdienstes, wo Gegner*innen Pinochets gefoltert und verhört wurden. Erklärt wird aber sonst nicht so viel. Etwas weiter im Westen dagegen gibt es ein größeres Museum, das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, welches sich ausführlicher mit dem 11.September ’73 beschäftigt und den Opfern. Es ist nicht sehr ausführlich, aber umfassend. So war der Druck 1990 so groß für Pinochet, dass er eine Volksabstimmung abhielten ließ, wo für eine freie Wahl plädiert worden ist. So war Pinochet weg von der Macht, hatte aber durch eine geschickte Verfassungsreform im Vorfeld sich geschützt und ist bis zu seinem Tod nie in ein Gefängnis gewandert.

Gedenken an die Opfer der Militärdiktatur

In dem Museum erfährt man auch, dass dreißig Länder u.a. Deutschland und Chile in ihrer Geschichte Wahrheitskommissionen eingesetzt haben. Beide Länder verbinden auch Solidaritätsschreiben, z.B. der Falken an die Allende-Unterstützer*innen. Im obersten Stockwerk ist eine temporäre Ausstellung eingerichtet, die sich den Indigenen Chiles widmet. Es geht um Rassismus und Geschichte. Gab es mal ein größere Fülle an verschiedenen Gruppen, so ist der Vernichtung durch die Konquistadoren und der Chilen*innen lediglich eine übrig geblieben. Die Mapuche. Sie gelten als besonders streitig, und haben seit dem ersten Zusammentreffen ihr Gebiet auch mit Gewalt verteidigt, was ihnen aber schlussendlich kaum gelang. Noch heute gibt es darum stärkere Auseinandersetzungen. Im Hof des Museums steht ein Haus der Mapuche.

Mapuche-Monument auf dem Plaza de Armas

Fans von Allende können auch in das Solidaritätsmuseum gehen, wo es zwei Räume zu seinen Verdienst gibt, aber ansonsten eher viel die Stadtteilarbeit des Museums vorgestellt wird, beziehungsweise die Einsendungen solidarischer Künstler*innen ausgestellt werden.

Neben der Museumslandschaft gehört auch der Umgang mit den Hunden zu den Kuriositäten. Die Straßenköter, die an jeder Ecke sind und einen gerne auch unangenehm hinterherlaufen oder anbellen können, werden von den Santiagoer*innen geschätzt. Sie werden gefüttert, gestreichelt und geliebkost. Manche ziehen ihnen vor dem Winter auch eine Art Pullover an. In öffentlichen Plätzen wurden extra kleine Hundehütten aufgebaut.

öffentliche Hundehäuschen

Und wer sonst keine Hoffnung hat: An jedem Lichtmast hängt die Nummer von der Tarot-Kartenlegerin. Sie hilft bei allen erdenklichen Gründen.

Echtes Glück verspricht dagegen Fast Food. Das Schnelle Essen oder auf Spanisch „Comida Rapida“, ist weit verbreitet und so geläufig wie in keinem anderen Land, in dem ich schon mal war. Typische Mahlzeit: Ein Completo. Das ist ein Hotdog, also Weißbrot mit Würstchen, dazu ggf. Sauerkraut, viel Avocado-Creme und Mayonnaise. Hamburger sind auch verbreitet, generell viel Fleisch und immer auch Pommes dazu. Typisch sind wohl auch die Sandwichs, die sich aber von einer Burger-Mahlzeit kaum unterscheiden.

Completo

Doch wo kann am besten Fast Food geschlemmt werden? Na am besten in einem der vielen Einkaufszentren. Südamerikas größte Shopping Mall und größtes Gebäude mit angeschlossen, steht im Ostteil und nennt sich „Costanera Norte“. Sie ist auch Gegenstand von Diskussionen, beispielsweise wegen vielen Selbstmorde durch Sprung aus dem achten Stock. Als wir vor Ort waren, war es eher beeindruckend wie viele Menschen gerade hier unterwegs sind. Die Essensbereiche sind übervoll und es gibt kaum Plätze. An den Fast Food Theken wird angestanden.

