Apr 7 2019

Salvador, Yemayá und Tapioca

Von Karl

Salvador, Bahia, Brasilien

 

nach Salvador

Unser Start von Arraial do Cabo (Bundesstaat Rio de Janeiro) gestaltete sich nicht ganz leicht. Es gibt nur Verbindungen nach Rio de Janeiro, sodass wir erstmal mit dem Stadtbus nach Cabo Frio fuhren, was gleich der nächste Ort ist. Leider gab‘s hier auch keine Wunschverbindungen, sodass wir erstmal zum unaussprechlichen Campos dos Goytacazes aufbrachen. Gegen Mitternacht begannen wir dort dann mit dem letzten Schalterbediensteten eine theoretische Odyssee durch die letzten Verbindungen und Preise. Schlussendlich entschieden wir uns für Eunápolis im Bundesstaat Bahia, wo es auch hingehen soll.

Gegen Mittag waren dann auch dort, doch leider gab es nur Verbindungen über Nacht in die ehemalige Hauptstadt Salvador. Wir begann also die Stadt zu erkunden, aber jede*r ist hier der Meinung, dass die Stadt nicht sehenswert ist. Gut, es gibt nun auch nicht so viel zu erkunden, aber lecker Acai essen ist trotzdem drin.

Ein kleiner Platz neben der modernen Kirche lädt zum Verweilen ein. Das schönste aber in Eunápolis war wieder die Motorradfahrt zurück zum Busbahnhof. ach, die Motorrad-Taxis, ich werd‘s vermissen …

Salvador

Salvador war mal wichtiger und das als es Brasiliens Hauptstadt war. Heute eher aus kultureller Sicht berühmt. Sie gestaltet sich wie viele brasilianische Großstädte sehr durchmischt. Große Schnellstraßen durchkreuzen arme Favelas und reiche Hochhaussiedlungen. In letzteren Haben wir bei einer Professorin, genannt Ilma, ein Zuhause bekommen. Vom 9ten Stock aus bietet der Balkon schon einen kleinen Ausblick auf die Gegend. Der Sicherheitsdienst nahm es ganz genau und der Pool ist geheizt. Kinderparadies und Muckibude haben wir nicht genutzt. Mag es mal angenehm zu sein, in so einer Umgebung abzusteigen, sind wir, Azul und ich, doch einig, dass ein mit Mauer, Stacheldraht und Elektrozaun umgebenes Zuhause uns nicht gefällt.

Salvador war im 18. Jahrhundert mal Hauptstadt Brasiliens. Viele Sklav*innen unter anderem aus dem heutigen Angola wurden hierher gebracht und haben die Region nachhaltig geprägt. Immer wieder kam es zu Aufständen und Streiks, die gegen die Sklaverei und Kolonialherren in Portugal sich richteten und schlussendlich auch erfolgreich waren. Ausdruck dieser Zeit ist auch der Kampf- bzw. Tanzsport Capoeira, der seine Heimat besonders auch in der Bahia hat, wie die Region genannt wird.

Yemayá

Mit den Sklav*innen kamen auch deren Religionen nach Brasilien und Teile haben sich bis heute gehalten. Teils wurden die Religionen von der katholischen Kirche okkupiert. Eine der Religionen ist die der Yoruba aus Nigeria und Benin, die über die Zeit zur eigenständigen afrobrasilianischen Religion Candomblé wurde. Teil dieser Religion ist die Heilige Yemayá, die symbolisch für das Meer steht. Ihr zu Ehren wird jedes Jahr im Januar in verschiedenen Städten Brasiliens ein Fest abgehalten. Ilma machte uns darauf aufmerksam, dass am nächsten Tag, nach unserer Ankunft, dieses Fest im Stadtteil Rio Vermelho (zu deutsch: Roter Fluss) stattfinden wird, und, dass Salvador außerordentlich feierlaunig ist und jede Gelegenheit gerne genutzt wird.

So war dann auch unser Eindruck. Schon Kilometer vor dem angepeilten Ort der Feierlichkeiten, sehen wir tausende Begeisterte, die zu den Stränden pilgern und ihren Weg durch die unzähligen Verkäufer*innen schlängeln. Neben den üblichen Essen und Trinken, besonders Bierdosen, gibt es auch frittierten Käse. Der erst frisch über einen kleinen Eimer mit Holzkohle gegrillt wird, nachdem wir bestellt haben.

Wir erreichen dann auch, nachdem wir durch die Massen an Trinkenden uns durchgeschlängelt haben, einen Strandbereich. Teil der Tradition ist es Blumen ins Wasser zu werfen. Unzählige Tulpen schwammen schon im Wasser und der Strand ist gesäumt durch welke und nasse Blumen. Oft wird Frauen ein paar Blumen geschenkt, die sie dann ins Wasser werfen. Je nach Einkommen, auch ein Blumenstrauß oder sogar mit einer kleinen Bootsfahrt.

Rio Vermelho hat viele kleine Strände und wir hangeln uns von Strand zu Strand weiter bis wir zu einem größeren kommen, der auch massiv überlaufen ist. Unzählige Bötchen schaukeln im Wasser oder warten am Strand auf Kundschaft oder um das Spektakel zu beobachten. Genauso wie Fernsehsender, die eine eigene große Plattform aufgebaut haben. Tatsächlich gibt es hier auch Zelte für rituelle Segnungen und teils steigen Priester in religiösen Trachten mit großen Blumengestecken auf die schaukelnden Boote. Unter dem gespannten Interesse der Umstehenden die das auf jeden Fall sehen und photographieren müssen.

Oberhalb des Strandes steppt auch der Bär. Essen und Trinken soweit das Auge reicht. Tausende die feierlaunig die Straßen bevölkern. Die eigentlich breite Uferstraße folgend kommen dann auch Bars mit DJs und Boxen um die Straße mit tanzbarer Musik zu bespielen. Den Rhythmen folgend bewegen sich die hunderten Menschen, wenn sie nicht von umziehenden Gruppen, Bierträger*innen oder der brutalen Polizei geschubst werden. Die Polizei tritt in kleinen Gruppen auf und es ist sehr ratsam nicht denen im Weg zu stehen, weil, wie ich beobachten musste, sie schnell mal den Schlagstock zücken und kräftig zulangen.

Wir versuchen die entsprechenden Korridore frei zu halten und genießen die MPB. MPB meint soviel wie brasilianische Popmusik. In Brasilien hat sich eine eigene Popmusik entwickelt die auch immer wieder weltweit bekannte Titel hervorbrachte. Natürlich läuft auch etwas Elektro, Rock und Reggae. Salvador ist, ähnlich wie Rio de Janeiro, ein Ort, der besonders LGBTIQ-freundlich ist. Wir tanzen entlang des Regenbogens bis uns die Füße schmerzen. Teil der Tradition dieses Festes scheint auch der Verkauf von Armbändchen zu sein, die es auch in Regenbogenfarben gibt. MPB ist einfach zu finden, falls ihr mal reinhören wollt.

Pelourinho

Salvadors touristisches Zentrum ist Pelourinho. Es ist die hübsch restauriert Altstadt. Sie liegt in der Oberstadt. Die Unterstadt liegt auf Meeresspiegelniveau und wurde über die Jahrzehnte weitestgehend aufgeschüttet.

Um von der Ober- in die Unter-Stadt zu kommen, oder umgekehrt, gibt es neben der verschiedenen sich windenden Wege, den Elevador Lacerda, einen historischen Aufzug. Der beige-weiße Bau ist hübsch restauriert und enthält mehrere Aufzüge. Über eine Brücke führt der Weg zum oberen Ende des Aufzugs.

Ein weiter Ausblick erlaubt der Blick durch die breiten Fenster auf die verschiedenen Häfen. Der Aufzug ist sehr günstig und entsprechend sollte Kleingeld parat gehalten werden. Unweit des Aus- und Einstiegs in der Unterstadt gibt es auch einen großen Markt mit allerlei Handwerk und Souvenir-Kram.

Obschon alles ganz nett ist, chillen wir doch mehr am Wasser als alles andere und fahren rechtzeitig mit der S-Bahn zurück. Mittlerweile gibt es zwei Linien, die seit Jahrzehnten geplant und gebaut werden, aber für Salvadors Bedarf zu wenig ist. Mir kam zu Ohren, dass die Metro ein ähnlich belächeltes Großprojekt ist wie der Berliner Flughafen.