Valparaiso

Es gibt verschiedene Ausflugsziele, die von Santiago aus erreicht werden können. Eines ist mit Valparaiso auch ein besonders gelobtes. Es steht in jedem Reiseführer. Doch nun wollen wir es auch wissen. Direkt gegenüber vom Busbahnhof fällt einem der riesige Kasten ins Auge. Ein überdimensioniertes Monument. Der Kongress. Mag zwar Santiago die Hauptstadt sein, das Parlament versammelt sich in Valparaiso. Die Straßen sind schnöde und es ist etwas günstiger als im Zentrum der Hauptstadt. Rechts das Wasser, was aber oft nicht sichtbar wird oder mensch klettert links den Berg hinauf. Viele Straßen und manche Drahtseilbahn führt hinauf, ist es aber auf Grund der Kürze kaum Wert bezahlt zu werden. Die versprochenen bunten Häuser sind nicht ganz so farbenprächtig, aber mit dem Instagram-Filter geht‘s bestimmt.

der chilenische Kongress

Lohnenswert ist die Avenida Alemania entlang zu schlendern. Sie fällt nach Norden hin nur leicht ab und hat damit keine belastenden Berge. Gleichzeitig eröffnen sich einem ständig neue Ausblicke auf den Hafen, das Meer oder gar Viña del Mar. Nach wenigen Stunden haben wir aber alles gesehen und sind rechtzeitig wieder zurück in Santiago.

Ach und übrigens: wir haben auch den dortigen Wein getrunken, als wir auf dem Hof dekadent den Weinreben beim Wachsen zugeschaut haben …

PS.: Santiago de Chile liegt direkt in der Mitte des langgestreckten Landes:


Nov 17 2018

Pfirsichnektar, Weinbrand und die Saturnringe

Von Karl

 

Unser Start in La Serena war durch eine längere Wanderung geprägt. Erst nach einer knappen Stunde merken wir, dass weder die Straßenschilder noch die Karte falsch ist, sondern wir einfach in die falsche Richtung gelaufen sind. Unsere Unterkunft ist diesmal in einem heimeligen Einfamilien-Haus. Eine ältere Frau springt zwischen Wohnzimmer und Küche herum und macht den Eindruck, als wenn sie hier wohnen würde. Ist aber dann doch nur die Angestellte.

Chilenisch Essen und Trinken

Ein erster Weg führt zum schmucken Markt, in dem handwerkliche Produkte wie beispielsweise getöpferte Schalen verkauft werden. Im ersten Obergeschoss gibt es gut und günstig Frühstück oder Mittag. Zu den Eigenheiten der chilenischen Küche gehört unter anderem das allgegenwärtig kaufbare „Mote con Huesillo“. Ein Getränk aus Pfirsichnektar mit Trockenpfirsischen und Weizenkörnern. Dazu kommt noch Zucker und Wasser. Es schmeckt sehr süß und meine Recherchen belegen bislang: Bis auf Chilen*innen schmeckt niemand das Getränk.

Auf Märkten und bis in den Supermärkten hat es die Cochayuyo geschafft, eine Alge. Die besonders große Braunalge ist wohl ein Grundnahrungsmittel und wird beispielsweise mit in Suppen gemacht.

Altbekannter Klassiker ist auch die Empanada, wobei die Füllung „Pino“ in Chile weitverbreitet ist. Eine Rindfleisch-Mischung.

Neben Kuchen und Berlines (Pfannkuchen bzw. Berliner) finden sich bei der Bäckerei auch Sopaipilla. Mir wurde es als frittiertes Brot vorgestellt, aber Wikipedia spricht von Kürbis als zentrale Grundlage. Der Plural von Kuchen ist übrigens „Kuchenes“.

In allen Supermärkten gibt es Alfajor, ein übergroßer Keks mit Schokoüberzug und Karamellfüllung.