Wir müssen pünktlich zurück sein, denn Ilma lud uns ein, mit zu einem Axé-Konzert zu kommen. Axé hat auch afrobrasilianische und bahianische Wurzeln und ist in den letzten Jahren sehr beliebt geworden, auch außerhalb von Bahia. Falls ihr mal reinhören wollt, ich hab euch mal Daniela Mercury rausgesucht, eine Axé-Ikone. Das Konzert ist in vollem Gang und das schon am frühen Abend. Ich bin beeindruckt von der Leidenschaft die die Menschen durchströmt. Bis zur Oma hinterm Verkaufsstand lassen sich alle mitreißen. Die Oma verkauft übrigens Tapioca.

Auch Ilma und viele andere essen gerne Tapioca, insbesondere zum Frühstück. Tapioca ist eine weißes Pulver was es in allen Lebensmittelgeschäften gibt und aus Maniok gemacht wird. Das beeindruckende ist dabei die Zubereitung. Das Pulver wird feingesiebt und ohne Öl oder Wasser in eine Pfanne gegeben. Zur Not etwas festgedrückt, wird das weiße Pulver erhitzt. Dabei verbindet es sich nach und nach zu einer Masse, sodass es wie eine weißer Eierkuchen aussieht. Nur einmal drehen und servieren bevor es braun wird. Es schmeckt nach nichts und ist etwas gummiartig. Wichtig ist nun die Füllung, das heißt, was eingerollt wird. Die Faulen und Armen nutzen Salz und Margarine. Darüber hinaus sind verschiedene Fleisch- und Käsesorten beliebt, manchmal mit Rührei, gekochten Gemüße oder gar süß. Ich denke ich packe mir auch ein Päckchen ein.

Nachdem unser Hunger gestillt ist, geht es zurück zwischen die Tanzenden um es ihnen gleich zu tun. Es ist tatsächlich eine unglaublich gut tuende Musik. Sie lässt entspanntes langsames Zappeln zu, aber auch energetisches Ausrasten, wenn einen nach einer anstrengenden Arbeitswoche gerade danach ist. Auf der Bühne singt Margareth Menezes. Hört’s euch mal an. Sie ist auch ziemlich berühmt und als sie ihren Hit Dandalunda schmettert sind alle aus dem Häuschen.

Es gibt zudem eine große Halle auf dem Gelände die sich der solidarischen Wirtschaft verschrieben hat und viele Produkte aus alternativer Produktion, z.B. von Kollektiven, anbietet.

Vieles sind auch Produkte die auf die Schwarze Tradition beziehungsweise das afrobrasilianische Leben sich beziehen. So werden viele bunte Tücher angeboten, die vor allem Frauen um den Kopf tragen und auf der Stirn verknoten. Aber auch antirassistische Initiativen verkaufen Shirts mit Statements, oder ökologisch-vegane Seife, oder recycelte Kunst, oder oder oder …

Erneut gehen wir begeistert nach dem kleinen Shopping zurück zur Tanzwiese. Leider endet das Konzert relativ früh. Nach einem spätabendlichen Acai fahren wir ein letztes Mal zu Ilma nach Hause, denn am nächsten Tag steigen wir ein letztes Mal in den Fernbus. Nicht ohne im Busbahnhof nochmal fett Feijoada zu futtern.


Apr 1 2019

Die Größte

Von Karl

São Paulo, Brasilien

 

Willkommen

Heute darf ich euch Samuel alias Samant und Isabel vorstellen. Isabel hat noch Familie in Nicaragua, aber da grad der olle Diktator nicht gehen will und das Land terrorisiert, zog sie es vor in den USA bzw. jetzt in Brasilien zu wohnen. Sie unterrichtet Englisch und lernt portugiesisch, was ihr leichter fällt, da sie ja Spanisch als Muttersprache hat. Anders als Samant, der Englisch als Muttersprache hat und aus Ghana nach Brasilien kam, nachdem er auf einer halben Weltreise Isabel kennenlernte. Ein ziemlich interessantes Pärchen, mit dem wir dann auch mal zum Bäcker gegangen sind.

Jups, ihr lest richtig, zum Bäcker. Die Kuriosität daran ist, dass es ein Plastikkarten-System gibt. Die Karten sind allerdings deutlich größer als gewöhnlich und kommen aus einer Vorrichtung die dann das Drehkreuz freigibt wenn mensch sich eine gezogen hat. Neben der klassischen Möglichkeit Brote und Süßwaren zu kaufen oder zu schlemmen, gibt es auch eine Art Restaurant oder Bar oder Kiosk. Irgendwie ist ein wenig von allem dabei. Manche sitzen beim Feierabend-Bierchen zusammen und anderen haben ein Menü bestellt. Andere ziehen mit einer Tüte Pão de Queijo ab.

Pão de Queijo heißt so viel wie „Käsebrot“ und meint Kugeln oder Kügelchen, die im Prinzip wie Käse schmecken. Der Käse ist dem Maniok-Mehl dazu gegeben worden, bevor es gebacken wurde. Es ist super lecker insbesondere, wenn es frisch zubereitet wurde. In Porto Alegre gab es sogar welche mit flüssigem Käse in der Mitte. Om-nom-nom.

Samant erzählt uns noch von seinem musikalischen Projekt und wenn ihr mal reinhören wollt schaut nach „Samant ID“. Isabel und Samant sind unsere Gastgeber*innen in São Paulo der größten Metropole Latein– und Südamerikas, sowie der zweitgrößten auf der Südhalbkugel; nur Jakarta ist größer. 21 Millionen sollen in der Metropole wohnen, also eine schier endlose Stadt. Entsprechend viele Seiten beherbergt sie und hat einen entsprechend enormen Stellenwert in Brasilien.

Ihren Aufstieg fußt auf der Industrie. Auch deutsche Konzerne lassen Unmengen in der Stadt produzieren und ist wohl eine der größten deutschen Industriestandorte. Sie ist die Stadt in der gearbeitet wird, so heißt es. 60 Prozent des brasilianischen Stromverbrauchs entfällt auf São Paulo. Ein Drittel des brasilianischen Exports kommt aus São Paulo. Dazu gehört die nahe Hafenstadt Santos, die den größten Hafen Lateinamerikas betreibt. São Paulo ist auch der Schoß der berühmten Arbeiterpartei PT, die den ehemaligen Präsidenten Lula da Silva stellte. Selbst international ist der Prozess um Lula berühmt geworden. Noch im Amt wurde nach Ermittlungen unter anderem ihm der Prozess wegen Korruption gemacht und er wanderte ins Gefängnis. Es steht allerdings zu vermuten, dass es politisch motiviert war, denn neben all den Mittäter*innen ist nur er eingewandert. Das hat schlussendlich auch den Rechtsaußen-Populisten Bolsonaro geholfen 2018 an die Macht zu kommen. Lula verfolgte eine sozialistische Politik, die Armut und Hunger verringern konnte. Dass Politik sehr korrupt ist in Brasilien, das, so höre ich mehrfach, scheint eher normal zu sein, nichtsdestotrotz etwas was viele ärgert.

Fast zwangsläufig hat eine solch große Stadt ein Problem mit der Luftverschmutzung. Aber auch die Bodenversiegelung schlägt hier zu. Bei den tropischen Regenfällen die manchmal in die Metropole gelangen kommt es schnell zu lokalen Hochwassern und Verkehrschaos.

Das Rückgrat des öffentlichen Personenverkehrs bildet die Metro mit knapp zwei Dutzend Linien. Eine Fahrt vom Zentrum an den Rand kann entsprechend lange dauern. Arbeiter*innen brauchen im Schnitt zweieinhalb Stunden pro Fahrtstrecke in São Paulo. Die Metro ist auf einigen Strecken sehr modern und gilt als drittleistungsfähigste der Welt. Im Abstand von 100 Sekunden fahren Züge ab.

Unterschrift und Stempel

Wie schon auf der Überfahrt nach Südamerika, so auch auf der Rückfahrt beabsichtige mit dem Containerschiff zu fahren und dies bedarf leider ein paar Dokumenten. Das allerletzte dass ich nun besorgen muss, ist ein medizinisches Zertifikat, welches beweist, dass ich gesund genug bin auf einem Schiff mitzufahren. Gesagt, getan, ich beginne also die Suche nach entsprechenden Adressen. Die us-amerikanische Botschaft bietet beispielsweise ein Liste an Krankenhäusern, die vermutlich auch englisch sprechen. Was schon mal gut ist, weil mein Dokument in englisch gehalten ist.