Die Eisfans müssen sich mal Paletta holen. Das ist Stil-Eis welches wie Schokoladen-Tafeln aussieht und wie Waffel-Eis verkauft wird. Wir haben in La Serena auch einen Automaten damit gefunden. Auch geschmacklich kommt es nah an die gefrorene Schokoladen-Tafel. Die Paletta-Stände bieten meist gleich mehrere Dutzend verschiedene Geschmacksorten.

Während unserem kurzen Stadtspaziergang vermissen wir wieder die Menschen in den Straßen, aber schlussendlich finden wir sie in den großen Shopping Malls. Anschließend führt unser Weg zum nahen Meer. Eine lange schicke Palmen-Allee ziert den Hauptweg und führt zum Leuchtturm. Der Strand ist auch ziemlich schön, nur ist direkt hinter alles mit Hotels und Cabañas (chilenische Variante des Bungalow) bebaut. Dieser Anblick zieht sich die ganze Kurve bis in die benachbarte (etwa gleich große) Stadt Coquimbo.

Valle de Elqui

Das Nahe Tal des Rio Elqui soll besonders sehenswert sein und deswegen fahren wir gleich frühs mit einer Tour den Fluss hoch. Als erstes halten wir an dem wenig spektakulären Puclaro-Staudamm. Ein Blick vom Damm ins Tal verrät: Wo der Fluss fließt ist Pflanzen-Wachstum und Landwirtschaft möglich. Die Berge selbst sind grau und braun und von wenigen Sträuchern und Kakteen bewachsen. Besonders Wein wird im Tal angebaut.

Chiles erste Literatur-Nobelpreis-Gewinnerin kommt auch aus dem Tal und deswegen besuchen wir das Museum von Gabriela Mistral in Vicuña. Da aber alles auf Spanisch ist, sind wir schnell durch. Zudem bin ich nicht angetan von ihrer trübseligen Literatur. Dass es aber schön gemacht ist, das kann ich nicht absprechen.

Der angebaute Wein im Tal wird nicht für Wein genutzt, sondern um Pisco herzustellen. Ein Weinbrand, der sowohl in Peru und als auch in Chile hergestellt wird. Oft auch Grundlage von Cocktails. Beide Länder sehen es als Nationalgetränk an und haben strenge Regeln, wie beispielsweise, dass kein Pisco aus dem Ausland importiert werden kann oder so heißen kann. In Chile kann nur Weinbrand aus dem Elqui-Tal Pisco heißen.

Wir halten also an einer halbindustriellen Pisco-Brennerei. Da grad nicht die Zeit dafür ist, sind die Anlagen leer. Im Lagerraum riecht es schon kräftig nach Alkohol. Es werden verschiedene Sorten hergestellt, je nach Lager-Zeit und damit auch Alkohol-Gehalt. Natürlich dürfen wir auch mal kosten. Je mehr ich davon trinke, desto besser schmeckt’s, aber dann bin ich auch gut dabei und froh dass es weiter zum Mittag geht ins Dorf Pisco Elqui. Es hat sich extra umbenannt.

Sternen so nahe

In Vicuña steigen wir aus und warten auf unseren Anschluss. Das kleine beschauliche Örtchen entpuppt sich als Hippie-Städtchen, wobei es uns ein Rätsel bleibt, was die ganzen Hippies hier machen. Nach Einbruch der Dunkelheit fahren wir zu einer Sternwarte. Allein in der Gegend gibt es in Sichtweite 4 Sternwarten. In ganz Chile gibt es circa die Hälfte aller Sternwarten der Welt. Grund ist der trockenste Ort der Erde mit einer der Partikel-freisten Luft. Dann bietet es sich besonders an hier Sternwarten zu errichten. Hier steht also die neuste und modernste Abhörtechnik für den Kosmos. Wir gehen nun nicht in die aller krasseste Anlage. Was wir aber sehen ist trotzdem krass.

Wir werden in ein kleines Observatorium geführt und der Fachmann richtet die Kuppel so aus, dass der Schlitz passend ist. Er zeigt uns die hellsten Sterne am Himmel, die vor allem andere Planeten unseres Sonnensystems sind. Venus, Merkur, Mars und Jupiter. Nach und nach dürfen wir durch das eingestellte Teleskop schauen. Interessanterweise ist es mit GPS ausgestattet, sodass es automatisch die richtige Position einbehält. Ohne dem System würde durch die Erdrotation nach einer Weile das Zielobjekt aus dem Bild verschwinden.

Durch das Fernrohr, dass vielleicht doppelt so groß ist wie ich, kann ich die Streifen beziehungsweise Wolken auf der Venus sehen. Wir sehen, dass der Merkur auch Zu- und Abnehmen kann, genau wie der Mond. Wir sehen einen Sturm auf dem Jupiter und – das war am beeindruckensten – den Saturn samt Saturnringe. Im Außengelände schauen wir noch durch ein weiteres installiertes Fernrohr (es regnet ja hier nie). Wir sehen spannende Sternformationen und Sternennebel. Bunte Sterne gibt es auch. Am Nachthimmel ist freiäugig gut die Milchstraße zu erkennen. Der Guide, der selbst dort arbeitet, zeigt uns zig Sternenbilder, die oft mit sehr viel Phantasie einhergehen.

Von der vielen Phantasie ganz begeistern entgleiten wir dann auch in unsere eigene Welt.


Nov 15 2018

Zum Besuch beim Zankapfel

Von Karl

 

Schon am späten Nachmittag sind wir in Antofagasta aufgeschlagen, da es nicht wirklich weit ist, zumindest für hiesige Verhältnisse. Antofagasta oder einfach nur Antofa ist Chiles zweitgrößte Stadt, was wohl am vielen Kupfer in der Wüste Atacama liegt. Die Stadt liegt am Meer und hat deshalb ausnahmsweise ein paar Wolken, die aber an den direkt angrenzenden Bergen schon hängen bleiben. Durch Berge und Wasserkante ist die Stadt unglaublich lang-gezogen.

Schon bei Ankunft am Busbahnhof wird das klar, denn dieser liegt gute 7 Kilometer nördlich des Zentrums. Vom Plaza de Armas aus führt eine Fußgängerzone ein paar Blocks gen Osten und macht einen Knick und verläuft bis zum Markt. Der Markt ist ein großes Gebäude, beherbergt aber nur noch günstige Restaurants. Rückseitig an der Straße können noch Sachen frisch gekauft werden, aber eigentlich gehen alle zum großen Supermarkt gegenüber, genannt Unimarc.

Antofa ist nicht ganz so günstig, gilt aber auch als entzauberndes Beispiel dafür, welche Ungerechtigkeit der Neoliberalismus hinterlassen hat. Der Norden der Stadt soll arm sein. Die Straßen zeigen auch sonst viel Armut an. Auf hundert Meter Innenstadt liegen teilweise ein halbes Dutzend Obdachloser. Und das nicht nur in Antofa. Andere Betteln am Hauptplatz den ganzen Tag.

Eine Fahrt auf die nahe Halbinsel zum Cerro Moreno haben wir uns gespart. Das ist einfach zu teuer. Unsere erste Unterkunft war dann eher ein abgeranztes Haus ohne Klingel oder gar Schild. Sodass wir spontan auf neue Suche gehen mussten und dank eines netten Taxifahrers auch den entscheidenden Hinweis zu einer schicken und günstigen Unterkunft erhielten.

Es gibt kleinere Strände in der Stadt, aber die sind nur erträglich, wenn nicht grad alle Zeit haben zum Strand zu gehen. Der Blick über den Pazifik ist von vielen Plätzen schön und an der Rückseite der Shopping Mall lässt sich auch der Containerhafen beschauen.