Samant berichtet mir aber auch von seinem Arzt und dieser würde auch englisch sprechen. Samant selbst tut sich noch schwer mit portugiesisch. Portugiesisch ist tatsächlich ziemlich herausfordernd, wenn mensch jetzt nicht grad Profi in Spanisch ist. So ist es schwierig zu erlernen, das „ã“ richtig auszusprechen. Manchmal klingt das „t“ wie ein „sch“, das „r“ wie ein „h“ und das „l“ wie ein „u“. Sie schreibt sich Brasilien in portugiesisch „Brasil“, aber wird in etwa wie „Brasiu“ ausgesprochen.

Auf dem Weg zu seiner Anschrift, kommen wir an einem Ärztinnen- und Ärztehaus vorbei. Sie haben leider nur Spezialist*innen, finden aber eine Krankenpflegerin, die auch spanisch spricht und uns eine Brief auf portugiesisch verfasst. Gegenüber, 100 Meter bergan, gibt es aber einen Gesundheitsposten, wo wir hingeschickt werden und den Brief abgeben. Der kleine Anmeldebereich ist voll mit Menschen. Vielleicht fünfzig warten und es ist das bunte Potpourri an Problemchen.

Ich werde im System aufgenommen und mit einer grünen Karte ausgestattet.

Anders als im Spanischen kommt der mütterliche Nachname an erste Stelle und es werden auch die mütterlichen Nachnamen an die Kinder weitergegeben. Weil ich das nicht gerafft habe, blieb das Feld „Name der Mutter“ frei. Hinzu kommt, dass „Nachname“ auf Spanisch „Spitzname“ auf Portugiesisch heißt und umgekehrt. Nachdem wir aber all dies überwunden hatten, begannen wir damit zu warten. Entgegen meiner Annahme nun zig Stunden warten zu müssen, weil wir offensichtlich bei einem offiziellen Gesundheitsposten des Gesundheitsministeriums sind, werde ich schon nach einer halben Stunde in ein kleines Zimmer geführt und ein paar wenige Tests gemacht. Blutdruck und Herzfrequenz und was sonst noch schnell geht.

Vorab waren wir bei einer privaten Praxis die einen Betrag verlangte, dass wir lieber weitersuchten. Ich kann nun im nächsten Stockwerk warten und auch hier sitzen schon einige. Aber es geht Schlag auf Schlag. Mindestens sechs Sprechzimmer sind auf dem Gang, vielleicht auch zehn. Keine zwanzig Minuten später sitze ich vor einem Arzt am Besprechungstisch und der packt sein fließendes us-amerikanisches Englisch aus. Er geht kurz den Bogen mit mir durch, wir unterhalten uns kurz, dann haut er Stempel und Unterschrift drauf und ich kann das Zimmer wieder verlassen. Bevor ich aber die Klinke in die Hand nehme, frage ich noch, wo und wie ich denn die Leistung bezahlen muss. Nicht ohne Stolz bemerkt er, dass die Gesundheitsversorgung in Brasilien kostenlos ist. Ich sag ihm, dass ich das gut finde, und hebe nun meine grüne brasilianische Gesundheitskarte auf.

Tokio und London

São Paulo ist über die Jahrzehnte auch Ziel von Zuwanderung aus der ganzen Welt gewesen und wohl auch deswegen gilt es als größte japanische Stadt außerhalb von Japan. Ein entsprechender Stadtteil zeugt von dem japanischen Einfluss. Ampeln sind mit entsprechenden Schrift-Zeichen versehen, Straßenzüge haben speziell geformte Laternen und Läden sind in japanischem Stil gestaltet. Unsere Entdeckungstour endet aber, als ein unglaublicher Wasserfall über der Stadt sich ergießt, kombiniert mit Windböen, die die Fallrichtung um 90 Grad von vertikal auf horizontal ändern. Wir müssen also in einem asiatischen Restaurant zuschlagen. Hilft alles nichts.

Am nächsten Tag wollen wir einen Ausblick über die Stadt wagen und kommen in das Geschäftsviertel der Stadt. Breite Fußgänger*innen-Zonen, Geschäftsleute, Kanzleien, Hochhäuser, … ja einiges erinnert ziemlich an London.

Das Hochhaus mit der besuchbaren Ausblicksebene breitet den Teppich aus wie ein Fünf-Sterne-Hotel und verlangt gutes Geld für ein wenig Aufzug. Naja, der Ausblick ist gut, aber nicht der höchste. Eine Ansammlung an Hochhäusern durchzogen von großen Straßennetzen und das soweit das Auge reicht. Auch an anderer Stelle finden wir eine breite Straße vor, die sich schnurstracks bis ins unendlich verliert, die zwar Fahrradspuren und moderne Busse hat, anders als in unserer Gegend, aber die Angebote rundherum sind nicht für unseren Geldbeutel gemacht.

Dann doch lieber unsere Gegend, die mir einfach und bodenständig erscheint. Im Selbstbedienungs-Restaurant um die Ecke gibt es lecker Feijoada. Das ist eine Art Bohneneintopf. Meist wohl mit dunkelroten Bohnen, aber es gibt auch einen mit schwarzen Bohnen. Vielleicht heißt einer von beiden nicht Feijoada, aber egal, von mir gibt es eine absolute Essempfehlung. Aufgepasst, manchmal ist es mit Fleisch angereichert. Auch frisch gepresster Orangensaft kommt auf unseren täglichen Speiseplan, hier „Suco de Laranja“ genannt.

Wer erneut einen Abstecher in die Bäckerei wagt, sollte auch mal Brigadeiros probieren. Aufgepasst, Diabetes-Gefahr. Brigadeiros sind Kugeln aus Kakao-Masse mit Schokostreuseln und gehören zur Familie der Trüffelpralinen. Gibt es an vielen Ecken.

Nach einer herzlichen Verabschiedung von Samant und Isabel klappern wir nochmal all unsere Lieblingsplätze ab, bevor es mit der Metro wieder zurück zum größten Busbahnhof Lateinamerikas geht.


Mrz 24 2019

Die Stadt um den Obelisk

Von Karl

Buenos Aires, Argentinien

 

Ein letztes Mal, aber auch eine ungezählte Wiederholung dessen, verabschiede ich mich von Fran, Frans Freund, Elias und Luzi. Die vier hatten uns nach Puerto Falcón gebracht, einer kleinen Grenzstadt bei Asunción und dann sind wir zu Fuß nach Clorinda gelaufen, der argentinischen Stadt auf der anderen Seite des kleinen Flusses.

Es nieselt und lässt die beiden Städte in einem düsteren Bild erscheinen. Verstärkt durch den Eindruck der gelangweilten Grenzbeamt*innen und den überdachten Marktstraßen. Wir versuchen einen Bus nach Buenos Aires zu bekommen, doch der ist schon weg.

Wir werden angesprochen und bekommen Angebote in Sammeltaxen nach Formosa mitzufahren bzw. als klar ist, dass wir mindestens bis nach Resistencia möchten, sogar bis dahin. Da die Angebote aber viel zu günstig sind und auch zufällig erscheinende Gestalten uns versuchen zu überreden, nehmen wir von der Idee schnell Abstand uns im Nirgendwo ausrauben zu lassen. Bei einer Busfirma bekommen wir dann aber noch ein Busticket und sind froh aus dieser unheimlichen Stadt herauszukommen, zumal die Nacht anfing sich auszubreiten.

In Asunción hatte ich meine Brille vergessen, sodass ich nochmal für eine Nacht zu Frans Familie reiste. Es lag zudem auf dem Weg. Selbst Fran war da. Trotz der Kürze unseres Aufenthalts ließ Elias es sich nicht nehmen uns eine kleine Führung im Viertel zu geben. Einer der berühmtesten Fußballer Paraguays, Derlis González, hat ein Haus zwei Blocks weiter. Später verbringen wir aber die meiste Zeit damit bei einem Supermarkt zu warten, dass ein heftiges Gewitter vorbeizieht. Zudem fällt auf, dass unsere Kreditkarten, sowohl die von Azul, als auch meine, erst für die jeweiligen Länder freigeschaltet werden muss.

Ein letztes Mal bereitete Luzi für uns Vori-Vori zu, eine paraguayische Spezialität. Wir witzelten noch, dass sie das eigentliche Highlight von Asunción ist. Schon ziemlich traurig, dass wir die sehr gastfreundliche Familie hinter uns lassen, winke ich ihnen ein letztes Mal, bevor ich um die Ecke verschwinde.