Neben dem Jacht- und Fischereihafen gibt es einen historischen Steg mit Erklärtafeln. Als wir ein zweites Mal daran vorbei kamen, waren auch eine Menge Leute mit großen und größeren Chile-Flaggen. Nicht dass eh überall Chile-Flaggen hängen würden und eigentlich kein Haus ohne sein darf, so ist dieser Menschenauflauf doch etwas ungewöhnlich. Tatsächlich sind auch noch zig andere Polizist*innen, im Volksmund Pacos genannt, vor Ort und scheinen alles zu sichern. Plötzlich gerät alles in Bewegung und der Präsident Sebastián Piñera kommt angerauscht. Ein gutes Dutzend Kameras verfolgt ihm und am Ende des Kais gibt er dann irgendwelche Statements ab. Wir vermuten, dass es irgendwie auch um den Konflikt mit Bolivien geht, denn Antofa ist die größte Stadt in dem von Bolivien verlorenen Gebiet (Salpeterkrieg). Erst kürzlich verlor allerdings Bolivien vor dem Internationalen Gerichtshof seine Klage gegen Chile, um Zugang zum Pazifik zu erhalten. Dies bestärkt natürlich den rechtsgerichteten Präsident Piñera.

Die beste Empanada de Queso (Käse-Empanada) gibt es übrigens im Fichereihafen. (-;


Nov 13 2018

Der Belgier und der Killer

Von Karl

 

Im trockensten Ort der Welt, der Atacama-Wüste, ist besonders ein Ort bekannter als alle anderen: San Pedro de Atacama. Tausende Touris pilgern von ihren Lonely Planets geführt in den kleinen Ort, der eigentlich auch nix anderes ist, als eine Touri-Siedlung. Die Straßen sind so aufgebaut: Hostel, Kiosk, Restaurant, Reiseagentur, Hostel, Kiosk, Restaurant, Reiseagentur, Hostel, …

Viele Häuser sind aus Adobe, den luftgetrockneten Lehmziegeln, erbaut und sehen sich ähnlich. Dazu kommen noch die einheitlichen Holzschilder und die immergleichen Angebote. Der Boden ist zwar Dunkelbraun und alle Häuser Hellbraun, aber der Himmel ist strahlend blau. Am trockensten Ort gibt es natürlich keine Wolken und dies wäre hier wohl auch etwas kurioses.

Wir haben also eine große Anwahl verschiedener Anbieter*innen für unsere Pläne. Zudem finden wir am Ortsrand auch einen Gemüsestand, der uns das Kochen ermöglicht.

Valle de la Luna

Am Nachmittag geht‘s für uns auf eine Tour ins Valle de la Luna. Interessanterweise beginnt aber die Tour mit einer Wanderung durch eine Salzschlucht. Salz und Lehm haben bizarre Formen übrig gelassen. Wir lecken auch mal an der Wand und ja, es ist wirklich Salz. Wir klettern also durch dunkle Höhlen und offenen Schluchten. Auch wenn sonst die Umgebung steinig, wüstig und ganz ohne Vegetation ist, hier gibt es auch Sand-Dünen. Wir halten noch an weiteren Punkten, die aber allesamt eher Wüste, Fels und Sand zeigen. Der Ausblick ist manchmal schon beeindruckend.

Der letzte Stopp ist der für den Sonnenuntergang und angesichts der Menschenmassen, bleibt der Moment nur minder romantisch. Wo es kein Tropfen in der Atmosphäre gibt, verfärbt sich dann auch die Sonne nicht, wenn sie untergeht. So ist für mich der Sonnenuntergang weniger spektakulär, als er anderen Orten der Welt schon war und nicht das, was gern beworben wird.

El Tatio Geysiere

Die Nacht ist nur sehr kurz. Noch in der tiefen Dunkelheit springen wir in ein Bus. Dabei vergesse ich den extra gekochten Tee mit der Plastikflasche und sehe sie ein letztes Mal aus dem Fenster des Busses. Von meiner letzten Reihe aus, konnte ich aber auch nix dagegen mehr unternehmen. Wir schlafen erstmal noch etwas.