Die lange Reise nach Buenos Aires

Der Bus nach Resistencia entlässt uns gegen Mitternacht und wir suchen die letzten noch offenen Schalter ab und tatsächlich geht es direkt weiter, über Nacht, nach Rosario.

Eine weitere Großstadt auf dem Weg zum Ziel. Wer Geld sparen möchte, dem empfehle ich öfters mal umzusteigen, dann die Ticket-Preise können in der Addition günstiger sein, als der Direktbus. Wir wählen aber notgezwungen unsere Busse. Obschon wir in Rosario nicht mehr weit von Buenos Aires entfernt sind, so gibt es doch nur einen Bus als Option. Sie hüpfen wir also von Bus zu Bus, bis wir auf vierspurigen Autobahnen parallel zu Metro-Zügen auf eine Stadt mit unzähligen Bürohochhäusern zusteuern.

Buenos Aires ist nicht nur die Hauptstadt, sondern auch eine Provinz. Der Kern an sich ist nur die Verwaltungshochburg mit knapp drei Millionen Menschen. In der Provinz leben aber knapp sechzehn Millionen. Der Übergang ist fließend und Vorortzüge, sowie die Metro, genannt Subte, verbinden die umliegenden Gebiete fließend. Bei den Zügen gibt es verschiedene Verbindungen auf der gleichen Strecke, sodass auch Züge gewählt werden können, die einzelne Haltestellen auslassen und deshalb schneller sind. In der Nacht wird der Verkehr eingestellt.

Mit einen der Züge geht es in eines dieser unzähligen Stadtviertel, wo wir in entspannter Umgebung zwei Nächte unterkommen können. Fernando heißt unser stiller Gastgeber. Er ist aber sofort hilfsbereit und schon zehn Minuten nach unserer Ankunft grast er das Internet nach Möglichkeiten ab nach Uruguay zu kommen. Abends kochen wir lecker gemeinsam und trinken mit seinen Freunden Bier. Es ist einer dieser vielen entspannten Abenden. Jedoch merke ich wieder wie mein Gehirn nach einer Weile auf Standby geht, da es auf die Dauer ziemlich anstrengend ist, wenn ich die Sprache nicht gut kann. Fertig von der langen Reise bin ich ziemlich froh dann in ein weiches Bett zu legen.

Buenos Aires

Manche Highlights waren mir als solche vorab nicht bekannt. An einer Straßenecke im Zentrum sitzt Mafalda auf einer Bank und eine lange Schlange hat sich davor gebildet. Ein jede*r möchte ein Photo mit ihr. Mafalda ist eine wohl berühmte Comic-Figur aus Argentinien, vermutlich aus Buenos Aires. Ihre Berühmtheit ging leider bislang an mir vorüber, aber angesichts dessen was ich nun über sie weiß, scheint sie zu den cooleren Comic-Held*innen zu gehören.

Ein weiterer Held begegnet mir dann zwei Blocks weiter. Schon lange misse ich die leckere vegane Küche und als aber ein junger Mann mit Fahrrad und veganen Schnitzel-Sandwichs vor mir auftaucht, ist mein Tag gerettet. So einfach kann ich glücklich werden.

Buenos Aires überragt Argentiniens restliche Regionen um ein Vielfaches und enthält alle entscheidenden Organisationen. So kann Präsident*innen-Palast, Kongress und Senat besichtigt werden, wobei letzterer sich nicht besonders verkleidet.

Der wohl schönere Ort der Stadt ist der Obelisk, der als Kilometer 0, also Zentrum der Stadt bzw. Argentiniens gilt.

Weiterhin gibt es den ehemaligen alten Hafen, der sich zum Geschäftszentrum entwickelt hat und vor allem der Oberschicht vorbehalten ist. Es ähnelt ein wenig der Hamburger Speicherstadt.

Ansonsten bietet die Stadt ruhige Parks und Monumente. Eigentlich alles, was eine lebenswerte Stadt hat. Auch die tapferen Aktivistis sind unterwegs und machen auf die absurden Lebensbedingungen der Tiere im Zoo aufmerksam. Natürlich am Eingang vom Zoo.

Wer günstig und nicht-fleischig essen mag, der empfehle ich die, meist asiatischen, Selbstbedienungs-Restaurants. Hier wird nach Gewicht bezahlt und es kann sich aus einer breiten Auswahl bedient werden.

Neujahr

Azul konnte eine Freundin ausfindig machen die mit ihrer Schwester eine kleine Wohnung weit näher am Zentrum bewohnt. Wir belagern nun den Boden des kleinen Wohnzimmers und versuchen als Dank die Wohngemeinschaft mit Essen zu versorgen. Damariz und Blanquita haben viele Antworten zu unseren Fragen und nehmen uns mit auf ihre Silvester-Fete. Eigentlich ist, besonders in Argentinien Silvester auch eine Familien-Feier, doch wir sind ja bei bolivianischen Emigrantinnen und die feiern im Kreise von Freund*innen. Es gibt lecker Essen und Trinken und dann wandern wir zu Fuß zum alten Hafen.

Bemerkenswert für mich sind die deutlich wenigeren Raketen, jedoch erfreuen sich die Leute den wenigen umso mehr. Zu dieser Zeit, die auch Hauptreisezeit ist, scheint die Stadt fest in brasilianischer Hand, denn von dort kommen die meisten Touris. Die Einheimischen sind bekanntlich bei den Familien zu Hause. Wir sparen uns den Eintritt in die teuren Clubs der Stadt – sie sind tatsächlich ungeheuerlich teuer – und spazieren durch die Stadt, bis wir vor dem Morgengrauen in die Koje fallen.

Am nächsten Tag mache ich eine Lerneinheit in Sprache und Kultur. Diesmal war ich dran einen Polizisten zu fragen wo denn ein günstiges Restaurant in der Nähe sei. Gesagt, getan, ich frage ohne Umschweife direkt danach. Der Polizist ist sichtlich verwirrt. Azul muss eingreifen und erklärt mir, dass ich sehr unfreundlich daherkomme. Das war mir gar nicht so bewusst, aber ja, wer spanisch oder englisch spricht, sollte eine Spur freundlicher sein, als auf deutsch. Ein „Entschuldigung, …“ oder „Wissen sie vielleicht …“ oder „Ich bin grad auf der Suche nach …“ oder „Können sie mir kurz helfen …“ oder dergleichen ist immer angebracht.

Fähre

Buenos Aires ist eine nette Gegend um zu verweilen, doch die Zeit drängt und wir brechen erneut auf. Der günstigste Weg nach Uruguay ist der Bus, doch die sind alle ausgebucht und zudem gibt es Konflikte am Grenzübergang zwischen den beiden Ländern wegen einer Zellulosefabrik. Also buchen wir die günstigste Fähre am Tag. Was aber immer noch saftig teuer ist.

Das Fährterminal nimmt sich wie ein Flughafen aus und ich bekomme den Eindruck die gehobene Klasse gebucht zu haben, nur dass es auch Massenabfertigung ist. Die Fähre ist ausgestattet mit zig Reihen von Bussitzen. Zu meiner Enttäuschung führt leider kein Weg raus aufs Deck. Die Sonne ist gerade untergegangen als wir an der Skyline von Buenos Aires vorbeigleiten. Ein letzter Blick zurück bevor die Stadt im diesigen Dunkel verschwindet.


Nov 21 2018

11 um 5, Tee statt Schnaps und das pünktlich

Von Karl

 

Es ist wieder mal ein Zug der mich antreibt in eine Stadt zu kommen. Auch in Chile gibt es kaum mehr Bahnverbindungen. Bis auf ein wenig Metro in Santiago und Valparaiso. Doch eine Verbindung fährt noch täglich zwei Mal: Santiago ←→ Chillán. Die halbe Strecke wird noch häufiger bedient durch eine Art Vorort-Zug. Deswegen weist der Fahrplan auch nie Santiago oder Hauptbahnhof Santiago aus, obwohl er tatsächlich so heißt (estacion central). Sondern Alameda nennt sich der Start- und Endpunkt, wie bei einer Straßenbahn.