Unser etwas hyperaktiver und -begeisterter Guide holt uns dann wieder aus dem Schlaf, während wir auf das El-Tatio-Geysier-Feld fahren. Zig weiße Rauchsäulen steigen gen Himmel, während es draußen noch eisig ist. Es ist höchst beeindruckend. Manche Geysiere haben Säulen die sehr weit senkrecht gen Himmel wachsen. Andere sind noch klein. Der Guide erklärt uns, dass sie immer wieder versiegen oder neu entstehen. Ca. 80 Geysiere gibt es. Manche sind auch bunt um ihr Austrittsloch herum. Andere haben eine Art Häuschen gebaut. Benannt werden sie nach der Nationalität der Menschen, die schon darin gestorben sind. So ist der größere in der Mitte der Belgier. Es gibt aber auch einen großen am Rand, wo mehrere Leute gleichzeitig Suizid begangen haben und deswegen heißt dieser nur noch der „Killer-Geysier“.

Besonders beeindruckend ist auch ein Geysier der im immer gleichen Takt etwas höher aufbrodelt und dann wieder in sich zusammenfällt. Manche Bodenbereiche sind gefroren, andere warm und feucht. Pippi entdeckt deswegen schnell, dass es sich besser aushalten lässt, wenn die Eisklumpen-Füße auf den dunkleren warmen Bereich stehen.

Wir sind schwer beeindruckt von diesem sehr seltenen Naturschauspiel. Dem Vulkan El Tatio sei Dank, ist hier das größte Geysier-Feld der Südhalbkugel.

Am Rande gibt es noch ein Thermalbecken, wo kaltes und heißes Wasser gemischt wird. Doch so richtig Aufwärmen können wir uns hier nicht. Wenn mensch aber im Sand scharrt wird es teilweise verbrühend heiß. Vermutlich lässt es sich schwer steuern, wie warm es ist, da auch die Tagestemperatur schon extrem schwankt.

Auf dem Rückweg können wir uns noch süße Vicuñas, altbekannte Flamingos und typische Touris anschauen. Der Guide legt uns eine Routenänderung nahe, sodass wir statt in einem langweiligen Dorf neben einer schönen Schlucht halten. Ein kleiner Fluss hat hier ein tiefes Tal gegraben, dass schön bewachsen ist. Hier wachsen auch die Säulenkakteen, die circa einen Zentimeter pro Jahr größer werden. Einige von denen in dem unberührten Tal müssen also schon lange vor der Ankunft der Europäer*innen hier gewesen sein. Wir genießen den schönen Anblick eine Weile, bis es dann zurück nach San Pedro geht.

Ohne Umwege führt unser Weg dann auch direkt zum Busbahnhof.


Nov 12 2018

Die Filmkulisse

Huaraz, Peru

von Rosa

Nächstes Ziel: Süden! Nagut, noch mal ein Stückchen Norden für einen besonderen Juwel. Manchmal sehen Fotos besser aus als die Realität. Alle Online-Dating-Nutzer wissen wovon ich spreche;). In diesem Fall zum Glück nicht. Da ist es genau andersherum. Denn man kann die Schönheit dieses Nationalparks einfach nicht auf Fotos festhalten.