Chillán

Äußerlich und Innerlich unterscheidet sich der graue Zug mit drei Waggons kaum von einer Regionalbahn in Deutschland. Gut, die Fahrscheine werden beim Einstieg kontrolliert und größeres Gepäck kann vorher abgegeben werden gegen eine Gebühr. Während der Zug die ersten Meter macht geht dann der Schaffner im schicken langen schwarzen Mantel durch und erklärt jede*n persönlich wo das Bordrestaurant und die Klos sind. Die Leute vom Bordrestaurant bringen die Sachen dann an den Platz.

Sobald Santiago lichter und grüner wird, erscheinen die weiten grünen Felder. Über ihnen schwebt noch der kühle Morgennebel, der nach einem Nickerchen aber auch verschwunden ist. Der erste Zug fährt um halb Neun ab und ist dann mit Verspätung gegen Mittag da.

Gedenktafel an die Opfer der Militärdiktatur in Chillán

Chillán lässt sich komplett erlaufen. Ich nutze den angefangenen Tag um mir ein Bild von der Stadt zu machen, die aber über keine Sonderlichkeiten verfügt. Bis auf die moderne Kirche. Ein grüner Park im Zentrum, ein paar Fußgänger*innen-Zonen. das war’s.

So vor mich hin schlendernd spricht mich eine alte Frau auf Englisch an und fragt mich ob ich ihr helfen kann mit ihrem Handy. Wir kommen ins Gespräch und laufen dann zurück zum Park. Eine Weile finde ich es spannend. Sie verkauft Sopaipillas und Empanadas aus ihrer Tasche heraus, in dem sie durch die Straßen geht und diese rufend anbietet. Sie schenkt mir sogar ein Sopaipilla, dass mir aber nicht besonders zusagt. Audi, so heißt die Frau, erzählt mir auch von ihrem Zuhause in einem Dorf bei Chillán und dass ihre Schwester heute kommt. Als sie mich wiederholt einlädt bei ihr zu wohnen, reift der Wunsch doch das Gespräch zu beenden. Ich lehne weitere Angebote ab und schau ihr beim Arbeiten zu, trau mich aber nicht in der Zeit abzusetzen. Ich weiß nicht mehr, ob sie was unangenehmes im Schilde führt, oder einfach nur super nett ist. Blöde Situation.

Tatsächlich wird es schwer, sich von ihr zu trennen. Irgendwann muss sie dann Zutaten kaufen gehen, für den Verkauf der Empanadas und Sopaipillas am nächsten Tag. Gut, nun endlich meine Chance abzuhauen.

Später geh ich dann zu meinem Couchsurfer. Heber erscheint pünktlich um 18:45 im Eingang des Hochhauses in dem er eine kleine Wohnung hat. Sogar ein kleines Zimmer für mich ist dabei. Heber ist Psychologe an der lokalen Uni und ich erfahre, dass sie den Rorschach-Test anwenden. Davon hab ich vorher noch nie was gehört, aber tatsächlich ist es eine interessante Methode. Als Kinder haben wir Tintenklekse in gefalteten Papier gemacht und dann die skurrilen Flecken phantasievoll interpretiert. Heber hört also Patient*innen zu, was diese in den Flecken sehen und leitet daraus irgendwelche Ergebnisse ab. Das ist tatsächlich kein Hokuspokus sondern Wissenschaft.

Heber nimmt mich mit zum Laufen, sodass ich dankbar seit längerem wieder zu Sport komme. Etwas dass ich vermisse und leider nur schwerlich umsetze während der Reise. Danach gehen wir immer einen Trinken und treffen einen Freund und seinen Bruder. In einer traditionellen und urigen Kneipe probiere ich nochmals Chicha und wieder trifft es nicht mein Geschmack. Chicha ist mir schon mehrfach auf der Reise begegnet und meint ein irgendeiner Weise vergorenes Getränk. Meist Mais. Es ist also eine Art Bier, doch sehr trüb und je nach Region aus verschiedenen Sachen hergestellt. Ein wenig erinnert es an die jugendlichen Experimente mit Früchten in Plastikflaschen.

Die Kneipe ist komplett aus Holz gebaut. Sogar die Hocker, auf denen wir sitzen sind nur Baumscheiben. In Chile ist es übrigens üblich 10% Trinkgeld zu geben und manchmal steht es schon auf der Rechnung. Nur wenn es Fast Food auf die Hand ist oder das Essen oder die Bedienung schlecht war, kann man das Trinkgeld reduzieren. Während wir so sitzen singt der Besitzer mit seiner Gitarre im Arm alte chilenische Schlager. Meist traurig, aber irgendwie auch kraftvoll. Meine Getränkegenossen singen immer wieder ergriffen mit.

Sie lehren mich auch in chilenischen Spanisch. Also Begriffe die vor allem ausschließlich in Chile verwandt werden. Pacos für die Carabineros hatte ich ja schon erwähnt. Die PDI wird auch Ratis genannt. Beides sollte man ihnen nicht direkt ins Gesicht sagen. Besonders verbreitet ist „Weyon“, was so viel wie Kumpel*ine oder Freund*in meint. Es wird in etwas so verwandt: „Hey Weyon, noch nen Bier?“ oder „Hey Weyon, lass mal eine Rauchen gehen“. Es ist lässig informelle Sprache. Dazu zählt auch „weviar“. Dies ist nur der Infinitiv und muss entsprechend gebeugt werden. Das Verb ist wohl das am schwierigsten zu lernende, weil es absolut Kontext-abhängig ist. Je nach dem wann oder wie ich das nutze kann es alles bedeuten. Es kann ein Kompliment oder eine Beleidigung sein. So kann die Aufforderung, ein Bier trinken zu gehen ungefähr so lauten: „Hey Weyon, lass mal weviar“ (¡Hola Weyon!, ¿vamos weviar?)

Am nächsten Tag waren wir in einer moderneren Kneipe, die dann auch modernere Live-Musik hatte. Doch dies und Holz-Nutzung scheint sich fortzusetzen.

Once

Unsere gemeinsamen Abende begannen aber immer zu Hause mit einem „Once“. Zu deutsch die Zahl „Elf“ und wird gegen fünf Uhr nachmittags begangen. Eine Tradition in Chile und entspricht in etwa dem britischen Nachmittags-Tee. Dazu gibt es – zumindest bei Heber – nix süßes sondern eher Brot mit Käse und Tomate. Der Name leitet sich von Zeiten ab, als es verboten war „Aguardiente“, also Schnaps, zu trinken. Aguardiente hat elf Buchstaben, deswegen hat man sich auf „Elf“ getroffen und vorgegeben Tee oder Kaffee zu trinken.

Was die Zeit betrifft bildet Heber (mal wieder) eine großartige Ausnahme. Er ist immer pünktlich. Ich komm leider nicht sehr gut klar damit, dass eine oder mehr Stunden später als vereinbart völlig normal sind, für viele denen ich bislang begegnet bin. Umso entspannter, mal nicht warten zu müssen.

Wieder gegen fünf Uhr, aber frühs, verlasse ich Heber und mit dem Sonnenaufgang Chillán. Das Laufen hat seine Spuren hinterlassen und der Rucksack drückt doppelt (-;

PS.: … und da liegt Chillán …


Nov 19 2018

Wein und Smog

Von Karl

 

Die Wiese ist noch niedrig und gepflegt. Wenige Bäume schmücken sie. Ein paar Sofas stehen unter den größeren ausladenden Bäumen. Noch sind sie abgedeckt mit einer durchsichtigen Plastikplane, die durch das Morgentau noch ganz weiß ist. Hinter manchen niedrigen Büschen spielen Wasserstrahlen, künstlich in die Luft geworfen, einen Bogen. Hinter dem kleinen Weg befindet sich ein weitläufiges Weinfeld. Brusthoch erstrecken sich in Reih und Glied tausende kleine Pflanzen. Mit Bändern gezwungen einen besonderen Weg zu klettern.

Auch ein kleiner Erklär-Garten ist angelegt. Zu jeder Weinsorte drei oder vier Pflanzen. Durch Bäume verdeckt stehen bauchig große Betontanks. Bauglötzer von Riesen. Bestimmt passt ein kleines Einfamilienhaus in sie hinein. Mehrere stehen davon da und an ihnen schließen sich kleine Holzfässer an, ja Fässchen im Vergleich dazu, aber im Reellen könnt auch ich die nicht umschlingen.