Die Reise von Kolumbien nach Peru gestaltet sich schwieriger als erwartet. Im Ticketpreis nicht inklusive ist zu meiner Überraschung mein großer Rucksack. Der muss aber mit. Also beiße ich in den sauren Apfel und zahle 70 Euro für mein tragbares Haus. Meine Miene verfinstert sich allerdings noch einmal als mir die gute Frau am Schalter sagt, dass ich ein Ausreiseticket für Peru brauche, bevor ich überhaupt einreisen darf. Ganz dunkel kommt mir das bekannt vor. Also renne ich zum nächsten Internetpunkt und kaufe mir ein Ticket von Puno (Grenzstadt in Peru) nach La Paz für 12 Euro und bin mir fast sicher, dass ich es nie einlösen werde. Wie ich später erfahre, gibt es extra Internetseiten, die Fake-Tickets für solche Situationen ausstellen. Zurück zur Frau am Schalter. Sie macht schnell ein Foto vom Ticket und dann darf ich endlich zum Boarding. Dort kommt mein Rucksack nicht durch die Kontrolle. Angeblich habe ich scharfe Gegenstände dabei. Meine kleine Nagelschere und Nagelfeile habe ich in meinem Rucksack vergessen und jetzt landen sie im Müll. Ich stelle mir bildlich vor wie ich die Stewardess mit einer Nagelfeile bedrohe, damit sie mir ein vegetarisches Sandwich gibt. Aber noch nicht mal ein Sandwich ist im Flugticket inbegriffen. Das billigste Essbare was ich im Flughafen finde, ist eine Tüte Chips. Als ich sie in meinem Rucksack verstauen will, rufe ich laut Puta Madre! Es ist das Schimpfwort was ich schon so oft in Kolumbien, Ecuador und Peru gehört habe und diesmal ist es ein dreifaches Puta Madre! Kurz bin ich überrascht, dass ich sogar schon auf spanisch fluche, dann kommt der Ärger zurück. Als ich die Chips verstauen möchte, bemerke ich, dass ich zu viel Platz in meinem Rucksack habe. Das ist nicht gut. Das heißt immer: es fehlt etwas. Mein Schlafsack ist noch in Bogotá. Ich nehme ihn immer mit ins Handgepäck, weil die Busse in Südamerika durch die Klimaanlage so kalt temperiert werden, dass man fast erfriert. Warum das so ist, versteht keiner. Nun ist so eben ein Teil meines Schneckenhauses verloren gegangen. Dann auch noch mein Schutzmantel. Mein wärmendes Fell. Ausgerechnet jetzt wo es in den kalten Süden geht. Meine Chips und ich warten mürrisch am Gate. Dann muss ich mir jetzt eben eine extra Fettschicht gegen die Kälte zulegen. Hilft ja alles nix!

Die ersten Schneegipfel sind zu sehen. Langsam verliert das Flugzeug an Höhe. Lima begrüßt mich in bekannter Weise mit Nebel. Bei der Immigration nach Peru interessiert sich niemand für mein Ausreiseticket. Sehr schön. Ein aufgedrehter Taxifahrer bringt mich zum Gran Terminal Plaza Norte, dem größten Busbahnhof in Lima. Der Taxifahrer kann jedes Lied im Radio mitsingen und hat 14 Jahre in den USA gelebt. Aber es hat ihn wieder nach Peru gezogen. Weihnachten wäre hier besser, sagt er. Neben dem Busbahnhof befindet sich ein riesiges Shoppingcenter. Ich mache mich auf die Suche nach einem Schlafsack. Kurz bevor ich aufgeben möchte und meinem natürlichen Wärmespeicherplan mit Fast Food nachgehen will, finde ich doch noch ein Outdoor-Geschäft. Allerdings haben sie nur ein Monstrum von Schlafsack. Der Gedanke an die acht Stunden Fahrt in die Berge, schlägt die Zweifel in den Wind. Ich baue an. Mein Haus hat jetzt noch eine Garage. Wehe ich nicht mehr so schnell weg. Kurz vor Mitternacht rollt der Bus los von Lima wieder Richtung Norden. Ironischerweise ist die Heizung im Bus an.