Kein Wind geht, trotzdem schaukelt die lackierte Europalette. Ich sitze drauf und selbst ist sie an zwei Bäumen festgemacht. Nur vorsichtig trauen wir uns zu schaukeln, denn der Sekt darf nicht umfallen. Sekt, der hier nebenan angebaut wird. Ich muss kurz an die vielen Sektflaschen an meiner ehemaligen Arbeitsstelle denken. Zurück: Ein Genuss, auch wenn wir keine Kenner*innen sind. Das Ambiente lässt es gleich drei Mal so geil schmecken. Dazu: Käse. Vier Sorten, einer feiner als der andere, serviert auf kleinen Salzkeksen. Das Picknick-Angebot von „Undurraga“ steht allen offen, doch wir sind die einzigen, die gerade hier ihr Mittag verbringen. Noch eine paar Nüsse und Rosinen dazu. Ein Picknick auf dem Hof der*s Winzer*in, zwischen Fässern und Weinreben. Welch Traum.

Dafür sind wir nicht weit weg von einer Großstadt. Von Santiago aus, keine Stunde. Santiago ist Chiles Hauptstadt und mit Abstand die Größte. Über 40 Prozent der Bevölkerung leben in ihr. Im gesamten Tal sogar 80 Prozent. Alles gibt es und passierte hier. Dadurch ist die 7-Millionen-Metropole auch sehr groß und weitläufig, aber doch irgendwie weniger chaotisch. Ihre Herzschlagader ist die Alameda, die Ost-West-Achse, was aber nicht der wirkliche Name der Straße ist. Aber überall wird sie so genannt. Unter ihr befindet sich die Linie 1 der Metro. Zu Stoßzeiten quetschend gefüllt, ist sie doch sonst sehr erträglich. Sie fahren übrigens nicht auf Schienen, denn wer genau hinsieht, wird die Räder entdecken. Ein knappes Dutzend Linien gibt es. Doch sie nützen der Luft nix, denn Santiago hat einen endlosen Smog. Von allen Seiten Bergen, ist ein Tag in Santiago wie acht Zigaretten rauchen, erfahren wir bei einer Stadtführung. Von einem Hügel mit einer Marien-Statue aus, mitten im Zentrum, lässt sich die Stadt gut überblicken, wenn nicht in bestimmter Entfernung der Smog zu dick wird. Zum Berg führt sowohl eine Drahtseilbahn, als auch eine Kabinen-Seilbahn. Letztere hat den deutlich schöneren Ausblick über die Stadt und das bisschen Grün im Zentrum.

Smog über der Stadt

Dadurch ist die Stadt auch von Ost nach West in Arm und Reich geteilt. Auf den höheren Lagen am Fuße der Anden befinden sich die stromumzäunten und von Zähne fletschenden Kötern bewachten Villen. Im Wellblech-Westen dagegen sind sie nicht mehr auszumachen. Die Anden, mit ihren weißen Gebirgszügen. Etwas nordöstlich Santiagos befindet sich auch der höchste Berg der Anden und damit die höchste Erhebung Südamerikas und der Südhalbkugel und außerhalb Asiens. Der Aconcagua mit seinen knapp 7000 Metern, wird sogar von manchem Flugkapitän rechtzeitig angesagt.

Die Stadt ist nie leise oder still und als politisches Zentrum in Aufruhr. Es gibt unzählige Unis und ein Monat kann umgerechnet 800 US-Dollar kosten. Das führt seit einiger Zeit zu Protesten und als wir in der Stadt wahren, überfallen uns schlagartig hunderte Jugendliche. Als wenn sie gejagt werden rennen die meist schwarz gekleideten Jugendlichen zur Alameda. Kurz warten sie die Grünphase ab und schon stehen sie auf der Straße und blockieren die Hauptverkehrsachse. Skandieren und Springen. Sie fordern ein Recht auf kostenfreie Bildung.

Dann erscheinen auch schon die Jäger*innen. In Grün erscheinen die Carabineros, unter der Hand auch Pacos genannt. Die chilenische Polizei. Es gibt noch die PDI, aber die trägt keine Uniform und ist für komplizierte Straftaten zuständig. Sie rennen den Jugendlichen hinterher, die nun aber schon drei Ecken weiter sind. Ein Wasserwerfer versucht mit Vollgas noch welche zu erwischen. Das verfärbte Wasser soll die Täter*innen später identifizieren. Ich denke manche haben Wechselklamotten dabei.

Später ist die Alameda frei von Autoverkehr, aber die Sprint-Beteiligten scheinen anderswo unterwegs zu sein. Nur manchmal steht ein Dutzend Pacos an einer Straßenecke und wartet.

Wir ziehen weiter durch die Straßen und gelangen zur Moneda. Dem wohl geschichtsträchtigsten Haus Chiles. Hier wurde am 11. September 1973 Salvador Allende geputscht. Die ehemalige Münzprägeanstalt war damals Präsidentenpalast und ist heute ein Kulturhaus. Gerade gibt es Ausstellungen zu Wale an Chiles Küste, Handwerkskunst und eine Messe mit tierfreundlichen Produkte.

La Moneda

Pinochet war damals Oberbefehlshaber und hat die Macht übernommen, alle Kommunikationswege abgeschnitten und die Moneda bombadiert. Kampfflugzeuge, Soldaten auf jedem Dach und Panzer auf dem Platz davor. In der ausweglosen Lage hat Allende Selbstmord begangen. In einer Seitenstraße ist auch dem Kammermann Leonardo Henrichsen gedacht, der wichtige Aufnahmen an dem Tag machte, aber dann von Soldaten erschossen wurde. Ein brutales Regime insbesondere für Linke entstand an dem Tag.

Apropos Linke: Ich kann nicht mehr sagen, wie wir darauf kamen, aber es kam uns ulkig vor, wenn wir mal an Honeckers Grab gestanden hätten. Ja, ihr habt richtig gelesen, Erich Honecker, Ex-Generalsekretär, ist in Santiago begraben. Nur wo genau, dass ist ein Rätsel. Vielleicht hat er auch kein Grabstein. Wir waren offenkundig nicht die ersten, die danach fragten, denn auf dem riesigen Zentralfriedhof liegen tausende und sie konnten sofort erklären was los ist, als ich „deutscher Ex-Präsident“ sagte. Er sei beim Krematorium, Patio 83. Dort wurde er offensichtlich verbrannt, aber einen Grabstein finden wir nicht. Eine nette Friedhofsarbeiterin gibt uns dann noch ein anderes Planquadrat als Tipp, aber auch dort finden wir keinen passenden Grabstein. Aber es gibt auch hunderte, sodass es ein mühseliges Unterfangen ist. Ruhe gut Genosse, wir haben‘s versucht.

Es liegen noch unzählige andere wichtige chilenische Persönlichkeiten auf dem selben Friedhof. So ist Allendes Monument deutlich einfacher zu finden. Wir hoffen in Santiago etwas mehr auch über die 17jährige Diktatur, die an Allendes Tod sich anschloss. In der Londres 38 findet sich ein Haus, des ehemaligen Geheimdienstes, wo Gegner*innen Pinochets gefoltert und verhört wurden. Erklärt wird aber sonst nicht so viel. Etwas weiter im Westen dagegen gibt es ein größeres Museum, das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, welches sich ausführlicher mit dem 11.September ’73 beschäftigt und den Opfern. Es ist nicht sehr ausführlich, aber umfassend. So war der Druck 1990 so groß für Pinochet, dass er eine Volksabstimmung abhielten ließ, wo für eine freie Wahl plädiert worden ist. So war Pinochet weg von der Macht, hatte aber durch eine geschickte Verfassungsreform im Vorfeld sich geschützt und ist bis zu seinem Tod nie in ein Gefängnis gewandert.

Gedenken an die Opfer der Militärdiktatur

In dem Museum erfährt man auch, dass dreißig Länder u.a. Deutschland und Chile in ihrer Geschichte Wahrheitskommissionen eingesetzt haben. Beide Länder verbinden auch Solidaritätsschreiben, z.B. der Falken an die Allende-Unterstützer*innen. Im obersten Stockwerk ist eine temporäre Ausstellung eingerichtet, die sich den Indigenen Chiles widmet. Es geht um Rassismus und Geschichte. Gab es mal ein größere Fülle an verschiedenen Gruppen, so ist der Vernichtung durch die Konquistadoren und der Chilen*innen lediglich eine übrig geblieben. Die Mapuche. Sie gelten als besonders streitig, und haben seit dem ersten Zusammentreffen ihr Gebiet auch mit Gewalt verteidigt, was ihnen aber schlussendlich kaum gelang. Noch heute gibt es darum stärkere Auseinandersetzungen. Im Hof des Museums steht ein Haus der Mapuche.