Die Straßen sind noch fast leer am frühen Morgen. Die Innenstadt von Huaraz ist mit vielen Geschäften gesäumt. Rechts von der Hauptverkehrsader ist es sehr ruhig. Ich laufe den Berg hinauf bis zur Unterkunft. Doch anscheinend habe ich die falsche Straße erwischt und bin zwanzig Minuten in die falsche Richtung gelaufen. Puta Madre! Verschwitzt und müde komme ich endlich an. Es gibt eine heiße Dusche als Belohnung. Huaraz liegt in 3000 Meter Höhe und ist umgeben von imposanten Berglandschaften. Ein schneebedeckter Gipfel reiht sich an den nächsten. Zwei Stunden von Huaraz entfernt liegt der Nationalpark Huascarán, der einen großen Teil der Cordillera Blanca unter Schutz stellt. In dem über 3400 Quadratkilometer großen Gebiet gibt es unzählige Wanderwege, die über 16 Tage dauern können. Heiß empfohlen wurde mir der Trek zur Lagune 69, den man an einem Tag schaffen kann, wenn man zeitig aufsteht. Ganz nach dem Motto der frühe Vogel fliegt auf den Berg. Mit Fliegen hat die anstrengende Wanderung allerdings wenig zu tun.

Es ist mitten in der Nacht und der Wecker klingelt. Es gibt Leute, denen macht das zeitige Aufstehen nichts aus. Und dann gibt es mich. Aber seit ich die Fotos von der türkisblauen Lagune gesehen habe, bin ich ein Stück weit verliebt. Also schiebt sich mein Körper unter der warmen Bettdecke hervor in die noch kalte Morgenluft. Wir fahren mit dem Bus aus der Nacht der Sonne entgegen, die sich langsam hinter den Schneegipfeln zeigt. Das Aufstehen hat sich jetzt schon gelohnt. Die Bergriesen reihen sich aneinander bis wir von der Asphaltstraße auf eine Schotterstraße wechseln. Am Eingang des Nationalparks müssen wir acht Euro bezahlen und dann wird es richtig spannend. Mich umgeben hohe Felsmauern. Sie wirken wie abgehakt. Rote, braune, graue Farben wechseln sich in den Steinformationen ab.

Bevor die Wanderung losgeht, halten wir an einem See, dessen Farbe an schönste Karibikstrände erinnert. Nur gibt es hier eben noch Berge. Im Nationalpark soll sich angeblich auch der Berg befinden, der als Motiv für die bekannte Filmproduktionsfirma Paramount Pictures fungiert. Deswegen ist der Gruppenname unserer Wandergruppe Paramount. Vier Stunden dauert die Wanderung bis zur Lagune 69. Im Park gibt es über 400 Seen. Schon die ersten Meter begeistern mich.

Ein kleiner Bach schlängelt sich im Tal entlang. Aus den Felswänden sprudeln kleine Wasserfälle. Die Wanderstrecke gibt keinen Grund zur Langeweile. Die Flora und Fauna ist so abwechslungsreich, dass ich aus dem Staunen gar nicht mehr raus komme. Die ersten Wanderer kommen aus dem Schnaufen nicht mehr raus. Wir sind fast auf 4000m Höhe. Ich fühle mich gut und kann lange Strecken ohne Pausen laufen.

Vor mir türmen sich immer neue Schneeriesen auf. Langsam werden auch meine Schritte langsamer und die letzten Meter auf dem steinigen Untergrund eine kleine Tortur. Ich biege um die letzte Kurve und schon sehe ich es türkisblau schimmern.

Es ist ein wunderschöner Anblick. Wie ein seltener Stein liegt das saftige blau zwischen großen Felsen hinter denen Eisberge thronen. Es sind fast keine Menschen da. Ich laufe über Steine, um die Lagune von allen Seiten zu betrachten. Doch so sehr ich mich auch bemühe, ich bekomme die Lagune nicht in ihrer vollen Pracht auf ein Foto.

Langsam trudeln die anderen Wanderer ein. Einer will es wissen und hat sogar eine Drohne dabei, um DAS Bild zu bekommen. Ich erfreue mich am Rückweg, der nur noch bergab geht.

Am Abend schnalle ich mir wieder mein Haus auf den Rücken und diesmal komme ich ohne Umwege beim Busbahnhof an. Ich kuschle mich in meinen neuen Schlafsack und fahre durch die Nacht zurück nach Lima.