Mapuche-Monument auf dem Plaza de Armas

Fans von Allende können auch in das Solidaritätsmuseum gehen, wo es zwei Räume zu seinen Verdienst gibt, aber ansonsten eher viel die Stadtteilarbeit des Museums vorgestellt wird, beziehungsweise die Einsendungen solidarischer Künstler*innen ausgestellt werden.

Neben der Museumslandschaft gehört auch der Umgang mit den Hunden zu den Kuriositäten. Die Straßenköter, die an jeder Ecke sind und einen gerne auch unangenehm hinterherlaufen oder anbellen können, werden von den Santiagoer*innen geschätzt. Sie werden gefüttert, gestreichelt und geliebkost. Manche ziehen ihnen vor dem Winter auch eine Art Pullover an. In öffentlichen Plätzen wurden extra kleine Hundehütten aufgebaut.

öffentliche Hundehäuschen

Und wer sonst keine Hoffnung hat: An jedem Lichtmast hängt die Nummer von der Tarot-Kartenlegerin. Sie hilft bei allen erdenklichen Gründen.

Echtes Glück verspricht dagegen Fast Food. Das Schnelle Essen oder auf Spanisch „Comida Rapida“, ist weit verbreitet und so geläufig wie in keinem anderen Land, in dem ich schon mal war. Typische Mahlzeit: Ein Completo. Das ist ein Hotdog, also Weißbrot mit Würstchen, dazu ggf. Sauerkraut, viel Avocado-Creme und Mayonnaise. Hamburger sind auch verbreitet, generell viel Fleisch und immer auch Pommes dazu. Typisch sind wohl auch die Sandwichs, die sich aber von einer Burger-Mahlzeit kaum unterscheiden.

Completo

Doch wo kann am besten Fast Food geschlemmt werden? Na am besten in einem der vielen Einkaufszentren. Südamerikas größte Shopping Mall und größtes Gebäude mit angeschlossen, steht im Ostteil und nennt sich „Costanera Norte“. Sie ist auch Gegenstand von Diskussionen, beispielsweise wegen vielen Selbstmorde durch Sprung aus dem achten Stock. Als wir vor Ort waren, war es eher beeindruckend wie viele Menschen gerade hier unterwegs sind. Die Essensbereiche sind übervoll und es gibt kaum Plätze. An den Fast Food Theken wird angestanden.

Valparaiso

Es gibt verschiedene Ausflugsziele, die von Santiago aus erreicht werden können. Eines ist mit Valparaiso auch ein besonders gelobtes. Es steht in jedem Reiseführer. Doch nun wollen wir es auch wissen. Direkt gegenüber vom Busbahnhof fällt einem der riesige Kasten ins Auge. Ein überdimensioniertes Monument. Der Kongress. Mag zwar Santiago die Hauptstadt sein, das Parlament versammelt sich in Valparaiso. Die Straßen sind schnöde und es ist etwas günstiger als im Zentrum der Hauptstadt. Rechts das Wasser, was aber oft nicht sichtbar wird oder mensch klettert links den Berg hinauf. Viele Straßen und manche Drahtseilbahn führt hinauf, ist es aber auf Grund der Kürze kaum Wert bezahlt zu werden. Die versprochenen bunten Häuser sind nicht ganz so farbenprächtig, aber mit dem Instagram-Filter geht‘s bestimmt.

der chilenische Kongress

Lohnenswert ist die Avenida Alemania entlang zu schlendern. Sie fällt nach Norden hin nur leicht ab und hat damit keine belastenden Berge. Gleichzeitig eröffnen sich einem ständig neue Ausblicke auf den Hafen, das Meer oder gar Viña del Mar. Nach wenigen Stunden haben wir aber alles gesehen und sind rechtzeitig wieder zurück in Santiago.

Ach und übrigens: wir haben auch den dortigen Wein getrunken, als wir auf dem Hof dekadent den Weinreben beim Wachsen zugeschaut haben …

PS.: Santiago de Chile liegt direkt in der Mitte des langgestreckten Landes:


Jul 2 2018

Der Elfenbeinturm

von Rosa

Nächster Halt Ecuador! Zwei Backpacker, die wir in Piura getroffen hatten, kamen gerade aus dem Norden und erzählten uns von schönen Orten in Ecuador. Aber auch, dass sie dort fast einen Monat die Sonne nicht gesehen hatten und wir uns auf deutlich teurere Preise einstellen sollten. Mit dem Busunternehmen Civa, das als einziges direkt nach Ecuador fährt, traten wir am Abend trotzdem die 12 Stunden Fahrt an. Der Grenzübertritt in Aguas Verdes war einfach. Wir mussten uns nur zweimal anstellen. Jeweils einmal bei der peruanischen und ecuadorianischen Grenzbehörde. Schnell noch drei Fragen beantworten und schon konnten wir passieren. Zu einer ausführlicheren Auskunft wäre ich drei Uhr morgens auch nicht in der Lage gewesen. Weitere fünf Stunden später hielt der Bus am Terminal in der größten Stadt des Landes: Guayaquil.

Die Prophezeiung der beiden Packpacker sollte fürs Erste in Erfüllung gehen. Der Himmel über uns in dichte graue Wolken gehüllt. In der Eingangshalle des Busbahnhofes begrüßen uns McDonalds Filialen. Doch nicht nur der Shoppingmall ähnliche Busbahnhof auch die Scheine aus dem Geldautomaten erinnern an die USA. Seit dem Jahr 2000 wird in Ecuador mit dem US-Dollar bezahlt. Eine Maßnahme um die damalige Inflation zu stoppen. Mit der neuen Währung wurden auch die Preise erhöht. Einzig und allein der Nahverkehr liegt noch auf dem selben Niveau wie vor der Währungsumstellung. Wie teuer es werden kann, merken wir gleich beim Einsteigen ins Taxi. Fünf Dollar sollen wir für eine kurze Strecke zahlen. Auf unsere Verhandlungen gehen die Taxi Fahrer nicht ein. Zähne knirschend zahlen wir den vierfachen Preis gegenüber Peru.

Ganz sicher sind wir uns nicht, ob wir hier richtig sind. Wir stehen vor einem mehrgeschossigen Turm mit Glasfassade, großer Eingangstür und Portier. Der Name des Gebäudes Elite Building. Hier soll Katerina wohnen, unsere Gastgeberin für die nächsten Tage. Sie lebt tatsächlich hier erzählt uns der Mann am Empfang, ist aber momentan nicht Zuhause. Wir sitzen auf einer gepolsterten Bank vor einer großen goldenen Vase über uns ein Kronleuchter. Alles blitzt wie frisch poliert. Dann kommt die Nachricht, dass sie doch da ist. Der Portier begleitet uns zum Fahrstuhl und bedient die Tasten. Im Spiegel des Fahrstuhls sehe ich einen Mann in einem glatt gebügelten schwarzen Anzug mit zurück gekämmten Haaren und zwei müde Gestalten, bepackt wie Nomaden in staubigen Schuhen. Finde den Fehler.

Wir warten vor der Tür mit der Nummer 107 und klopfen zögerlich. Wer wird uns wohl aufmachen. Laut dem Couchsurfingprofil wohnt hier Katerina, die sieben Jahre in Indien gelebt hat und an neuen Kulturen und Menschen interessiert ist. Die Tür öffnet uns eine große Frau mit braunem Pferdeschwanz und einem konzentrierten Gesicht, dass wenig Mimik zeigt. Die Begrüßung ist etwas kühl. Sie erklärt uns die Wohnung mechanisch und antwortet nur knapp auf unsere Fragen. Ihr Zuhause ist sehr sauber und mit allem ausgestattet. Es gibt ein Wohnzimmer mit zwei weißen Sofas, eine Kochnische, ein geräumiges Bad und ein Schlafzimmer. Die Wohnung ist deutlich über dem Standard, den wir bisher kennengelernt haben, aber nicht so luxuriös wie die Eingangshalle erwarten lies. Es gibt eine Dusche mit konstant warmen Wasser. Das ist mein Luxus in Südamerika.

Unser Magen meldet sich zu Wort und will Frühstück. Katerina empfiehlt uns ein Shoppingcenter gleich um die Ecke. Mitkommen mag sie aber nicht. Im Supermarkt sehen wir zum ersten Mal dunkles Brot. Es ist natürlich immer noch weich, aber der Geschmack erinnert dennoch entfernt an Schwarzbrot. Dazu gibt es holländischen Käse aus Ecuador. Die Preise für Lebensmittel im Supermarkt sind teurer als in Deutschland. Dafür ist der Bus mit 30 Cent preiswert. Wir nutzen die Gelegenheit und fahren bis ins Zentrum. An einer Haltestelle steigt ein Mann mit Mikrofon ein. Schnell hat er einen Hefter ausgepackt. Darin befinden sich Bilder von kranken Menschen und schlechten Nahrungsmitteln. Immer wieder erzählt er wie ungesund fettiges Essen und Alkohol sind. Dabei drückt er jedem Fahrgast eine Pillendose in die Hand. Nur zwei Dollar kosten die Wunderpillen, die uns wieder gesund machen sollen. Heute als Sonderangebot gibt es drei Dosen für fünf Dollar. Von einigen sammelt er das Wundermittel nach seiner Rede wieder ein, andere geben ihm zwei Dollar. Der Bus ein guter Ort um Geschäfte zu machen. Die Kunden können ja nicht weglaufen. Diese Gelegenheit nutzen auch ein Blockflötenspieler und ein Obstverkäufer aus. Es ist ein bisschen wie analoges Teleshopping, nur können wir nicht umschalten. Irgendwann geht der Busverkehr nicht mehr weiter und wir steigen aus. Unser Ziel ist der Malecón. So wird in Lateinamerika die Promenade am Meer genannt. Doch bis dahin ist es ein Slalomlauf zwischen fliegenden Händlern. Vielmehr als im Bus, wird auf der Straße verkauft. Ein Angebot jagt das nächste nach der Devise wer am lautesten schreit, verkauft auch am meisten. Immer wieder wird das Angebot und der Preis wie ein Gebet wiederholt. Es ist ein richtiger Singsang. Neben Kleidung und Lebensmitteln werden hier auch kleine Hunde verkauft. In jeder ihrer Hände halten die Männer einen dieser Miniaturhunde und laufen damit durch die Straßen. Man könnte sie fast mit Kuscheltieren verwechseln, wenn nicht ihre quälenden Rufe wären.

Der Malecón ist der Stolz von Guayaquil. Auf drei Kilometern kann man hier auf den asphaltierten Fußgängerwegen entlang spazieren. Es gibt Spielhallen, Shoppingcenter, Restaurants, Spielplätze, einen botanischen Garten, ein Rundkino und ein großes Riesenrad. Alles ganz modern und überall Wlan. Ein Amüsiermeile für Touristen und Stadtbewohner. Weitere Entertainmentangebote wie eine Achterbahn werden gerade gebaut. Auch Bildung und Kultur dürfen nicht fehlen. Doch als wir am Museum für Moderne Kunst ankommen, hat es geschlossen. Am nördlichen Ende des Malecons befinden sich die beiden historischen Stadtteile Las Penas und Santa Ana. Sie sind auf Hügeln gelegen und beeindrucken durch ihre verspielten Gassen und bunt gestrichenen Fassaden. Wir schlendern durch die Kopfsteinpflasterstraßen und genießen den Ausblick über die Stadt, die Meerzunge und die benachbarten Inseln. Als wir den Weg zurück in die Stadt nehmen, versperren uns auf den Treppen sitzende Menschen den Weg. Gut 30 Frauen hocken mit Stift und Zettel auf den Treppenstufen. Immer wieder wiederholt eine Stimme verschiedene Zahlen. In der Mitte der Treppe steht eine Frau und zieht kleine Zettel aus einer alten Milchkanne. Sie spielen Bingo. Wir beobachten das Spektakel eine Weile. Mit dem Sonnenuntergang über der Stadt verlassen wir das malerische Viertel.

Den Weg zurück in unsere Unterkunft nehmen wir mit der Metro. So werden hier Busse bezeichnet, die an festen Punkten halten und eine eigene Busspur haben. Dadurch sind sie viel schneller unterwegs als die gewöhnlichen Stadtbusse, in die man an beliebigen Stellen ein- und aussteigen kann. Normalerweise benötigten wir dafür eine aufladbare Karte, aber vor den Einlassschleusen finden sich immer hilfsbereite Menschen, die uns auf ihrer Karte mitnehmen. Als wir am Abend Katerina von unserer Bustour erzählen, schaut sie uns mit großen Augen an. Sie würde nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, viel zu gefährlich. Erst neulich wurde die Mutter ihres Fahrers ausgeraubt. Bei dem Wort Fahrer stocke ich etwas. Katerina kommt ursprünglich aus der Ukraine und ist hier in Guayaquil, weil sie Managerin bei einer großen Bananenfirma ist. Sie ist zuständig für den Export nach Osteuropa.

Auf ihrem Schlafzimmerboden liegen Puzzelteile aus denen eine Berglandschaft entstehen soll. Ich setze mich zu ihr und wir sprechen über Vegetarismus. Ob sie schon mal vegan gelebt hat, möchte ich wissen. Nein, das wäre quatsch. Sie liebt Kühe und diese würden ihre Milch mit Liebe geben. Wie viel Liebe eine Kuh wohl durch eine Melkmaschine verspürt, frage ich mich. Aber Katerina ist so eine Art Mensch, der nicht diskutiert. Erst recht nicht beim Puzzeln, denn das ist für sie wie meditieren. So ganz will das Profil und der Mensch Katerina nicht zusammenpassen. Als sie im Bett ist, lesen wir uns noch einmal die Bewertungen von anderen Couchsurfern durch. Sie sind allesamt positiv und schwärmen von der freundlichen und hilfsbereiten Katerina. Wir fragen uns, wo diese Katerina ist.

Am nächsten Morgen verabschiedet sie sich früh Richtung Fitnessstudio. Wann sie zurück ist, frage ich. In einer Stunde meint Katerina. Das Fitnessstudio befinde sich im Haus, genau wie ein Kino und ein Swimmingpool auf dem Dach. Sie klingt gelangweilt. Sie muss ihr Haus nicht verlassen, um irgendetwas zu bekommen und das tut sie auch das gesamte Wochenende nicht.

Unser Sonntagsspaziergang führt zum Parque Bolivar. Hier sollen Landleguane leben, die bis zu einem Meter lang werden. Und tatsächlich, mal langsam, mal flink bewegen sich die Drachentiere über die gepflasterten Wege oder faulenzen auf grünen Rasenflächen. Die Tiere zeigen fast keine Scheu und lassen sich mit Salatblättern füttern. Es gibt auch Tauben im Park, die sich gerne auf einem Leguanrücken niederlassen. Leguane können auf Bäume klettern. Besser geht es immer rauf. Runter rutschen sie eher an der Baumrinde entlang. Leider können sie sich nicht wehren, wenn die Kinder ihnen am Schwanz ziehen als wären sie Hunde und ihr Schwanz eine Leine. Ein kleines kräftiges Mädchen schleift einen Leguan ein paar Meter über die Steine. In der anderen Hand ihr Eis, dass auf ihr weißes Spitzenkleid tropft. Einen Moment später jagt sie die Tauben im Park von ihrem Futter weg. Viel zu spät schleift der Vater das Mädchen aus dem Park nach Hause. Wir sitzen eine Weile auf einer Bank und beobachten die sogenannten Tierfreunde und wie sie mit ihren Freunden umgehen. Vor uns steht ein Baum, der überlagert ist mit Tauben und Leguanen. Wahrscheinlich der einzige Platz wo sie ihre Ruhe haben. Ein Touri will gerade einen Leguan ins perfekte Licht rücken, da verrichtet eine Taube ihre Notdurft auf dem Baum und trifft ihn auf der Schulter. Vielleicht gibt es doch so etwas wie Karma.

Wir sitzen gerade beim Frühstück, als uns Katerina freundlich darauf hinweist, dass es schon zehn Uhr ist und wann wir denn aufbrechen wollen. Wir verstehen, was sie sagen will und packen schnell unsere Sachen. In der Zwischenzeit kommen noch zwei Arbeitskollegen von ihr vorbei und kurzerhand finden die Besprechungen auf ihrem Bett statt. Ihre Wohnung steht scheinbar jedem offen, ihr Leben nicht. In unserem Bild von Katerina passen die Puzzleteile immer noch nicht zusammen, aber das müssen sie auch nicht. Wir verlassen die Eiskönigin in ihrem Elfenbeinturm. Uns zieht es an einen wärmeren Platz an den Strand. Wir fahren natürlich Bus.